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DAS
WORT DES BUDDHA
7. Rechte Achtsamkeit (sammā-sati)
Was aber ist rechte Achtsamkeit?
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VIER GRUNDLAGEN DER ACHTSAMKEIT
D. 22
Da verweilt der Mönch in der Betrachtung des Körpers, der Gefühle, des
Geistes und der Geistobjekte, voll Tatkraft, klarbewußt und achtsam, nach
Unterdrückung weltlichen Begehrens und Kummers.
Dies, ihr Jünger, ist der einzige Weg zur Läuterung der Wesen, zur
Überwindung von Sorge und Jammer, zum Schwinden von Schmerz und Trübsal, zur
Erreichung des rechten Pfades und zur Verwirklichung des Nirwahns, nämlich diese
vier Grundlagen der Achtsamkeit (sati-patthāna).
1. Betrachtung des Körpers (kāyānupassanā)
100
BETRACHTUNG ÜBER EIN- UND AUSATMUNG (ānapāna-sati)
Wie aber verweilt der Mönch in der Betrachtung des Körpers? Da begibt sich
der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Hütte, setzt
sich mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und richtet
seine Achtsamkeit vor sich. Achtsam atmet er ein, achtsam atmet er aus. Atmet er
lang ein, so weiß er ,Ich atme lang ein'; atmet er lang aus, so weiß er ,Ich
atme lang aus'. Atmet er kurz ein, so weiß er ,Ich atme kurz ein'; atmet er kurz
aus, so weiß er ,Ich atme kurz aus'.
Den ganzen (Atem-)Körper klar wahrnehmend will ich einatmen', so übt er sich;
,Den ganzen Atemkörper klar wahrnehmend will ich ausatmen', so übt er sich.
,Diese Körperfunktion (kāya-sankhāra) besänftigend will ich einatmen',
so übt er sich; ,Diese Körperfunktion besänftigend will ich ausatmen', so übt er
sich.
101
Die Betrachtung über Ein- und Ausatmung ist eine der wichtigsten Übungen zur
Erreichung der 4 Vertiefungen (s. nächstes Kapitel). Ausführlich und in
Verbindung mit dem Hellblick (vipassanā) wird sie behandelt in M. 62
und 118.—Nach jeder der Vertiefungen mag der Jünger eine Hellblickübung
einschalten. Zum Beispiel untersucht er, wodurch Ein- und Ausatmung bedingt ist.
Er erkennt dann, dass Ein- und Ausatmung den Körper voraussetzen Der Körper aber
ist eine Bezeichnung der 4 physischen Elemente und der davon abhängigen
Körperlichkeit, wie der 5 Sinnenorgane usw. Durch den 5fachen Sinneneindruck
aber bedingt entsteht das Bewußtsein und zusammen damit die übrigen 3
Daseinsgruppen, d. i. Gefühl, Wahrnehmung und Geistesformationen. So erkennt er
,Es gibt da keine Ichheit, sondern nur diesen bedingt entstandenen
geistig-körperlichen Prozeß.' Und alle diese Phänomene als vergänglich, dem
Leiden unterworfen und unpersönlich erkennend erreicht er schließlich einen der
4 Pfade der Heiligkeit.
102
So betrachtet er den eigenen Körper, betrachtet er den fremden Körper,
betrachtet er beiderlei Körper. Er betrachtet beim Körper das Entstehen, das
Vergehen, das Entstehen und Vergehen. ,Ein Körper ist da'.
»,Nur ein Körper ist da, keine Wesenheit, kein Individuum, kein Weib, kein
Mann, kein Ich oder zum Ich Gehörendes, keine Person und kein zu einer Person
Gehörendes'« (Komm.)
Diese Achtsamkeit ist ihm gegenwärtig, soweit sie eben zur Erkenntnis und
Klarheit dient; und unabhängig lebt er, und an nichts in der Welt haftet er.
So verweilt der Mönch in Betrachtung des Körpers.
103
VIER KÖRPERPOSITIONEN
Ferner versteht der Mönch beim Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen (der
Wirklichkeit gemäß die Ausdrücke): ,Ich gehe' . . . ,Ich stehe' . . . ,Ich
sitze' . . . ,Ich liege'.
