Anguttara Nikaya

1. Kapitel: ānisamsa-vagga

A.X.1 Segen der Sittlichkeit

Im Jetahain bei Sāvatthī. Der ehrwürdige Ananda sprach zum Erhabenen:

»Was, o Herr, ist der Segen und Lohn der heilsamen Sitten?«

Somit, Ananda, haben

So also, Ananda, führen die heilsamen Sitten nach und nach zum Höchsten.«


A.X.2 Gesetzmäßigkeit der geistigen Entwicklung

Nicht braucht, ihr Mönche, der Sittenreine, der Sittlichkeit Besitzende eine Willensanstrengung zu machen, damit ihm Reuelosigkeit aufsteigt; ein Gesetz ist es, daß dem Sittenreinen, dem Sittlichkeit Besitzenden Reuelosigkeit aufsteigt.

Nicht braucht, ihr Mönche,

der Reuelose eine Willensanstrengung zu machen, damit ihm Freude aufsteige; ein Gesetz ist es,

Somit haben Abwendung und Entsüchtung den Erkenntnisblick der Erlösung zu Segen und Lohn... haben die heilsamen Sitten die Reuelosigkeit zum Segen und Lohn.

So also, ihr Mönche, lassen die einen Erscheinungen die anderen Erscheinungen entstehen, bringen die einen Erscheinungen die anderen Erscheinungen zur Vollendung, so daß eben die diesseitigen Erscheinungen zum jenseitigen Ziele hingeleiten. (*1)


(*1) apārā pāram gamanāyā'ti; K: Die das diesseitige Ufer bildenden Erscheinungen der drei Ebenen der Daseinsrunde (sinnliches, feinkörperliches und unkörperliches Dasein) geleiten zum jenseitigen Ufer, dem Nibbāna. -

Die Begriffsreihe dieses Textes wird in den Anmerkungen zu A.V.24 erklärt. Paralleltexte: A.V.24, A.VI.50, A.VII.61, A.VIII.81).


A.X.3 Eines aufs Andere gestützt

Im Sittenlosen, ihr Mönche, in einem, dem Sittlichkeit mangelt, ist die Reuelosigkeit ohne Grundlage; ist aber keine Reuelosigkeit da, so ist in ihm, dem Reuelosigkeit mangelt, die Freude ohne Grundlage... der Erkenntnisblick der Erlösung ohne Grundlage.

Gleichwie, ihr Mönche, an einem der Zweige und Blätter beraubten Baume auch Borke, Haut, Grünholz und Kernholz sich nicht vollkommen entwickeln können, ebenso ist im Sittenlosen die Reuelosigkeit ohne Grundlage... der Erkenntnisblick der Erlösung ohne Grundlage.

Doch im Sittenreinen, ihr Mönche, in ihm, der Sittlichkeit besitzt, hat die Reuelosigkeit eine Grundlage; ist Reuelosigkeit da, so hat im Reuelosen die Freude eine Grundlage... hat der Erkenntnisblick der Erlösung eine Grundlage.

Gleichwie, ihr Mönche, bei einem Baum, der im vollen Besitz seiner Zweige und Blätter ist, auch Borke, Haut, Grünholz und Kernholz sich vollkommen entwickeln können, ebenso hat im Sittenreinen die Reuelosigkeit eine Grundlage... der Erkenntnisblick der Erlösung eine Grundlage.


A.X.4-5 (Gleichlautend mit Text 3)

Werden jedoch von Sāriputta bzw. Ananda vorgetragen.


A.X.6 Losgelöste Sammlung I

Der ehrwürdige Ananda sprach zum Erhabenen also:

»Mag wohl, o Herr, der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde ist, daß er angesichts des Wassers - des Feuers - des Windes - des Gebietes der Raumunendlichkeit - der Bewußtseinsunendlichkeit - der Nichtsheit - der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung - angesichts dieser Welt - angesichts jener Welt ohne Wahrnehmung von all diesen ist, und daß er dennoch Wahrnehmung besitzt?«

