Zurueck Milindapañha, Teil 4

2. Kapitel 

 

Mil. 4.2.1. Abschaffung der kleinen Ordensregeln

 

«Der Erhabene, o Herr sagt: <Nachdem ich die Lehre völlig erkannt habe, o Mönche, lege ich sie dar, nicht ohne sie völlig erkannt zu haben. Andererseits aber sagt er mit Beziehung auf die Vorschriften der Ordensdisziplin: <Wünscht es die Jüngerschaft, Ananda, so mag sie nach meinem Dahinscheiden alle kleinen und nebensächlichen Ordensregeln abschaffen.> Waren denn etwa die kleinen und nebensächlichen Ordensregeln schlecht verkündet oder ohne eine wirkliche Kenntnis der Sache, daß der Erhabene erlaubte, sie nach seinem Tode wieder abzuschaffen? Wenn somit die erste Aussage richtig ist, dann muß die zweite falsch sein, ist aber die zweite richtig, so ist eben die erste falsch. Dies ist wiederum ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, ein dunkles, verborgenes, ganz verstecktes, tiefsinniges, schwer zu ergründendes, schwer zu erklärendes. Beweise hier nun wieder einmal die Größe deiner Geisteskraft!»

«Beides, o König, hat der Erhabene gesagt. Das letztere aber hat der Vollendete gesagt, um seine Mönche auf die Probe zu stellen, ob sie, wenn er es erlaubte, nach seinem Dahinscheiden die kleinen und nebensächlichen Ordensregeln wirklich fahren lassen, oder daran festhalten möchten. Es ist hiermit gerade so, o König, wie wenn ein Weltherrscher zu seinen Söhnen sprechen möchte: <Dieses mächtige Reich, meine lieben Söhne, erstreckt sich nach allen Seiten hin bis zum Meere. Schwer ist es, meine Söhne, mit solch kleiner Heeresmacht das Reich zu behaupten. Geht, lasset nach meinem Dahinscheiden nur ruhig alle Grenzgebiete fahren!> Würden da wohl, o König, die Prinzen nach ihres Vaters Tode von den in ihren Besitz gelangten Ländern alle jene Grenzgebiete allmählich aufgeben?»

«Gewiß nicht, o Herr. Herrscher sind gar habgierig. Die Prinzen möchten in ihrer Herrschgier am liebsten noch zwei- oder dreimal soviele Länder an sich reißen. Wie sollten sie da die bereits in ihren Besitz gelangten Gebiete preisgeben?»

«Ebenso auch, o König, hat der Erhabene bloß deshalb diese Worte gesprochen, weil er seine Mönche auf die Probe stellen wollte. Zum Zwecke der Leidenserlösung aber, o König, und aus Liebe zur Lehre (wörtl.: Lust an der Lehre, dhamma-lobhena; im Vergleich entsprechend der obigen «Herrschgier« rajja-lobhena) würden die Jünger des Erleuchteten am liebsten noch weitere einhundertundfünfzig Ordensregeln halten. Wie sollten sie da die ursprünglich festgesetzten Ordensregeln aufgeben?»

«Hinsichtlich dessen aber, ehrwürdiger Nāgasena, was der Erhabene als die kleinen und nebensächlichen Ordensregeln bezeichnet, da sind sich die Menschen im Unklaren, hegen Zweifel, sind uneinig und in Ungewißheit darüber verfallen, welches wohl die kleinen und nebensächlichen Ordensregeln sein mögen.»

«Die kleinen Ordensregeln, o König, beziehen sich auf <schlechtes Verhalten>, die nebensächlichen Ordensregeln auf <schlechte Worte> (dukkata und dubbhāsita; beides sind Gruppen von Ordensvergehen). Auch die Ordensälteren in früheren Zeiten, o König, waren in dieser Sache in Zweifel, und über dieses Problem, das schon der Erhabene voraussah, waren sie bei Festlegung der Lehre sich nicht einig.»

«Das also, was lange Zeit verborgen geblieben ist, ehrwürdiger Nāgasena, dieses Geheimnis des Siegers hast du nun heute der Welt enthüllt und klar gemacht.»


[In Vinaya, Cūlavagga, XI, I, 10, wird berichtet, daß auf dem Konzil zu Rājagaha die Ordensälteren es dem Ananda zum Vorwurfe machten, nicht den Erhabenen noch bei Lebzeiten um eine Erklärung dieser beiden Ausdrücke gebeten zu haben]


Mil. 4.2.2. Die Fragen des Mālunkyaputta

 

«Der Erhabene, o Herr, hat einst von sich gesagt: <Nicht hält, Ananda, der Vollendete hinsichtlich seiner Lehren die Hand verschlossen wie so mancher Meister.> (D.10) Andererseits aber wieder hat er die Frage des Ordensälteren Mālunkyaputta unbeantwortet gelassen (M.63). Dieses Problem seines Nichtantwortens läßt zweierlei Annahme zu, und nur auf einer der beiden kann dasselbe beruhen, entweder auf Unwissenheit oder auf Geheimhaltung. Denn hat, o Herr, der Erhabene wirklich den Ausspruch getan, dann hat er eben aus Unwissenheit dem Mālunkyaputta nicht geantwortet. Hat er aber trotz seines Wissens nicht geantwortet, so hält er eben hinsichtlich seiner Lehren die Hand verschlossen wie so mancher Meister. Dies ist wiederum ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, und das du mir zu lösen hast.»

