Anguttara Nikaya

17. Kapitel: āghāta-vagga

A.V. 161 Fünf Mittel zur Überwindung des Grolls I

Fünf Mittel gibt es, ihr Mönche, zur Überwindung des Grolls, durch die der im Mönche aufgestiegene Groll völlig überwunden werden sollte. Welche fünf?

Wenn, ihr Mönche, Groll gegen einen Menschen entsteht, so soll man ihm gegenüber Güte entfalten, Mitleid entfalten, Gleichmut entfalten (*1), soll man ihm keine Beachtung und Aufmerksamkeit schenken, soll man sich bei jenem Menschen das Gesetz der Tateneignerschaft (*2) derart vergewärtigen: 'Eigner seiner Taten ist dieser Verehrte, Erbe der Taten, ist den Taten entsprossen, mit ihnen verknüpft, hat sie zur Zuflucht, und die guten und bösen Taten, die er tut, wird er zum Erbe haben. ' Auf diese Weise soll man den Groll gegen jenen Menschen überwinden.

Dies sind die fünf Mittel, ihr Mönche, zur Überwindung des Grolls, durch die der im Mönche aufgestiegene Groll völlig überwunden werden sollte.


(*1) Dies sind drei der vier 'Erhabenen Weilungen' (brahmavihāra). Die vierte, Mitfreude, ist hier nicht genannt, weil sie sich, lt. K, nicht aufrechterhalten läßt, solange der Ärger dem betreffenden Menschen gegenüber noch nicht nachgelassen hat.

(*2) kamma-ssakatā; d.i. die Verantwortlichkeit für das eigene Tun (kamma).


A.V. 162 Fünf Mittel zur Überwindung des Grolls II

Der ehrwürdige Sāriputta sprach also:

»Fünf Mittel gibt es, ihr Brüder, zur Überwindung des Grolls, durch die der im Mönche aufgestiegene Groll völlig überwunden werden sollte. Welche fünf?

Da ist, ihr Brüder, ein Mensch von unlauterem Wandel in Werken, aber von lauterem Wandel in Worten. Gegen einen solchen Menschen soll man den Groll überwinden.

Da ist ein Mensch von unlauterem Wandel in Worten, aber von lauterem Wandel in Werken. Auch gegen einen solchen Menschen soll man den Groll überwinden.

Da ist ein Mensch von unlauterem Wandel in Werken und Worten, aber von Zeit zu Zeit öffnet (*1) sich sein Herz, erlangt sein Herz Zuversicht. Auch gegen einen solchen Menschen soll man den Groll überwinden.

Da ist ein Mensch von unlauterem Wandel in Werken und Worten, und nicht öffnet sich von Zeit zu Zeit sein Herz und erlangt Zuversicht. Auch gegen einen solchen Menschen soll man den Groll überwinden.

Da ist ein Mensch von lauterem Wandel in Werken und Worten, und von Zeit zu Zeit öffnet sich sein Herz und erlangt Zuversicht. Auch gegen einen solchen Menschen soll man den Groll überwinden.

Wie aber, ihr Brüder, soll man den Groll gegen diese Menschen überwinden?

Gleichwie, ihr Brüder, ein sich in Flickengewänder kleidender Mönch auf der Straße einen Fetzen erblickt, denselben mit dem linken Fuße festhält und mit dem rechten ausbreitet und, was es daran an festem Stoff gibt, abschneidet und mitnimmt; ebenso auch, ihr Brüder, hat man bei einem Menschen von unlauterem Wandel in Werken, aber lauteren Wandel in Worten, bei jener Gelegenheit nicht etwa seine Unlauterkeit in Werken zu erwägen, wohl aber seine Lauterkeit in Worten. Auf diese Weise soll man den Groll gegen jenen Menschen überwinden.