Ja, Ananda, das ist möglich.«

Wie aber, o Herr, kann der Mönch eine solche Sammlung erreichen?«

Da, Ananda, hat der Mönch die Wahrnehmung: 'Dies ist der Friede, dies das Erhabene, nämlich: der Stillstand aller karmischen Bildungen, die Loslösung von allen Daseinsgrundlagen, die Versiegung des Begehrens, die Entsüchtung, Erlöschung, das Nibbāna!' Auf diese Weise mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen (*1).«


(*1) K: Dies bezieht sich auf den Fruchterreichungszustand (der Heiligkeit, phalasamāpatti; VisM 840)


A.X.7 Losgelöste Sammlung II

Der ehrwürdige Ananda sprach zum ehrwürdigen Sāriputta:

»Mag wohl, Bruder Sāriputta, der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde ist... angesichts jener Welt ohne deren Wahrnehmung ist, und daß er dennoch Wahrnehmung besitzt?« - »Ja, Ananda, das ist möglich.« - »Wie aber, Bruder Sāriputta, kann der Mönch eine solche Sammlung erreichen?«

Einst, Bruder Ananda, da weilte ich hier bei Sāvatthī im Dunklen Walde. Dort erreichte ich eine solche Sammlung, daß ich angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde war, daß ich angesichts des Wassers - des Feuers - des Windes - des Gebietes der Raumunendlichkeit - der Bewußtseinsunendlichkeit - der Nichtsheit - der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung - angesichts dieser Welt - angesichts jener Welt ohne Wahrnehmung von all diesen war, und dennoch besaß ich Wahrnehmung.«

Welche Wahrnehmung aber hatte der ehrwürdige Sāriputta bei dieser Gelegenheit?«

'Nibbāna ist Daseinserlöschung! Nibbāna ist Daseinserlöschung!' (*1) - diese eine Wahrnehmung, Bruder, stieg in mir auf, und die andere Wahrnehmung schwand. Gleichwie etwa, Bruder, bei einem Reisigfeuer die eine Flamme aufleuchtet, die andere Flamme aber verschwindet; ebenso auch, Bruder, stieg in mir im Gedanken Nibbāna ist die Daseinserlöschung' diese eine Wahrnehmung auf, und die andere Wahrnehmung schwand. Daß Nibbāna die Daseinserlöschung ist, diese Wahrnehmung hatte ich bei jener Gelegenheit.«


(*1) bhavanirodho nibbānan'ti; auch in Samy.12.68 


A.X.8 Vollkommenheit im Mönchstum

Ist da, ihr Mönche, ein Mönch voller Vertrauen, aber ohne Sittlichkeit, so ist er in dieser Hinsicht noch unvollkommen. Diese Eigenschaft muß er daher zur Vollkommenheit bringen und danach trachten: 'Ach, möchte ich doch neben dem Vertrauen auch Sittlichkeit besitzen!' Wenn er aber neben dem Vertrauen auch noch Sittlichkeit besitzt, so ist er in dieser Hinsicht vollkommen.

Ist da, ihr Mönche, ein Mönch, vertrauensvoll und sittenrein, hat aber kein großes Wissen - ist aber kein Verkünder der Lehre - besucht nicht die Versammlungen - besucht wohl Versammlungen, trägt aber dort nicht mit Unbefangenheit die Lehre vor - ist kein Kenner der Ordenszucht - ist aber kein Waldeinsiedler, der abgeschiedene Behausungen bewohnt - wird aber nicht nach Wunsch, ohne Mühe und Schwierigkeit der vier Vertiefungen teilhaftig, der erhaben-geistigen, gegenwärtiges Glück bringenden - gewinnt aber nicht durch Versiegung der Triebe, noch bei Lebzeiten, die von Trieben freie Gemütserlösung und Weisheitserlösung, sie selber erkennend und verwirklichend, so ist er in dieser Hinsicht noch unvollkommen. Diese Eigenschaft muß er daher zur Vollkommenheit bringen und danach trachten: 'Ach, möchte ich doch auch durch Versiegung der Triebe, noch bei Lebzeiten, die von Trieben freie Gemütserlösung und Weisheitserlösung gewinnen, sie selber erkennend und verwirklichend!' Wenn er aber dann auch die von Trieben freie Gemütserlösung und Weisheitserlösung gewinnt, so ist er auch in dieser Hinsicht vollkommen.