«Es ist wahr, o König, daß der Erhabene jenen Ausspruch getan hat. Daß er aber die Frage des Ordensälteren Mālunkyaputta unbeantwortet ließ, beruht weder auf Unwissenheit noch auf der Absicht, etwas zu verheimlichen. Es gibt nämlich, o König, viererlei Weisen, wie man Fragen zu beantworten hat. 

 

Weil aber die Frage des Ordensälteren Mālunkyaputta eine solche zu verwerfende Frage war, deshalb hat sie der Erhabene unbeantwortet gelassen. Und warum ist eine solche Frage zu verwerfen? Weil es keinen Grund, keine Ursache, geben kann, eine solche zu beantworten, deshalb ist sie zu verwerfen. Denn nicht ohne Grund und Ursache tun die Erleuchteten, die Erhabenen, irgend eine Äußerung.»

«Richtig, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es. Das gebe ich zu.»

 


Mil. 4.2.3. Die Furchtlosigkeit des Heiligen

 

«An einer Stelle, ehrwürdiger Nāgasena, sagte der Erhabene: <Alle fürchten sich vor Strafe, alle fürchten sich vor dem Tod.> Doch sagt er an anderer Stelle wieder: <Der Vollkommen-Heilige ist aller Furcht entgangen.> Somit zittert wohl doch noch der Vollkommen-Heilige aus Furcht vor Strafe? Und die in der Hölle brennenden, kochenden, gequälten Wesen sollten sich wirklich bei ihrem Abscheiden aus jenem flammenden Feuermeere noch vor dem Tode fürchten? Wenn der Erhabene sagt, daß sich alle vor Strafe und Tod fürchten, so muß die Behauptung, daß der Vollkommen-Heilige aller Furcht entgangen sei, falsch sein. Wenn der Erhabene aber sagt, daß der Vollkommen-Heilige aller Furcht entgangen ist, so muß eben die Behauptung, daß alle sich vor Strafe und Tod fürchten, falsch sein. Auch dies ist wiederum ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, und das du mir nun zu lösen hast.»

«Nicht hat, o König, der Erhabene mit Beziehung auf den Vollkommen-Heiligen diesen Ausspruch getan: <Alles fürchtet sich vor Strafe, alles fürchtet sich vorm Tod.> Der Vollkommen-Heilige ist wahrlich ausgenommen in dieser Sache, denn in dem Vollkommen-Heiligen ist jeder Grund zur Furcht zerstört. Nur mit Beziehung auf die mit Trübungen befleckten Wesen, in denen starke Selbstverblendung lebt, die von Freude und Leid hin und her gerissen werden, nur mit Beziehung auf diese hat der Erhabene diesen Ausspruch getan. Für einen Vollkommen-Heiligen, o König, ist aller Fortgang nach dem Tode abgeschnitten, jedes Aufkeimen gehemmt, die Wiedergeburt zunichte gemacht, das Gerüst zerbrochen, das ganze Daseinsgebäude von Grund aus eingestürzt, jedwedes Gebilde aufgelöst, Gutes wie Böses zerstört, die Verblendung zerteilt, das Bewußtsein keimfähig gemacht, jedweder Flecken der Leidenschaft ausgebrannt und alle weltlichen Bedingungen sind überwunden (Die acht weltlichen Bedingungen sind: Gewinn, Verlust, Ehre, Unehre, Lob, Tadel, Glück und Unglück). Darum kann der Vollkommen-Heilige nicht mehr aus irgend welcher Furcht erbeben.

Nimm an, o König, ein Fürst habe vier ergebene, geehrte vertraute Räte in hoher, einflußreicher Stellung. Und bei irgendeinem aufgetretenen Umstand erlasse er für alle Untertanen seines ganzen Reiches den Befehl: <Alle sollen mir Abgaben entrichten. Möget ihr daher, meine vier Räte, jene Angelegenheit in Ordnung bringen.> - Würde sich wohl da, o König, aus Furcht vor der Steuer bei jenen vier Räten Angst einstellen?»

«Das nicht, o Herr.»

«Und warum nicht?»

«Jene bekleiden ja die höchsten Ämter, haben mit Steuer gar nichts zu schaffen, sind der Steuerpflicht enthoben. Nur für die übrigen hat der Fürst den Befehl erlassen.»

«Ebenso auch, o König, hat der Erhabene nicht etwa angesichts der Vollkommen-Heiligen diesen Ausspruch getan. Der Vollkommen-Heilige ist ausgenommen in dieser Sache, denn in dem Vollkommen-Heiligen ist jeder Grund zur Furcht zerstört. Nur mit Beziehung auf die mit Leidenschaften behafteten Wesen, in denen starke Selbstverblendung lebt, die von Freude und Leid hin und her gezerrt werden, nur mit Beziehung auf diese hat der Erhabene den Ausspruch getan: <Alles fürchtet sich vor Strafe, alles fürchtet sich vor dem Tod.> Somit kann der Vollkommen-Heilige nimmermehr in Furcht erbeben.»

«Dieser Ausdruck <alle>, ehrwürdiger Nāgasena, läßt aber doch keine weitere Möglichkeit offen und ist ein allumfassender Begriff. Gib mir eine weitere Begründung, um diesen Begriff festzulegen!»