Gesetzt, ihr Brüder, es befinde sich da ein mit Moos und Wasserpflanzen bedeckter Teich. Und ein Mann, glühend vor Hitze, von der Hitze überwältigt, ermattet, durstig, von Durst gequält, käme des Weges daher. Und er stiege zu jenem Teiche hinab, entfernte mit beiden Händen hier und da das Moos und die Wasserpflanzen, tränke aus seinen hohlen Händen und ginge dann seines Weges. Ebenso auch, ihr Brüder, hat man bei einem Menschen von unlauterem Wandel in Worten, aber lauteren Wandel in Werken, bei jener Gelegenheit nicht etwa seine Unlauterkeit in Worten zu erwägen, wohl aber seine Lauterkeit in Werken. Auf diese Weise soll man den Groll gegen jenen Menschen überwinden.

Gesetzt, ihr Brüder, es befinde sich da ein wenig Wasser in der Hufspur eines Rindes. Und ein Mann, glühend vor Hitze, von der Hitze überwältigt, ermattet, durstig, von Durst gequält, käme des Weges daher. Der dächte: 'Wenn ich dieses wenige in der Rinderhufspur befindliche Wasser mit der Hand oder einem Gefäße trinke, so würde ich es aufstören und aufwühlen und ungenießbar machen. So will ich mich lieber auf allen Vieren niederlassen und wie eine Kuh das Wasser schlürfen und dann weitergehen.' Und er täte so. Ebenso auch, ihr Brüder, soll man bei einem Menschen von unlauterem Wandel in Werken und in Worten, dessen Herz aber sich von Zeit zu Zeit öffnet und Zuversicht erlangt, bei jener Gelegenheit nicht etwa seine Unlauterkeit in Werken und Worten erwägen; wohl aber soll man daran denken, daß sich sein Herz von Zeit zu Zeit öffnet und Zuversicht erlangt. Auf diese Weise soll man den Groll gegen jenen Menschen überwinden.

Gesetzt, ihr Brüder, ein siecher, leidender, schwer kranker Mann wanderte eine lange Straße entlang. Sowohl das Dorf hinter ihm als auch das Dorf vor ihm lägen in weiter Ferne. Und er fände keine passenden Speisen und Heilmittel, keinen passenden Pfleger und keinen, der ihm den Weg wiese. Ein Mann aber, der des Weges einherzöge, erblickte ihn. Und er empfände für ihn Mitleid, Liebe und Wohlwollen und dächte: 'Ach, daß doch dieser Mann passende Speise und Heilmittel fände, sowie einen passenden Pfleger und einen, der ihm den Weg weist, damit er nicht umkomme!' Ebenso auch, ihr Brüder, hat man für einen Menschen von unlauterem Wandel in Werken und Worten, dessen Herz sich nicht von Zeit zu Zeit öffnet und Zuversicht erlangt, Mitleid, Liebe und Wohlwollen zu empfinden und zu denken: 'Ach, daß doch dieser Verehrte seinen schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken aufgeben und einen guten Wandel in Werken, Worten und Gedanken pflegen möchte, auf daß er nicht, beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, in niedere Welten gerät, auf eine Leidensfährte, in die Daseinsabgründe, zur Hölle!' Auf diese Weise soll man den Groll gegen jenen Menschen überwinden.

Gesetzt, ihr Brüder, es befände sich da ein Teich mit klarem, erfrischendem, kühlem, silberhellem Wasser, schön gelegen, entzückend, von zahlreichen Bäumen beschattet. Und ein Mann, glühend vor Hitze, von der Hitze überwältigt, ermattet, durstig, von Durst gequält, käme des Weges daher. Und er stiege in jenen Teich, badete sich und tränke vom Wasser. Darauf stiege er wieder heraus und setzte oder legte sich dort im Schatten der Bäume nieder. Ebenso auch, ihr Brüder, soll man bei einem Menschen von lauterem Wandel in Werken und Worten, dessen Herz sich von Zeit zu Zeit öffnet und Zuversicht erlangt, bei jener Gelegenheit seinen lauteren Wandel in Werken und Worten erwägen und bedenken, daß sein Herz von Zeit zu Zeit sich öffnet und Zuversicht erlangt. Auf diese Weise soll man den Groll gegen jenen Menschen überwinden.

Bei einem in jeder Hinsicht Zutrauen erweckenden Menschen, ihr Brüder, kommt der Geist zur Ruhe.


(*1) Durch die Übung von Geistesruhe (samatha) und Hellblick (vipassanā).


A.V. 163-164 Der würdige Ordensbruder

(Wie Text 65-66; der Sprecher ist hier jedoch Sāriputta.)


A.V. 165 Warum man Fragen stellt

Der ehrwürdige Sāriputta sprach also:

»Wer auch immer, ihr Brüder, einem anderen eine Frage stellt, der tut es immer aus fünf Gründen oder aus einem von diesen. Welches sind diese fünf Gründe?

  1. Aus Dummheit und Torheit, 
  2. aus übler Absicht und Begehrlichkeit, 
  3. aus Verachtung, 
  4. aus Wißbegierde oder 
  5. im Gedanken: 'Wenn jener die von mir gestellte Frage richtig beantwortet, so ist es gut; wenn nicht, so werde ich sie ihm richtig beantworten.' 

Wer auch immer einem anderen eine Frage stellt, ihr Brüder, der tut es stets aus einem dieser fünf Gründe. Ich aber, Brüder, stelle anderen eine Frage im Gedanken: 'Wenn jener die von mir gestellte Frage richtig beantwortet, so ist es gut; wenn nicht, so werde ich sie ihm richtig beantworten.'«


A.V. 166 Udāyi widerspricht Sāriputta

Der ehrwürdige Sāriputta sprach:

»Wohl ist es möglich, ihr Brüder, daß ein Mönch, der Sittlichkeit, Sammlung und Weisheit besitzt, die 'Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl' (*1) erreicht und sich daraus wieder erhebt. Wenn nun dieser nicht schon bei Lebzeiten das Heiligkeitswissen erreicht, so mag er, jenseits der von grobstofflicher Nahrung lebenden Himmelswesen (*2), in einer geistgezeugten Welt (*3) wiedererscheinend, auch dort in die 'Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl' eintreten und sich wieder daraus erheben. Das ist wohl möglich.«

Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Udāyi zum ehrwürdigen Sāriputta: »Unmöglich ist es, Bruder Sāriputta, es kann nicht sein, daß jener Mönch, der jenseits der von grobstofflicher Nahrung lebenden Himmelswesen in einer geistgezeugten Welt wiedererscheint, dort die 'Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl' erreicht und sich daraus wieder erhebt.«

Und zum zweiten Male und dritten Male tat der ehrwürdige Sāriputta seinen Ausspruch. Und zum zweiten und dritten Male widersprach ihm der ehrwürdige Udāyi. Da dachte der ehrwürdige Sāriputta: »Wahrlich, gar dreimal widerspricht mir der ehrwürdige Udāyi, und keiner der Mönche stimmt mir zu. So will ich denn zum Erhabenen gehen.« Und er begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Und der ehrwürdige Sāriputta wandte sich sodann an die Mönche und tat den früheren Ausspruch. Und wiederum widersprach ihm dreimal der ehrwürdige Udāyi.

Da dachte der ehrwürdige Sāriputta: »Selbst im Beisein des Erhabenen widerspricht mir dreimal der ehrwürdige Udāyi, und keiner der Mönche stimmt mir zu. So will ich denn schweigen.« Und der ehrwürdige Sāriputta schwieg.

Da aber wandte sich der Erhabene an den ehrwürdigen Udāyi und sprach:

»An welche geistgezeugte Welt denkst du da, Udāyi?« -

»An die unkörperlichen, durch Wahrnehmung gezeugten Himmelswesen (*4), o Herr.« -

»Was willst du mit deinen Reden, du Tor, du unwissender Mensch! Du glaubst wohl, auch etwas sagen zu müssen!«

Und der Erhabene wandte sich an den ehrwürdigen Ananda: »Wenn, Ananda, ein älterer Mönch angegriffen wird, dürft ihr da wohl gleichgültig bleiben? Solltet ihr da nicht, Ananda, mit ihm Mitgefühl haben?«

Und zu den Mönchen gewandt, sprach er: »Wohl ist es möglich, ihr Mönche, daß ein Mönch, der Sittlichkeit, Sammlung und Weisheit besitzt, die 'Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl' erreicht und sich daraus wieder erhebt. Wenn nun dieser nicht schon bei Lebzeiten das Heiligkeitswissen erreicht, so mag er, jenseits der von grobstoffticher Nahrung lebenden Himmelswesen in einer geistgezeugten Welt wiedererscheinend, auch dort in die 'Aufhebung von Wahrnehmung und Gefühl' eintreten und sich daraus wieder erheben. Das ist wohl möglich.«

Also sprach der Erhabene und nach diesen Worten erhob er sich und begab sich in seine Zelle.

Kurz nachdem aber der Erhabene gegangen war, trat der ehrwürdige Ananda zum ehrwürdigen Upavāna und sprach:

»Es greifen da hier einige einen älteren Mönch an, Bruder Upavāna, und wir haben uns dazu nicht geäußert. Nicht zu verwundern wäre es, wenn der Erhabene, nachdem er sich abends aus seiner Abgeschiedenheit erhoben hat, die Sache vorbringen würde. Möchte dann dem ehrwürdigen Upavāna eine Erwiderung einfallen. Wir selber sind schon jetzt beunruhigt darüber.«

Nachdem nun der Erhabene sich abends aus seiner Abgeschiedenheit erhoben hatte, begab er sich zur Empfangshalle, setzte sich dort auf vorbereitetem Sitze nieder und sprach zum ehrwürdigen Upavāna also:

»Mit wievielen Eigenschaften ausgestattet, Upavāna, wird wohl der ältere Mönch von seinen Ordensbrüdern geliebt, geschätzt, geachtet und geehrt?« -

»Mit fünf Eigenschaften, o Herr. Wenn er sittenrein ist, wissensreich, ein guter Redner; wenn er teilhaftig ist der vier Vertiefungen und wenn er durch Versiegung der Triebe noch bei Lebzeiten die triebfreie Gemütserlösung und Weisheitserlösung erreicht hat, sie selber erkennend und verwirklichend. Mit diesen fünf Eigenschaften ausgestattet, o Herr, wird der ältere Mönch von seinen Ordensbrüdern geliebt, geschätzt, geachtet und geehrt.« -

»Recht so, recht so, Upavāna! Mit diesen fünf Eigenschaften ausgestattet, Upavāna, wird der ältere Mönch von seinen Ordensbrüdern geliebt, geschätzt, geachtet und geehrt. Sind nämlich beim älteren Mönch diese fünf Eigenschaften nicht anzutreffen, aus welchem Grunde sollten ihn dann wohl seine Ordensbrüder lieben, schätzen, achten und ehren? Etwa weil er gebrechlich, ergraut und runzlig ist? Wahrlich, Upavāna, wenn bei einem älteren Mönche diese fünf Eigenschaften anzutreffen sind, dann lieben, schätzen, achten und ehren ihn seine Ordensbrüder.«


(*1) saññā-vedayita-nirodha oder nirodha-samāpatti ist die letzte Stufe der neun meditativen Erreichungszustände (samāpatti); vgl. VisM 844.

(*2) D.i. die den Himmelswelten der Sinnensphäre (kāmāvacara) angehörenden Gottheiten.

(*3) manomayam kāyam. Dies bezieht sich lt. K. auf eine zu den 'Lauteren Gefilden' (suddhāvāsa) gehörende Himmelswelt, erzeugt durch das Vertiefungsbewußtsein der feinkörperlichen Sphäre (rūpajjhāna).

(*4) devā arūpino saññā-mayā. Udāyi glaubte nämlich, daß die 'geisterzeugte Welt' sich in der Unkörperlichen Sphäre (arūpāvacara) befindet; sie gehört jedoch der Feinkörperlichen Sphäre an.


A.V. 167 Vom Tadeln

Der ehrwürdige Sāriputta sprach also:

»Der einen Tadel aussprechende Mönch, ihr Brüder, soll, wenn er einen anderen tadeln will, sich dabei fünf Dinge gegenwärtig halten. Welche fünf?

'Zur rechten Zeit will ich zu ihm sprechen, nicht zur Unzeit (*1). Den Tatsachen gemäß will ich sprechen, nicht im Widerspruch zu den Tatsachen. Höflich will ich sprechen, nicht grob. Zweckmäßig will ich sprechen, nicht unzweckmäßig. In liebevoller Gesinnung will ich sprechen, nicht aus innerer Bosheit.' Der einen Tadel aussprechende Mönch, ihr Brüder, soll, wenn er einen anderen tadeln will, sich dabei diese fünf Dinge gegenwärtig halten.

Da, ihr Brüder, sehe ich einen Menschen, der erregt wird, wenn er zur Unzeit getadelt wird und nicht zur rechten Zeit; wenn er unberechtigt getadelt wird und nicht berechtigt; wenn er grob getadelt wird und nicht höflich; wenn er unzweckmäßig getadelt wird und nicht zweckmäßig; wenn er aus innerer Bosheit getadelt wird und nicht in liebevoller Gesinnung.

In dem unrechtmäßig getadelten Mönche, ihr Brüder, hat man in fünffacher Weise das Gefühl der Unschuld zu wecken, nämlich: 'Zur Unzeit wurde der Verehrte getadelt, nicht zur rechten Zeit; unberechtigt, nicht berechtigt; grob, nicht höflich; unzweckmäßig nicht zweckmäßig; aus innerer Bosheit, nicht in liebevoller Gesinnung. Recht ist es, wenn du dich unschuldig fühlst.' Im unrechtmäßig getadelten Mönche hat man in dieser fünffachen Weise das Gefühl der Unschuld zu wecken.

In dem unrechtmäßig tadelnden Mönche aber, ihr Brüder, hat man in fünffacher Weise das Gefühl der Reue zu wecken, nämlich: 'Zur Unzeit hat der Verehrte getadelt und nicht zur rechten Zeit; unberechtigt, nicht berechtigt; grob, nicht höflich; unzweckmäßig, nicht zweckmäßig; aus innerer Bosheit, nicht in liebevoller Gesinnung. Angebracht ist es, wenn du Reue empfindest!' In dem unrechtmäßig tadelnden Mönche hat man in dieser fünffachen Weise die Reue zu wecken. Und warum? Damit es nicht auch einem anderen Mönche einfalle, unberechtigterweise zu tadeln.

Da sehe ich ferner, ihr Brüder, einen Menschen, der erregt wird, selbst wenn er zur rechten Zeit getadelt wird und nicht zur Unzeit; wenn er berechtigt getadelt wird, nicht unberechtigt; wenn er höflich getadelt wird, nicht grob; wenn er zweckmäßig getadelt wird, nicht unzweckmäßig; wenn er in liebevoller Gesinnung getadelt wird, nicht aus innerer Bosheit. Im rechtmäßig getadelten Mönche, ihr Brüder, hat man dann in fünffacher Weise das Gefühl der Reue zu wecken, nämlich: 'Zur rechten Zeit wurde der Verehrte getadelt, nicht zur Unzeit; berechtigt, nicht unberechtigt; höflich, nicht grob; zweckmäßig, nicht unzweckmäßig; in liebevoller Gesinnung, nicht aus innerer Bosheit. Angebracht ist es, wenn du Reue empfindest!' Im rechtmäßig getadelten Mönche hat man in dieser fünffachen Weise das Gefühl der Reue zu wecken.

Im rechtmäßig tadelnden Mönche, ihr Brüder, hat man in fünffacher Weise das Gefühl der Unschuld zu wecken, nämlich: 'Zur rechten Zeit hat der Verehrte getadelt, nicht zur Unzeit; berechtigt, nicht unberechtigt; höflich, nicht grob; zweckmäßig, nicht unzweckmäßig; in liebevoller Gesinnung, nicht aus innerer Bosheit. Recht ist es, wenn du dich unschuldig fühlst!' Im rechtmäßig tadelnden Mönche hat man in dieser fünffachen Weise das Gefühl der Unschuld zu wecken. Und warum? Damit auch andere Mönche daran denken mögen, berechtigten Tadel auszusprechen.

Der Getadelte, ihr Brüder, sollte in zwei Dingen fest bleiben: in der Wahrheit und in der Unerregbarkeit. Sollten mich auch, ihr Brüder, die anderen zur Unzeit tadeln, nicht zur rechten Zeit; unberechtigt, nicht berechtigt; grob, nicht höflich; unzweckmäßig, nicht zweckmäßig; aus innerer Bosheit, nicht in liebevoller Gesinnung, so will ich doch in diesen beiden Dingen fest bleiben: in der Wahrheit und der Unerregbarkeit. Wenn ich einsehe, daß diese oder jene Sache bei mir zutrifft, dann werde ich sagen: 'Es ist so. Diese Sache trifft bei mir zu.' Erkenne ich aber, daß diese oder jene Sache bei mir nicht zutrifft, so werde ich sagen 'Es ist nicht so. Diese Sache trifft bei mir nicht zu.'« -

[Der Erhabene:] »Obzwar von dir, o Sāriputta, in solcher Weise angesprochen, wollen da dennoch gewisse törichte Menschen keine rechte Belehrung annehmen.« -

»Die da, o Herr, ohne Vertrauen sind, die um ihres Unterhalts willen und nicht aus Vertrauen von Hause in die Hauslosigkeit gezogen sind, Heuchler, Gleisner, Betrüger; aufgeregte, aufgeblasene, unstete Schwätzer, verworrene Plapperer, die ihre Sinnentore nicht bewachen, kein Maß kennen beim Mahle, nicht der Wachsamkeit ergeben sind, gleichgültig gegen das Asketenleben, ohne wirkliche Achtung vor der Askese, der Üppigkeit ergebene, schlaffe Menschen, die das Abträgliche vorziehen, die Einsamkeit als eine Last meiden, ohne Willenskraft, unachtsam, unklar, ohne Sammlung, zerfahrenen Geistes, töricht und stumpfsinnig: solche Menschen freilich werden, wenn von mir derart angesprochen, keine rechte Belehrung annehmen.

Jene edlen Söhne aber, o Herr, die voll Vertrauen von Hause in die Hauslosigkeit zogen und keine Heuchler, Gleisner und Betrüger sind, keine aufgeregten, aufgeblasenen, unsteten Schwätzer, keine verworrenen Plapperer; die vielmehr ihre Sinnentore bewachen, beim Mahle das Maß kennen, der Wachsamkeit ergeben sind, voll Liebe zum Asketentum, voll wirklicher Achtung vor der Askese, nicht der Üppigkeit und Schlaffheit verfallen, die die Einsamkeit vorziehen und das Abträgliche meiden, die voll Willens- und Entschußkraft sind, achtsam, wissensklar, gesammelt, geeinten Geistes, einsichtig, nicht stumpfsinnig: solche Menschen werden, wenn von mir derart angesprochen, rechte Belehrung annehmen.« -

»Sei es um jene ersten, Sāriputta! Zu jenen aber, die voll Vertrauen von Hause in die Hauslosigkeit gezogen sind, zu solch edlen Söhnen mögest du sprechen! So ermahne: denn, Sāriputta, deine Ordensbrüder und belehre sie! 'Vom Unrechten will ich meine Ordensbrüder abbringen und sie im Guten bestärken!' -das, Sāriputta, sei dein Streben ! «


(*1) D.h. nicht vor anderen und nicht in der Versammlungs- oder Speisehalle des Klosters. Er soll vielmehr den zu Ermahnenden in seiner eigenen Wohnstätte aufsuchen und ihn höflich anreden: 'Möge es mir der Ehrwürdige gestatten! Ich möchte mit dem Ehrwürdigen reden!' (K.).


A.V. 168 Eines aufs andere gestützt

(Gleichlautend mit Text A.V.24. Der Sprecher ist hier Sāriputta.)


A.V. 169 Durchdringender Scharfblick

Der ehrwürdige Ananda sprach zum ehrwürdigen Sāriputta also:

»Inwiefern wohl, Bruder Sāriputta, besitzt der Mönch durchdringenden Scharfblick, eine gute Auffassungsgabe, eignet sich vieles an und vergißt nicht das Aufgenommene?« -

»Großes Wissen besitzt ja der ehrwürdige Ananda. Möge dem ehrwürdigen Ananda selber die Antwort einfallen!« - »So höre denn, Bruder Sāriputta, und achte auf meine Worte!« - »Gut, Bruder!« erwiderte der ehrwürdige Sāriputta, und der ehrwürdige Ananda sprach also:

»Da, Bruder Sāriputta, ist der Mönch gut vertraut mit der Bedeutung, gut vertraut mit der Worterklärung (*1), gut vertraut mit dem Lehrtext, gut vertraut mit der sprachlichen Ausdrucksweise, gut vertraut mit der Reihenfolge (*2). Insofern, Bruder Sāriputta, besitzt der Mönch durchdringenden Scharfblick, eine gute Auffassungsgabe, eignet sich vieles an und vergißt nicht das Aufgenommene.« -

»Ausgezeichnet ist es, Bruder Ananda, vortrefflich ist es, wie da der ehrwürdige Ananda so treffend geantwortet hat! Als mit diesen fünf Eigenschaften aber ausgestattet, wollen wir des ehrwürdigen Ananda gedenken. Denn der ehrwürdige Ananda ist ja gut vertraut mit der Bedeutung, gut vertraut mit der Worterklärung, gut vertraut mit dem Lehrtext, gut vertraut mit der sprachlichen Ausdrucksweise, gut vertraut mit der Reihenfolge.«


(*1) Lt. K ist unter dem ersten Begriff (attha) die Auslegung oder Erläuterung der jeweiligen Lehre zu verstehen und unter dem zweiten Begriff (dhamma) der kanonische Text. Diese beiden und die folgende vierte Fähigkeit (nirutti) gehören zu den 'Analytischen Wissen' (patisambhidā).

(*2) Wtl: mit dem Früheren und Späteren. K: nämlich in fünffacher Hinsicht: hinsichtlich der Reihenfolge in der Erläuterung, im Lehrtext, in den Worten, den Buchstaben und des inhaltlichen Zusammenhangs (anusandhi).


A.V. 170 Die fünf besten Dinge

(Im Ghositakloster bei Kosambi.)

Der ehrwürdige Ananda sprach zum ehrwürdigen Bhaddaji:

»Was ist wohl, Bruder Bhaddaji, der beste Anblick, was der beste Klang, was das höchste Glück, was die beste Wahrnehmung und was das beste Dasein?«-

»Es gibt da, Bruder, jenen Brahma, den Herrscher, den Unüberwältigten, Allwissenden, Allmächtigen. Wer jenen Brahma schaut, der genießt den besten Anblick.

Es gibt da, Bruder, jene Strahlenden Götter (ābhassarā deva), die ganz und gar von Wonne erfüllt und beseligt sind. Dann und wann stoßen jene Götter den Freudenruf aus: 'O welche Wonne! O welche Wonne!' Wer jenen Klang vernimmt, der hört den besten Klang.

Es gibt da, Bruder, jene All-leuchtenden Götter. (subhakinha deva) Jene heiterzufriedenen empfinden stets ein Glück des Friedens. Das ist das höchste Glück.

Es gibt da, Bruder, jene im Nichtheitsgebiete wiedergeborenen Götter. Das ist die beste Wahrnehmung.

Es gibt da, Bruder, jene im Gebiet der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung wiedergeborenen Götter. Das ist das beste Dasein.« -

»Hierin allerdings stimmt der ehrwürdige Bhaddaji mit der Allgemeinheit überein.« -

»Der ehrwürdige Ananda freilich besitzt ein großes Wissen. Möge denn eben dem ehrwürdigen Ananda eine Erklärung einfallen!« - So höre denn, Bruder Bhaddaji, und achte wohl auf meine Worte!« - »Gut, Bruder«, erwiderte der ehrwürdige Bhaddaji dem ehrwürdigen Ananda. Und der ehrwürdige Ananda sprach:

»Jener Sehvorgang, o Bruder, auf den unmittelbar die Versiegung der Triebe erfolgt, das ist der beste Anblick. Jener Hörvorgang, auf den unmittelbar die Versiegung der Triebe erfolgt, das ist der beste Klang. Jene Glückesempfindung, auf die unmittelbar die Versiegung der Triebe erfolgt, das ist das höchste Glück. Jener Wahrnehmungsvorgang, auf den unmittelbar die Versiegung der Triebe erfolgt, das ist die beste Wahrnehmung. Jener Daseinsmoment, (*1) auf den unmittelbar die Versiegung der Triebe erfolgt, das ist das beste Dasein.«


(*1) Wtl: Wenn einem Sehenden - einem Hörenden - einem Glücklichen - einem Wahrnehmenden - einem Gewordenen (d.i. ins Dasein Gelangten; bhūtassa) unmittelbar darauf die Versiegung der Triebe zuteil wird.


(Übersetzung von Karl Eugen Neumann, von 1911)

Als der ehrwürdige Anando einst bei Kosambi weilte, in der Gartenstiftung, wandte er sich also an den ehrwürdigen Bhaddaji, der gekommen war ihn zu besuchen:

«Was ist wohl, Bruder Bhaddaji, das höchste Gesicht, was ist das höchste Gehör, was das höchste Wohl, was die höchste Wahrnehmung, was ist das höchste Dasein?»

«Es gibt, Bruder», antwortete Bhaddaji, «einen Brahmā, den Übermächtigen, Unübermächtigten, Allsehenden, Selbstgewaltigen: sieht man diesen Brahmā, so ist das das höchste Gesicht.

Es gibt, Bruder, Götter, die man die Leuchtenden nennt, die sind von Wohl durchtränkt und durchdrungen; die lassen hin und wieder einmal tief aufatmend <O Wonne, o Wonne> verlauten: hört man diesen Ton, so ist das das höchste Gehör.

Es gibt, Bruder, Götter, die man die Strahlenden nennt; die nehmen, beseligt, ein gar stilles geistiges Wohl in sich wahr: das ist das höchste Wohl.

Es gibt, Bruder, Götter, die zum Bereich wo nichts mehr besteht emporgelangt sind: das ist die höchste Wahrnehmung.

Es gibt, Bruder, Götter, die zum Bereich der Grenze möglicher Wahrnehmung emporgelangt sind: das ist das höchste Dasein.»

Auf diese Erklärungen Bhaddajis erwidert Anando: «Da stimmt wohl der ehrwürdige Bhaddaji darin mit der großen Menge überein.» -

«Der ehrwürdige Anando», entschuldigt sich gleichsam Bhaddaji, «hat viel erfahren mög' es doch der ehrwürdige Anando aufweisen!» -

«Wohlan denn, Bruder Bhaddaji, so höre und merke sorgsam was ich dir sagen will.»

Gern stimmt Bhaddaji zu, und Anando überliefert ihm nun das Meister Wort:


    Oben  


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