Mit diesen zehn Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, leistet der Mönch allseits Genüge, ist er in jeder Weise vollkommen. (Vgl. A.VIII.71)


A.X.9-10 (Gleich lautend mit Text 8)

Die Texte 9 und 10 sind nahezu gleich lautend, mit folgenden Ausnahmen: in Text 9 ist die 9. Eigenschaft die Erreichung der unkörperlichen Vertiefungen; in Text 10 ist die 8. Eigenschaft die 'Erinnerung an frühere Daseinsformen' und die 10. Eigenschaft 'das Himmlische Auge'.


2. Kapitel: nātha-vagga

A.X.11 Hilfen für die Erlösung

Der fünf Eigenschaften besitzende Mönch, der eine mit fünf Eigenschaften ausgestattete Behausung aufsucht und bewohnt, gelangt nach gar nicht langer Zeit durch Versiegung der Triebe in den Besitz der von Trieben freien Gemütserlösung und Weisheitserlösung, sie noch bei Lebzeiten selber erkennend und verwirklichend.

Wie aber, ihr Mönche, besitzt der Mönch fünf Eigenschaften?

Da eignet dem Mönche Vertrauen; er glaubt an die Erleuchtung des Vollendeten, so nämlich: 'Dieser Erhabene, wahrlich, ist ein Heiliger, vollkommen Erleuchteter, der im Wissen und Wandel Bewährte, der Gesegnete, der Kenner der Welt, der unübertreffliche Lenker führungsbedürftiger Menschen, der Erleuchtete, der Erhabene.'

Gesund ist er, frei von Siechtum. Seine Körpersäfte bewirken eine gleichmäßige Verdauung, sind weder zu kalt noch zu heiß, sondern besitzen mittlere Wärme und machen ihn dem Kampfe gewachsen.

Ehrlich ist er und offen. Der Wahrheit entsprechend bekennt er sich dem Meister oder verständigen Ordensbrüdern.

Voller Willenskraft lebt er, um die unheilsamen Dinge zu überwinden und die heilsamen Dinge zu erwecken. Er ist standhaft, von gestählter Kraft, nicht nachlässig im Guten.

Weise ist er; ausgerüstet mit jener Weisheit, die das Entstehen und Vergehen begreift: der edlen Weisheit, der durchdringenden, die zur völligen Leidensvernichtung führt.

Diese fünf Eigenschaften, ihr Mönche, besitzt der Mönch.

Wie aber, ihr Mönche, ist die Wohnstätte mit fünf Eigenschaften ausgestattet?

Da, ihr Mönche, ist die Wohnstätte nicht zu fern und nicht zu nahe, günstig zum Gehen und Kommen (*1). Bei Tage ist sie wenig belebt und des Nachts ohne Geräusch und Lärm. Wenig wird man dort belästigt durch Bremsen und Mücken, Wind, Sonnenglut und durch Kriechtiere. Dem in dieser Wohnstätte Lebenden werden ohne Mühe Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt und Arzneimittel zuteil. In dieser Wohnstätte leben ältere Mönche, die wissensreich sind, wohlvertraut mit dem Lehrgut, Kenner der Lehre, der Ordenszucht und der Leitsätze. Zu ihnen begibt er sich von Zeit zu Zeit und befragt sie, bittet sie um Aufklärung: 'Wie ist dies, o Ehrwürdiger? Wie hat nan dies zu verstehen?'; und jene Ehrwürdigen enthüllen ihm, was ihm unverständlich ist, klären ihn auf über das ihm Unklare und lösen ihm in manchen zweifelhaften Punkten seine Zweifel. So, ihr Mönche, ist die Wohnstätte mit fünf Eigenschaften ausgestattet.

Ein Mönch, der diese fünf Eigenschaften besitzt und eine mit diesen fünf Eigenschaften ausgestattete Wohnstätte aufsucht und bewohnt, gelangt nach gar nicht langer Zeit durch Versiegung der Triebe in den Besitz der von Trieben freien Gemütserlösung und Weisheitserlösung, sie noch bei Lebzeiten selber erkennend und verwirklichend.