«Nimm an, o König, der Dorfherr in einem Dorfe befehle dem Ausrufer: <Geh, lieber Ausrufer, und versammle sofort alle Dorfbewohner um mich!> Und gehorsamst stelle sich jener mitten ins Dorf und rufe dreimal aus: <Mögen alle Einwohner des Dorfes sich schleunigst beim Herrn einfinden!> Und die Dorfbewohner eilen auf das Wort des Ausrufers in aller Hast herbei und sprechen zum Dorfherrn: <Alle Dorfbewohner sind versammelt, o Herr. Möge nun der Herr das Nötige tun.> - Trotzdem also der Dorfherr bloß die Hausbesitzer um sich versammeln wollte, so lautete dennoch der Befehl für alle Dorfbewohner; und trotzdem der Befehl für alle lautete, so waren dennoch nicht alle eingetroffen, sondern bloß die Hausbesitzer. Und auch der Dorfherr nahm an, daß die Zahl seiner Dorfbewohner soviel betrage, obzwar die anderen, die nicht gekommen waren, bei weitem zahlreicher sind, darunter Männer, Weiber, Knechte, Mägde, Söldner, Arbeitsleute, Kranke, sowie Ochsen, Büffel, Schafe, Ziegen und Hunde. Alle die Nichteingetroffenen werden nämlich nicht mit gerechnet, weil der Befehl sich zu versammeln bloß mit Hinsicht auf die Hausbesitzer erlassen wurde. Eben auch, o König, hat der Erhabene diesen Ausspruch keineswegs mit Hinsicht auf die Vollkommen-Heiligen getan. Die Vollkommen-Heiligen sind in dieser Sache ausgenommen, denn in den Vollkommen-Heiligen ist jeder Grund zur Furcht zerstört. Bloß mit Beziehung auf die mit Leidenschaften behafteten Wesen, in denen die Selbstverblendung stark entwickelt ist, die von Freude und Leid hin und her gezerrt werden, nur mit Beziehung auf diese hat der Erhabene den Ausspruch getan: <Alles fürchtet sich vor Strafe, alles fürchtet sich vor dem Tod.> Somit kann der Vollkommen-Heilige nimmermehr in Furcht erbeben.

Es gibt eben, o König, begrenzte Begriffe, mit begrenztem Sinn; es gibt begrenzte Begriffe mit unbegrenztem Sinn; es gibt unbegrenzte Begriffe mit begrenztem Sinn; und es gibt unbegrenzte Begriffe mit unbegrenztem Sinn («Alles» wäre also in unserem speziellen Falle ein unbegrenzter Begriff mit begrenztem Sinn). Und durch den einen oder den anderen dieser Begriffe hat man jedesmal die Sache festzustellen. Und dies mag auf fünffache Weise geschehen: gemäß des Zusammenhanges, gemäß des inneren Gehaltes, gemäß der Überlieferung der Meister, gemäß der eigenen Auffassung und gemäß der Gewichtigkeit des Grundes. Dabei hat man unter dem Zusammenhang die Worte der Lehrreden zu verstehen, unter dem inneren Gehalte die innere Übereinstimmung mit den Lehrreden, unter der Überlieferung der Meister die Lehre der Meister, unter der eigenen Auffassung die eigene Meinung, und unter der Gewichtigkeit des Grundes die Übereinstimmung eben dieser Dinge miteinander. Auf diese fünffache Weise läßt sich der Sinn feststellen. Somit ist denn dieses Problem völlig gelöst.»

«Mag sein, ehrwürdiger Nāgasena; ich will es zugeben. So möge also der Vollkommen-Heilige in dieser Sache ausgenommen sein, alle übrigen Wesen aber noch Furcht empfinden. Doch wie steht es mit den Wesen in der Hölle, die da scharfe, bittere Schmerzen zu erleiden haben, am ganzen Körper und allen Gliedern von den Flammen verzehrt werden, das Antlitz erfüllt von Klagen, Erbarmungsschreien, Jammer und Wehe, von unerträglich heftigen Schmerzen übermannt, ohne Zuflucht, Schutz und Hilfe, von gewaltigem Kummer gepeinigt, auf unterster, niederster Daseinsstufe stehend und dazu noch zu lauter Qualen verdammt, in glühenden, heftigen, wilden, grausamen Feuersgluten brennend, Furcht und grauenerregenden Lärm und mächtiges Getöse erzeugend und in die verschlungenen sechsfachen Flammenkränze eingehüllt. Sollten denn diese Wesen, wenn sie aus der nach allen Seiten hundert Meilen weit dringende Flammenwogen aussendenden, elenden, feurigen Erzhölle endlich einmal abscheiden, sich noch vor dem Abscheiden fürchten?»

[Da alles vergänglich ist, muß auch das Leben in der Hölle einmal sein Ende erreichen, trotzdem das Kalpa (Äon) für das menschliche Denken eine Ewigkeit bedeuten mag; das aber berechtigt nicht dazu, das Wort «Äon» in der Bibel nun auch tatsächlich mit «Ewigkeit» zu übersetzen. Auch die christliche Hölle ist eben im letzten Grunde nicht mehr und nicht weniger ewig als die buddhistische.]

«Ja, o König.»

«Ist denn, o Herr, die Hölle nicht ganz und gar bloß eine Leidenserfahrung? Wie sollten da diese Wesen sich vor dem Sterben fürchten? Wie? Dann gefällt ihnen wohl die Hölle?»

«Nein, o König. Befreit möchten sie von ihr sein. Aber die Macht des Todes ist es, o König, vor der sie sich fürchten.»

«Das kann ich nicht glauben, ehrwürdiger Nāgasena, daß sie, die doch nach Befreiung lechzen, sich vor dem Tode noch fürchten sollten. Daß sie das Ersehnte endlich erlangen, müßte ihnen doch ein Grund zur Freude sein. So lege mir denn die Sache klar!»

