Der Weg zur Erlösung

Die vier göttlichen Verweilungszustände

 

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Die vier „göttlichen Verweilungszustände" (brahma-vihāra), auch die vier „Unermeßlichkeiten" genannt, sind: Güte, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut. Der häufig vorkommende Suttentext zu diesen vier Meditationsobjekten lautet:

 

D.33

Vier Unermeßlichkeiten (appamaññā) gibt es, ihr Brüder:

Da, ihr Brüder, durchdringt der Mönch mit einem von der Allgüte (metta) erfüllten Geiste erst eine Himmelsrichtung, darauf ebenso die zweite, die dritte und die vierte; und sich selber in allem wiedererkennend*), durchdringt er nach oben, unten, überall die ganze Welt mit einem von Allgüte erfüllten Geiste, einem weiten, entfalteten, unbeschränkten, frei von Groll und Übelwollen.

 

*) sabbattatāya (sich selber in allem wiedererkennend) bedeutet: Alle Wesen, niedrige, mittlere, erhabene, Feinde, Freunde, Gleichgültige usw. wie sein eigenes Ich (atta) betrachtend, d. h. alle sich selber gleichsetzend, ohne zu untersuchen, ob dieser oder jener ein fremdes Wesen sei. Oder der Ausdruck besagt: ,mit ganzem Herzensanteil’, ohne auch nur den geringsten Teil davon auszuschließen. (Vis. IX, 1) Eine andere Lesart ist sabbatthatāya.

 

Er durchdringt mit einem von Mitleid (karunā) . . . von Mitfreude (muditā) . . . von Gleichmut (upekkhā) erfüllten Geiste erst eine Himmelsrichtung, darauf ebenso die zweite, die dritte und die vierte; und sich selber in allem wiedererkennend, durchdringt er nach oben, unten, überall die ganze Welt mit einem von Mitleid . . . Mitfreude . . . Gleichmut erfüllten Geiste, einem weiten, entfalteten, unbeschränkten, frei von Groll und Übelwollen.

 

107

 

1. Die Entfaltung der Allgüte (mettā-bhāvanā)

 

Vor dem Beginn dieser Übung soll der Übende zuallererst über den Unsegen des Hasses und den Segen der Nachgiebigkeit und Güte nachdenken. Solange man nämlich den Unsegen einer Sache nicht erkannt hat, solange kann man diese nicht überwinden. Ebenso kann man keinen Zustand erreichen, dessen Segen man nicht vorher erkannt hat, wie es heißt:

 

A.III.55

Aus Haß, Brahmane, vom Hasse überwältigt, gefesselten Geistes, führt man einen schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken und kennt in Wirklichkeit weder das eigene noch des andern Heil, noch das beiderseitige Heil. Ist aber der Haß aufgehoben, so führt man weder in Werken noch in Worten noch in Gedanken einen schlechten Wandel und erkennt in Wirklichkeit das eigene Heil, des anderen Heil und das beiderseitige Heil.

 

108

A.XI.16

Hat man, ihr Mönche, die Allgüte, die gemüterlösende, gepflegt, entfaltet, zur Triebfeder und Grundlage gemacht, gefestigt, großgezogen und zur rechten Vollendung gebracht, so hat man einen elffachen Segen zu erwarten: Welchen elffachen Segen?

Man schläft friedlich, erwacht friedlich, hat keine bösen Träume, ist den Menschen lieb, ist den Geistern lieb, die Himmelswesen schützen einen; Feuer, Gift und Waffen haben einem nichts an; der verworrene Geist sammelt sich, der Gesichtsausdruck klärt sich, man hat einen ungetrübten Tod; und sollte man nicht noch zu Höherem durchdringen, so wird man in der Brahmawelt wiedergeboren.

 

109

 

In Vibh. XIII heißt es: „Wie aber, ihr Mönche, durchdringt der Mönch mit einem von Allgüte erfüllten Geiste zuerst eine Richtung? Gleichwie man da beim Anblick eines lieben, angenehmen Menschen Güte empfinden mag, so durchdringt er mit Güte alle Wesen."

 

Pts. II, 130

Auf welche fünf Weisen vollzieht sich die unbegrenzte, durchdringende Erlösung durch Güte? Mögen alle Wesen frei sein von Haß, Bedrückung und Beklemmung! Mögen sie ihr Leben glücklich verbringen! Möge alles, was atmet, alle Geschöpfe, alle Individuen, alle im persönlichen Dasein Einbegriffenen, frei sein von Haß, Bedrückung und Beklemmung. Mögen alle ihr Leben glücklich verbringen.

