Visuddhi Magga XVII

Weitere Erklärung zur Bedingten Entstehung

(I-II) "Durch Unwissenheit bedingt sind die Karmaformationen" (avijjā-paccaya sankhārā).
 

Was diese 24 Bedingungen anbetrifft, so gilt da von der 'Unwissenheit' (avijjā) Folgendes:
 

 

'Zweifach Bedingung ist sie für Verdienste' bedeutet, daß die Unwissenheit für die verdienstlichen Karmaformationen in 2facher Weise eine Bedingung bildet: als Objekt (ārammana) und als Anlaß (upanissaya).

(a) Z.B., zu einer Zeit, wo man die Unwissenheit als etwas Vergängliches und Wandelbares betrachtet, ist die Unwissenheit für die verdienstlichen Karmaformationen der Sinnensphäre eine Bedingung im Sinne von Objekt (ārammana); und zu einer Zeit, wo man mit wissensgewaltigem Geiste den von Unwissenheit erfüllten Geist (eines anderen) als solchen erkennt, ist sie es für die (verdienstlichen) Karmaformationen der Feinkörperlichen Sphäre. -

(b) Wenn einer aber, um die Unwissenheit zu überwinden, Almosen gibt und andere der Sinnensphäre angehörende verdienstliche Taten verübt oder die Vertiefungen der Feinkörperlichen Sphäre erweckt, so ist für diese beiden Karmaformationen (der Sinnensphäre und Feinkörperlichen Sphäre) die Unwissenheit eine Bedingung im Sinne von Anlaß (upanissaya). Ebenso ist dies der Fall, wenn man, von Unwissenheit betört, nach den Genüssen des sinnlichen oder feinkörperlichen Daseins begehrt und deshalb solche verdienstlichen Dinge vollbringt.

 

'Und mannigfach für unheilsame Dinge' bedeutet, daß die Unwissenheit für die unheilsamen (akusala) Karmaformationen in mannigfacher Weise eine Bedingung bildet. Und inwiefern? -

Somit bildet die Unwissenheit auf mannigfache Weise für die unheilsamen Karmaformationen eine Bedingung.

 

'Doch für die letztgenannten Formationen'

Sie als Bedingung gilt von einer Art': - dies bedeutet: Für die unerschütterlichen (āneñja) Karmaformationen rechnet die Unwissenheit bloß in einer einzigen Hinsicht als Bedingung, nämlich im Sinne von Anlaß (upanissaya). Ihre Eigenschaft als Anlaß ist genau wie in der betreffs der verdienstlichen Karmaformationen erklärten Weise zu verstehen.

Hier nun möchte einer die Frage aufwerfen: 'Ist wohl die Unwissenheit die einzige Bedingung für die Karmaformationen, oder gibt es dafür noch weitere Bedingungen? Wie steht es damit? Ist nämlich jene Unwissenheit die einzige Bedingung, so ist es recht, nur eine einzige Bedingung anzugeben. Finden sich aber noch andere Bedingungen, so ist es unangebracht, nur einen Grund anzugeben und zu sagen, die Karmaformationen seien durch die Unwissenheit bedingt.' - Nein, es ist nicht unangebracht, denn:

 

Niemals nämlich trifft man irgend ein oder mehrere Ergebnisse, die bloß von einem einzigen Anlasse herrühren, auch entsteht niemals aus mehreren Anlässen bloß ein einziges Ergebnis; sondern durch mannigfache Anlässe entstehen mannigfache Ergebnisse. So z.B. sieht man, wie durch mannigfache Anlässe, wie Klima, Boden, Samen und Wasser, vielartige als Ergebnisse geltende Dinge, wie Farbe, Duft, Geschmack usw. besitzende Keime, zum Entstehen kommen. Daß da hier aber jedesmal bloß ein einziger Grund und ein einziges Ergebnis angegeben wird, das hat seine Bedeutung, seinen Zweck. Weil nämlich diese Dinge bisweilen Hauptfaktoren sind, bisweilen klar zu Tage treten, bisweilen etwas Ungewöhnliches sind, darum zeigte der Erhabene, indem er die Anmut der Darlegung beobachtete und sich den zu Belehrenden anpaßte, jedesmal bloß einen einzigen Grund und ein einziges Ergebnis.

(a) Z.B. in der Aussage (VII-VIII): 'Durch den Bewußtseinseindruck (phassa) bedingt entsteht das Gefühl' hat der Erhabene bloß einen einzigen Grund (Bewußtseinseindruck) und ein einziges Ergebnis (Gefühl) gezeigt, da eben diese beiden Dinge Hauptfaktoren sind. Der Bewußtseinseindruck nämlich ist die Hauptbedingung für das Gefühl, da eben das Gefühl durch (die Arten des) Bewußtseinseindruckes definiert wird (z.B. "durch Seheindruck entsteht Gefühl"); das Gefühl aber ist das Hauptergebnis des Bewußtseinseindruckes, da eben der Bewußtseinseindruck durch (die Arten des von ihm bedingten) Gefühls definiert wird (Z.B. "durch einen freudig zu empfindenden Bewußtseinseindruck entsteht freudiges Gefühl").