«Der Tod, o König, ist für einen, der die Wahrheit noch nicht durchschaut hat, ein Grund zur Furcht; vor ihm ist alle Welt in Angst und Aufregung. Wer zum Beispiel Furcht hat vor schwarzen Schlangen, Elefanten, Löwen, Tigern, Leoparden, Bären, Hyänen, Büffeln, Rindern, Feuer, Wasser, Stacheln, Dornen oder Pfeilen, der fürchtet sich eben bloß deshalb davor, weil er Furcht hat vor dem Tode. Das, o König, ist die Macht der wahren Natur des Todes, und ihr zufolge haben die mit Leidenschaften befleckten Wesen Furcht und Angst vor ihm. Und daher kommt es auch, daß selbst die Wesen in der Hölle, trotzdem sie nach Befreiung lechzen, dennoch vor dem Tode in Furcht und Angst geraten.

Nimm an, o König, es habe einer an seinem Körper eine Fettgeschwulst. Und von jener Krankheit belästigt, bestelle er einen Wundarzt, um dieses Übel loszuwerden. Und der Wundarzt willige ein und mache sein Instrument zurecht, um das Übel zu beseitigen, sei es, daß er eine Lanzette scharf macht oder Ätzstifte im Feuer ausglüht oder Kalisalz auf einem Reibsteine zerreibt. Möchte da jener Kranke sich nicht wohl fürchten vor dem Schneiden mit der scharfen Lanzette oder dem Ausbeizen mit den zwei Stiften oder der Anwendung von Kalisalz?»

«Gewiß, o Herr.»

«So also, o König, steigt in jenem Kranken, trotzdem er der Krankheit entrinnen möchte, dennoch aus Furcht vor den Schmerzen die Angst auf. In derselben Weise aber auch, o König, geraten die Wesen in der Hölle, trotzdem sie ihr entrinnen möchten, dennoch aus Furcht vor dem Tode in Angst. Oder nimm an, o König, einen Staatsverbrecher, der mit Ketten im Kerker daliege, möchte es danach verlangen, frei gelassen zu werden. Der König aber, mit der Absicht ihm seine Freiheit zu schenken, lasse ihn zu sich rufen. Möchte da jener Verbrecher, im Bewußtsein seiner begangenen Schuld, beim Anblick des Herrschers nicht etwa doch in Angst geraten?»

«Gewiß, o Herr.»

«Somit also gerät der Verbrecher, trotzdem er nach seiner Befreiung verlangt, dennoch vor dem Könige in Angst.»

«Gib mir noch ein weiteres Beispiel, o Herr, um mich zu überzeugen!»

«Gesetzt, o König, ein Mann sei von einer giftigen Schlange gebissen worden; und unter der Einwirkung des Giftes stürze er zu Boden, springe alsbald empor um sich von neuem wieder auf dem Boden hin und her zu wälzen. Ein anderer aber zwinge durch das Hersagen einer mächtigen Zauberformel jene giftige Schlange zurückzukommen und das Gift wieder aus der Wunde auszusaugen (Auch noch heutzutage soll dies vielfach vorkommen, wie mir in Sri Lanka versichert wurde). Möchte da nicht wohl der Gebissene vor jener Schlange, die doch bloß seines eigenen Wohlseins wegen herankommt, dennoch in Angst geraten?» «Gewiß, o König.»

«Wie also jener Mensch, o König, vor einer Schlange, trotzdem sie bloß seines eigenen Wohlseins wegen kommt, in Angst geraten kann, ebenso auch sind die Wesen in der Hölle, trotzdem sie ihr entrinnen möchten, dennoch vor dem Tode in Furcht und Angst. Der Tod, o König, ist eben allen Wesen unerwünscht. Daher kommt es auch, daß selbst die Wesen in der Hölle, trotzdem sie nach ihrer Befreiung lechzen, sich dennoch vor dem Tode fürchten.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena. Es ist so. Das gebe ich zu.»

 


Mil. 4.2.4. Die Macht der Schutztexte

 

«Der Erhabene, o Herr, hat den Ausspruch getan:

 

 

Andererseits aber wieder hat der Erhabene die Schutztexte (paritta) gelehrt, als wie:

Wenn man also weder in den Lüften noch in des Meeres Mitte, noch in hohen Türmen, Gemächern, Verstecken, Höhlen, Grotten, Spalten, Klüften oder Öffnungen in den Bergen der Fessel des Todes entgehen kann, so ist eben das Rezitieren von Schutztexten widersinnig. Könnte man aber durch solches Rezitieren von der Fessel des Todes befreit werden, so müßte eben jener Vers des Erhabenen falsch sein. Dies ist wiederum ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, verknüpfter denn ein Knoten. Das hast du nun zu lösen.»