 

 

Snp. 145

Ach, möchten alle Wesen glücklich sein, voll Frieden, im Herzen ganz von innerem Glück erfüllt.

 

Nach den Anweisungen des Vis. richte man nicht gleich von Anfang an die Güte auf eine unliebe oder sehr liebe oder gleichgültige Person, auch nicht auf einen Feind oder eine Person des anderen Geschlechts. Sondern mit sich selber soll man zuallererst beginnen: ,So laß mich denn glücklich sein, frei von Leiden !’ Oder: ,Möchte ich doch mein Leben glücklich verbringen!’

Dann soll man denken: ,Gerade wie ich die Freude liebe und das Leiden verabscheue, wie ich zu leben und nicht zu sterben wünsche, genau so geht es den anderen Menschen.’ Auch der Buddha sagt:

 

110

S.3.8

Jedwede Richtung mit dem Geist durchstreifend
Traf keinen ich, den man mehr liebte als sich selbst.
So ist den andern allen lieb ihr eignes Selbst.
Drum, allen Gutes wünschend, tu man keinem weh!

 

Zuerst also richte man die Güte auf sich selber, dann auf seinen ehrwürdigen Unterweiser oder eine ähnliche Person und gedenke seines reinen Lebenswandels, seiner Einsicht usw. und sage sich: ,Möge doch dieser gute, edle Mensch glücklich sein, frei von Leiden.’ Darauf strahle man die Güte aus auf seinen lieben Freund, dann auf einen Gleichgültigen, dann auf seinen Feind. Sollte einem aber dabei Groll aufsteigen, so vertiefe man sich vorläufig wieder in die Güte zu den erstgenannten Personen. Sollte der Mönch aber, selbst nach Erreichung der Vertiefungen, noch immer Groll gegen den Feind empfinden, so denke er an das Gleichnis von der Säge usw. und sage sich: Pfui, du wütiger Mensch, hat denn nicht der Erhabene gesagt:

 

111

M.21

„Sollten da, ihr Mönche, Räuber oder Mörder einem mit einer doppelgriffigen Säge Glied für Glied abtrennen, so würde derjenige, der dabei den Geist in Wut geraten ließe, meine Weisung nicht erfüllen. So hat man sich denn dabei also zu üben: ,Nicht soll unser Geist eine Veränderung erfahren! Kein übles Wort wollen wir ausstoßen, freundlich und mitleidig wollen wir bleiben, gütig im Herzen, nicht voll inneren Grolles, und jenen Menschen wollen wir mit einem von Allgüte erfüllten Geiste durchstrahlen; und von ihm ausgehend wollen wir dann die ganze Welt mit einem von Allgüte erfüllten Geist durchstrahlen, mit weitem, entfaltetem, unbeschränktem, frei von Groll und Übelwollen.’ So, ihr Mönche, hat man sich zu üben.

 

 

112

S.7.2

Wer Haß mit Haß vergilt, der ist
Noch schlimmer als der andere;
Doch wer dem Hasser keinen Haß zeigt,
Gewinnet den gar schweren Kampf.

 

Zum Heile beider wandelt er,
Zum eignen wie zum fremden Heil,
Wer, andere im Zorne wissend,
Beruhigt bleibet, klarbewußt.

 

113

A.VII.60

Nicht merkt der Hasser auf sein Heil,
Die Wahrheit mag er nicht versteh’n;
Denn Finsternis und Blindheit herrscht,
Wo Haß den Menschen niederzwingt.

 

Was auch der Hassende zerstört,
Sei’s mühsam, sei es leicht zu tun,
Sobald der Haß erloschen ist,
Wird wie vom Feuer er verzehrt.

 

Ist erst der Haß einmal entfacht,
Durch den die Welt in Wut entflammt,
Legt er Erregung an den Tag,
Gleichwie dem Feuer Rauch entströmt.

 

Nicht kennt er Schamgefühl noch Scheu,
Ist ohne Achtung, wenn er spricht;
Und von dem Hasse übermannt
Er nirgends findet einen Halt.

 

Sich selbst hat jedermann zum Freund,
Sich selber hat am liebsten man,
Und doch im Zorn bringt man sich um,
Von mannigfachem Wahn betört.