(*1) K: Wenn die Wohnstätte zu weit (vom Dorfe) liegt, tritt, wenn der Mönch nach dem Almosengang dorthin zurückkehrt, körperliche und geistige Ermüdung ein; er ist dann nicht imstande, die noch nicht erreichte Geistessammlung zu erwirken oder die bereits erreichte zu festigen. Liegt aber die Wohnstätte zu nahe (beim Dorfe), dann ist sie zu belebt.


A.X.12 Der erhabenste Mensch

Ein Mönch, der fünf Eigenschaften aufgegeben hat und fünf Eigenschaften besitzt, den, ihr Mönche, bezeichnet man in dieser Lehre und Zucht als vollkommen und vollendet, als den erhabensten Menschen.

Inwiefern aber, ihr Mönche, hat der Mönch fünf Eigenschaften aufgegeben? Da hat der Mönch Sinnenlust aufgegeben, Haß, Starrheit und Mattigkeit, Aufgeregtheit und Gewissensunruhe, und Zweifelsucht.

Inwiefern aber, ihr Mönche, besitzt der Mönch fünf Eigenschaften? Da ist der Mönch ausgerüstet mit der dem Kampfesledigen (Heiligen) eigenen Fülle der Sittlichkeit (asekhena sīlakkhandhena; vgl. A.V.251, A.III.58 mit Anm), der Sammlung, der Weisheit, der Befreiung und des Erkenntnisblickes der Befreiung.

Einen Mönch, der jene fünf Eigenschaften aufgegeben hat und diese fünf Eigenschaften besitzt, den, ihr Mönche, bezeichnet man in dieser Lehre und Zucht als vollkommen und vollendet, als den erhabensten Menschen.

Wer da von Sinnenlust und Haß,
von Starrheit und von Mattigkeit,
Erregtheit und der Zweifelsucht
sich ganz und gar hat frei gemacht,
Erreicht hat heil'ge Sittlichkeit,
des Geistes heil'ge Sammlungskraft,
Erlösung sich errungen hat
und die Erkenntnis solcher Art:
Wer so fünf Dinge sich errang,
fünf Dinge aber von sich wies,
der gilt in dieser Lehr' und Zucht
als ein Vollendeter fürwahr.

A.X.13 Die zehn Fesseln

Zehn Fesseln gibt es, ihr Mönche. Welche zehn? Die fünf niederen Fesseln und die fünf höheren Fesseln.

Welches aber sind die fünf niederen Fesseln? 

  1. Persönlichkeitsglaube, 
  2. Zweifelsucht, 
  3. Hängen an Regeln und Riten, 
  4. Sinnenlust und 
  5. Haß.

Welches aber sind die fünf höheren Fesseln? 

  1. Begehren nach feinkörperlichem Dasein, 
  2. Begehren nach unkörperlichem Dasein. 
  3. Dünkel, 
  4. Aufgeregtheit und 
  5. Unwissenheit.

A.X.14 Der abnehmende und zunehmende Mond

In wem, ihr Mönche, unter den Mönchen und Nonnen die fünf Geistesverhärtungen nicht überwunden und die fünf Geistesumstrickungen nicht zerstört sind, der hat - sei es bei Tage oder bei Nacht - eben einen Rückschritt im Guten zu erwarten, keinen Fortschritt.

Welches aber sind die fünf Geistesverhärtungen (vgl. A.V.205- 206), die er nicht überwunden hat?

Da, ihr Mönche, schwankt und zweifelt ein Mönch hinsichtlich des Meisters, ist ohne Gewißheit und Zuversicht. Bei einem Mönche aber, der hinsichtlich des Meisters schwankt und zweifelt, ohne Gewißheit und Zuversicht ist, da neigt der Geist nicht zum Eifer, zur Anstrengung, Ausdauer und zum Kampfe. Und daß der Geist nicht dazu neigt, das gilt als die erste Geistesverhärtung.

Fernerhin, ihr Mönche, schwankt und zweifelt der Mönch hinsichtlich der Lehre - der Mönchsgemeinde - der geistigen Schulung - er ist über seine Ordensbrüder ärgerlich, ist mit ihnen unzufrieden, ist aufgebracht und verstockt. Bei einem solchen Mönche aber neigt der Geist nicht zum Eifer, zur Anstrengung, Ausdauer und zum Kampfe. Und daß der Geist nicht dazu neigt, das gilt als die... fünfte Geistesverhärtung.

Welches aber sind die fünf Geistesumstrickungen, die in ihm nicht zerstört sind?

Da ist der Mönch hinsichtlich der Sinnendinge nicht frei von Gier, Verlangen, Zuneigung, Durst, Leidenschaft und Begehren. Bei einem Mönche aber, der hinsichtlich der Sinnendinge nicht frei ist von Gier, Verlangen, Zuneigung, Durst, Leidenschaft und Begehren, da neigt der Geist nicht zum Eifer, zur Anstrengung, Ausdauer und um Kampfe. Und daß der Geist nicht dazu neigt, das gilt als die erste Geistesumstrickung.

Fernerhin, ihr Mönche, ist der Mönch nicht frei von Gier hinsichtlich des Körpers - nicht frei von Gier hinsichtlich der Formen (der Außenwelt) - oder wenn er nach Herzenslust seinen Leib gefüllt hat, ergibt er sich dem Genusse der Bettruhe, des Sichausstreckens und des Schlafens - oder er führt den Reinheitswandel in der Hoffnung auf himmlische Wiedergeburt, denkend: 'Durch Befolgung dieser Sittenregel, dieser Übung, dieser Askese, oder durch diesen Reinheitswandel werde ich ein Gott werden oder ein Himmelswesen.' Bei einem Mönche aber, der mit dieser Erwartung den Reinheitswandel führt, neigt sich der Geist nicht zum Eifer, zur Anstrengung, Ausdauer und zum Kampfe. Und daß der Geist nicht dazu neigt, das gilt als die... fünfte Geistesumstrickung.

Gleichwie, ihr Mönche, zur dunklen Monatshälfte - sei es bei Tage oder bei Nacht - der Mond beständig abnimmt an Farbe, Rundung, Glanz und Umfang; ebenso auch, ihr Mönche, in wem unter den Mönchen und Nonnen die fünf Geistesverhärtungen nicht überwunden und die fünf Geistesumstrickungen nicht zerstört sind, der hat - sei es bei Tage oder bei Nacht - eben einen Rückschritt im Guten zu erwarten, keinen Fortschritt.

In wem aber, ihr Mönche, unter den Mönchen und Nonnen die fünf Geistesverhärtungen überwunden und die fünf Geistesumstrickungen zerstört sind, der hat - sei es bei Tage oder bei Nacht - eben einen Fortschritt im Guten zu erwarten, keinen Rückschritt.

Welches aber sind die fünf Geistesverhärtungen, die er überwunden..., die fünf Geistesumstrickungen, die er zerstört hat?

(Hier folgt die Umkehrung der obigen Erklärungen.)

Gleichwie, ihr Mönche, zur hellen Monatshälfte - sei es bei Tage oder bei Nacht - der Mond beständig zunimmt an Farbe, Rundung, Glanz und Umfang; ebenso auch, ihr Mönche, in wem unter den Mönchen und Nonnen die fünf Geistesverhärtungen überwunden und die fünf Geistesumstrickungen zerstört sind, der hat - sei es bei Tage oder bei Nacht - eben einen Fortschritt zu erwarten im Guten, keinen Rückschritt.


A.X.15 Strebsamkeit - aller guten Dinge Anfang

Was es auch immer an Wesen gibt, ihr Mönche, an fußlosen, an Zweifüßern, Vierfüßern oder Vielfüßern, bewußte, unbewußte oder halbbewußte: unter all diesen gilt der Vollendete als der Beste, der Heilige, Vollkommen Erleuchtete. Ebenso, ihr Mönche, haben die heilsamen Dinge alle die Strebsamkeit (vgl. A.VI.53) zur Grundlage und zum Ausgangspunkt; die Strebsamkeit gilt unter ihnen als das Beste.

Gleichwie, ihr Mönche, die Spuren aller fußbegabten Wesen in der Elefantenspur Platz finden, die Elefantenspur als die vorzüglichste gilt hinsichtlich ihrer Größe; ebenso haben die heilsamen Dinge alle die Strebsamkeit zur Grundlage und zum Ausgangspunkt; die Strebsamkeit gilt unter ihnen als das Beste.

Oder gleichwie an einem Giebelhause sämtliche Dachsparren zum Giebel streben, sich zum Giebel hin erstrecken, am Giebel sich treffen und der Giebel als ihr Höhepunkt gilt... Oder gleichwie unter allen Wurzeldüften der Duft des schwarzen Sandelholzes als der beste gilt... Oder gleichwie unter allen wohlriechenden Hölzern das rote Sandelholz als das beste gilt... Oder gleichwie unter allen Blumendüften der Jasminduft als der beste gilt... Oder gleichwie alle die kleinen Fürsten sich nach dem Weltherrscher richten und der Weltherrscher für sie als der Beste gilt... Oder gleichwie das Licht keines der Sternbilder auch nur ein Sechzehntel des Mondeslichts ausmacht... Oder gleichwie zur Herbstzeit, am klaren, wolkenlosen Himmel die Sonne, die Lüfte durcheilend, das den ganzen Himmelsraum erfüllende Dunkel zerteilend, glüht und leuchtet und strahlt... Oder gleichwie jene großen Ströme, wie der Ganges, die Jamuna, Aciravati, Sarabhū und Mahī, alle zum Meere eilen, zum Meere hinabfließen, zum Meere abfallen, zum Meere sich senken und das Weltmeer ihnen als das Beste gilt, ebenso haben die heilsamen Dinge alle die Strebsamkeit zur Grundlage und zum Ausgangspunkt; die Strebsamkeit gilt unter ihnen als das Beste.


A.X.16 Zehn verehrungswürdige Menschen

Zehn Menschen, ihr Mönche, sind würdig der Opfer, würdig der Gastfreundschaft, würdig der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes, sind in der Welt der beste Boden für verdienstvolle Werke. Welche zehn Menschen?

Der Vollendete, Heilige, Vollkommen Erleuchtete; der Einzelerleuchtete; der Beiderseitserlöste; der Wissenserlöste; der Körperzeuge; der Erkenntnisgereifte; der Vertrauenserlöste; der Wahrheitsergebene; der Vertrauensergebene; und der Reifgewordene (gotrabhū; s. A.IX.10 m. Anm.).


A.X.17 (Gleichlautend mit Text 18)

Text 17 ist gleichlautend mit Text 18, doch ohne die bei jedem der zehn Punkte sich wiederholenden Sätze: »Da er aber sittenrein ist... keinen Rückschritt.«


A.X.18 Beschützende Dinge

Möget ihr beschützt leben, ihr Mönche, nicht unbeschützt! Ohne Schutz, ihr Mönche, lebt man elend. Es gibt zehn beschützende Dinge (nāthakaranā dhammā), ihr Mönche. Welches sind sie?

Da, ihr Mönche, ist der Mönch sittenrein; er befolgt die Ordenssatzung, ist vollkommen in Wandel und Umgang und  vor dem kleinsten Vergehen zurückschreckend, schult er sich in den Übungsregeln, die er auf sich genommen. Da er aber sittenrein ist, halten es die älteren wie die mittleren wie die jüngeren Mönche für angebracht, ihn anzureden und zu belehren. Und da sie ihm zugetan sind, hat er eben einen Fortschritt im Guten zu erwarten, keinen Rückschritt. Das ist ein beschützender Umstand.

Ferner, ihr Mönche, ist der Mönch wissensreich; er ist ein Bewahrer des Wissens und hat sich große Kenntnisse angesammelt; jene Lehren, die im Anfang vorzüglich sind, in der Mitte vorzüglich und am Ende vorzüglich, die in vollendetem Sinn und Ausdruck ein ganz vollkommenes und geläutertes Reinheitsleben verkünden, diese Lehren hat er sich häufig angehört, sich eingeprägt, hat sie im Wortlaut gelernt, im Geiste erwogen und sie weise verstanden. Da er aber wissensreich ist... Auch das ist beschützender Umstand.