«Zwar hat, o König, der Erhabene diesen Vers gesprochen und trotzdem die Schutztexte gelehrt. Doch sind diese bloß für einen solchen bestimmt, dem noch Lebensjahre bevorstehen, der noch lebenskräftig ist und auch nicht durch übles Wirken gehemmt ist. Ein Mittel oder eine Methode aber, das Leben eines bereits Abgelebten zu verlängern, das gibt es nicht, o König. Ebenso wenig nämlich, o König, wie an einem abgestorbenen Baume, das ausgedörrte, saftlose, leblose, aller Lebenskraft beraubte Holz jemals wieder frisch werden, sprossen oder grünen wird, selbst wenn man tausend Töpfe voll Wasser darüber gießen sollte: ebenso wenig auch, o König, enthält irgend eine Arznei oder Schutzformel das Mittel oder die Möglichkeit, das Leben eines Abgelebten zu verlängern. Alle Heilkräuter und Arzneien, die es in der ganzen Welt geben mag, sind für einen solchen nutzlos. Nur einem, dem noch Lebensjahre bevorstehen, der lebenskräftig ist und auch nicht durch übles Wirken gehemmt ist, nur diesem bietet ein Schutztext Hilfe und Schutz. Und nur ihm zuliebe hat der Erhabene die Schutztexte gelehrt. Gleichwie nämlich, o König, wenn das Korn reif ist und die Kornhalme abgestorben sind, der Bauer den Zufluss des Wassers abhält, obwohl doch das junge, grüne, grasartige, lebensfrische Korn gerade infolge des Wassers zum Wachsen gelangt: ebenso auch, o König, wird bei einem Abgelebten die Anwendung heilender Schutztexte vermieden und nur für diejenigen, denen noch Lebensjahre bevorstehen und die noch lebenskräftig sind, nur für diese werden heilende und Schutztexte vorgetragen. Denn nur solche mögen davon Nutzen haben.»

«Wenn aber, ehrwürdiger Nāgasena, der Abgelebte sterben muß und der, dem noch Lebensjahre bevorstehen, ohnehin am Leben bleibt, dann sind doch heilende und Schutztexte ganz zwecklos.»

«Hast du niemals gesehen, wie durch Arznei eine Krankheit zum Schwinden gekommen ist?»

«Gewiß, o Herr. Viele hundert Male.»

«So ist es also falsch, o König, zu behaupten, daß heilende Schutztexte zwecklos seien.»

«In der ärztlichen Methode, o Herr, bekommt man heilwirkende Getränke und Salben zu sehen. Durch eine solche Methode mag allerdings eine Krankheit zum Schwinden kommen.»

«Man kann aber doch, o König, beim Vortrag der Schutztexte die Stimme der Vortragenden vernehmen. Die Zunge der letzteren mag austrocknen, ihr Herz stille stehen, ihre Stimme heiser klingen. Dadurch nämlich werden Krankheiten aller Art geheilt, und jedwede Plage schwindet. (Das soll offenbar besagen, daß die Lebenskraft, die den Vortragenden infolge solcher Überanstrengung schwindet, auf die Anwesenden übergeht und ihrer Gesundheit zugute kommt, gerade wie es auch der Fall sein soll bei magnetischen Medien oder bis zum ohnmächtigen Zusammenbrechen tanzenden indischen Beschwörungstänzern) Hast du auch noch nie davon gehört, wie ein von einer Schlange Gebissener unter dem Einfluss einer Zauberformel das Schlangengift (durch die betreffende Schlange) hat wieder entfernen, ausscheiden, oberhalb und unterhalb aussaugen lassen?»

«Gewiß, o Herr. Noch heutzutage geschieht das in der Welt.»

«So ist es also falsch, o König, zu behaupten, daß heilende Schutztexte zwecklos seien. Wenn eine Schlange einen Mann beißen will, über den ein Schutztext gesprochen wurde, so kann sie das nicht, und ihr aufgerissener Rachen wird sich wieder schließen. Und selbst die bereits erhobene Keule eines Räubers wird einen solchen nicht berühren. Der Räuber wird die Keule fallen lassen und ihm Liebe erweisen. Ein wütender Elefant, der auf ihn losstürzt, wird stehen bleiben. Eine flackernde, gewaltige Feuersbrunst, die gegen ihn antreibt, wird verlöschen. Das Halāhala-Gift, das er verschluckt, wird unwirksam werden und ihm als Nahrung dienen. Mörder, die auf ihn stürzen, um ihn zu erschlagen, werden zu seinen Dienern. Und die Falle, in die er tritt, wird ihn nicht fangen.»

«Gewähren nun aber, o Herr, die Schutztexte allen Menschen Schutz?»

«Den einen wohl, o König, den anderen aber nicht.»

«Somit wäre also, o Herr, der Schutztext nicht für alle von Nutzen.»

«Erhält denn wohl, o König, die Nahrung etwa alle Menschen am Leben?»

«Die einen wohl, o Herr, die anderen aber nicht.»

«Und warum nicht?»

«Wenn da zum Beispiel die einen zu viel essen, mögen sie am Durchfall sterben.»

«Somit erhält also die Nahrung, o König, nicht alle Menschen am Leben.»

«Zwei Umstände, o Herr, bewirken, daß die Nahrung das Leben gefährden mag: Überessen und Verdauungsschwäche. Somit mag also selbst die lebensspendende Nahrung, o Herr, durch verkehrten Gebrauch einem das Leben kosten.»

«Ebenso auch, o König, gewährt der Schutztext für die einen Schutz, für die anderen aber nicht. Drei Umstände sind es eben, o König, unter denen die Schutztexte keinen Schutz gewähren: 

Der Schutztext, o König, der sich sonst als ein Schutz für die Wesen erweist, verliert durch das was man selber (an Schlechtem) tut, seine schützende Wirkung. Es ist hiermit gerade so wie mit einer Mutter und ihrem Kind. Die Mutter ernährt das in ihrem Leibe befindliche Kind in aller Liebe, und mit größter Sorgfalt bringt sie es zur Welt. Nach seiner Geburt entfernt sie von ihm alle Unsauberkeit, Schmutz und Schleim und salbt es mit den besten und feinsten wohlriechenden Salben. Solche, die es schimpfen oder schlagen, schleppt sie erregten Herzens vor ihren Gatten. Wenn ihr Sohn aber späterhin unartig ist oder sich verspätet, so schlägt sie ihn mit einem Stock oder einem Prügel, stößt ihn mit dem Knie, versetzt ihm Hiebe mit der Hand. Wird man nun wohl deshalb der Mutter des Kindes Gewalt antun, sie packen und vor ihren Gatten bringen?»

