Anguttara Nikaya

A.VI. 46 Wissen und Vertiefung

So habe ich gehört. Einst weilte der ehrwürdige Mahācunda (K: der jüngere Bruder Sāriputtas) bei Sahajāti im Lande der Cetiyer. Dort wandte sich der ehrwürdige Mahācunda an die Mönche: »Liebe Brüder!« sprach er. »Bruder!« erwiderten jene Mönche dem ehrwürdigen Mahācunda. Und der ehrwürdige Mahācunda sprach:

»Da, ihr Brüder, verhöhnen die gesetzeseifrigen (dhammayogā; K: die Lehrprediger) Mönche die sich vertiefenden Mönche derart: »Diese denken da: 'Wir vertiefen uns! Wir vertiefen uns!' Und so vertiefen sie sich hin, vertiefen sich her! In was mögen sich diese wohl vertiefen? Wozu mögen sich diese wohl vertiefen? Wie mögen sich diese wohl vertiefen?« - Dabei aber fühlen sich weder die gesetzeseifrigen Mönche wohl, noch die sich vertiefenden Mönche. Und nicht gereichen sie vielen zum Segen, vielen zum Wohl, vielen zum Heil, zum Segen und Wohl der Götter und Menschen.

Da, ihr Brüder, verhöhnen die sich vertiefenden Mönche die gesetzeseifrigen Mönche derart: »Diese da denken: 'Gesetzeseifrig sind wir! Gesetzeseifrig sind wir!' So denken diese aufgeregten, aufgeblasenen, unsteten Plapperer, diese verworrenen Schwätzer! Ohne Achtsamkeit sind sie und ohne Wissensklarheit; ungesammelt sind sie, geistig zerfahren und lassen ihren Sinnen freien Lauf. Worin sind diese wohl gesetzeseifrig? Wozu sind diese wohl gesetzeseifrig? Inwiefern sind diese wohl gesetzeseifrig?« - Dabei fühlen sich aber weder die sich vertiefenden Mönche wohl, noch die gesetzeseifrigen Mönche. Und nicht gereichen sie vielen zum Segen, vielen zum Wohl, vielen zum Heil, zum Segen und Wohl der Götter und Menschen.

Da, ihr Brüder, loben die gesetzeseifrigen Mönche nur die gesetzeseifrigen Mönche und loben nicht die sich vertiefenden Mönche . . . Da, ihr Brüder, loben die sich vertiefenden Mönche nur die sich vertiefenden Mönche und loben nicht die gesetzeseifrigen Mönche. Dabei fühlen sich aber weder die sich vertiefenden Mönche wohl, noch die gesetzeseifrigen Mönche. Und nicht gereichen sie vielen zum Segen, vielen zum Wohl, vielen zum Heil, zum Segen und Wohl der Götter und Menschen.

Darum, ihr Brüder, soll man also bestrebt sein: 'Obzwar wir selber gesetzeseifrig sind, wollen wir dennoch den sich vertiefenden Mönchen unser Lob spenden.' Und warum? Weil man, ihr Brüder, in der Welt gar selten solch außerordentliche Menschen antrifft, die das Todlose Element (amatam dhātum; d.i. Nibbāna) leibhaftig erfahren haben.

Und man soll, ihr Brüder, also bestrebt sein: 'Obzwar wir selber uns der Vertiefung widmen, wollen wir dennoch den gesetzeseifrigen Mönchen unser Lob spenden.' Und warum? Weil man, ihr Brüder, in der Welt gar selten solch außerordentliche Menschen antrifft, die einen tiefgründigen Lehrgegenstand in Weisheit durchdringend verstehen.«


A.VI. 47-48 Die sichtbare Lehre I-II

Der Wanderasket Moliyasīvaka sprach zum Erhabenen also:

»Von der sichtbaren Lehre spricht man, o Herr. Inwiefern aber, o Herr, ist die Lehre sichtbar, unmittelbar wirksam, einladend: 'Komm und sieh!', zum Ziele führend, den Verständigen, jedem für sich, verständlich?« -

»So will ich dich denn, Sīvaka, eben hierüber befragen. Wie es dir gut dünkt, mögest du antworten. Was meinst du, Sīvaka? Wenn Gier in dir ist, weißt du da wohl: 'In mir ist Gier?' Oder wenn keine Gier in dir ist, weißt du da wohl: 'In mir ist keine Gier?'« -

»Gewiß, o Herr.« -

»Insofern du aber, Sīvaka, solches weißt, insofern eben ist die Lehre sichtbar, unmittelbar wirksam, einladend: 'Komm und sieh!', zum Ziele führend, den Verständigen, jedem für sich, verständlich.

