SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

IV. ACHTER-BUCH (Atthaka-Vagga)

 IV.1. Lust (Kāma-Sutta)

 

766

Wird dem Begehrlichen zuteil, was er begehrt,
Gewiß ist er dann frohgestimmt,
Wenn, was er wünscht, der Sterbliche erlangt.

 


Was er begehrt = kāmam. Kāma hat hier die Bedeutung von Lust-Objekt, d.h. die Objekte der fünf körperlichen Sinne. MNidd zufolge hat das Wort kāma zwei Aspekte:

Für diese letzte Bedeutung zitiert MNidd den folgenden Vers aus dem 'Jātaka':

"Deine Wurzel sah ich, o Lust!
Aus dem Gedanken stammst du, o Lust!
Nicht werd' ich dich erdenken mehr;
so wirst du nicht mehr sein, o Lust!"

 

767

Doch wenn dem Lüstenden, erfüllt von Willensdrang,
Die Gegenstände seiner Lust entschwinden,
Gleichwie vom Pfeil durchbohrt, so ist er dann gequält.

 


Gegenstände seiner Lust = kāma in der obigen ersten Bedeutung.

Entschwinden; MNidd: ". . . oder wenn er jenen Lustobjekten entschwindet", d.h. stirbt.


768

Wer Lüste, wie der Fuß den Schlangenkopf, vermeidet,
Das Hängen an der Welt wird achtsam er verwinden.

 


Wer Lüste . . . vermeidet. MNidd: "Auf zweifache Weise meidet man die Lüste: durch Zurückdrängen (vikkhambhana) und durch Ausrotten (samuccheda)." Das Zurückdrängen geschieht, lt. MNidd,

  1. durch häufige Betrachtung jener eindringlichen Gleichnisse für die Lüste, die in der Mittleren Sammlung Rede 22 gegeben und in der 54. Rede teilweise erläutert sind (darunter befindet sich auch das Gleichnis unseres Verses vom Schlangenkopf),
  2. durch Übung der 'Zehn Betrachtungen' über den Buddha usw. (s. Visuddhi-Magga),
  3. durch Entfaltung der acht Vertiefungen. Das Ausrotten der Lüste geschieht stufenweise auf den 'Hohen Pfaden' zur Heiligkeit, beginnend mit dem 'Strom-Eintritt'.

 

769

Nach Feldern, Land und Schätzen, nach Rindern, Pferden, Dienervolk,
Nach Frauen, Freunden, vielen Lustobjekten wer da giert,

 

770

Was machtlos scheint, das übermächtigt ihn, die Fährnisse bezwingen ihn.
Hieraus dringt Leiden in ihn ein, wie Wasser in ein leckes Schiff.

 


Was machtlos scheint (abalā'va). Das va wurde hier als iva (gleichwie) aufgefaßt. K erklärt abala als schwache geistige Befleckungen. Gemeint ist wohl, daß auch ein anfänglich schwacher Lust-Gedanke gewaltig anwachsen und den Menschen völlig beherrschen mag. Ferner liegt darin die Warnung vor dem Irrtum, daß man die Freiheit des Lassens und beliebigen Aufgebens unbeschränkt behält, auch wenn man diese oder jene 'harmlosen' und geringfügigen Wünsche regelmäßig befriedigt.

Fährnisse (parissaya). MNidd: "Zwei Fährnisse gibt es: offenbare und verborgene." - Als offenbare Fährnisse werden genannt: wilde Tiere, Räuber, Krankheiten usw.; verborgene Fährnisse sind: der dreifach üble Wandel (in Taten, Worten und Gedanken); die fünf Hemmungen; Gier, Haß, und Wahn usw.


 

771

Daher soll, achtsam stets, der Mensch die Lüste meiden,
Hat er sie aufgegeben, kreuzen kann er dann die Flut,
Wie man hinübersetzt auf ausgeschöpftem Schiff.

 


Wie man hinübersetzt; Umschreibung von pāragu, wtl.: der Hinüber-Gehende. MNidd: "es ist dies einer, der den Wunsch hat zum 'Anderen Ufer' (pāram, d.i. zum Nibbāna) zu gehen, der zum Anderen Ufer geht und der es erreicht hat."

Zum Gleichnis vom ausgeschöpften Schiff vgl. Dhammapada v. 369.


IV.2. Die Höhle (Guhatthaka-Sutta)

(Eine Achter-Sutte)

 

772

Gefangen in der Höhle (seines Leibs) und vielfach überdeckt,
Verharrt der Mensch, in Blendwerk tief versunken.
Von Losgelöstheit ist er wahrlich fern,
Denn Lüste sind nicht leicht zu lassen in der Welt.

 


Höhle ist eine der vielen bildhaften Bezeichnungen des Körpers. K: "Der Körper wird als 'Höhle' bezeichnet, weil er eine Wohngelegenheit bietet für solche wilden Tiere wie Gier, Haß usw."

Vielfach überdeckt (oder verschüttet), nämlich durch die vielfachen geistigen Befleckungen wie Gier, Haß und Wahn, die, lt. K, die 'innere Fessel' (ajjhatta-bandhana) bilden.

Blendwerk (mohana, zu moha, 'Verblendung') ist lt. K, eine Bezeichnung der fünf Sinnenobjekte (kāmaguna); denn durch sie werden Menschen und Götter (der Sinnensphäre) verblendet und betört; sie bilden die 'äußere Fessel' (bahiddhābandhana).

Losgelöstheit oder Abgeschiedenheit (viveka) ist, lt. MNidd, dreifach: Abgeschiedenheit des Körpers, des Geistes und die Abgeschiedenheit von den Daseins-Stützen.


 

773

Den Wünschen hörig und gebunden an die Daseinsfreuden,
Gar schwer sind sie zu lösen, denn kein anderer löst sie.
Nach Früherem auch und Künftigem geht ihr Trachten,
Nach diesen jetzigen Lüsten, auch nach früheren verlangend.

 


Den Wünschen hörig (icchānidāna), wtl.: abhängig von den Wünschen.

Kein anderer löst sie. MNidd zitiert hierzu das Gleichnis vom Sumpfversunkenen (M.8), sowie v. 1064, Dhammapada 165 und fügt hinzu: "Nicht kann irgend ein anderer Erlöser sein. Wenn man erlöst wird, so wird man es durch eigene Stärke, eigene Kraft, eigene Tatkraft, eigene Anstrengung; durch eigene Mannes-Stärke, eigene Mannes-Kraft, eigene Mannes-Tatkraft, eigene Mannes-Anstrengung. Selber den rechten Pfad wandelnd, den richtigen, nicht den falschen, den heildienlichen, der Lehre gemäßen Pfad wandelnd, - so wird man erlöst."


 

774

Die lustentbrannt, auf Lust bedacht, durch sie betört,
Die unbelehrbar, (da) an Schlechtes sie gewöhnt,
Wenn Leiden sie befällt, dann brechen sie in Klagen aus:
"Was wird aus uns, nachdem wir von hier abgeschieden?"

 


Unbelehrbar (avadāniya = avadaññu), "einer, mit dem nicht zu reden ist"; dem Sinne und der sprachlichen Ableitung nach verwandt mit dubbaca, "einer, mit dem schlecht zu reden ist", d.h. unzugänglich; über das Positivum hierzu, suvaca, siehe Anm. v. 143, 'Zugänglich'.


 

775

Jetzt eben soll daher der Mensch sich üben:
Was immer in der Welt als 'schlecht' bekannt,
Nicht soll ihn das bestimmen, schlecht zu handeln.
Denn kurz ist dieses Leben, sagen Weise.

 


Siehe die Ausführungen des MNidd; vgl. ferner v. 574 m. Anm. und v. 804.