«Das wohl nicht, o Herr.»

«Und warum nicht?»

«Weil ja der Knabe es selber verschuldet hat.»

«Ebenso auch, o König, wird der Schutztext, der sich sonst als Schutz für die Wesen erweist, durch eigene Übeltat unwirksam gemacht.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! Gut gelöst hast du das Problem, das Dickicht gelichtet, die Finsternis erhellt, entwirrt das Netz der Ansichten, du, der du der beste und edelste bist unter allen den Meistern.»  


Mil. 4.2.5. Buddhas Almosenempfang

 

«Ihr sagt da, ehrwürdiger Nāgasena, daß der Vollendete reichlich beschenkt wurde mit den Bedarfsgegenständen, als wie Gewand, Almosen, Lagerstatt, Heilmittel und Arzneien. Andererseits aber behauptet ihr wieder, daß der Vollendete bei dem Almosengange in dem Brahmanendorfe Pañcasāla nichts erhielt und mit einer wie frisch gewaschenen Schale weiterziehen mußte. Wenn nun die erste Behauptung wirklich zutrifft, so muß die zweite eben falsch sein; trifft aber die zweite zu, so muß die erste falsch sein. Dies ist wieder ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, ein äußerst gewichtiges, schwer zu durchdringendes. Das magst du mir nun lösen.»

«Beide Aussagen, o König, sind richtig. Daß der Vollendete jedoch dieses eine Mal mit leerer Almosenschale weiterziehen mußte, das war das Werk Māras, des Bösen.»

«So war wohl, ehrwürdiger Nāgasena, das vom Erhabenen während unzähliger Weltzeitalter aufgespeicherte Verdienst damals gerade zu Ende gelangt? Oder konnte wohl der erst kürzlich erschienene Māra, der Böse, die Ausdehnung der Macht und Wirksamkeit seines Verdienstes abschneiden? Es ergibt sich also in dieser Sache an beiden Stellen ein Vorwurf, nämlich der, daß entweder das Böse mächtiger sei als das Gute oder daß die Macht des Māra die Macht des Erleuchteten übertreffe. Somit wäre also der Gipfel eines Baumes schwerer als dessen Wurzel, und der Böse mächtiger als der von Tugend Erfüllte.»

«Nein, o König. Das Böse ist darum nicht mächtiger als das Gute, und auch ist die Macht des Māra nicht größer als die des Erleuchteten. Übrigens wäre hier ein Beispiel erwünscht. Nimm an, o König, ein Mann brächte zum König Honig oder eine Honigscheibe oder irgend ein anderes Geschenk. Der Torwächter des Königs aber spräche zu ihm: <Es ist eben nicht an der Zeit, den König zu besuchen. Packe deshalb deine Geschenke zusammen und mache dich schleunigst wieder von hinnen, bevor dich der König bestrafen läßt.> - Und der Mann nähme aus Furcht vor Strafe, zitternd und aufgeregt, seine Geschenke und kehrte in aller Eile wieder zurück. Wäre da in diesem Falle, o König, jener Herrscher etwa infolge solcher unzeitig dargebrachten Gabe weniger mächtig als sein Torwächter, und würde er wohl niemals mehr ein anderes Geschenk erhalten?»

«Nicht doch, o Herr. Von Neid erfüllt hätte zwar der Torwächter jene Gabe verhindert, doch könnte durch ein anderes Tor ein hunderttausendmal wertvolleres Geschenk zum Könige gelangen.»

«Ebenso auch, o König, brachte zwar Māra, der Böse, von Neid erfüllt, die brahmanischen Hausleute in Pañcasāla in seine Gewalt; viele tausende unter den anderen Geistern aber begaben sich, mit ambrosischer, himmlischer Speise versehen, zum Erhabenen, um seinem Körper Nahrung zuzuführen. Und dem Erhabenen huldigend, blieben sie mit gefalteten Händen stehen.»

«Das mag sein, ehrwürdiger Nāgasena. Leicht ist es wohl für den Erhabenen, den edelsten Menschen in der Welt, die vier Bedarfsgegenstände zu erlangen; ja, stets bloß auf die Bitten der Götter und Menschen hin machte er davon Gebrauch. Aber immerhin ist dem Māra insofern sein Plan geglückt, als er den Erhabenen um sein Essen brachte. Hierin ist mein Zweifel noch nicht gelöst, o Herr. Hierüber bin ich noch in Ungewissheit und hege Bedenken, denn mein Geist gefällt sich nicht in dem Gedanken, daß Māra auf so abscheuliche, niederträchtige, kleinliche, boshafte und unheilige Weise es verhinderte, daß man dem Vollendeten Almosen reichte, dem Heiligen, Vollkommen-Erleuchteten, dem Besten unter den Edelsten in aller Welt mitsamt der Götter, dem von erhabenen heilsamen und guten Eigenschaften Erfüllten, dem Unvergleichlichen, Beispiellosen, Unerreichten.»