 

Wer andere ums Leben bringt,
Wer selber sich das Leben nimmt,
Von Zorn beseelt, besessen ist,
Dem fehlt es an dem rechten Blick.

 

So mag denn aus dem Zorn entsteh’n
Ein ganz versteckter Todesstrick,
Den schneidet durch voll Selbstbeherrschung,
Erkenntnis, Weisheit, Strebsamkeit!

 

So wie der einsichtsvolle Mensch
Ertötet diesen bösen Trieb,
So sollt ihr euch im Guten üben,
Daß euch der Wahn nicht packen kann.

 

Frei von Haß, frei von Verzweiflung,
Frei von Gier, frei von Verlangen,
Läßt vom Hasse der Bezähmte,
Von der Leidenschaf erlöst.

 

Gelingt es nun dem Übenden trotz all dieser Bemühungen noch immer nicht, seinen Groll zu bändigen, so denke er an gewisse edle Eigenschaften seines Feindes und übersehe dabei alles Böse an ihm. Gelingt es ihm auch dann noch nicht, über seinen Groll Herr zu werden, so erinnere er sich der Worte des Buddha:

 

114

A.V.161

Es gibt, ihr Mönche, fünf Mittel, den Groll zu überwinden, wodurch der im Mönche aufgestiegene Groll überwunden werden sollte. Welche fünf? Hinsichtlich eines Menschen, ihr Mönche, gegen den Groll aufsteigen möchte, hat man Allgüte zu erwecken . . . Mitleid zu erwecken . . . Gleichmut zu erwecken . . . oder man hat ihm keine Beachtung und Aufmerksamkeit zu schenken; . . . oder man hat sich das Gesetz der Tatenvererbung (Karma) zu vergegenwärtigen, daß nämlich dieser Verehrte Eigner und Erbe seiner Taten ist, seinen Taten entsprossen und mit ihnen verknüpft ist, sie zur Zuflucht hat und die Wirkung dieser heilsamen und unheilsamen Taten, die er verübt, zum Erbe haben wird. Auf diese Weise hat er den Groll zu überwinden.

 

115

 

Die Quelle der folgenden, im Vis. zitierten Verse konnte nicht ermittelt werden.

 

Hat dir im eigenen Bereich
Der Feind ein Leiden zugefügt,
Was quälst du dann den eignen Geist,
Der nicht im Feindbereiche liegt?

 

Die hilfsbereite eigne Sippe
Einst weinend du verlassen hast;
Warum nicht deinen Feind, den Groll,
Der dir so großes Unheil bringt?

 

Du spielest ja mit jenem Groll,
Der von der Wurzel aus zerstört
Die Sittlichkeit, die du befolgst!
Gibt’s einen größren Narr’n als dich?

 

Weil dir ein andrer Böses tat,
Gerätst du da in Zorn und Wut;
Warum denn willst du selber nun
Verüben solche böse Tat?

 

Wenn da ein andrer, dich zu ärgern,
Dir Unliebes hat zugefügt,
Was ärgerst du dich selber dann
Und stillest deines Feindes Wunsch?

 

Ob du in deinem Zorne ihm
Ein Leiden zufügst oder nicht:
Dich selbst quälst du auf jeden Fall
Mit dem aus Zorn gebor’nen Leid.

 

Wenn Feinde da in blindem Zorn
Dabei sind, dich zu schädigen,
Was folgest du da ihrem Beispiel
Und hegest selber Zorn in dir?

 

Der Zorn und Haß, auf den gestützt
Der Feind dir Unliebes getan,
Ja, diesen Zorn zerstöre du!
Was quälst du dich da ohne Grund?

 

Da alles jeden Augenblick
Vergeht, so sind vergangen auch
Die Gruppen, die dir Böses taten:
Wem zürnest du denn also da?

 

Wenn einer anderen wehe tut,
Wem tut er wehe außer sich?
Du selber bist dein Leidensgrund,
Was zürnest du dem andern noch?

 

116

Wenn dem Übenden der Groll auch dann nicht schwindet, soll er sich fragen, gegen wen er denn eigentlich Groll empfinde, etwa gegen die Körperlichkeit oder das Gefühl oder die Wahrnehmung oder die Geistesformationen oder gegen das Bewußtsein des anderen? Denn ein Individuum ist doch da im höchsten Sinne gar nicht zu finden.