"Er weiß, daß es keine lebende Wesenheit ist, kein wirkliches 1ch, das da
geht, steht usw., sondern daß es eine bloße konventionelle Ausdrucksweise ist,
wenn man sagt: ,Ich gehe, ich stehe' usw." (Komm.)
104
ACHTSAMKEIT UND KLARBEWUSSTHEIT (satisampajañña)
Ferner ist der Mönch klarbewußt beim Gehen und Kommen, klarbewußt beim
Hinblicken und Wegblicken, klarbewußt beim Beugen und Strecken seiner Glieder,
klarbewußt beim Tragen von Mönchsgewand und Schale, klarbewußt beim Essen,
Trinken Kauen und Schmecken, klarbewußt beim Entleeren von Kot und Urin,
klarbewußt beim Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen, klarbewußt beim Einschlafen
und Wachsein, klarbewußt beim Sprechen und Schweigen.
»Bei allem, was der Mönch tut, ist er sich klarbewußt: 1. des Zweckes, 2. der
Eignung, 3. der Pflicht, 4. der Wahrheit."
105
DIE KÖRPERTEILE
Ferner betrachtet der Mönch diesen Körper von der Sohle bis zum Scheitel, den
hautüberzogenen und mit vielerlei Unrat angefüllten ,Dieser Körper hat
Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen,
Knochenmark, Nieren, Herz, Leber, Innenhaut, Milz, Lunge, Darm, Gekröse, Magen,
Kot, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett, Tränen, Hautschmiere, Speichel,
Rotz, Gelenkschmiere und Urin'.
Gerade wie wenn da ein beiderseits Öffnungen besitzender Sack mit vielerlei
Körnern wie Reis, Bohnen, Sesam usw. gefüllt wäre und diesen ein Mann, der nicht
blind ist, öffnete und den Inhalt betrachtete: ,Dies ist Reis, dies sind Bohnen,
dies sind Sesamkörner usw.': gerade so betrachtet der Mönch diesen Körper.
106
VIER ELEMENE (dhātu)
Ferner betrachtet der Mönch diesen Körper, wie er geht und steht, mit
Hinsicht auf die vier Elemente: ,Dieser Körper besteht aus dem Festen,
Flüssigen, Erhitzenden und Windigen Element'.
107
Gleichwie ein geschickter Rinderschlächter oder sein Gehilfe eine Kuh
schlachtet, auf den Markt bringt, Stück für Stück zerlegt und sich dann
hinsetzt: genau so betrachtet der Mönch diesen Körper.
In Vis. XIII. 2 wird dieses Gleichnis so erklärt: "Dem Rinderschlächter, der
die Kuh großzieht, sie zum Schlachthofe führt, anbindet, hinstellt, schlachtet
oder die geschlachtete Kuh betrachtet, kommt die Vorstellung ,Kuh' solange nicht
zum Schwinden, als er die Kuh nicht aufgeschnitten und in Stücke zerlegt hat.
Sobald er aber die Kuh zerlegt hat und dort niedersitzt, schwindet ihm die
Vorstellung, Kuh', und die Vorstellung ,Fleisch' tritt ein. Und nicht denkt er:
,Eine Kuh verkaufe ich' oder: ,Eine Kuh kaufen diese'. Genau so auch waren in
dem Mönche, früher als er noch ein törichter Weltling war—sei's als Laie oder
Hausloser—die Begriffe ,Wesen' oder ,Mann' oder ,Individuum' solange nicht
geschwunden, bis er eben diesen Körper, wie er geht und steht, nicht in seine
Teile zerlegt und Element für Element betrachtet hatte. Sobald er aber den
Körper in seine Elemente zerlegt hatte, schwand ihm die Vorstellung ,Wesen, und
der Geist festigte sich in der Betrachtung der Elemente.«
108
LEICHENBETRACHTUNGEN
Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf der Leichenstätte liegen, ein,
zwei oder drei Tage tot, aufgedunsen, verfärbt, mit Eiter bedeckt, schließt er
auf seinen eigenen Körper: ,Auch dieser Körper ist so beschaffen, wird so
werden, kann dem nicht entgehen'.
Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf dem Leichenfelde liegen, wie sie
von Krähen, Habichten und Geiern zerfleischt, von Hunden und Schakalen
zerfressen und von vielerlei Gewürm zernagt wird, schließt er auf seinen eigenen
Körper: ,Auch dieser Körper ist so beschaffen, wird so werden, kann dem nicht
entgehen'.
Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf dem Leichenfelde liegen, ein
Knochengerippe, noch mit Fleisch und Blut bedeckt, und von den Sehnen
zusammengehalten . . . ein Knochengerippe, fleischentblößt, mit Blut beschmiert,
von den Sehnen zusammengehalten. .. ein Knochengerippe ohne Fleisch und Blut,
von den Sehnen zusammengehalten . . . unverbundene Knochen, da und dort
verstreut, da ein Handknochen, da ein Fussknochen, da ein Schienbein, da ein
Schenkelknochen, da die Wirbelknochen, da der Schädel, gleichsam als sähe er
dies, schließt er auf seinen eigenen Körper: ,Auch dieser Körper ist so
beschaffen, wird so werden, kann dem nicht entgehen'.
Ferner, als sähe der Mönch eine Leiche auf dem Leichenfelde liegen, Gebeine,
weiß aussehend wie Muscheln . . . aufgeschichtete Knochen nach Verlauf von
Jahren . . . verweste und in Staub zerfallene Knochen, als sähe er dies,
schließt er auf seinen eigenen Körper: ,Auch dieser Körper ist so beschaffen,
wird so werden, kann dem nicht entgehen'.
So betrachtet er den eigenen Körper, betrachtet er den fremden Körper,
betrachtet er beiderlei Körper. Er betrachtet beim Körper das Entstehen, das
Vergehen, das Entstehen und Vergehen. ,Ein Körper ist da', diese Achtsamkeit ist
ihm gegenwärtig, soweit sie eben zur Erkenntnis und Klarheit dient; und
unabhängig lebt er, und an nichts in der Welt haftet er.
Auf diese Weise verweilt der Mönch in Betrachtung des Körpers.
109
Von den verschiedenen Betrachtungen über den Körper gehören die Betrachtung
über die 4 Körperpositionen, Klarbewußtsein und die Zerlegung in die 4 Elemente
als Hellblickübungen eigentlich in das Gebiet des Wissens (paññā), d. i.
zur 1; und 2. Stufe des Pfades, während die Leichenbetrachtungen teils unter
Wissen, teils unter das Gebiet der Sammlung (6.—8. Stufe) gehören.
110
ZEHNFACHER SEGEN
M.119
Hat man nun, ihr Jünger, diese Achtsamkeit auf den Körper geübt, entfaltet,
M.119 häufig erweckt, als Werkzeug und
Grundlage genommen, befolgt, sich völlig damit vertraut gemacht, sie zur
Vollendung gebracht, so mag man einen zehnfachen Segen erwarten: —Über Lust und
Unlust hat man Gewalt, läßt sich nicht von der Unlust bezwingen; die
aufgestiegene Unlust überwindend verweilt man.
Über Furcht und Schrecken hat man Gewalt, läßt sich nicht davon bezwingen;
aufgestiegene Furcht und Schrecken überwindend verweilt man.
Man erträgt geduldig Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Wind und Sonne, sowie
Belästigung durch Bremsen, Mücken und Kriechtiere; und verletzende und böse
Redeweisen, sowie aufgestiegene Schmerzgefühle, stechende, scharfe, bittere,
unliebsame, unangenehme und lebensgefährdende hält man standhaft aus.
Die vier Vertiefungen (jhāna), die geistesklaren, bei Lebzeiten
beglückenden, gewinnt man nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung.
Die vielartigen magischen Kräfte werden einem zuteil. Mit dem Himmlischen
Ohre, dem geläuterten, übermenschlichen, hört man beiderlei Töne, himmlische wie
menschliche, ferne wie nahe.