«Vier Arten des Verhinderns gibt es, o König: 

 

Diese vier Arten des Verhinderns gibt es, o König. Damals aber, als Māra, der Böse, in die brahmanischen Hausleute von Pañcasāla gefahren war, wurde der Erhabene weder am Genusse einer Gabe gehindert, noch wurde einer für ihn zubereiteten oder versprochenen Gabe ein Hindernis in den Weg gelegt. Denn bevor noch irgend jemand herangekommen war, ohne daß schon irgend jemand da war oder ausersehen wurde, geschah die Hinderung. Diese aber galt nicht etwa bloß dem Erhabenen, sondern von allen denen, die zu jener Zeit ausgingen und dorthin kamen, erhielt an jenem Tage auch nicht ein einziger irgendwelche Nahrungsspende. Ich sehe nämlich niemanden, o König, in der Welt mitsamt der Götter, Māras und Brahmas noch unter der Schar der Asketen, Priester, Geister und Menschen, der etwas, was für jenen Erhabenen bestimmt oder vorbereitet ist, oder was der Erhabene gerade genießt, zu verderben imstande wäre. Denn wenn einer in seinem Neide dies wirklich zu tun vermöchte, so würde ihm sein Haupt in hundert und tausend Stücke zerspringen.

Folgende vier Dinge, o König, kann keiner dem Vollendeten rauben, nämlich: 

Diese vier Dinge, o König, kann keiner dem Vollendeten rauben. Diese Dinge, o König, sind alle gleich in ihrer Beschaffenheit, sie sind frei von Hinfälligkeit, unzerstörbar, nicht gefährdet durch andere, sind unversehrbar durch irgend welche Handlung. Ungesehen, o König, und heimlich fuhr Māra, der Böse, in die brahmanischen Hausleute von Pañcasāla. Wenn da zum Beispiel, o König, in einer unzugänglichen Gegend im Grenzlande ungesehen Räuber im Hinterhalte liegen und die Straßen unsicher machen und der König die Räuber zu Gesicht bekommen sollte, würde es da wohl jenen Räubern gut ergehen?»

«Gewiß nicht, o Herr. Mit einer Axt würde man sie in hundert und tausend Stücke zerspalten.»

«Ebenso auch, o König, fuhr Māra, der Böse, ungesehen und heimlich in die Brahmanen und Hausleute von Pañcasāla. Es möchte auch eine verheiratete Frau sich wohl ungesehen und heimlich mit einem anderen Manne abgeben. Wenn sie dies aber angesichts ihres Mannes tun möchte, würde es ihr da wohl gut ergehen?»

«Gewiß nicht, o Herr. Ihr Gatte möchte sie schlagen, umbringen, binden oder versklaven.»

«Ebenso auch, o König, fuhr Māra, der Böse, ungesehen und heimlich in die brahmanischen Hausleute von Pañcasāla. Hätte aber Māra, der Böse, irgend etwas, was für den Erhabenen bestimmt oder vorbereitet war, oder das der Erhabene gerade genoß, verhindert, so wäre ihm sein Haupt in hundert und tausend Stücke zersprungen.»

«So ist es, ehrwürdiger Nāgasena. Wie ein Dieb hat Māra, der Böse, gehandelt, denn ganz heimlich ist er in die brahmanischen Hausleute von Pañcasāla gefahren. Wenn er aber irgend etwas, das für den Erhabenen bestimmt oder vorbereitet war, oder das der Erhabene gerade genoß, verwehrt hätte, so wäre ihm sein Haupt in hundert und tausend Stücke zersprungen oder sein Körper wäre zerstoben wie eine Handvoll Streu. Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena, so ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.2.6. Unwissentliches Vergehen

 

«Ihr sagt da, ehrwürdiger Nāgasena: <Wer aus Unwissen jemanden ums Leben bringt, der begeht eine größere Schuld.> Hinwiederum heißt es in einer Verkündung der Ordensdisziplin <Bei Unwissenheit rechnet ein Vergehen (āpatti) nicht.> Wenn also die erste Behauptung richtig ist, dann muß die zweite falsch sein; ist aber die zweite richtig, dann ist die erste falsch. Dies ist wiederum ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, worüber man schlecht hinaus kommt, schwer hinweg kann. Das sollst du mir nun lösen.»

«Beide Aussprüche, o König, hat der Erhabene allerdings getan. Doch hat man in letzterem zweierlei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Es gibt nämlich, o König, Vergehen (gegen die Ordensdisziplin), wo (gegenwärtiges) Unwissen freispricht und solche, wo es nicht freispricht. Und eben mit Beziehung auf die ersteren hat der Erhabene gesagt, daß bei Unwissenheit ein Vergehen nicht rechnet.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena. So ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.2.7. Die Leitung der Mönchsgemeinde

 

«Der Erhabene, ehrwürdiger Nāgasena, hat einst den Ausspruch getan: <Nicht denkt, Ananda, der Vollendete, daß er es gerade sein muß, der die Mönchsgemeinde leitet, oder daß die Mönchsgemeinde auf ihn angewiesen ist.> Doch bei Beschreibung der Charaktereigenschaften des (künftigen Buddha) Metteyya, des Erhabenen, sagt er: <Er wird eine viele Tausende zählende Mönchsgemeinde leiten, gleichwie ich da jetzt eine Gemeinde von einigen Hunderten von Mönchen leite.> Wenn also der erste Ausspruch richtig ist, muß der zweite falsch sein; ist aber der zweite richtig, so ist eben der erste falsch. Auch dies ist ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle und das du mir nun zu lösen hast.»