Als ein beinahe unfehlbares Mittel, das Feindschaftsgefühl zu überwinden, gilt es, wenn man dem Feinde ein Geschenk macht oder mir ihm Geschenke austauscht. Auch mag man bedenken, daß der Feind in früheren Geburten vielleicht ein sehr naher Verwandter von uns gewesen war, wie es heißt:

 

S.15.14-19

Nicht leicht ist es, ihr Mönche, irgend ein Wesen zu finden, das nicht schon irgend einmal auf dieser langen Wanderung eure Mutter gewesen wäre oder euer Vater oder Bruder oder Schwester oder Sohn oder eure Tochter.

 

Allgüte (mettā-sutta)

117

Snp. 143-152 und Khp. IX

 

Wer da aufs eigne Heil bedacht ist,
Nachdem die stille Stätte er erschaut,
Sei tüchtig, offen, aufrichtig,
Willfährig, milde, ohne Stolz,

 

Genügsam und leicht zu befriedigen,
Sei nicht geschäftig, sei bedürfnislos,
Gestillt in seinen Sinnen, sei er weise,
Kein Schwätzer, nicht voll Gier in fremdem Haus.

 

Begehe nicht einmal den kleinsten Fehltritt,
Für den ihn weise Brüder tadeln könnten.
Mög’ allen Wesen Glück und Frieden werden,
Und mögen alle frohen Herzens sein!

 

Was es an Wesen und Geschöpfen gibt,
Ob schwach sie sind, ob stark sie sind,
Ob lang, ob kurz, ob dick, ob dünn,
Ob groß, klein, mittlerer Gestalt,

 

Ob sichtbar oder unsichtbar,
Ob ferne weilend oder nah
Geboren oder ungebor’n:
Ach, möchten alle glücklich sein!

 

Nicht mög’ man miteinander zanken,
Verachten nicht, warum auch immer,
Auch nicht in Groll und Zornesstimmung
Sich gegenseitig wünschen Leid.

 

Gleichwie ihr eignes einz’ges Kind
Die Mutter mit dem Leben schützt,
So möge man zu allen Wesen
Das Herz entfalten unbeschränkt.

 

Zur ganzen Welt entfalte man
Ein Herz voll Güte, unbeschränkt,
Nach oben, unten, überall,
Von Zwang und Haß und Feindschaft frei.

 

Ob gehend, stehend, sitzend oder liegend,
Solange man von Mattheit frei ist,
Mög’ dieser Übung man ergeben sein,
Die als das göttliche Verweilen gilt.

 

Wer keiner Ansicht ist verfallen
Und sittenrein ist, voll Erkenntnis,
Die Sinnengier ganz überwand,
Der tritt in keinen Mutterleib mehr ein.

 

118

Jt. 27

Gesprochen wurde dies vom Erhabenen, gesprochen vom Heiligen. So habe ich es gehört:

Was immer es, ihr Mönche, an weltlichen verdienstwirkenden Dingen gibt, alle diese sind nicht wert ein Sechzehntel der herzerlösenden Allgüte. Sie alle überstrahlend scheint und leuchtet die herzerlösende Allgüte.

Gleichwie, ihr Mönche, das Licht aller Sterne nicht ein Sechzehntel des Mondlichtes ausmacht, sondern eben das Licht des Mondes sie alle überstrahlend scheint und leuchtet, so auch, ihr Mönche, was immer es an weltlichen verdienstwirkenden Dingen gibt, alle diese sind nicht wert ein Sechzehntel der herzerlösenden Allgüte. Sie alle überstrahlend scheint und leuchtet die herzerlösende Allgüte.

Gleichwie, ihr Mönche, im Herbst, im letzten Monat der Regenzeit, bei klarem, wolkenlosem Himmel die Sonne am Himmelsgewölbe emporsteigend und die Finsternis des ganzen Weltenraumes verscheuchend strahlt, scheint und leuchtet, so auch, ihr Mönche, was immer es an verdienstwirkenden Dingen gibt, alle diese sind nicht wert ein sechzehntel der herzerlösenden Allgüte. Sie alle überstrahlend scheint und leuchtet die herzerlösende Allgüte.

Gleichwie, ihr Mönche, zur Dunkelheit am frühen Morgen der Morgenstern strahlt, scheint und leuchtet, so auch, ihr Mönche, was immer es an weltlichen verdienstwirkenden Dingen gibt, alle diese sind nicht wert ein Sechzehntel der herzerlösenden Allgüte. Sie alle überstrahlend scheint und leuchtet die herzerlösende Allgüte.


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