Was meinst du, Sīvaka? Wenn Haß in dir ist . . . oder Verblendung . . . oder ein mit Gier, Haß oder Verblendung verbundener Geisteszustand, weißt du dann wohl: 'Diese sind in mir?'« -

»Gewiß, o Herr.« -

»Was meinst du, Sīvaka? Wenn keine Gier in dir ist . . . kein Haß . . . keine Verblendung . . . kein mit Gier, Haß oder Verblendung verbundener Geisteszustand, weißt du dann wohl: 'Diese sind nicht in mir'?« -

»Gewiß, o Herr.« -

»Insofern du aber, Sīvaka, solches weißt, insofern eben ist die Lehre sichtbar, unmittelbar wirksam, einladend: 'Komm und sieh!', zum Ziele führend. den Verständigen, jedem für sich, verständlich.«

(In Text 48 steht statt Moliyasīvaka »ein anderer Brahmane« und anstatt der letzten drei Eigenschaften: Verderbtheit in Werken, Worten und Gedanken. Alles übrige ist gleichlautend.)


A.VI. 49 Wie edle Söhne ihre Heiligkeit kundtun

Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sāvatthī, im Kloster des Anāthapindika. Damals lebten der ehrwürdige Khema und der ehrwürdige Sumana im Dunklen Walde bei Sāvatthī. Es begaben sich nun der ehrwürdige Khema und der ehrwürdige Sumana: zum Erhabenen, begrüßten ihn ehrerbietig und setzten sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend sprach der ehrwürdige Khema zum Erhabenen also:

»Wer da, o Herr, ein Heiliger ist, ein Triebversiegter, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht, die Bürde abgelegt und die Daseinsfesseln gelöst hat, der durch das vollkommene (Heiligkeits-)Wissen befreit ist, einem solchen kommt nicht mehr der Gedanke: 'Es gibt einen, der besser ist als ich' oder 'Es gibt einen, der mir ebenbürtig ist' oder 'Es gibt einen, der geringer ist als ich.'« Also sprach der ehrwürdige Khema, und der Meister billigte es. Sehend, daß der Meister es billigte, erhob sich der ehrwürdige Khema vom Sitze, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig, und ihm die Rechte zukehrend, entfernte er sich.

Kurz nachdem aber der ehrwürdige Khema gegangen war, sprach da der ehrwürdige Sumana zum Erhabenen also:

»Wer da, o Herr, ein Heiliger ist, ein Triebversiegter, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht, die Bürde abgelegt und die Daseinsfesseln gelöst hat, der durch das vollkommene (Heiligkeits-)Wissen befreit ist, einem solchen kommt nicht mehr der Gedanke: 'Es gibt keinen, der besser ist als ich' oder 'Es gibt keinen, der mir ebenbürtig ist' oder 'Es gibt keinen, der geringer ist als ich.' Also sprach der ehrwürdige Sumana, und der Meister billigte es. Sehend, daß der Meister es billigte, erhob sich der ehrwürdige Sumana vom Sitze, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig, und, ihm die Rechte zukehrend, entfernte er sich.

Kurz nachdem aber der ehrwürdige Khema und der ehrwürdige Sumana gegangen waren, wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Wahrlich, ihr Mönche, auf solche Weise tun edle Söhne ihr Heiligkeitswissen kund. Eben die Wahrheit wurde dargetan, ohne auf sich selber anzuspielen. Es gibt da aber einige Toren, die gleichsam prahlerisch Heiligkeitswissen vorgeben. Diese aber geraten später in Ungemach.«

Nicht besser und nicht gleich,
nicht schlechter auch sich haltend,
so wandeln Heilige fesselfrei,
für die Geburt versiegt, beendet ist
vollendet heiligen Lebens Ziel.