«Beide Aussprüche, o König, hat zwar der Erhabene getan. In diesem Probleme jedoch, o König, hat die eine Aussage einen begrenzten Sinn, die andere aber einen unbegrenzten. Nicht, o König, läuft etwa der Vollendete den Anhängern nach, sondern die Anhänger laufen dem Vollendeten nach. Der Ausdruck <ich> oder <mein> ist eine bloße landläufige Bezeichnung (sammuti), aber keine absolute Wahrheit (paramattha). Lust und Neigung, o König, sind beide im Vollendeten erloschen. Auch das Angreifen ans <mein> besteht nicht mehr für den Vollendeten, doch er ist eine Stütze für die anderen. Gleichwie, o König, die Erde der Träger und die Zuflucht der auf ihr lebenden Wesen ist und diese von ihr abhängig sind, aber dennoch der großen Erde keinerlei Neigung ankommt, etwa in dem Gedanken: <Mir gehören diese>: ebenso auch, o König, ist der Vollendete allen Wesen eine Stütze und Zuflucht, und vom Vollendeten hängen sie ab. Aber dennoch kommt den Vollendeten keinerlei Neigung an, etwa in dem Gedanken: <Mir gehören diese.> Oder gleichwie die große, gewaltige Wolke, die hernieder regnet, Gräsern, Bäumen, Tieren und Menschen zum Segen gereicht und sie am Leben erhält, aber dennoch der großen Wolke keinerlei Neigung ankommt, als wie: <Mir gehören diese>: ebenso auch, o König, ist der Vollendete der Schöpfer und Erhalter der guten Eigenschaften aller Wesen, und sie alle leben in Abhängigkeit von dem Meister. Aber dennoch kommt den Vollendeten keinerlei Neigung an, etwa in dem Gedanken: <Mir gehören diese.> Und warum nicht? Weil eben der Ichwahn in ihm erloschen ist.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena. Gut gelöst hast du das Problem durch mancherlei Beispiele. Du hast dieses tiefsinnige Problem offenbar gemacht, den Knoten zerteilt, das Dickicht gelichtet, die Finsternis erhellt. Die Behauptungen der Gegner aber hast du zerschmettert und den Jüngern des Siegers die Augen geöffnet.»

 


Mil. 4.2.8. Unentzweibare Anhängerschaft

 

«Ihr sagt da, ehrwürdiger Nāgasena, daß die Anhängerschaft des Vollendeten nicht entzweit werden könne. Andererseits aber sagt ihr, daß Devadatta auf einen Schlag fünfhundert Mönche abtrünnig machte. Wenn also die erste Aussage richtig ist, so muß eben die zweite falsch sein; ist aber die zweite richtig, so ist die erste falsch. Dies ist wiederum ein zweischneidiges Problem, das ich dir da stelle, tiefsinnig, schwer zu enthüllen, verknüpfter denn ein Knoten. In diesem Punkte ist nämlich der Menschen Blick beschränkt, gehemmt, gehindert, verschlossen, gänzlich verhüllt. So beweise denn hier die Fähigkeit deiner Einsicht angesichts der Behauptungen der Gegner!»

«Die Anhängerschaft des Vollendeten, o König, kann nicht entzweit werden. Und doch hat Devadatta auf einen Schlag fünfhundert Mönche abtrünnig gemacht. Dies geschah aber bloß unter dem Einfluss dieses Zwiespaltstifters. Denn wo ein Zwiespaltstifter ist, da gibt es nichts, was nicht entzweit werden könnte. Da entzweit sich gar die Mutter mit ihrem Sohne, der Sohn mit seiner Mutter, der Vater mit seinem Sohne, der Sohn mit seinem Vater. Da entzweit sich Bruder mit Schwester, Schwester mit Bruder, Freund mit Freund. Auch ein aus vielerlei Hölzern gezimmertes Schiff muß infolge der Gewalt und des Anpralles der Wogen zerschellen. Und ein mit nektargleichen, reifen Früchten beladener Baum muß brechen, wenn er gerüttelt wird unter dem Einfluss und der Gewalt des Sturmes. Ja, selbst das feinste Gold zerbricht unter dem Einfluss des Erzes. Aber dennoch, o König, ist es nicht die Absicht der Verständigen, hat nicht die Zustimmung der Erleuchteten, ist nicht der Wunsch der Weisen, daß die Anhängerschaft des Vollendeten entzweit werden könne. Denn es gibt einen gewissen Grund, weshalb man die Anhängerschaft des Vollendeten unentzweibar nennt. Man hat nämlich noch nie davon gehört, daß irgendwie durch das Verhalten des Vollendeten - sei es durch Mangel an Freigebigkeit, freundlichen Worten, wohlwollendem Benehmen oder Unparteilichkeit - seine Anhängerschaft entzweit wurde. In diesem Sinne eben heißt es, daß die Anhängerschaft des Vollendeten unentzweibar ist. Und es dürfte dir, o König, auch dies bekannt sein, ob es irgendwo im neungliedrigen Buddha-Wort einen Lehrtext (Sutta) gibt, wonach durch das von einem Anwärter auf die Buddhaschaft (Bodhisatta) Getane des Vollendeten Anhängerschaft entzweit worden wäre.»

«Eine solche Stelle findet sich nicht, o Herr. Davon hat man in aller Welt noch nichts gesehen oder gehört. Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena. Es ist so. Ich gebe es zu.»


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