 

776

Ich sehe in der Welt dies Volk erzittern,
Von Gier ergriffen nach den Werde-Formen.
Niedrige Menschen, die im Todesrachen jammern,
Nicht läßt Begehren sie nach mannigfachem Dasein.

 


Jammern (lapanti); eigentlich 'schwätzen', MNidd erklärt jedoch mit lālapanti (wie v. 580; hier vielleicht metri causa verkürzt), socanti . . ., d.h. jammern, klagen.


 

777

Um das als 'Mein' Geliebte sehet sie erzittern,
Wie Fisch in seichtem Wasser, in versiegtem Strom!
Wer dies gesehen, lebe ohne selbstisch Lieben,
Nicht Bindung für sich schaffend an die Daseinsformen.

 

778

Von beiden Enden wende er den Willen,
Durch Sinnen-Eindrucks völliges Verstehen ohne Gier.
Wobei er selbst sich tadeln müßte, das nicht tuend,
Ist unbefleckt der Weise durch Gesehenes, Gehörtes.

 


Von beiden Enden. MNidd: "Sinnen-Eindruck ist das eine Ende, Entstehung des Sinnen-Eindrucks ist das andere; das Verlangende ist das eine Ende, die Zukunft das andere; Glücksgefühle sind das eine Ende, Schmerzgefühle das andere; Geist ist das eine Ende, Körperlichkeit das andere, die sechs inneren Sinnengrundlagen sind das eine Ende, die sechs äußeren sind das andere; die Persönlichkeit ist das eine Ende, die Entstehung der Persönlichkeit das andere." Diese Aufzählung geht zurück auf Anguttara-Nikāya VI.61. Vgl. auch v. 1 m. Anm.

Durch Sinnen-Eindrucks völliges Verstehen (phassam pariññāya). MNidd unterscheidet drei Arten des völligen Verstehens oder der Durchdringung (pariññā):

Vgl. hierzu Visuddhi-Magga, 22. Kap. - Es ist bemerkenswert, daß erst mit der erkenntnisgemäßen Verwirklichung die 'Durchdringung' oder das 'Völlige Verstehen' als vollendet und vollständig gilt. "Wer nicht so handelt, wie er denkt, denkt unvollkommen." (Guyau)

Aus dieser überwindenden Durchdringung ergibt sich, daß man bei den Sinnen-Eindrücken ohne Gier ist (Zeile b), d.h. daß man vom 'Geschehenen und Gehörten', sowie den anderen Sinnenwahrnehmungen unbefleckt bleibt (Zeile d). Ferner ergibt sich daraus jene autonome Ethik, für die als Sicherung 'Selbst-Tadel' genügt (Zeile c), d.h. das eigene Wissen und Gewissen.

Zeile d. - durch Gesehenes, Gehörtes (ditthasutesu). Dies ist zu verstehen als eine Abkürzung jener alten vierfachen Einteilung der Sechs-Sinnenwahrnehmung in: dittha (gesehen); suta (gehört); muta (erfahren; d.i. Geruch, Geschmack und Berührung); viññāta, (erkannt). Vgl. 250 und Register "Hauptmotive": "Über der Sinnenwelt" .


 

779

Wahrnehmung verstehend, kann die Flut er kreuzen,
Ein Muni, der von jedem Greifen unbefleckt.
Der, unermüdlich strebend, sich den Dorn entzogen,
Trägt nicht Verlangen mehr nach dieser Welt und jener.

 


Wahrnehmung verstehend (saññam pariññā); im selben Sinn, wie oben vom Sinnen-Eindruck ausgesagt.

Von jedem Greifen (pariggahesu). MNidd unterscheidet tanhā- und ditthi-pariggaha, d.h. Greifen in Form von Begehren oder falschen Ansichten. Es handelt sich hier also um das geistige Greifen nach der Wahrnehmung, ihr Be-greifen durch Be-griffe, die entweder durch Begehren oder durch Theorien verfälscht sind und so die Wahrnehmung mit falschen Wertungen versehen wiedergeben. Siehe v. 470 m. Anm.  


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