A.VI. 50 Eines aufs andere gestützt

Ist, ihr Mönche, keine Sinnenzügelung da, so ist in ihm, dem Sinnenzügelung mangelt, die Sittlichkeit ohne Grundlage (*1). Ist aber keine Sittlichkeit da, so ist in ihm, dem Sittlichkeit mangelt, die rechte Sammlung ohne Grundlage. Ist aber keine rechte Sammlung da, so ist in ihm, dem rechte Sammlung mangelt, der wirklichkeitsgemäße Erkenntnisblick ohne Grundlage. Ist aber kein wirklichkeitsgemäßer Erkenntnisblick da, so sind in ihm, dem wirklichkeitsgemäßer Erkenntnisblick mangelt, Abwendung und Loslösung ohne Grundlage. Ist aber keine Abwendung und Loslösung da, so ist in ihm, dem Abwendung und Loslösung mangeln, der Erkenntnisblick der Erlösung ohne Grundlage.

Gleichwie nämlich, ihr Mönche, an einem der Zweige und Blätter beraubten Baume auch Borke, Haut, Grünholz und Kernholz sich nicht vollkommen entwickeln können, ebenso ist, wenn keine Sinnenzügelung da ist, in ihm, dem Sinnenzügelung mangelt, die Sittlichkeit ohne Grundlage . . .

Ist aber, ihr Mönche, Sinnenzügelung da, so hat in ihm, der Sinnenzügelung besitzt, die Sittlichkeit eine Grundlage. Ist aber Sittlichkeit da, so hat in ihm, der Sittlichkeit besitzt, die rechte Sammlung eine Grundlage. Ist aber rechte Sammlung da, so hat in ihm, der rechte Sammlung besitzt, der wirklichkeitsgemäße Erkenntnisblick eine Grundlage. Ist aber wirklichkeitsgemäßer Erkenntnisblick da, so hat in ihm, der wirklichkeitsgemäßen Erkenntnisblick besitzt, die Abwendung und Loslösung eine Grundlage. Sind aber Abwendung und Loslösung da, so hat in ihm, der Abwendung und Loslösung besitzt, der Erkenntnisblick der Erlösung eine Grundlage.

Gleichwie nämlich, ihr Mönche, an einem Zweige und Blätter besitzenden Baume auch Borke, Haut, Grünholz und Kernholz zur vollkommenen Entwicklung gelangen, ebenso, ihr Mönche, hat, wenn Sinnenzügelung da ist, in ihm, der Sinnenzügelung besitzt, die Sittlichkeit eine Grundlage . . .

(*1) Dieser Text unterscheidet sich von V, 24 lediglich durch das hier zusätzliche erste Glied 'Sinnenzügelung'.


A.VI. 51 Wie erlangt man Wissen

Der ehrwürdige Ananda sprach zum ehrwürdigen Sāriputta also:

»Wie kommt es wohl, Bruder Sāriputta, daß da einem Mönch, wenn er noch nicht vernommene Lehren zu hören bekommt, die vernommenen Lehren nicht schwinden, daß ihm die bereits früher im Geiste erwogenen Lehren einfallen und er das vorher noch nicht Verstandene verstehen lernt?« -

»Ein großes Wissen, wahrlich, besitzt der ehrwürdige Ananda. Möge denn eben dem ehrwürdigen Ananda die Antwort einfallen!« - »So höre denn, Bruder Sāriputta, und achte wohl auf meine Worte!« -

»Gewiß, Bruder!« antwortete der ehrwürdige Sāriputta. Und der ehrwürdige Ananda sprach also:

»Da, Bruder Sāriputta, lernt einer die Lehre; und wie er sie gehört und gelernt hat, legt er sie anderen ausführlich dar, läßt sie von anderen ausführlich lernen, sagt sie sich selber ausführlich her, sinnt und denkt über sie nach und erwägt sie im Geiste (Vgl. A.V.26, A.V.73). Die Regenzeit tritt er in einem Kloster an (siehe A.II.10), in dem sich Ordensältere befinden, die große Kenntnisse besitzen, mit dem Lehrgut vertraut sind, Kenner der Lehre, der Ordenszucht und der Leitsätze. Zu ihnen begibt er sich von Zeit zu Zeit und befragt sie, bittet sie um Aufklärung: 'Wie verhält sich dies, o Herr? Wie hat man dies zu verstehen?' Und jene enthüllen ihm, was ihm noch verhüllt war, klären ihn auf, worüber er noch im Unklaren war und lösen seine Zweifel in manchen zweifelhaften Fragen. So kommt es, Bruder Sāriputta, daß da einem Mönch, wenn er noch nicht vernommene Lehren zu hören bekommt, die vernommenen Lehren nicht schwinden, daß ihm die bereits früher im Geiste erwogenen Lehren einfallen und er das vorher noch nicht Verstandene verstehen lernt.« -