(b) In dem Ausdruck 'durch Schleim entstandene Krankheiten' wird z.B. bloß von einem einzigen Anlasse gesprochen, weil dieser eben klar zu Tage tritt. Der Schleim nämlich tritt dabei (als Anlaß) ganz klar zu Tage, nicht aber ist es so mit dem Karma (vorgeburtliche Tat) usw. (Jeder Körperliche Schmerz (Tab: 54) ist nämlich stets die Wirkung (vipāka) eines unheilsamen Karma (Wirkens), wenn auch nur die zum Eintritt dieser Karmawirkung erforderlichen äußeren Bedingungen und Anlässe zu erkennen sind)

 

(c) In dem Ausspruche: "Was auch immer, ihr Mönche, es an unheilsamen Dingen gibt, alle diese Dinge wurzeln in unweisem Aufmerken (in S.46.32 findet sich dieser Ausspruch in positiver Formulierung, d.i. mit Hinsicht auf die in weisem Aufmerken wurzelnden heilsamen Dinge)", in diesem Ausspruche erwähnt der Erhabene bloß einen einzigen Grund, weil dieser etwas Ungewöhnliches ist, denn etwas Ungewöhnliches ist das unweise Aufmerken für alle unheilsamen Dinge, etwas Gewöhnliches aber sind die physischen Grundlagen des Bewußtseins und deren Objekte. Somit sollte man wissen, daß die Unwissenheit als die Wurzelbedingung für die Karmaformationen angegeben wird. Denn, trotzdem es noch andere Gründe für die Karmaformationen gibt, wie z.B. die physischen Grundlagen des Bewußtseins, die Objekte und die zusammenentstehenden (geistigen) Dinge usw., so ist doch die Unwissenheit ein Hauptfaktor als Bedingung für die übrigen Bedingungen der Karmaformationen, wie für Begehren usw., gemäß den Aussprüchen: "In dem nach Genuß Suchenden wächst das Begehren an"; und (M. 9): "Durch Entstehung der Unwissenheit kommt es zur Entstehung der Triebe." Und ferner auch tritt die Unwissenheit ganz klar zu Tage, gemäß dem Ausspruche: "Der Unwissende, ihr Mönche, von Unwissenheit Besessene, wirkt verdienstliche Karmaformationen usw." Schließlich wird die Unwissenheit auch wegen ihrer Ungewöhnlichkeit als (einziger) Grund für die Karmaformationen genannt. An eben diesen, nur einen einzigen Grund und ein einziges Ergebnis zeigenden Worten mag man erkennen, daß es einen Zweck hat, von einem einzigen Grunde und einem einzigen Ergebnisse zu sprechen.

 

Hier nun möchte einer einwenden: 'Wie ist es aber in diesem Falle möglich, daß die Unwissenheit, die doch solch äußerst unerwünschtes Ergebnis zeitigt und so verwerflich ist, trotzdem die Bedingung sein sollte für die heilsamen und unerschütterlichen Karmaformationen? Aus dem (bitteren) Nimbasamen kann doch nimmermehr Zuckerrohr entstehen!' - Warum sollte jenes nicht möglich sein, heißt es doch in aller Welt:

 

 

Alle Dinge in der Welt sind abhägig von Bedingungen, ganz einerlei, ob diese ihrem Zustande, ihrer Natur oder ihren Funktionen usw. widersprechen oder nicht. So bildet z.B. das vorangehende Bewußtsein für das nachfolgende Bewußtsein eine dem Zustande des letzteren widersprechende Bedingung, genau so wie das frühere Erlernen einer Kunst u. dgl. für die später fortgesetzte Beschäftigung damit. Das Karma (hier der vorgeburtliche Wille) ist für die Körperlichkeit eine der Natur der letzteren widersprechende Bedingung, genau wie die Milch u. dgl. für die Dickmilch usw. Das Licht ist für das Sehbewußtsein eine den Funktionen des letzteren widersprechende Bedingung, genau wie der Zuckersaft u. dgl. für die berauschenden Getränke usw. Doch Auge und Sehobjekt usw. sind für das Sehbewußtsein usw. eine dem Zustand (oder: der Position) nicht widersprechende Bedingung. Die früheren Impulsivmomente (javana) usw. sind für die späteren Impulsivmomente eine der Natur und den Funktionen der letzteren nicht widersprechende Bedingung. Genau nun, wie es sich mit den widersprechenden und nicht widersprechenden Bedingungen verhält, genau so verhält es sich mit den ähnlichen und unähnlichen Bedingungen. Die in Temperatur und Nahrung bestehende Körperlichkeit ist als Bedingung für die (übrige) Körperlichkeit eine dieser ähnlich seiende Bedingung, genau wie die Reiskörner für die Reissaat usw. Die Bedingung für das Unkörperliche (z.B. das Sehbewußtsein) ist das ihm unähnliche Körperliche (Sehorgan), und eine Bedingung für das Körperliche ist das diesem unähnliche Unkörperliche, genau wie die Haare und Hörner von Rindern und Schafen oder Dickmilch, Sesam, Mehl und andere Dinge eine Bedingung sein mögen für die Entstehung von Kusa- und anderen Grasarten. Diejenigen Dinge aber, für welche jene widersprechenden oder nichtwidersprechenden, ähnlichen oder unähnlichen Dinge eine Bedingung bilden, sind nicht etwa bloß die karmischen Ergebnisse jener Dinge. Wenn auch die Unwissenheit hinsichtlich ihrer Wirkung ein äußerst unerwünschtes Ergebnis hat und ihrer Natur nach verwerflich ist, so hat man sie dennoch auch für die verdienstlichen und alle anderen Karmaformationen als Bedingung aufzufassen, die, je nach den Umständen, entweder dem Zustande, den Funktionen und der Natur der Karmaformationen widerspricht oder nicht widerspricht, ähnlich ist oder nicht ähnlich ist.

