SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

2. Erläuterungen zu den 'Fragen Ajitas' aus dem Netti-Pakarana

 

Vorbemerkung: Das Netti-Pakarana ist ein nach-kanonisches Pali-Werk, von dessen Entstehungszeit man mit Gewißheit nur sagen kann, daß sie vor Buddhaghosa (ca. 4. Jahrh. nach Chr.) liegt. Da das Werk nur in englischer Übersetzung vorliegt, dürfte die Mitteilung einiger auf das Sutta-Nipāta bezüglicher Stellen von Interesse sein. Das "Vicaya-hāra" betitelte Kapitel dieses Werkes stellt nämlich einen Kommentar zu unserer Ajita-Sutte dar, der aber für eine Gesamtwiedergabe zu weitschweifig ist. Im Folgenden wurden nur einzelne, unmittelbar dem Verständnis unseres Textes dienende Stellen ausgewählt.

 

v. 1033: Durch Habsucht und durch Lässigkeit durch diese ist sie ohne Licht. (vevicchā pamādā na-ppakāsati). (Vgl. hierzu Anm. 1033)

Ein Mensch, der von den Hemmungen (nīvarāna) verhüllt ist (nivuto; s. vorher im Vers) zweifelt (vivicchati). Vivicchā bedeutet nämlich 'Zweifel' (vicikichā). Zweifelnd hat er keine Zuversicht. Ohne Zuversicht setzt er keine Willenskraft ein zur Überwindung unheilsamer und zur Verwirklichung heilsamer Dinge. Er lebt hier, der Lässigheit (pamāda) hingegeben. In solcher Lässigkeit erzeugt er nicht die glücklichen Zustände (der Vertiefung). Und sie, die unerzeugt bleiben, leuchten ihm nicht (na-ppakāsanti).

 

v. 1033: Das Leid ist ihre große Furcht.

Alle Wesen sind in Furcht vor dem Leiden. Es gibt keine Furcht, die derjenigen vor dem Leiden ganz gleich käme, geschweige denn eine, die sie übertrifft. Dreierlei Leidhaftigkeit gibt es: die Leidhaftigtkeit des Schmerzes (dukkha-dukkhatā) der Veränderung (viparināma-dlukkhatā) und diejenige (sämtlicher) Daseinsgebilde (sankhāra-dukkhatā). Nun ist die Welt wohl teilweise und manchmal frei von der Leidhaftigkeit des Schmerzes und der Veränderung. Und warum? Es gibt in der Welt solche, die selten krank sind und auch langlebige. Von der Leidhaftigkeit der Daseinsgebilde aber wird die Welt (erst) durch jenes Nibbāna-Element frei, das ohne einen Haftens-Rest ist (anupādisesa-nibbānadhātu). Daher ist das (im obigen Vers gemeinte) Leid der Welt die 'Leidhaftigkeit der Daseinsgebilde'.

 

v. 1034: Die Ströme fließen überall. Was ist es, das die Ströme hemmt? Verkünde der Strömungen Abwehr, wodurch man die Strömungen dämmt.

. . . Dem derart Ungesammelten fließt das Begehren nach den sechs Sinnen-Grundlagen hin, nämlich das Begehren nach Sehobjekten, Tönen, Düften, Geschmäcken, Berührungen und Geistobjekten. Wie auch der Erhabene sagte: ",Es fließt' (savati), das, o Mönche, ist eine Bezeichnung der sechs inneren Sinnen-Grundlagen. Das Auge fließt hin zu den angenehmen Sehobjekten und wird von den unangenehmen abgestoßen . . . Der Geist fließt hin zu den angenehmen Geistobjekten und wird von den unangenehmen abgestoßen."

"Was ist es, das die Ströme hemmt?" - Hiermit wird nach der Beseitigung der (begehrlichen) Befangenheit (pariyutthāna) gefragt. Dies ist die Läuterung (vodāna).

"Verkünde der Strömungen Abwehr" - Hiermit wird nach der Vernichtung der (latenten begehrlichen) Neigungen (anusaya) gefragt. Dies ist das (völlige) Sich-Erheben (über das Begehren; vutthāna).