Da hat ferner der Mönch einen edlen Freund, einen edlen Gefährten, einen edlen Genossen. Da er einen edlen Freund hat... Auch das ist ein beschützender Umstand.

Ferner ist der Mönch der Belehrung zugänglich (*1); er besitzt Eigenschaften, die ihn belehrbar machen; er ist willfährig und schenkt den Unterweisungen die rechte Achtung. Da er aber der Belehrung zugänglich ist... Auch das ist ein beschützender Umstand.

Ferner ist der Mönch tüchtig und eifrig in all den großen und kleinen Pflichten gegen seine Ordensbrüder; er versteht sich auf die rechte Weise zu handeln und anzuordnen. Da er aber tüchtig und eifrig ist... Auch das ist ein beschützender Umstand.

Er hat ferner Liebe zur Lehre, ist freundlich im Umgang und hat innige Freude an der hohen Lehre und der hohen Zucht. Da er Liebe für die Lehre hat... Auch dies ist ein beschützender Umstand.

Er setzt seine Willenskraft ein zur Überwindung der unheilsamen Dinge und zur Gewinnung der heilsamen; er ist standhaft, von gestählter Kraft, nicht nachlässig in den heilsamen Dingen. Da er aber willenskräftig ist... Auch dies ist ein beschützender Umstand.

Er ist zufrieden mit jederart Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt und Arznei. Da er aber zufrieden ist... Auch dies ist ein beschützender Umstand.

Er ist achtsam, ausgestattet mit höchster Achtsamkeit und Besonnenheit; was selbst vor langer Zeit getan oder gesprochen wurde, dessen gedenkt er, dessen erinnert er sich. Da er aber achtsam ist... Auch dies ist ein beschützender Umstand.

Er ist weise; ausgerüstet ist er mit jener Weisheit, die das Entstehen und Vergehen begreift, der edlen, durchdringenden, zu völliger Leidensvernichtung führenden. Da er aber weise ist, halten es die älteren wie die mittleren wie die jüngeren Mönche für angebracht, ihn anzureden und zu belehren. Und da sie ihm zugetan sind, hat er eben einen Fortschritt im Guten zu erwarten, keinen Rückschritt. Auch dies ist ein beschützender Umstand.

Möget ihr beschützt leben, ihr Mönche, nicht unbeschützt! Ohne Schutz, ihr Mönche, lebt man elend.

Dies, ihr Mönche, sind die zehn beschützenden Dinge.


(*1) suvaco bedeutet nicht (wie vielfach übersetzt) »von milder Rede«, sondern bezeichnet einen »mit dem es leicht ist zu reden«, d.h. der belehrbar ist.


A.X.19 Die Zehn Stätten der Edlen (Aufzählung)

Text 19 enthält die bloße Aufzählung der in Text 20 erklärten »Zehn Stätten der Edlen«.


A.X.20 Die zehn Stätten der Edlen

Einst weilte der Erhabene im Lande der Kuru, bei Kammāsadamma, einer Kurustadt. Dort wandte er sich an die Mönche:

»Zehn Stätten der Edlen (*1) gibt es, ihr Mönche. Welche zehn?

Da hat, ihr Mönche, der Mönch fünf Dinge aufgegeben, ist mit fünf Dingen ausgerüstet, in einem bewacht, auf vier gestützt, ist aller Dogmen ledig, von jedem Wunsche restlos befreit, von fleckenloser Gesinnung, in seinen Körperfunktionen gestillt, völlig geisteserlöst, völlig wissenserlöst.

Wie aber hat der Mönch fünf Dinge aufgegeben? Da hat der Mönch Sinnenlust aufgegeben, Haß, Starrheit und Mattigkeit, Aufgeregtheit und Gewissensunruhe und Zweifelsucht.

Wie aber ist der Mönch mit fünf Eigenschaften ausgerüstet? Erblickt da der Mönch mit dem Auge eine Form, so ist er weder froh gestimmt noch mißgestimmt; gleichmütig verharrt er, achtsam, klar bewußt. Vernimmt er mit dem Ohre einen Ton - riecht er mit der Nase einen Duft - schmeckt er mit der Zunge einen Saft - findet er mit dem Körper einen Körpereindruck, so ist er weder froh gestimmt noch mißgestimmt; gleichmütig verharrt er, achtsam, klar bewußt.

