DAS WORT DES BUDDHA   

ZWEITE WAHRHEIT

Die Edle Wahrheit von der Leidens-Entstehung

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D.22

Dreifaches Begehren

Was aber, ihr Jünger, ist die Edle Wahrheit von der Leidens-Entstehung? Es ist dies jenes Wiederdasein erzeugende, bald hier, bald da sich ergötzende Begehren (tanhā), nämlich das Sinnliche Begehren, das Daseins-Begehren und das Nichtseins-Begehren.

Das "Sinnliche Begehren" (kāma-tanhā) ist das Verlangen nach den fünf Sinnenobjekten.

Das "Daseins-Begehren" (bhava-tanhā) ist das Verlangen nach fortgesetztem oder ewigem Dasein, insbesondere in den feinkörperlichen oder unkörperlichen Welten (rupa-, arupa-bhava). Es beruht auf der Ewigkeits-Ansicht (bhava- oder sassataditthi), d. i. dem Glauben an eine auch nach, dem Tode fortbestehende Ichwesenheit.

Das "Nichtseins-Begehren" (vibhava-tanhā) beruht auf der Selbstvernichtungs-Ansicht (vibhava- oder ucchedaditti), d. i. dem Glauben, daß es zwar ein Ich gebe, daß dieses aber nach dem Tode der Vernichtung anheim falle.

37

D.22

ENTSTEHUNG DES BEGEHRENS

Wo aber entsteht dieses Begehren, wo faßt es Wurzel? Bei den lieblichen und angenehmen Dingen in der Welt, da entsteht dieses Begehren, da faßt es Wurzel.

Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist; Formen, Töne, Düfte, Säfte, Körpereindrücke und Geistobjekte sind etwas Liebliches und Angenehmes. Bewußtsein, Bewußtseinseindruck, aus dem Bewußtseinseindruck entstandenes Gefühl, Wahrnehmung, Wille, Begehren, Gedankenfassen und Überlegen, die durch Formen, Töne, Düfte, Säfte, Körpereindrücke und Geistobjekte bedingt sind, all diese sind etwas Liebliches und Angenehmes. Da entsteht dieses Begehren, da faßt es Wurzel.

M.38

Hat da einer mit dem Auge eine Form wahrgenommen, mit dem Ohre einen Ton, mit der Nase einen Duft, mit der Zunge einen Saft, mit dem Körper einen Körpereindruck, mit dem Geiste ein Geistobjekt, so faßt er bei einem lieblichen Objekt Zuneigung, und bei einem unliebsamen Objekt fühlt er Abneigung.

BEDINGTE ENTSTEHUNG

Was immer er für ein Gefühl (vedanā) empfindet—angenehm, unangenehm oder indifferent — das billigt und pflegt er und klammert sich daran (= "Begehren"). Während er aber das Gefühl billigt, pflegt und sich daran klammert, steigt in ihm Neigung auf. Die Neigung aber zu den Gefühlen, diese gilt als das "Anhaften" (upādāna); durch Anhaften aber bedingt ist dieser (gegenwärtige) Werdeprozeß (bhava), durch den (karmischen) Werdeprozeß bedingt ist die (Wieder-)Geburt (jāti), durch die Geburt aber bedingt entstehen Altern und Sterben, Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung. Also kommt es zur Entstehung dieser ganzen Leidensfülle.

 

Die Reihe der "Bedingten Entstehung" (paticca-samuppāda), die in diesem Text nur teilweise wiedergegeben wird, mag also als eine ausführliche Darstellung der 2. Wahrheit angesehen werden.

38

M.13

Diesseitige Wirkung Unheilsamen Karmas

Wahrlich, durch Begehrsucht bedingt, durch Begehrsucht veranlaßt, durch Begehrsucht bewogen, eben bloß aus Begehrsucht streiten Fürsten mit Fürsten Adelige mit Adeligen, Priester mit Priestern, Hausväter mit Hausvätern, streitet die Mutter mit dem Sohn, der Sohn mit der Mutter, der Vater mit dem Sohn, der Sohn mit dem Vater, streitet Bruder mit Bruder, Bruder mit Schwester, Schwester mit Bruder, Freund mit Freund. Und so in Streit, Zank und Zwist geraten greifen sie sich gegenseitig mit Fäusten, Stöcken und Schwertern an. Dabei nun erleiden sie den Tod oder tödliche Schmerzen. Das aber ist der Unsegen der Begehrsucht, die sichtbare Leidensanhäufung, durch Begehrsucht bedingt, durch Begehrsucht veranlaßt, durch Begehrsucht erzeugt, durch Begehrsucht verursacht

Und fernerhin: durch Begehrsucht bedingt, durch Begehrsucht veranlaßt, durch Begehrsucht bewogen, eben bloß aus Begehrsucht brechen die Menschen in Häuser ein, rauben, plündern Häuser, verüben Wegelagerei gehen zu den Frauen anderer. Solche nehmen die Fürsten fest und verhängen mancherlei Strafen über sie. Und so erleiden sie den Tod oder tödliche Schmerzen Das aber ist der Unsegen der Begehrsucht die sichtbare Leidensanhäufung, durch Begehrsucht bedingt, durch Begehrsucht veranlaßt, durch Begehrsucht erzeugt, durch Begehrsucht verursacht.

Jenseitige Wirkung Unheilsamen Karmas

Und fernerhin: durch Begehrsucht bedingt, durch Begehrsucht veranlaßt, durch Begehrsucht bewogen, eben bloß aus Begehrsucht führen die Menschen einen üblen Wandel in Werken, Worten und Gedanken. Und in Werken, Worten und Gedanken einen üblen Wandel führend, geraten sie beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, in ein niederes Dasein, auf leidvolle Fährte, in verstoßene Welt, zur Hölle. Das aber ist der Unsegen der Begehrsucht, die jenseitige Leidensanhäufung, durch Begehrsucht bedingt, durch Begehrsucht veranlasst, durch Begehrsucht erzeugt, durch Begehrsucht verursacht.

Dhp.127

Nicht in den Lüften, nicht in Meeresmitte,
Nicht in den Bergesklüften sich versteckend,
Läßt sich ein Ort auf dieser Erde finden,
Wo weilend man der bösen Tat entginge

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A.VI.63

Den Willen (cetanā) bezeichne ich als das Wirken (kamma), denn mit dem Willen wirkt man die Tat in Werken, Worten und Gedanken . . . Es gibt Taten, ihr Jünger, die in der Hölle reifen, . . . im Tierschoß reifen, . . . im Gespensterreich reifen, . . . in der Menschenwelt reifen, . . . in der Himmelswelt reifen . . . Dreierlei aber ist das Ergebnis der Taten: entweder bei Lebzeiten reifend, oder in der nächsten Geburt, oder bei einer späteren Gelegenheit.

A.X.205

Eigner und Erben ihres Wirkens sind die Wesen, ihrem Wirken entsprungen, mit ihrem Wirken verknüpft, haben ihr Wirken zur Zuflucht und werden das gute und schlechte Wirken, das sie verüben, zum Erbe haben.

A.III.33

Und wo immer die Wesen ins Dasein treten, dort werden ihre Taten (kamma) zur Reife kommen. Und wo immer ihre Taten zur Reife kommen, dort werden sie die Früchte jener Taten ernten, sei es in diesem Leben oder im nächsten, oder in irgend einem späteren Leben.

S.22.99

Es wird eine Zeit kommen, ihr Jünger, wenn das große Weltmeer versiegt, austrocknet, nicht mehr da ist. Es wird eine Zeit kommen, ihr Jünger, wenn diese gewaltige Erde vom Feuer verzehrt wird, zunichte wird, nicht mehr da ist. Nicht aber, sage ich, ihr Jünger, gibt es ein Ende des Leidens für die von Unwissenheit (avijjā) gehemmten und von Begehren (tanhā) gefesselten Wesen, die diese Daseinsrunde durcheilen, diese Daseinsrunde durchwandern.

BEGEHREN

Die zweite Edle Wahrheit zeigt, daß die Entstehung des Leidens und der Leidenswelt in uns selber liegt. Damit ist gleichzeitig die Möglichkeit der Erlösung (3. Wahrheit) und eines Weges zu ihr (4. Wahrheit) gegeben. Begehren (tanhā) ist der Urheber des Daseins und des Wiederseins. Dieses Dasein aber ist, wie wir gesehen haben, kein wirkliches, beharrendes "Sein", sondern ein Werdeprozeß (bhava), dessen Verlauf eben durch den Charakter, die Stärke und die Richtung des Begehrens bestimmt wird.

KARMA

Denn das Begehren ist es, das allem lebensbejahenden Wirken des Menschen (kamma, Skr. karma) zugrunde liegt; und dieses Wirken in Werken, Worten und Gedanken ist es, das je nach seiner Beschaffenheit den Charakter und das Geschick des Menschen bestimmt und ihn die Folgen dieses Wirkens in immer erneuten Existenzen erfahren läßt. Das Dasein oder besser der "Werdeprozeß«, gliedert sich also in einen aktiven, verursachenden Karma-Prozeß (kamma-bhava), und seine Auswirkung, den Wiedergeburts-Prozeß (uppatti-bhava). Auch hier, in der Betrachtung von Karma, darf die Anattā-Lehre nicht außer Acht gelassen werden. Ebenso wie die auf dem Wasserspiegel eines Teiches dahineilende Welle nichts weiter ist als ein durch den Wind erzeugter und sich als fortgesetztes Sichheben und Sichsenken äußernder Vorgang: genau so ist es keine wirkliche Ichheit, die das Meer des Daseins durcheilt, sondern nur ein durch Begehren erzeugter Werdeprozeß, der je nach der Art des karmischen Wirkens bald als Mensch, bald als Tier oder unsichtbares Wesen in Erscheinung tritt, wobei das sich beständig wiederholende Aufleben und Absterben dieser Wesen mit den unaufhörlichen Hebungen und Senkungen des Wassers verglichen werden mag. Die Karma-Lehre hat daher hier, in der Behandlung der 2. Wahrheit von der Leidens-Entstehung, ihren gebührenden Platz. — Es sei nochmals betont, daß Karma das Wirken selber bedeutet und nicht etwa das Ergebnis des Wirkens oder gar des Schicksals des Menschen ist, wie es vielfach angenommen wird.

In der buddhistischen Lehre bezeichnet Karma den die Wiedergeburt erzeugenden oder beeinflussenden heilsamen oder unheilsamen Willen (kusala- oder akusala-cetanā), sowie die damit verbundenen Geistesfaktoren.


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