»Wunderbar ist es, o Bruder, erstaunlich ist es, o Bruder, wie da der ehrwürdige Ananda so richtig gesprochen hat. Als mit eben diesen sechs Eigenschaften ausgerüstet, wollen wir des ehrwürdigen Ananda gedenken.«


A.VI. 52 Die Ziele der Menschen

Der Brahmane Janussoni sprach zum Erhabenen also:

»Worauf wohl, Herr Gotama, ist der Sinn der Adeligen gerichtet, wonach trachten sie, was ist ihre Stütze, was ihr Verlangen und ihr Ziel?« -

»Auf Reichtum, Brahmane, ist der Sinn der Adeligen gerichtet, nach Weisheit trachten sie, das Heer ist ihre Stütze, nach Ländern steht ihr Verlangen, die Herrschaft ist ihr Ziel.« -

»Worauf aber, Herr Gotama, ist der Sinn der Brahmanen gerichtet, wonach trachten sie, was ist ihre Stütze, was ihr Verlangen und ihr Ziel?« -

»Auf Reichtum, Brahmane, ist der Sinn der Brahmanen gerichtet, nach Weisheit trachten sie, die vedischen Sprüche sind ihre Stütze, nach Opfergaben steht ihr Verlangen, die Brahmawelt ist ihr Ziel.« -

»Worauf aber, Herr Gotama, ist der Sinn der Hausleute gerichtet, wonach trachten sie, was ist ihre Stütze, was ihr Verlangen und ihr Ziel?« -

»Auf Reichtum, Brahmane, ist der Sinn der Hausleute gerichtet, nach Weisheit trachten sie, ihre Berufskenntnisse sind ihre Stütze, nach Arbeit steht ihr Verlangen, vollbrachte Arbeit ist ihr Ziel.« -

»Worauf aber, Herr Gotama, ist der Sinn des Weibes gerichtet, wonach trachtet es, was ist seine Stütze, was sein Verlangen und sein Ziel?« -

»Auf den Mann, Brahmane, ist der Sinn des Weibes gerichtet, nach Schmuck trachtet es, die Kinder sind seine Stütze; sein Verlangen geht danach, ohne Nebenweib zu bleiben, das Herrschen ist sein Ziel.« -

»Worauf aber, Herr Gotama, ist der Sinn der Diebe gerichtet, wonach trachten sie, was ist ihre Stütze, was ihr Verlangen und ihr Ziel?« -

»Auf das Stehlen, Brahmane, ist der Sinn der Diebe gerichtet, nach einem Versteck trachten sie, die Waffe ist ihre Stütze, nach Dunkelheit steht ihr Verlangen und nicht entdeckt zu werden ist ihr Ziel.« -

»Worauf aber, Herr Gotama, ist der Sinn der Asketen gerichtet, wonach trachten sie, was ist ihre Stütze, was ihr Verlangen und ihr Ziel?« -

»Auf Geduld und Milde, Brahmane, ist der Sinn der Asketen gerichtet, nach Weisheit trachten sie, die Sittlichkeit ist ihre Stütze, nach wahrer Armut (*1) steht ihr Verlangen, das Nibbāna ist ihr Ziel.« -

»Wunderbar, Herr Gotama! Erstaunlich, Herr Gotama! Wahrlich, der Herr Gotama kennt sowohl die Art der Adeligen, wie auch die Art der Brahmanen, der Hausleute, des Weibes, der Diebe und auch der Asketen! Vortrefflich, Herr Gotama! Vortrefflich, Herr Gotama! Möge mich der Herr Gotama als einen Laienjünger betrachten, der von heute ab zeitlebens Zuflucht genommen hat.«


(*1) ākiñcañña, wtl: die Nicht-Etwasheit; Besitzlosigkeit, innere Ledigung. Siehe Snp (Übs.) Anm. zu v.176.


A.VI. 53 Strebsamkeit eine Quelle des Glücks

Ein Brahmane sprach zum Erhabenen:

»Gibt es wohl, Herr Gotama, eine einzelne Eigenschaft, die, wenn entfaltet und häufig geübt, beiderseitiges Heil sichert, gegenwärtiges und künftiges?« -

»Ja, die gibt es, Brahmane.« -

»Welches ist aber, Herr Gotama, diese eine Eigenschaft?« -

»Strebsamkeit (*1), Brahmane, ist diese eine Eigenschaft, die, wenn entfaltet und häufig geübt, beiderseitiges Heil sichert, gegenwärtiges und künftiges.

Gleichwie nämlich, Brahmane, die Spuren aller fußbegabten (*2) Wesen in der Elefantenspur Platz finden, die Elefantenspur als die vorzüglichste gilt hinsichtlich ihrer Größe, ebenso auch, Brahmane, ist die Strebsamkeit jene eine Eigenschaft, die, wenn entfaltet und häufig geübt, beiderseitiges Heil sichert, gegenwärtiges und künftiges. Oder gleichwie an einem Giebelhause sämtliche Dachsparren zum Giebel streben, sich zum Giebel hin erstrecken, am Giebel zusammentreffen und der Giebel als ihr Höhepunkt gilt . . . Oder gleichwie ein Schnitter, wenn er die Halme abgeschnitten hat, er die Halme oben an der Spitze anfaßt, sie hin und her schüttelt und abschlägt . . . Oder gleichwie bei einem samt dem Stiele abgeschnittenen Bündel Mangofrüchte die am Stiele hängenden Mangofrüchte mit ihm verbunden sind und sie alle dem Stiele folgen müssen . . . Oder gleichwie alle die kleinen Fürsten sich nach dem Weltherrscher richten und der Weltherrscher für sie als der Höchste gilt . . . Oder gleichwie das Licht aller Sternbilder nicht den sechzehnten Teil des Mondlichtes ausmacht, sondern eben das Mondlicht als ihr Höchstes gilt, ebenso auch, Brahmane, ist die Strebsamkeit jene eine Eigenschaft, die, wenn entfaltet und häufig geübt, beiderseitiges Heil sichert, gegenwärtiges und künftiges.

Diese eine Eigenschaft, Brahmane, wenn entfaltet und geübt, sichert beiderseitiges Heil, gegenwärtiges und künftiges.«


(*1) appamāda, wtl: Nicht-Lässigkeit, d.i. Wachsamkeit, Ernst, ist nahe verwandt mit 'Achtsamkeit'. (K.E.N: Unermüdlichkeit)  

(*2) PTS, Sinh. K: jangamānam; ChS, Subk: jangalānam, 'Dschungelbewohnend'.


A.VI. 54 Das Los des Boshaften

Einst weilte der Erhabene bei Rājagaha auf der Geierspitze. Damals nun hielt sich der ehrwürdige Dhammika (*1) in jeder der sieben Klausen seines Heimatlandes auf. Der ehrwürdige Dhammika aber beschimpfte die dort ankommenden Mönche, schmähte, verletzte und kränkte sie, verärgerte sie durch seine Rede. Und vom ehrwürdigen Dhammika beschimpft, geschmäht, verletzt, gekränkt und durch seine Rede verärgert, gingen jene ankommenden Mönche fort, blieben nicht und mieden die Klause. Da aber dachten die einheimischen Laienanhänger: »Wir unterstützen die Mönchsgemeinde mit Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt und den nötigen Heilmitteln und Arzneien. Jene dort eintreffenden Mönche aber gehen wieder fort, bleiben nicht und meiden die Klause. Was ist wohl der Grund davon, was ist die Ursache?« Und der Gedanke kam ihnen: »Dieser ehrwürdige Dhammika beschimpft, schmäht, verletzt und kränkt die ankommenden Mönche, verärgert sie durch seine Rede. Daher gehen jene wieder fort, bleiben nicht und meiden die Klause. So laßt uns denn den ehrwürdigen Dhammika fortjagen!« Und die dort einheimischen Laienanhänger begaben sich zum ehrwürdigen Dhammika und sprachen zu ihm: »Möge, o Herr, der ehrwürdige Dhammika diese Klause verlassen! Lange genug hat er hier gelebt!«

Darauf begab sich der ehrwürdige Dhammika von dieser Klause fort zu einer anderen. Doch auch dort [ereignete sich dasselbe]. Und wiederum begab sich der ehrwürdige Dhammika von jener Klause zu einer anderen; [aber auch dort ereignete sich das gleiche]. Da sagten sich die dort einheimischen Laienanhänger: »So laßt uns denn den ehrwürdigen Dhammika aus sämtlichen sieben Klausen seiner Heimat vertreiben!« Und sie begaben sich zum ehrwürdigen Dhammika und sprachen zu ihm: »Möge, o Herr, der ehrwürdige Dhammika die sämtlichen sieben Klausen seiner Heimat verlassen!«

Da dachte der ehrwürdige Dhammika: »Aus sämtlichen sieben Klausen meiner Heimat haben mich die einheimischen Laienanhänger fortgejagt. Wo soll ich nun hingehen?« Und er dachte bei sich: »Sollte ich mich da nicht zum Erhabenen hinbegeben?« Und der ehrwürdige Dhammika nahm Gewand und Schale und machte sich auf den Weg nach Rājagaha. Allmählich dort angelangt, begab er sich auf die Geierspitze, wo der Erhabene weilte, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Und der Erhabene sprach zu ihm also:

»Sag', Brahmane Dhammika, wo kommst du her?« -

»Aus sämtlichen sieben Klausen meiner Heimat haben mich die einheimischen Laienanhänger fortgejagt.« -

»Laß es nun gut sein, Brahmane Dhammika! Was willst du noch dort? Nachdem man dich von da und dort fortgejagt hat, kommst du nun eben wieder zu mir zurück.

Einstmals, Brahmane Dhammika, nahmen seefahrende Kaufleute einen landsichtenden Vogel mit sich und fuhren mit ihrem Schiffe auf die hohe See hinaus. Wenn sie vom Schiffe aus kein Land sahen, so ließen sie den landsichtenden Vogel fliegen. Dieser nun flog nach Osten, Westen, Norden und Süden, flog nach oben und nach den vier Zwischenrichtungen. Sobald er nun in der Nähe Land erblickte, flog er dorthin. Erblickte er aber kein Land in der Nähe, so kam er wieder zum Schiffe zurück. Ebenso auch, Brahmane Dhammika, kommst du, nachdem man dich von da und dort fortgejagt hat, eben wieder zu mir zurück.

Einstmals, Brahmane Dhammika, da hatte der König Korabhya einen königlichen Feigenbaum namens Standfest (supatittho, 'fest gegründet'). Mit seinen fünf Ästen spendete er kühlen Schatten und war herzerquickend. [Seine Krone] bot Schutz auf eine Reichweite von zwölf Meilen, und seine Wurzeln breiteten sich fünf Meilen weit aus. Dieser königliche Feigenbaum aber, Brahmane Dhammika, trug gar mächtige Früchte, die so groß waren wie Töpfe von einem Alhaka Inhalt, und sie waren so süß wie der reine Honig der kleinen Bienen. Davon nun verzehrte der König einen Teil (*2), gemeinschaftlich mit seinen Frauen; einen Teil verzehrte das Heer, einen Teil die Stadt- und Landbevölkerung, einen Teil die Asketen und Brahmanen und einen Teil die wilden Tiere und Vögel. Niemand aber, Brahmane Dhammika, wachte über die Früchte des königlichen Feigenbaumes Standfest; und keiner zerstörte des anderen Früchte.

Eines Tages aber, Brahmane Dhammika, kam da ein Mann, aß sich an den Früchten des königlichen Feigenbaumes satt, brach dann einen Ast ab und ging von dannen. Die auf dem königlichen Feigenbaume Standfest hausende Gottheit aber dachte: »Erstaunlich ist es, wahrlich! Außerordentlich ist es, wahrlich, daß sich da dieser schlechte Mensch erst an den Früchten des königlichen Feigenbaumes Standfest satt ißt und dann einen Ast abbricht und fortgeht! Wie, wenn nun der königliche Feigenbaum Standfest in Zukunft keine Früchte mehr spenden möchte!« Und der königliche Feigenbaum Standfest trug fortan keine Früchte mehr. Darauf begab sich nun König Korabhya zu Sakka dem Götterkönig und sprach zu ihm 'Wisse, Verehrter: der königliche Feigenbaum Standfest trägt keine Früchte mehr!'

Sakka, der Götterkönig, aber rief nun eine magische Wirkung hervor, derart nämlich, daß heftiger Sturm und Regen losbrach und den königlichen Feigenbaum Standfest umwarf und entwurzelte. Die auf ihm hausende Gottheit aber, Brahmane Dhammika, voller Kummer und Betrübnis, das Antlitz mit Tränen bedeckt, stand schluchzend daneben. Sakka, der Götterkönig, nun begab sich zu ihr und sprach:

Warum stehst du, o Gottheit, schluchzend zur Seite, so voller Kummer und Betrübnis, das Antlitz mit Tränen bedeckt?' -

'Ein heftiger Sturm und Regen, o Herr, ist losgebrochen und hat meine Behausung umgeworfen und entwurzelt.' -

'Bevor der heftige Sturm und Regen losbrach und deine Behausung umwarf und entwurzelte, erfülltest du da wohl deine Baumpflichten?' -

'Auf welche Weise aber, o Herr, erfüllt wohl ein Baum seine Baumpflichten?' -

'Da, o Gottheit, nimmt sich Wurzeln, wer Wurzeln braucht; nimmt sich Rinde, wer Rinde braucht; nimmt sich Blätter, wer Blätter braucht; nimmt sich Blüten, wer Blüten braucht; nimmt sich Früchte, wer Früchte braucht. Doch nicht darf darob die Gottheit unwillig werden und ungehalten. Auf solche Weise, o Gottheit, erfüllt ein Baum seine Baumpflichten.' -

'Nicht erfüllte ich, o Herr, meine Baumpflichten, als der heftige Sturm und Regen losbrach und meine Behausung umwarf und entwurzelte.' -

'Wenn du nun aber, o Gottheit, deine Baumpflichten erfüllen willst, so mag dir die Behausung wieder wie früher angehören.' -

'Ja, o Herr. Erfüllen will ich nun meine Baumpflichten. Möge mir doch die Behausung wieder angehören wie früher!'«

Und Sakka, der Götterkönig, rief eine magische Wirkung hervor, derart nämlich, daß ein heftiger Sturm und Regen losbrach und den königlichen Feigenbaum Standfest wieder aufrichtete und die Wurzeln alsbald wieder mit Haut bedeckt waren.

Erfülltest du nun, Brahmane Dhammika, damals deine Mönchspflichten, als du aus sämtlichen sieben Klausen deiner Heimat von den einheimischen Laienanhängern fortgejagt wurdest?«

»Auf welche Weise aber, o Herr, erfüllt wohl der Mönch seine Mönchspflichten?« -

»Wird da, Brahmane Dhammika, der Mönch beleidigt, so beleidigt er nicht wieder; wird er geschmäht, so schmäht er nicht wieder; wird er beschimpft, so beschimpft er nicht wieder. Auf solche Weise, Brahmane Dhammika, erfüllt der Mönch seine Mönchspflichten.« -

»Nicht erfüllte ich damals, o Herr, meine Mönchspflichten, als ich aus sämtlichen sieben Klausen meiner Heimat von den einheimischen Laienanhängern fortgejagt wurde.« -

»In früheren Zeiten, Brahmane Dhammika, da lebte ein Meister und Glaubensstifter namens Sunetta, der frei war von Gier nach den Sinnendingen. Und es lebte in früheren Zeiten ein Meister namens Mūgapakkha - namens Aranemi - namens Kuddālaka - namens Hatthipāla - namens Jotipāla, der frei war von Gier nach den Sinnendingen. Dieser Meister aber hatte viele Hunderte von Jüngern. Und diesen Jüngern wies er den Weg zur Wiedergeburt unter den Göttern der Brahmawelt. Diejenigen nun, Brahmane Dhammika, die kein Vertrauen zeigten, als der Meister den Weg zur Wiedergeburt in der Brahmawelt wies, alle diese gelangten beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, in niederes Dasein, auf eine Leidensfährte, in die Daseinsabgründe, zur Hölle. Diejenigen aber, die Vertrauen zeigten, alle diese gelangten beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, auf glückliche Fährte, in himmlische Welt.«

Was meinst du nun, Brahmane Dhammika? Wenn da einer diese sechs Meister und Glaubensstifter, die von den Sinnendingen abgewandten, um die sich viele Hunderte von Jüngern scharten, in boshafter Gesinnung beschimpfte oder schmähte, würde nicht ein solcher große Schuld auf sich laden?« -

»Gewiß, o Herr.« -

»Wer aber, Brahmane Dhammika, einen einzigen von Erkenntnis erfüllten Menschen (ditthi-sampanna; d.i. ein Sotāpanna) in boshafter Gesinnung beschimpft oder schmäht, der ladet eine noch größere Schuld auf sich. Und warum? Weil es eben außerhalb dieser Lehre keine solch schwere Verschuldung (*3) gibt wie die gegen die eigenen Ordensbrüder.

Darum, Brahmane Dhammika, hat man danach zu streben 'Nicht wollen wir gegen unsere Ordensbrüder boshaft gesinnt sein!' Danach, Brahmane Dhammika, hat man zu streben (*4).«

»Māgapakkha und Sunetta,
Aranemi, der Brahmane,
und Kuddālaka, der Meister,
Hatthipālaka, der Jüngling,
und der Marschall (*5) Jotipāla,
Purohit (*6) der sieben Fürsten (hierzu vgl. D. 19):
Als friedvoll waren die sechs
gar hochberühmt in alter Zeit.
und ohne Garst (*7), mitleiderlöst,
der Fessel der Begier entrückt,
den Sinnenlüsten abgewandt,
gelangten sie zur Brahmawelt.
Um diese Meister aber scharten
sich viele hunderte von Jüngern.
Und ohne Garst, mitleiderlöst,
der Fessel der Begier entrückt,
den Sinnenlüsten abgewandt,
gelangten sie zur Brahmawelt.
Die in boshafter Gesinnung,
diese andersgläub'gen Weisen,
die Vertieften, Gierentwöhnten,
schmähten in gemeiner Weise:
solche schlechten Menschen wahrlich
häuften große Schuld sich an.
Doch wer, voll Haß in seinem Herzen,
den erkenntnisreifen Mönch,
einen Jünger des Erhabenen,
beleidigt oder ihn beschimpft,
ein solcher schlechter Mensch fürwahr
erwirkt sich noch weit größ're Schuld.
Drum greife nie den Guten an,
der alle Ansicht abgetan;
denn in der Schar der Heiligen
ist er als siebenter bekannt (*8).

Wer, unbefreit von Sinnenlust
und in fünf Fähigkeiten schwach (*9) -
in Tatkraft, Achtsamkeit, Vertrauen,
in Sammlung und Erkenntnisblick -
Und einen solchen Mönch beschimpft,
verletzt vor allem erst sich selbst.
Und hat er so sich selbst verletzt,
dann bringt er auch den anderen Leid.
Doch wer sein Inneres bewacht,
ist auch bewacht nach außen hin.
So halte denn das eigene Herz
der Weise allzeit unbefleckt.«

(*1) Die Verse 303-306 in »Lieder der Mönche« stammen vermutlich vom gleichen Mönch Dhammika, der später seine Streitsucht überwand und die Heiligkeit erreichte. Der Kommentar zu diesen Versen erwähnt kurz die Episode unseres Textes.

(*2) ekam khandham, 'einen Ast', d.i. die Früchte eines der fünf großen Äste.

(*3) ChS, K: khantim, wohl aber besser khatim zu lesen, entsprechend der Erklärung im K: attano guna-khananam, das Untergraben der eigenen Tugend.

(*4) Bis hierher auch in A.VII.69 f., mit einem siebenten Glaubensstifter, Araka.

(*5) Govindo, wtl: Herr der Rinder; ein hohes Hofamt, wie etwa das eines Major Domus oder Regenten, zu dem der Gewählte gesalbt wurde, wie in D. 19 beschrieben.

(*6) Purohita, der brahmanische Hauspriester eines Fürsten.

(*7) Nirāmagandhā; āmagandha ist der Geruch von rohem oder verdorbenem Fleisch, also 'das Anrüchige'; hier eine bildliche Bezeichnung von Zorn und Ärger. So wird dieses Wort auch in D. 19 von Brahma dem Jotipalā, erklärt. Vgl. das āmagandha-Sutta im Snp, Vers 239 ff.

(*8) Das ist, vom Ziel der Heiligkeit (arahatta-phala) rückwärts gerechnet, der 'am Ziel des Stromeintritts Stehende' (sotāpatti-phala-ttha).

(*9) pañc'indriyāni, identisch mit den fünf geistigen Kräften (s. A.V.14). Die letzten beiden werden in diesen Versen samatha (Geistesruhe) und vipassanā (Hellblick) genannt, statt, wie gewöhnlich samādhi und paññā.


    Oben  


57;dhi und paññā.


    Oben