Wie aber ist der Mönch in einem Dinge bewacht? Da besitzt der Mönch einen von der Achtsamkeit bewachten Geist.

Wie aber ist der Mönch auf vier Dinge gestützt (caturāpasseno; vgl. A.IX.2)? Da macht der Mönch besonnen von gewissen Dingen Gebrauch, besonnen erduldet er andere, besonnen vermeidet er andere, besonnen vertreibt er andere.

Wie aber ist der Mönch aller Dogmen ledig? Was es da bei den zahlreichen Asketen und Priestern an vielerlei Dogmen gibt, wie: 'Ewig ist die Welt' oder 'Zeitlich ist die Welt', 'Endlich ist die Welt' oder 'Unendlich ist die Welt', 'Die Seele ist identisch mit dem Körper' oder 'Die Seele ist verschieden vom Körper', 'Der Vollendete besteht nach dem Tode' oder 'Der Vollendete besteht nicht nach dem Tode' oder 'Der Vollendete besteht und besteht nicht nach dem Tode' oder 'Der Vollendete besteht weder nach dem Tode, noch besteht er nicht nach dem Tode' - von allen diesen Dogmen hat er sich frei gemacht, sich ihrer entledigt, hat ihnen entsagt, hat sie verworfen, abgetan, aufgegeben, sich ihrer entäußert. So ist ein Mönch aller Dogmen ledig (vgl. Anm. zur Parallelstelle in A.IV.38).

Wie aber ist der Mönch von jedem Wunsche restlos befreit? Da ist im Mönch der sinnliche Wunsch erloschen, der Wunsch nach Dasein erloschen, der Wunsch nach Heiligkeit gestillt. So ist der Mönch von jedem Wunsche restlos befreit.

Wie aber ist der Mönch von fleckenloser Gesinnung? Da ist im Mönch die begehrliche Gesinnung geschwunden, die gehässige Gesinnung geschwunden, die Gesinnung des Schädigens geschwunden. So ist der Mönch von fleckenloser Gesinnung.

Wie aber ist der Mönch gestillt in den Körperfunktionen? Da gewinnt der Mönch nach dem Schwinden von Wohlgefühl und Schmerz und dem schon früheren Erlöschen von Frohsinn und Trübsinn die leidlos-freudlose, in der völligen Reinheit von Gleichmut und Achtsamkeit bestehende vierte Vertiefung. So ist der Mönch gestillt in den Körperfunktionen. Wie aber ist der Mönch völlig geisteserlöst? Da ist der Geist des Mönches erlöst von der Gier, erlöst vom Hasse, erlöst von der Verblendung. So ist der Mönch völlig geisteserlöst.

Wie aber ist der Mönch völlig wissenserlöst? Da weiß der Mönch: 'Erloschen sind in mir Gier, Haß und Verblendung, sind ausgerottet, wie eine Fächerpalme entwurzelt, zunichte gemacht und außerstande, künftig wieder zu entstehen. So ist der Mönch völlig wissenserlöst.

Alle jene Edlen, ihr Mönche, die in vergangener Zeit in den Stätten der Edlen geweilt haben, sie alle weilten in eben diesen zehn Stätten der Edlen. Alle jene Edlen, ihr Mönche, die in künftiger Zeit in den Stätten der Edlen weilen werden, sie alle werden in eben diesen zehn Stätten der Edlen weilen. Und alle jene Edlen, ihr Mönche, die gegenwärtig in den Stätten der Edlen weilen, sie alle weilen in eben diesen zehn Stätten der Edlen.

Dies, ihr Mönche, sind die zehn Stätten der Edlen, in denen die Edlen geweilt haben, weilen und weilen werden.«


(*1) ariyavāsā. Dieser Text wurde vom Kaiser Asoka im zweiten Bhairāt (Bhābra-) Felsenedikt empfohlen.


    Oben  


fohlen.


    Oben