 

Die Eigenschaft der Unwissenheit als Bedingung aber wurde in folgenden Worten gewiesen: "Wer das als Unwissenheit geltende Nichtwissen der Leidenswahrheiten noch nicht überwunden hat, der haftet eben infolge seines Nichterkennens des Leidens und der Vergangenheit usw. (d.i. der Zukunft, der Vergangenheit und Zukunft, und der Bedingten Entstehung) an der Meinung, daß das Elend der Daseinsrunde etwas Freudvolles sei, und bringt so die für dieses Elend die Wurzeln bildenden drei Arten der Karmaformationen zustande."

 

Es gibt fernerhin noch eine andere Darlegungsweise, nämlich:

 

 

Es möchte da nun einer einwerfen: 'Wieso aber bringt da einer, der in jenen Dingen im Unklaren ist, diese drei Karmaformationen zustande?'

Wer hinsichtlich des Abscheidens (der Wesen) im Unklaren ist und das Abscheiden nicht begreift - daß nämlich der Tod überall in der Auflösung der Daseinsgruppen besteht - der denkt, daß es ein Wesen sei, was da stirbt; oder daß das Wesen in einen anderen Körper hinüberwandere u. dgl.

Wer aber über die Wiedergeburt im Unklaren ist und die Wiedergeburt nicht begreift - daß nämlich die Geburt überall im Erscheinen der Daseinsgruppen besteht - der denkt, daß es ein Wesen (satta) sei, was da wiedergeboren wird; oder daß das Wesen in einem neuen Körper wiedererscheine u. dgl.

 

Der Daseinskreislauf (samsāra) wurde in diesen Worten beschieben:

 

Wer nun über diesen Kreislauf im Unklaren ist und ihn nicht auf diese Weise begreift, der denkt: 'Dieses Wesen wandert von dieser Welt zu einer anderen Welt, kommt von jener Welt zu dieser Welt' usw.

 

Wer aber über die Merkmale der Gebilde im Unklaren ist und weder die Merkmale ihrer Natur noch die allgemeinen Merkmale begreift, der hält die Gebilde für das 'Ich' oder für etwas dem Ich Angehörendes, für etwas Beharrendes, Freudvolles und Liebliches. Wer über die bedingt entstandenen Dinge im Unklaren ist, die Entstehung der Karmaformationen aus der Unwissenheit usw. nicht begreift, der denkt, daß es das Ich sei, das da erkennt oder nicht erkennt, das handelt oder handeln läßt, das bei der Wiedergeburt zum Entstehen kommt. Oder er denkt, daß es die Atome oder der Weltschöpfer u. dgl. seien, die mit Hilfe des embryonalen Prozesses den Körper gestalten, die Fähigkeiten verleihen, und daß es das mit den Fähigkeiten ausgestattete Ich sei, das da den Bewußtseinseindruck hat, fühlt, begehrt, anhaftet, fortdauert und wieder in einem anderen Dasein zum Entstehen kommt. Oder er denkt, daß alle Wesen durch Schicksal oder Zufall entstanden seien.

 

Gerade wie, wenn da ein blinder Mann durchs Land wandert und manchmal den rechten und manchmal den falschen Weg geht oder hohes und tiefes, ebenes und unebenes Gelände trifft, genauso wirkt jener durch Unwissenheit verblendete und also denkende Mensch teils verdienstliche, teils unverdienstliche, teils unerschütterliche Karmaformationen. Darum heißt es:

 

 

Dies ist die ausführliche Erklärung des Satzes: 'Durch Unwissenheit bedingt sind die Karmaformationen'.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus