Sumedhā
448 
    In König Koñcos Burg Mandāvatī 
    Erblühte Jung Sumedhā lieblich hell, 
    Der ersten Obergattin Herzenskind, 
    Ein holdes Mädchen, fröhlich frommgemut. 
  
    449 
    Mit keuschem Sinne, wohlberedt, 
    Erfahren recht in Meisterkunde, Meisterwort, 
    Ging hin sie zu den Eltern einst 
    Und bat: «O hört mich, beide, an! 
  
    450 
    «Die Wahnerlöschung lieb' ich mir: 
    Verwesen muß was irgend ist, auch Götterart, 
    Nun gar der Erde leere Lust, 
    Erbärmlich eitel, voll von Pein ! 
  
    451 
    «Wie Vipergift vergiftet Erdenlust, 
    Woran der Tor sich törig letzt, 
    In Unterwelten untersinkt, 
    Unselig lang zu leiden Qual um Qual. 
(Vergl. v. 353)
452 
    «In Jammer jammern, seufzen sie, 
    Die Bösen in der Bösen Welt, 
    An böses Werk, an böses Wort, 
    An bösen Wunsch gewohnt, gebannt. 
  
    453 
    «Verblendet sind sie, sinnlos, unbedacht, 
    Versunken, tief in Weh' getaucht, 
    Und wissen's nicht, weil keiner hört 
    Was heilig wahr ist, keiner sieht. 
454 
    «Auch unter Göttern west Geburt vergänglich 
    Vermodern muß was irgend ist: 
    Und nur der Tor erzittert nicht 
    Wo Leben immer wiederlebt. 
  
    456 
    «Vier üble Pfade wandelt vieles Volk, 
    Zwei holde Fährten selten hin: 
    Wer abwärts umgeht findet nicht 
    Genesung in der Unterwelt. 
  
    457 
    «Euch beide bitt' ich, laßt mich ziehn: 
    Genesen will im Meisterorden ich bei Ihm, 
    Will einsam kämpfen kühn für mich, 
    Besiegen so Geburt und Grab. 
  
    458 
    «Wie kann uns Dasein köstlich dünken, gut, 
    Vergänglich wesenloser Leib! 
    Zu löschen aus den Daseinsdurst 
    Muß wandern fort ich, weit von euch. 
  
    459 
    «Die Meisterzeit ist wieder da, 
    Die Nacht vorbei, gekommen neu der Tag: 
    Asketentapfer, tugendheil 
    Beharren will ich bis zum Tod.» 
  
    460 
    Und also sprach Sumedhā mild: 
    «Ihr lieben Eltern, hier im Haus 
    Genieß' ich keine Nahrung mehr, 
    Und müßt' ich auch verhungern gar.» 
  
    461 
    Die Mutter schluchzte laut vor Schmerz, 
    Zerschmettert war der Vater gänzlich im Gemüt, 
    Umstimmen wollten sie das Kind: 
    Vor ihnen lag es auf der Erde stumm. 
  
    462 
    'Steh' auf, o Tochter: kennst du Kummer denn? 
    Bist angelobt in Elefantenstadt (*) 
    Gepriesnem Helden hold als Braut, 
    Gesagt ihm zu, dem Königsohn.
(*) Vāranavatī, wohl identisch mit Vāranavatam: angeblich am mittleren Ganges gelegen, bisher nicht wieder gefunden.
  
    463 
    'Wirst erste Gattin, Oberkön'gin sein, 
    Des kühnen Männerfürsten Ehgemahl: 
    Asketentum, Asketenschaft, 
    O Kind, ist schwierig, ach, ist schwer. 
  
    464 
    'Der Königsmacht ist Prunk und Pracht gemein 
    Und Gold und Glanz und Jugendglück: 
    Genieße, lebe, liebe nur, 
    Sollst Hochzeit halten, süßes Kind!' 
  
    465 
    Und Antwort gab Sumedhā bald: 
    «Nicht also, nein! Was irgend ist muß untergehn; 
    Von hinnen laßt mich, oder sterben hier, 
    Will Hochzeit halten anders nicht. 
  
    466 
    «Was kann der ekle, faule Leib, 
    Der furchtbar duftet feuchten Dunst, 
    Mir gelten viel, das Leichenaas, 
    Der Sack, der sickert, voll mit Unrat angefüllt? 
(Vergl. Therag.1151)
467 
    «Was kann mir, wissend, gelten solcher Schimpf? 
    Mit Fleisch und Blut gerüstet reichlich aus, 
    Der Würmer Freude, gierer Geier Fraß, - 
    Der Leib, wem ist er angelobt? 
  
    468 
    «Getragen auf der Trauerbahre bald, 
    Geleitet bis zum Leichenplatz, 
    Bewußtlos liegt er als ein Klotz, 
    Ein Ekel eigner Sippe selbst. 
(Vergl. Dhp.41)
469 
    «Gewaschen wird er reinlich ab, 
    Zur Madenmahlzeit eingereiht: 
    Und Abscheu kommt Geschwister, Brüder, Eltern an, 
    Geschweige Vettern, Basen, Freunde gar. 
 
(Verbrennung auf dem Holzstoß ist in Indien zwar häufig, jedoch findet auch begraben statt, bzw. Verfaulenlassen in eigens hierzu adaptierten Leichenhallen. Vergl. Therag. 393)
  
    470 
    «Doch liebt man diesen dauerlosen Leib, 
    Aus Bein gebaut und Muskelmark, 
    Von Tränen triefend, Schleim verschlemmt, 
    Mit Säften saftig faul gefüllt! 
  
    471 
    «Wer da zerlegte Teil um Teil, 
    Nach außen kehrte Innres um: 
    Gerüche ließ' er merken uns, 
    Der eignen Mutter unerträglich arg. 
  
    472 
    «Entstehung, Stätte, Urbestand 
    Ist üppig eingewurzelt in Geburt, 
    Ist leidig, lästig durch und durch: 
    Wie sollt' ersehnen Hochzeit ich? 
(Vergl. v. 43)
473 
    «Ja, träfen auch dreihundert Lanzen Tag um Tag 
    Den Leib mir hundert Jahre neu und neu: 
    So deuchte besser diese Pein, 
    Wenn Leiden endlich dann erlischt. 
  
    474 
    «'Begegnen wird ein Weiser gern der Pein' 
    Vernehmt es nur, das Meisterwort - 
    'In langem Leide wandelt man, 
    Verirrt in Irrsal, auf und ab.' . 
  
    475 
    «In Götterwelt, in Menschenwelt, 
    Im Tierreich, im Gespensterreich, 
    Im Geisterkreis, im Höllenkreis 
    Ist Pein um Pein unendlich uns gewiß! 
  
    476 
    «In Höllengründen rafft und reißt uns Grimm 
    Und Grausen ungeheuer fort, 
    Und auch bei Göttern gibt es keinen Halt: 
    Nur Wahnerlöschung bietet besten Hort. 
  
    477 
    «Erlangt hat Wahnerlöschung hier 
    Wer mächtig wirbt um Meisterart 
    Und einsam kämpft für sich den Kampf, 
    Besiegend so Geburt und Grab. 
(Vergl. v. 457)
478 
    «Will heut noch, Vater, pilgern fort von Haus: 
    Was reizt mich Reichtum, der verdirbt? 
    Verleugnet hab' ich Lustbegier, 
    Wie Palmstumpf gänzlich abgestutzt.» 
  
    479 
    So gab Sumedhā sich dem Vater kund. - 
    Schon festlich zog der Bräutigam herbei, 
    Zu halten Hochzeit mit der jungen Braut 
    Als Prinz, an diesem Tage just. 
  
    480 
    Allein die Maid verschloß ihr Schlafgemach, 
    Schnitt ab mit scharfem Dolche dann 
    Das schwarze, dicht gelockte, weiche Haar: 
    Und erste Schauung ging ihr auf. 
  
    481 
    Bedächtig sann sie, selbstvertieft, 
    Und nah und näher zog der Fürst empor: 
    Sie saß am Fenster, sah hinab, 
    Fand alles eitel, nichtig nur. 
  
    482 
    Sie sah ihn schreiten rasch heran 
    Die Treppen, vor die Brüstung treten frei, 
    Den Prinzen, glitzernd, reich geschmückt; 
    Er bot ihr Gruß, er bat um Gunst: 
  
    483 
    'Der Königsmacht ist Prunk und Pracht gemein 
    Und Gold und Glanz und Jugendglück! 
    Genieße, lebe, liebe nur, 
    Gar selten lacht uns Menschen Liebeshuld. 
(Vergl. v. 464)
484 
    'Entbehren willst du Herrschermacht? 
    Almosen gib den Mönchen - sei vergnügt, 
    Genieße heiter deinen Tag, 
    Die Eltern gräme, kränke nicht!' 
  
    485 
    Und also sprach Sumedhā sanft: 
    «Will nichts mehr wissen von Genuß, 
    Ich weiß genug; 
    Wie könnt' ich küren Liebeshuld 
    Wo Elend lauert in der Lust? 
  
    486 
    «Der Weltbeherrscher Mandhātā, 
    Genossen hat er höchste Lust; 
    Doch ungesättigt starb auch er: 
    Sein Sehnen, das war nicht gestillt.
 (Mandhātā, Māndhātā, ein mythischer König der Vorzeit; siehe
  A.IV.15; Jātaka 258.) 
  
  
487 
    «Ja, regnet' es Juwelen jeder Art 
    Von allen Seiten reich herab: 
    Die Sehnsucht wär' gesättigt nie, 
    Die Menschen stürben ungestillt. 
  
    488 
    «Wie Schwerterschneiden schneidet Lust, 
    Wie Viperbiß verwundet Lust, 
    Wie Fackelfeuer lodert Lust, 
    Wie kahler Knochen sättigt sie. 
 
(Zum näheren Verständnisse dieser und der folgenden Gleichnisse siehe M.22 u. 54, ebenso Vers. 352ff.)
  
    489 
    «Vergänglich ist sie, dauerlos, 
    Doch voller Qual, doch voll von Gift, 
    Versehrt wie glühend Eisen uns, 
    Ist Sündentrieb, der Leiden treibt. 
  
    490 
    «Wie Kokosnüsse lockt uns Lust, 
    Wie Aas, wonach der Geier giert, 
    Wie Träume trügen lügt die Lust, 
    Ist ausgeborgt wie Bettelputz. 
  
    491 
    «Wie Lanzenspitze spaltet Lust, 
    Ist Pest und Beule, Not und Tod, 
    Ein Grab in roter Kohlenglut, 
    Ist Leidensgrund, und Graus, und Mord. 
 
(Vergl. hierzu die überaus wichtige Rede M 101; Sutta-Nipāta v. 51.)
  
    492 
    «So hat der Herr als Leiden Lust 
    Und als Verderben aufgedeckt: 
    O lass' mich - Dasein taugt mir nicht, 
    Will nichts von Leben wissen mehr. 
  
    493 
    «Was mag ein andrer tun für mich (*), 
    Wo diese Stirn in Feuer steht, 
    Wo Alter mich und Tod verfolgt? 
    Muß über sie gewinnen Sieg!»
(Vergl. Therag. 542; Dhp.165)
(*) Die vollendete Auflösung der Frage kim paro parassa karissati, gibt D12.
494 
    Und weiter sprach Sumedhā nun 
    Zum Prinzen, zu den Eltern dann, 
    Die weinend saßen auf dem Söller dort, 
    Am Estrich, unterm Erkersims: 
  
    495 
    «Der Toren Irrsal dauert lang, 
    Und immer wieder weinen sie, 
    Undenkbar oft, um Vatertod, 
    Um Brudermord, um eignen Untergang. 
  
    496 
    «An Tränen, Muttermilch, an Blut 
    Betrachtet unermeßbar diese Welt, 
    Worin die Wesen wandeln um, 
    Gebein zu häufen bergeshoch! 
  
    497 
    «Gedenket wie der Meister meeresgleich 
    Gewiesen Tränen hat und Milch und Blut; 
    O nehmt ihn wahr, den Knochenberg, 
    Den jeder einzeln aufbaut immer neu. 
  
    498 
    «Ja, wer für Mutter, Vater jedesmal 
    Vom Erdball hübe handvoll Erde ab: 
    Ganz Hinduland ging' eher auf, 
    Der Eltern erste hätt' er nicht erreicht. 
  
    499 
    «Wer Halm um Halm und Blatt um Blatt 
    Und alles Reisig immer häufte handvoll an, 
    Für jeden Vater jedesmal: 
    Nicht reicht' es für die Reih' der Väter aus. 
  
    500 
    «Wie hüben Schildechs, eingeäugt, im Ozean 
    Das Klammerholz gar selten sehn, erhalsen mag, 
    Den Rahmen, der geworfen drüben ward ins Meer: 
    So trifft man selten nur Geburt als Mensch. 
  
    501 
    «Wie Gischt vergäscht, wie Blase platzt 
    Geht eilig auf der lose Leib: 
    Verschäumen seht ihn, Teil um Teil, den Schaum, 
    Unselig neu sich netzen in der Unterwelt. 
  
    502 
    «Seht wie sie Leichen schichten selber an, 
    Geboren neu, gestorben immer neu, 
    Seht lauern Krokodile rings 
    Was heilig wahr ist, merkt es hier! 
(Vergl. v. 380, Therag.456, 575)
503 
    «Ich kenn' den Trunk, der ewig stillt: 
    Wie sollt' ich wieder schlürfen eklen Sterbetrank? 
    Was irgend lockt mit Lüsten an 
    Ist ärger als der ärgste Giftpokal. 
(Vergl. Dhp.205)
504 
    «Ich kenn' den Trunk, der ewig stillt: 
    Wie sollt' ich Fieberlust ersehnen mir? 
    Was irgend lockt mit Lüsten an 
    Ist eitel Brand und Stank und Wut und Glut. 
  
    505 
    «Ich kenn' den Ort, der sicher liegt: 
    Wie sollt' ich Lust ersehnen voll Gefahr und Not, 
    Wo Feuer, Wasser, Dieb und Feind und König dräut, 
    Wo Neider neidig lauern Tag und Nacht? 
(Vergl. M 96) 
  
    506 
    «Ich kenn' der Freiheit köstlich Gut: 
    Wie sollt' ich Lust ersehnen, Kette, Kerker, Tod? 
    In Lust ist Kerker, Todesgraus, 
    Wer Lust will schmecken, kosten will er Schmerz. 
  
    507 
    «Entfachte Fackel züngelt rasch empor 
    Am Arm, der fassen, der nicht lassen will: 
    Wie Feuer süchtig lodert Lust, 
    Verzehrend sengt sie, wirft man sie nicht weg. 
  
    508 
    «Um kleines Erdenglück, um Wonne winzig nur 
    Mag nicht verleugnen hohes Heil, 
    Nicht schnappen nach dem Angel schnell 
    Und wie der Fisch gefangen sein. 
(Vergl. Dhp.290) 
  
    509 
    «Man darf nicht frönen frei der Gier, 
    Muß wachsam horchen wie der Kettenhund: 
    Auf daß uns Gier nicht locken kann, 
    Gleichwie der Dieb den Hund verlockt. 
  
    510 
    «Ja, Leiden, grenzenlose Pein, 
    Und reichen Kummer, reichen Gram 
    Erfindet wer Begierden gierig folgt: 
    O Fluch der Gier, die nichtig narrt! 
  
    511 
    «Ich kenn' ein Ding, das altert nicht: 
    Was taugt Begier, die eilig altern macht? 
    Von Tod und Siechtum wird verzehrt 
    Geborne Sämung überall. 
  
    512 
    «Nicht kann das altern, sterben nicht, 
    Ist ohne Siechtum, ohne Tod, ist ohne Angst, 
    Und ohne Neid und ohne Not, 
    Ist unverrückbar, unerregbar, unverstört 
  
    513 
    «Errungen hat es mancher hier was ewig ist, 
    Erringen kann es heute noch der Mensch 
    Der mutig kämpft und kühn beharrt: 
    Nur wer sich selbst verleugnet hat gesiegt.» 
514 
    So gab Sumedhā Antwort ihm, 
    Genießen mochte nimmer sie der Lebenslust: 
    Sie wies dem Prinzen rechten Weg, 
    Und warf ihm vor die Füße hin ihr Haar. 
(Vergl. v. 480)
515 
    Da stand er ab, der edle Fürst; 
    Und vor dem Vater nun verneigt' er sich und sprach: 
    'O laßt von hinnen ziehn Sumedhā fort, 
    Erlösung finden, wahres Heil!' 
  
    516 
    Entlassen von den Eltern zog sie hin, 
    Zu enden alles Elend, alles Leid; 
    Sechs Wissensziele zeugte sie, 
    Und höchste Weisheit ging ihr auf. 
517 
    O Wunder über Wunder hier: 
    Erlösung hat erlangt ein Königskind! 
    Gelebtes Leben geb' ich kund, 
    Wie selber sie zuletzt es uns geoffenbart. 
  
    518 
    «Als Konāgamano einst Meister war, 
    Im neuen Park mit Jüngern weilte gern, 
    Da baten wir, drei edle Jungfrau'n, Ihn 
    Von uns zu nehmen an den Gartenhain. 
(Siehe Therag.490)
519 
    «Und zehnmal dann, und hundertmal, 
    Und hundertmal und hundertmal 
    In lichten Götterwelten lebten wir, 
    Geschweige mehr der Menschenwelt. 
  
    520 
    «In Himmeln glänzten wir gar hochbeglückt, 
    Wie mächtig unter Menschen erst: 
    War besten Kaisers Kaiserweib, 
    Die beste Gattin galt ich ihm. 
  
    521 
    «Das war die Folge, war mir Frucht und Lohn 
    Weil einst in Demut ich dem Herrn gedient: 
    Und heute hat mich jener erste sanfte Wunsch 
    Erlöschen lassen wahnversiegt.» 
(Vergl. Therag. 218,
    96) 
 
Ausgang
522 
    Verkündet ward uns also wohl das Wort 
    Von ihnen, die dem höchsten Weisen treu 
    Vernichtet hatten Daseinsdurst, 
    Genesen gingen heilig hin.