Aus zwei Gründen ist das Leben ,kurz' (zu nennen): wegen der Begrenztheit seiner Dauer und wegen der Begrenztheit seiner Grundbeschaffenheit.
Inwiefern ist das Leben kurz wegen der Begrenztheit seiner Dauer? Im vergangenen Bewußtseins-Moment hatte man gelebt, aber lebt jetzt nicht mehr in ihm und wird in ihm nicht mehr leben. Im zukünftigen Bewußtseins-Moment wird man leben, lebt aber jetzt nicht in ihm und hat nicht in ihm gelebt. Im gegenwärtigen Bewußtseins-Moment lebt man jetzt, hat aber in ihm noch nicht gelebt und wird in ihm nicht mehr leben.
Leben und Ichform, jedes Glücke und Leid,
In einem Geistmoment nur sind sie da;
Gar schnell geht der Moment dahin.
Auch jene Götter, deren Leben dauert
Gar vierundachtzig tausend Kalpen,
Selbst sie erleben nicht einmal,
Die Einigung von zwei Momenten.
Die Daseinsgruppen, welche schwinden
Im Tod und während dieses Lebens,
Darin sind alle diese Gruppen gleich:
Dahingegangen sind sie ohne Wiederkehr.
Die eben jetzt Zerfall ereilt hat
Und die in ferner Zukunft schwinden,
Im Augenblick nach ihrem Hingang
Kein Unterschied besteht dann mehr.
Nicht wird aus Unentstandenem man geboren;
Es ist die Gegenwart, in der man lebt.
Zerbricht Bewußtsein, dann stirbt auch die Welt;
Im höchsten Sinne stellt es so sich dar.
Wie ihr Gefälle, sich in Willens-Richtung senkend,
So ist der Ablauf jener Geistmomente.
In ungebrochener Folge gehen sie dahin,
Bedingt vom sechsfachen Gebiet der Sinne.
Unaufgespeichert lösen sie sich auf
Und bilden keine Häufung in der Zukunft auch.
Entstanden, dauern sie nicht länger,
Als sich ein Senfkorn hält auf Pfeiles Spitze.
Den Dingen allen steht Zerfall bevor,
Die zum Entstehen sind gelangt.
Zerfall-geweihte Dinge sind es, die bestehen;
Mit früheren sind sie unvermischt.
Aus Ungesehenem kommen sie hervor,
Ins Ungesehene gehen sie zerbrechend.
Gleichwie der Blitz am Himmel zuckt,
Entstehen und vergehen die Dinge.
In diesem Sinne ist das Leben kurz wegen der Begrenztheit seiner Dauer.
Wie nun ist das Leben kurz wegen der Begrenztheit seiner Grundbeschaffenheit? An Einatmung gebunden ist das Leben, an Ausatmung ist es gebunden, an Ein- und Ausatmung. An die vier Elemente, an Wärme, an stoffliche Nahrung und an Bewußtsein gebunden ist das Leben. Deren (dieser Lebens-Bedingungen?) Wurzel ist schwach; ihre früheren Ursachen (pubba-hetu) sind schwach; auch die (anderen) Bedingungen (paccaya) sind schwach ebenso sind es die erzeugenden (Bedingungen; pabhaviká), die mit ihnen zusammen bestehenden (sahabhú), die mit ihnen eng verbundenen (sampayuttá), die mit ihnen zusammen entstandenen (sahajá), die mit ihnen verknüpften (payojiká). Als gegenseitig (bedingt; aññamaññam) sind sie stets schwach; als gegenseitig (bedingt) sind sie unbeständig; gegenseitig bringen sie einander zu Fall. Wahrlich, für gegenseitig (Bedingtes) gibt es keinen Beschützer (außerhalb; aññamaññnassa hi natthi táyitá); und auch gegenseitig können sie sich nicht helfen. Ein Schöpfer ist nicht zu finden; und nicht schwindet man dahin durch irgend jemandes (Macht). Sie (die Lebens-Vorgänge?) sind wahrlich ganz und gar hinfällig. Durch frühere (Vorgänge) sind sie erzeugt; die aber ihre Erzeuger waren, sind schon vorher gestorben. Nicht haben sich die früheren und die späteren einander jemals gesehen. - In diesem Sinne ist das Leben kurz wegen der Begrenztheit seiner Grundbeschaffenheit.
Nachbemerkung: Die obigen Verse finden sich z.T. auch in Buddhaghosas "Reinheits-Pfad" (Visuddhi-Magga) und zwar Vers 1-5, 7-9 in Teil 20 und Vers 1-3 in Teil 8 dieses Werkes. -
Der letzte Prosa-Abschnitt enthält einige der in der Abhidhamma-Literatur enthaltenen 24 Bedingtheits-Formen (paccaya), und zwar gleichzeitige Entstehung (sahajá), Gegenseitigkeit (aññamañña) und enge Verbindung (sampayutta). Unsere Stelle mag entweder ein Hinweis hierauf oder, was wahrscheinlicher ist, eine Keimzelle für die spätere Ausarbeitung dieser 24 Bedingungs-Formen sein.