Im Geiste durchschaut man die Herzen der anderen Wesen und Personen.
Man erinnert sich an mancherlei frühere Daseinsformen. Mit dem Himmlischen
Auge, dem geläuterten, übermenschlichen, sieht man die Menschen abscheiden und
wiedererscheinen, gemeine und edle, schöne und häßliche, glückliche und
unglückliche; sieht man, wie die Wesen gemäß ihrer Taten wiedergeboren werden.
Nach Versiegung der Triebe gewinnt man die von Trieben freie Gemüts- und
Wissenserlösung, indem man sie schon bei Lebzeiten selber erkannt und
verwirklicht hat.
111
Die zuletzt genannten sechs Fähigkeiten gelten als die sechs Höheren
Geisteskräfte (abhiññā), nämlich: 1. die magischen Kräfte (iddhi-vidhā),
2. das Himmlische Ohr (dibba-sota), 3. Durchschauen der Herzen anderer
(parassa ceto-pariya-ñāna), 4. Erinnerung an frühere
Daseinsformen (pubbe-nivāsānussati-ñāna), 5. das Himmlische Auge (dibba-cakkhu),
6. die Triebversiegung (āsavakkhaya-ñāna). Hiervon sind die ersten fünf
weltliche (lokiya) Fähigkeiten und setzen zu ihrer Erreichung die vier
Vertiefungen voraus. Die sechste Fähigkeit, die Triebversiegung, aber ist
identisch mit der Arahatschaft oder Heiligkeit und kann nur durch tiefen
Hellblick in die Vergänglichkeit, Unzulänglichkeit und Unpersönlichkeit alles
Daseins verwirklicht werden.
112
2. Betrachtung der Gefühle (vedanānupassanā)
D. 22
Wie aber verweilt der Mönch in der Betrachtung der Gefühle? Empfindet da der
Mönch ein angenehmes Gefühl, so weiß er: Ich empfinde ein angenehmes Gefühl';
empfindet er ein unangenehmes Gefühl, so weiß er: ‚Ich empfinde ein unangenehmes
Gefühl'; empfindet
er ein weder angenehmes noch unangenehmes Gefühl, so weiß er: Ich empfinde
ein weder angenehmes noch unangenehmes Gefühl'. Empfindet er ein sinnlich
angenehmes Gefühl, 'so weiß er: Ich empfinde ein sinnlich angenehmes Gefühl';
empfindet er ein übersinnlich angenehmes Gefühl, so weiß er: Ich empfinde ein
übersinnlich angenehmes Gefühl'; empfindet er ein sinnlich unangenehmes Gefühl,
so weiß er: Ich empfinde ein sinnlich unangenehmes Gefühl'; empfindet er ein
übersinnlich unangenehmes Gefühl, so weiß er: Ich empfinde ein übersinnlich
unangenehmes Gefühl'; empfindet er ein sinnlich weder angenehmes noch
unangenehmes Gefühl, so weiß er: 'Ich empfinde ein sinnlich weder angenehmes
noch unangenehmes Gefühl'; empfindet er ein übersinnlich weder angenehmes noch
unangenehmes Gefühl, so weiß er: ,Ich empfinde ein übersinnlich weder angenehmes
noch unangenehmes Gefühl'.
Nach dem Abhidhamma mögen bloß das körperliche und das geistige Gefühl
angenehm oder unangenehm sein während die mit Sehen, Hören, Riechen und
Schmecken verbundenen Gefühle stets indifferent sind.
So betrachtet der Mönch die eigenen Gefühle, betrachtet die fremden Gefühle,
betrachtet beiderlei Gefühle. Er betrachtet bei den Gefühlen das Entstehen, das
Vergehen, das Entstehen und Vergehen. ,Gefühle sind da', diese Achtsamkeit ist
in ihm gegenwärtig, soweit sie eben zur Erkenntnis und Klarheit dient; und
unabhängig lebt er, und an nichts in der Welt haftet er. So verweilt der Mönch
in der Betrachtung der Gefühle.
Der Jünger weiß genau, daß der Ausdruck, ‚Ich fühle' nur als konventionelle
Ausdrucksweise Geltung hat, im höchsten Sinne jedoch kein Wesen oder Individuum
da ist, das das Gefühl empfindet. (Komm.)
113
3. Betrachtung des Geistes (cittānupassanā)
Wie aber verweilt der Mönch in der Betrachtung des Geistes? Da erkennt der
Mönch den begierigen Geist als begierig, den gierlosen Geist als gierlos, den
gehässigen Geist als gehässig, den haßlosen Geist als haßlos, den verblendeten
Geist als verblendet und den unverblendeten Geist als unverblendet. Er erkennt
den verkrampften Geist als verkrampft und den zerfahrenen Geist als zerfahren,
erkennt den entfalteten Geist als entfaltet und den unentfalteten Geist als
unentfaltet, erkennt den übertreffharen Geist als übertreffbar und den
unübertreffbaren Geist als unübertreffbar, erkennt den gesammelten Geist als
gesammelt und den ungesammelten Geist als ungesammelt, erkennt den befreiten
Geist als befreit und den unbefreiten Geist als unbefreit.
So betrachtet der Mönch den eigenen Geist, betrachtet er den fremden Geist,
betrachtet er den eigenen und fremden Geist. Er betrachtet beim Geiste das
Entstehen, das Vergehen, das Entstehen und Vergehen. ,Der Geist ist da': diese
Achtsamkeit ist in ihm gegenwärtig, so weit sie eben zur Erkenntnis und Klarheit
dient; und unabhängig lebt er, und an nichts in der Welt haftet er. So verweilt
der Mönch in der Betrachtung des Geistes.
114
Citta (Geist, Bewußtsein, Bewußtseinszustand) ist ein Synonym von
viññāna (Bewußtsein) und mano (Geist), ist daher nicht mit
"Gedanke" zu übersetzen. "Gedanke" oder "Denken" gehören nämlich zu den sogen.
sprachlichen Funktionen (vací-sankhāra) des Geistes und sind identisch
mit vitakka (Gedankenfassung) und vicāra (diskursives Denken).
Verglichen mit dem Bewußtsein sind diese beiden sprachlichen Funktionen
sekundärer Natur und fehlen sowohl in den ersten Phasen des
Fünf-Sinnen-Bewußtseins als auch in der 2.—4. Vertiefung.
115
4. Betrachtung der Geistobjekte (dhammanupassanā)
Wie aber verweilt der Mönch in der Betrachtung der Geistobjekte?
FÜNF HEMMUNGEN
Da verweilt der Mönch in der Betrachtung der als Geistobjekte geltenden fünf
Hemmungen (nívarana). Er weiß, wenn Sinnengier (kāmacchanda)
in ihm ist: ,In mir ist Sinnengier'; er weiß, wenn keine Sinnengier in ihm ist:
,In mir ist keine Sinnengier'; er weiß, wie die noch nicht aufgestiegene
Sinnengier zum Entstehen kommt, wie die aufgestiegene Sinnengier überwunden wird
und wie die überwundene Sinnengier künftig nicht mehr aufsteigt. Er weiß, wenn
Übelwollen (vyāpāda) in ihm ist . . . wenn Starrheit und Mattheit (thína-middha)
in ihm ist . . . wenn Aufgeregtheit und Gewissensunruhe (uddhacca-kukkucca)
in ihm ist. . . wenn Zweifelsucht (vicikicchā) in ihm ist: ,In mir ist
Zweifelsucht', er weiß, wenn keine Zweifelsucht in ihm ist: ,In mir ist keine
Zweifelsucht'. Er weiß, wie die noch nicht aufgestiegene Zweifelsucht zum
Entstehen kommt, wie die aufgestiegene Zweifelsucht überwunden wird und wie die
überwundene Zweifelsucht künftig nicht mehr aufsteigt.
116
FÜNF DASEINSGRUPPEN
Ferner verweilt der Mönch in der Betrachtung der als Geistobjekte geltenden
fünf Anhaftungs-Gruppen (upādāna-kkhandha). Er weiß: ,So ist die
Körperlichkeit (rupa), so entsteht sie, so kommt sie zum Schwinden. So
sind die Gefühle (vedanā), so entstehen sie, so kommen sie zum Schwinden. So ist
die Wahrnehmung (saññā), so entsteht sie, so kommt sie zum Schwinden.
So sind die Geistformationen (sankhāra), so entstehen sie, so kommen
sie zum Schwinden. So ist das Bewußtsein (viññāna), so entsteht es, so
kommt es zum Schwinden.'
117
SECHS GRUNDLAGEN
Ferner verweilt der Mönch in der Betrachtung der als Geistobjekte geltenden
sechs eigenen und fremden Sinnen-Grundlagen (āyatana). Er kennt das Auge
und kennt die Formen; und auch die Fessel, die durch beide bedingt aufsteigt,
auch diese kennt er. Er weiß, wie die noch nicht aufgestiegene Fessel zum
Aufsteigen kommt, wie die bereits aufgestiegene Fessel überwunden wird und wie
die überwundene Fessel künftig nicht mehr entsteht. Er kennt das Ohr und die
Töne . . . die Nase und die Düfte . . . die Zunge und die Säfte ... den Körper
und die Körpereindrücke ... den Geist und die Geistobjekte; und auch die Fessel,
die durch beide bedingt aufsteigt, auch diese kennt er. Er weiß, wie die noch
nicht aufgestiegene Fessel zum Aufsteigen kommt, wie die bereits aufgestiegene
Fessel überwunden wird und wie die überwundene Fessel künftig nicht mehr
entsteht.
118
SIEBEN ERLEUCHTUNGSGLIEDER
Ferner verweilt der Mönch in der Betrachtung der sieben Erleuchtungsglieder (bojjhanga).
Er weiß, wenn Achtsamkeit (sati) in ihm ist ... wenn
Wahrheitsergründung (dhamma-vicaya) in ihm ist ... wenn Willenskraft (viriya)
in ihm ist ... wenn Verzückung (píti) in ihm ist . . . wenn
Gestilltsein (passaddhi) in ihm ist ... wenn Sammlung (samādhi)
in ihm ist ... wenn Gleichmut (upekkhā) in ihm ist: ,In mir ist
Gleichmut'; wenn kein Gleichmut in ihm ist: ,In mir ist kein Gleichmut'. Er
weiß, wie der noch unaufgestiegene Gleichmut zum Aufsteigen kommt und wie der
aufgestiegene Gleichmut zur vollen Entfaltung gelangt.
119
VIER EDLE WAHRHEITEN (ariya-sacca)
Ferner verweilt der Mönch in der Betrachtung der als Geistobjekte geltenden
vier Edlen Wahrheiten. ,Dies ist das Leiden' erkennt er der Wirklichkeit gemäß.
,Dies ist die Entstehung des Leidens' erkennt er der Wirklichkeit gemäß. ,Dies
ist die Erlöschung des Leidens' erkennt er der Wirklichkeit gemäß. ,Dies ist der
zur Erlöschung des Leidens führende Pfad' erkennt er der Wirklichkeit gemäß.
So betrachtet der Mönch die eigenen Geistobjekte, betrachtet er die fremden
Geistobjekte, betrachtet er die eigenen und fremden Geistobjekte. Er betrachtet
bei den Geistobjekten das Entstehen, das Vergehen, das Entstehen und Vergehen.
,Geistobjekte sind da': diese Achtsamkeit ist in ihm gewärtig, soweit sie eben
zur Erkenntnis und Klarheit führt, und unabhängig lebt er, und an nichts in der
Welt hängt er.
So verweilt der Mönch in der Betrachtung der Geistobjekte.
Dies, ihr Jünger, ist der einzige Weg zur Läuterung der Wesen, zur
Überwindung von Sorge und Jammer, zum Schwinden von Schmerz und Trübsal, zur
Erreichung des rechten Pfades und zur Verwirklichung des Nirwahns, nämlich diese
vier Grundlagen der Achtsamkeit.
120
Diese als die 4 Grundlagen der Achtsamkeit (sati-patthāna) geltenden
Betrachtungen beziehen sich auf alle 5 Daseinsgruppen, nämlich: Die Betrachtung
des Körpers bezieht sich auf die Körperlichkeitsgruppe (rúpa-kkhandha),
die
Betrachtung der Gefühle auf die Gefühlsgruppe (vedanā-kkhandha), die
Betrachtung der Geistesobjekte auf die
Wahrnehmungsgruppe (saññā-kkhandha) und Geistformationengruppe (sankhāra-kkhandha),
die Betrachtung des
Geistes auf die Bewußtseinsgruppe (viññāna-kkhandha).
121
ERLÖSUNG DURCH BETRACHTUNG VON EIN- UND AUSATMUNG
M.118
Die Achtsamkeit auf Ein- und Ausatmung, ihr Jünger, entfaltet und häufig
gepflegt, bringt die vier Grundlagen der Achtsamkeit zustande. Die vier
Grundlagen der Achtsamkeit, entfaltet und häufig gepflegt, bringen die sieben
Erleuchtungsglieder zustande. Die sieben Erleuchtungsglieder, entfaltet und
häufig gepflegt, bringen Wissen und Erlösung zustande.
122
Wie aber bringt die Achtsamkeit auf Ein- und Ausatmung die vier Grundlagen
der Achtsamkeit (sati-patthāna) zustande?
I. Zu einer Zeit, wo der Mönch 1. beim langen Einatmen weiß, daß er lang
einatmet, beim langen Ausatmen, daß er lang ausatmet, 2. beim kurzen Einatmen,
daß er kurz einatmet, beim kurzen Ausatmen, daß er kurz ausatmet, 3. wo er sich
übt, beim Ein- und Ausatmen den ganzen Atemkörper klar wahrzunehmen, 4. wo er
sich übt, beim Ein- und Ausatmen diese Körperfunktion (kāya-sankhāra)
zu besänftigen: zu einer solchen Zeit verweilt der Mönch in der Betrachtung des
Körpers, voll Tatkraft, klarbewußt und achtsam, nach Unterdrückung weltlichen
Begehrens und Kummers Ein- und Ausatmung nämlich nenne ich eines von den
körperlichen Phänomenen.
123
II. Zu einer Zeit, wo der Mönch beim Ein- und Ausatmen sich übt, 1.
Verzückung zu empfinden, 2. Freude zu empfinden, 3. die Geistesfunktion (citta-sankhāra)
zu empfinden, 4. die Geistesfunktion zu besänftigen: zu einer solchen Zeit
verweilt der Mönch in der Betrachtung der Gefühle, voll Tatkraft, klarbewußt und
achtsam, nach Unterdrückung weltlichen Begehrens und Kummers Das völlige
Hinmerken auf Ein- und Ausatmung nämlich nenne ich eines von den Gefühlen.
124
III. Zu einer Zeit, wo der Mönch beim Ein- und Ausatmen 1. den Geist klar
wahrnimmt ... 2. den Geist erheitert ... 3. den Geist sammelt ... 4. den Geist
befreit: zu einer solchen Zeit verweilt der Mönch in der Betrachtung des
Geistes, voll Tatkraft, klarbewußt und achtsam, nach Unterdrückung weltlichen
Begehrens und Kummers. Nicht sage ich, ihr Mönche, gibt es für den geistig
zerfahrenen, unklaren Menschen eine Achtsamkeit auf Ein- und Ausatmung ...
125
IV. Zu einer Zeit, wo der Mönch beim Ein- und Ausatmen 1. die Vergänglichkeit
betrachtet ... 2. die Loslösung betrachtet . . . 3. die Erlöschung betrachtet .
. . 4. das Fahrenlassen betrachtet: zu einer solchen Zeit verweilt der Mönch in
der Betrachtung der Geistobjekte, voll Tatkraft, klarbewußt und achtsam, nach
Unterdrückung weltlichen Begehrens und Kummers.
Auf diese Weise entfaltet und häufig gepflegt bringt die Achtsamkeit auf Ein-
und Ausatmung die vier Grundlagen der Achtsamkeit zustande.
126
Wie aber bringen die vier Grundlagen der Achtsamkeit die sieben
Erleuchtungsglieder (bojjhanga) zustande?
1. Zu einer Zeit, wo der Mönch in der Betrachtung des Körpers, der Gefühle,
des Geistes und der Geistobjekte verweilt, zu einer solchen Zeit ist seine
Achtsamkeit gegenwärtig, ungestört. Zu einer Zeit aber, wo im Mönche die
Achtsamkeit gegenwärtig ist und ungestört, da ist er mit dem Erleuchtungsglied
der Achtsamkeit (sati-sambojjhanga) ausgestattet, da pflegt er dieses
Erleuchtungsglied, da bringt er es zur vollen Entfaltung.
2. Solcherart aber achtsam verweilend ergründet, erforscht und erwägt er mit
Einsicht das Gesetz ... Zu einer solchen Zeit ist er mit dem Erleuchtungsglied
der Wahrheitserforschung (dhamma-vicaya-sambojjhanga) ausgestattet...
3. Solcherart aber das Gesetz mit Einsicht ergründend ist seine Willenskraft
aufgerichtet, ungebeugt ... zu einer solchen Zeit ist er mit dem
Erleuchtungsglied der Willenskraft (viriya-sambojjhanga) ausgestattet .
. .
4. Bei aufgerichteter Willenskraft aber steigt ihm die der Sinnlichkeit
entrückte Verzückung auf ... zu einr solchen Zeit ist er mit dem
Erleuchtungsglied der Verzückung (píti-sambojjhanga) ausgestattet . . .
5. In dem geistig Verzückten aber stillen sich Geist und Bewußtsein . . . zu
einer solchen Zeit ist er mit dem Erleuchtungsglied der Gestilltheit (passaddhi-sambojjhanga)
ausgestattet...
6. In dem geistig Gestillten aber, dem Glücklichen, sammelt sich der Geist
... zu einer solchen Zeit ist er mit dem Erleuchtungsglied der Sammlung (samādhi-sambojjhanga)
ausgestattet . . .
7. Gegen den also gesammelten Geist verhält er sich gleichmütig ... zu einer
solchen Zeit ist er mit dem Erleuchtungsglied des Gleichmutes (upekkhú-sambojjhanga)
ausgestattet...
Auf diese Weise entfaltet und häufig gepflegt bringen die vier Grundlagen der
Achtsamkeit die sieben Erleuchtungsglieder zustande.
127
Wie aber bringen die sieben Erleuchtungsglieder, entfaltet und häufig
gepflegt, Wissen und Erlösung (vijja-vimutti) zustande?
Da entfaltet der Mönch das Erleuchtungsglied der Achtsamkeit, der
Wahrheitserforschung, der Willenskraft, der Verzückung, der Gestilltheit, der
Sammlung, des Gleichmutes, das auf Abgeschiedenheit, Loslösung und Erlöschung
gegründete und zur Befreiung führende Auf diese Weise entfaltet und häufig
gepflegt bringen die sieben Erleuchtungsglieder Wissen und Erlösung zustande.
128
M.125
Gleichwie der Elefantenbändiger einen großen Pfahl in die Erde einläßt und
den wilden Elefanten mit dem Halse daran kettet, um ihm seine wilden
Gewohnheiten und Gedanken auszutreiben, ihm seinen waldgewohnten Eigensinn,
seine Niedergeschlagenheit und Heftigkeit abzugewöhnen, um sich in der Nähe der
Menschen wohlzufühlen und ihm Sitten beibringt wie sie den Menschen angenehm
sind: genau so hat der edle Jünger seinen Geist an die vier Grundlagen der
Achtsamkeit festgebunden, um ihm seine häuslichen Gewohnheiten und Gedanken
auszutreiben ihm seine weltliche Beklemmung, Bedrücktheit und Heftigkeit
abzugewöhnen, damit er eben den rechten Pfad gewinnen und das Nirwahn
verwirklichen möge.

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