SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

III:8. Der Dorn (Salla-Sutta)

 

574

Unbestimmbar, unerkennbar ist für Sterbliche ihr Leben.
Mühsam ist es, kurz bemessen, eng verquickt ist es mit Leiden.

 


K: Unbestimmbar ist das Leben, weil man nicht zu einem anderen sagen kann: 'Bis ich dies getan habe, so lange bleibe noch am Leben! Nicht mögest du vorher sterben!'

Unerkennbar ist das Leben, weil man nicht mit Bestimmtheit wissen kann: 'So und so lange Zeit hat jener noch zu leben.'

Mühsam wird das Leben genannt, weil es an vielerlei Erfordernisse gebunden ist: an Ein- und Ausatmung ist es gebunden, an die (vier) Elemente, an stoffliche Nahrung, an Körperwärme, an das Bewußtsein.

Kurz bemessen (paritta) bedeutet 'gering'. Verglichen mit dem Leben der Götter ist die Lebensdauer der Menschen wie ein Tautropfen auf der Spitze eines Grashalms. Es gilt ferner auch deswegen als kurz bemessen, weil es (genau genommen) nicht über einen einzelnen Bewußtseinsmoment hinausgeht. Denn auch ein sehr langlebiges Wesen hat den vergangenen Bewußtseinsmoment wohl früher gelebt, lebt ihn jetzt aber nicht und wird ihn nicht leben; den zukünftigen wird es leben, lebt ihn jetzt nicht und hat ihn nicht gelebt; den gegenwärtigen lebt es jetzt, hat ihn aber nicht gelebt und wird ihn nicht leben. Daher heißt es:

Leben und Ichform, jedes Glück und Leid,
In einem einzigen Geistmoment nur sind sie da . . .

(Fortsetzung der Verse siehe vv. 775 mit Anm., 804f.)


575

Wahrlich, nicht gibt es ein Mittel, daß Geborene nicht sterben;
Auf das Alter folgt das Sterben, so geartet sind die Wesen.

576

Wie bei Früchten, reif geworden, ihren baldigen Fall man fürchtet,
So auch die als Sterbliche Geborenen sind in steter Furcht des Todes.

577

Wie die tönernen Gefäße, von des Töpfers Hand geformte,
Alle im Zerbrechen enden, so auch ist bei Sterblichen das Leben.

578

Junge und erwachsene Leute, Toren und auch weise Menschen,
Alle kommen in die Macht des Todes, aller Einkehr ist der Tod.

579

Von denen, die als Todesopfer hin zu anderen Welten wandern,
Schützt nicht seinen Sohn der Vater, oder Sippe ihre Sippschaft.

580

Sieh diese hier, die schauenden und klagenden Verwandten!
Ein jeder auch aus dieser Schar wird einmal fortgeführt wie Schlachtvieh.

581

So ist ja wahrlich diese Welt mit Tod und mit Zerfall geschlagen!
Drum werden Weise nimmer klagen, die die Natur der Welt erkannt. I

582

Dessen Weg du nimmer wahrnimmst, nicht sein Kommen, nicht sein Gehen,
Ungewahr der beiden Enden, - zwecklos ist um ihn dein Klagen!

583

Könnte irgend einen Vorteil man durch Klagen je gewinnen,
Würde auch ein Kluger klagen! Selber schaden wird sich nur ein Tor!

584

Nicht durch Weinen, nicht durch Klagen findet je man Geistesfrieden.
Immer mehr nur wächst das Leiden und der Leib wird aufgerieben.

585

Selber Schaden nur sich bringend, mager wird er, blaß an Farbe.
Nicht hilft er damit den Toten, ohne Nutzen ist sein Klagen.

586

Wenn der Mensch nicht Kummer aufgibt, sinkt er tiefer nur ins Leiden.
Um den Abgeschiedenen jammernd, wird vom Schmerz er ganz bewältigt.

587

Sieh' auch jene anderen Menschen: ihres Wirkens Frucht erwartend,
Vor der Macht des Todes stehend, wie sie hier vor ihr erzittern !

588

Was auch immer Menschen meinen, anders wird es doch geraten!
So auch ist's mit dieser Trennung! Erkenne hierin die Natur der Welt!

589

Ob auch hundert Jahre oder länger eines dauert,
Einmal muß er doch sich trennen, muß verlassen.

590

Darum, auf die Heiligen hörend, Trauer möge man verwinden.
Sehend einen Abgeschiedenen, denke man: 'Er ist mir unerreichbar!'

591

Wie man mit Wasser löscht ein brennend Haus in Eile,
So auch, wer weise, klug, verständig und erfahren,
Wird, wie der Wind die Baumwollflocke forttreibt,
Den aufgestiegenen Kummer schnell verscheuchen,

 
592

Und so auch Klage, Sehnsucht, Trübsal, die ihm kommen.
Der Sucher nach dem eigenen Glück, er möge ausziehn eigenen Dorn.  

593

Wer ausgezogen hat den Dorn, wird, ledig so, den Geistesfrieden finden.
Wer allen Kummer von sich abgetan, der Kummerfreie wird erlöst.

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