 

v. 1035: Die Ströme (des Begehrens) in der Welt, durch Achtsamkeit sind sie gehemmt.

Der Strömungen Abwehr künd' ich: die Weisheit ist es, die sie dämmt.

Wenn die auf den Körper gerichtete Achtsamkeit entfaltet und häufig geübt ist, dann drängt das Auge nicht nach den angenehmen Sehobjekten und wird von den unangenehmen nicht abgestoßen; . . . drängt der Geist nicht nach den angenehmen Geistobjekten und wird von den unangenehmen nicht abgestoßen. Aus welchem Grunde ist es so? Weil die Sinne gezügelt und gehemmt sind (samvuta-nīvāritattā; vgl. im Vers: samvaram, nīvaranam). Wodurch sind sie gezügelt und gehemmt? Durch den Wächter 'Achtsamkeit'.

Durch Weisheit schwinden die (latenten) Neigungen. Wenn die Neigungen geschwunden sind, dann schwindet auch die (begehrliche) Befangenheit . . .Wenn die Wurzeln eines Baumstammes restlos ausgerodet sind, dann wird auch die Kontinuität von Blüte, Frucht und Schößling unterbrochen; ebenso wird auch durch das Schwinden der Neigungen die kontinuierliche Befangenheit (in den Sinnen-Eindrücken) unterbrochen und abgeschlossen.

 

v. 1036: Weisheit und Achtsamkeit und (ihre Stütze) 'Geist und Körper', Wo dieses schwindet, künd' es, Herr, auf meine Frage!

Hiermit wird nach dem (mit Weisheit und Achtsamkeit) zusammenhängenden (Geist und Körper) gefragt. Indem nach dem Zusammenhängenden gefragt wird, wonach wird damit gefragt? Nach jenem Nibbāna-Element, das ohne einen Haftens-Rest ist (anupādisesa-nibbānadhātu).

(Aus Dhammapalas Kommentar zum Netti-Pakarana: - Im vorhergehenden Vers (1035) wurde von Achtsamkeit und Weisheit samt ihren Funktionen gesprochen, die in der Aufhebung der Befangenheit in und der Neigung zu den Strömen (des Begehrens) bestehen. Nachdem er dies gehört hat, (sagt sich der Fragende): "Nach der Aufhebung hiervon, solange aber noch Weisheit und Achtsamkeit bestehen, muß auch noch ihre Stütze 'Geist und Körper' da sein. Und wenn es so ist, dann geht eben der Daseins-Kreislauf weiter. Wo vollzieht sich nun die restlose Aufhebung von Weisheit und Achtsamkeit samt ihrer Stütze?" Mit dieser Absicht wurde jene Frage gestellt.)

Hierbei stellen Achtsamkeit und Weisheit vier der geistigen Fähigkeiten (indriya) dar; und zwar sind in der Achtsamkeit zwei einbegriffen, nämlich Achtsamkeit und Sammlung, in Weisheit gleichfalls zwei, nämlich Weisheit und Willenskraft. Was in diesen vier Fähigkeiten Zuversicht und Hingabe ist, das ist die Fähigkeit Vertrauen.

Diese fünf heilsamen Fähigkeiten bestehen Zusammen mit Bewußtsein. Sie steigen auf, wenn Bewußtsein aufsteigt; sie schwinden, wenn Bewußtsein schwindet. Auch 'Geist und Körper' hat das (karmische) Bewußtsein als Ursache, als Entstehungs-Bedingung. Durch den (Heiligkeits-)Pfad wird diese Ursache dafür abgeschnitten. Ein Bewußtsein, das ohne Nahrung ist, an dem man sich nicht mehr erfreut, das ohne Stütze ist und nicht zur Wiedergeburt führt, ein solches Bewußtsein schwindet. Auch 'Geist und Körper', wenn sie ohne ihre Ursache, ohne ihre Bedingung sind, bringen kein Wiedersein hervor. In solcher Weise schwinden durch die Aufhebung des Bewußtseins Weisheit, Achtsamkeit und 'Geist und Körper'.


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