Anguttara Nikaya

6. Kapitel: sacitta-vagga

A.X.51 Selbstprüfung - I

Im Jetahain bei Sāvatthī.

Wenn da, ihr Mönche, ein Mönch mit der Geistesbeschaffenheit anderer nicht vertraut ist, so hat er danach zu streben, mit der Beschaffenheit seines eigenen Geistes vertraut zu werden. Wie aber, ihr Mönche, ist der Mönch mit der Beschaffenheit seines eigenen Geistes vertraut?

Gleichwie, ihr Mönche, wenn da eine Frau oder ein Mann, jung, jugendlich und schmuckliebend, in einem reinen, hellen Spiegel oder einem Gefäße mit klarem Wasser das Antlitz betrachtend, darin Staub oder Schmutz bemerkt und sich dann bemüht, diesen Staub oder Schmutz zu entfernen; und wenn er darin keinen Staub und Schmutz bemerkt, er dann vergnügt ist und sein Wunsch befriedigt: »Wohl mir, rein ich!« Ebenso auch, ihr Mönche, ist für den Mönch die Selbstprüfung hinsichtlich heilsamer Eigenschaften von großer Wichtigkeit (ChS, PTS: paccavekkhanā bahukārā hoti):

»Bin ich wohl häufig voller Gier, oder bin ich häufig gierlos? Bin ich wohl häufig gehässigen Geistes, oder bin ich häufig haßlosen Geistes? Bin ich häufig von Starrheit und Müdigkeit befallen, oder bin ich häufig frei von Starrheit und Müdigkeit? Bin häufig aufgeregt, oder bin ich häufig von Aufregung frei? Bin ich häufig voller Zweifel, oder bin ich häufig von Zweifeln frei? Bin ich häufig zornig, oder bin ich häufig frei von Zorn? Ist mein Geist häufig befleckt von den Leidenschaften, oder ist häufig unbefleckt? Ist wohl mein Körper (und Geist) häufig in beklommener Spannung (*1), oder ist er häufig davon frei? Bin ich häufig träge oder häufig voller Energie? Bin ich häufig ohne geistige Sammlung, oder bin ich häufig geistig gesammelt?«

Erkennt nun der Mönch bei seiner Selbstprüfung, daß er häufig voll Gier ist, voll gehässiger Gesinnung, starr und müde, aufgeregt, zweiflerisch, zornig, befleckten Geistes, körperlich (und geistig) beklommen und gespannt, träge und ungesammelt - so hat eben jener Mönch zur Überwindung dieser üblen, unheilsamen Dinge äußersten Willensentschluss, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Besonnenheit einzusetzen.

Erkennt aber der Mönch bei seiner Selbstprüfung, daß er häufig gierfrei ist, ohne gehässige Gesinnung, frei von Starrheit und Müdigkeit, ohne Aufregung, Zweifels, ohne Zorn, unbefleckten Geistes, körperlich (und geistig) frei von Beklommenheit und Spannung, energisch und gesammelt - so hat eben jener Mönch, in diesen heilsamen Eigenschaften gefestigt, weiterhin nach Versiegung aller Triebe zu streben.


(*1) Körper... in beklommener Spannung... davon frei«: sāraddha-kāyo... anāraddha-kāyo.


A.X. 52 Selbstprüfung - II

(Gleichlautend mit Text 51; jedoch von Sāriputta gesprochen.)


A.X. 53 Rückschritt, Stillstand und Fortschritt

Nicht einmal den Stillstand in den heilsamen Dingen lobe ich, ihr Mönche, geschweige denn den Rückschritt. Nur den Fortschritt in den heilsamen Dingen lobe ich, ihr Mönche, nicht den Stillstand, nicht den Rückschritt.

Inwiefern aber, ihr Mönche, gibt es einen Rückschritt in den heilsamen Dingen keinen Stillstand, keinen Fortschritt? Wie stark auch immer ein Mönch sein mag in Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit, Weisheit und Schlagfertigkeit, wenn diese Eigenschaften in ihm weder bleiben noch zunehmen, so nenne ich das eben, ihr Mönche, einen Rückschritt in den heilsamen Dingen, und keinen Stillstand oder Fortschritt. Insofern, ihr Mönche, gibt es einen Rückschritt in den heilsamen Dingen keinen Stillstand, keinen Fortschritt.

Inwiefern aber, ihr Mönche, gibt es einen Stillstand in den heilsamen Dingen keinen Rückschritt, keinen Fortschritt? Wie stark auch immer ein Mönch sein mag in Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit, Weisheit und Schlagfertigkeit, wenn diese Eigenschaften in ihm weder abnehmen noch zunehmen, so nenne ich das eben einen Stillstand in den heilsamen Dingen und keinen Rückschritt oder Fortschritt. Insofern, ihr Mönche, gibt es einen Stillstand in den heilsamen Dingen, keinen Rückschritt, keinen Fortschritt.

Inwiefern aber, ihr Mönche, gibt es einen Fortschritt in den heilsamen Dingen, keinen Stillstand, keinen Rückschritt? Wie stark auch immer ein Mönch sein mag in Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Freigebigkeit, Weisheit und Schlagfertigkeit, wenn diese Eigenschaften in ihm weder so bleiben noch abnehmen, so nenne ich das eben einen Fortschritt in den heilsamen Dingen und keinen Stillstand oder Rückschritt. Insofern, ihr Mönche, gibt es einen Fortschritt in den heilsamen Dingen, keinen Stillstand, keinen Rückschritt.

(Es folgt hier der volle Text 51.)


A.X. 54 Selbstprüfung - III

Wenn da, ihr Mönche, ein Mönch mit der Geistesbeschaffenheit anderer nicht vertraut ist, so hat er danach zu streben, mit der Beschaffenheit seines eigenen Geistes vertraut zu werden.

Gleichwie, ihr Mönche, wenn da eine Frau oder ein Mann, jung, jugendlich und schmuckliebend, in einem reinen, hellen Spiegel oder einem Gefäß mit klarem Wasser das Antlitz betrachtend, darin Staub oder Schmutz bemerkt und sich dann bemüht, diesen Staub oder Schmutz zu entfernen; und wenn er darin keinen Staub und Schmutz bemerkt, er dann vergnügt ist und sein Wunsch befriedigt: »Wohl mir, rein bin ich!« Ebenso auch, ihr Mönche, ist für den Mönch die Selbstprüfung hinsichtlich heilsamer Eigenschaften von großer Wichtigkeit:

»Besitze ich wohl die innere Geistesruhe (ajjhattam cetosamatha), oder besitze ich sie nicht? Besitze ich wohl den 'Hohen Wissenshellblick bei den Daseinserscheinungen, (adhipaññā-dhammavipassanā, s. VisM, XXII)' oder besitze ich ihn nicht?«

Wenn nun, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Selbstprüfung erkennt, daß er die innere Geistesruhe besitzt, nicht aber den Hohen Wissenshellblick bei den Daseinserscheinungen, so hat jener Mönch, gefestigt in der inneren Geistesruhe, nach dem Hohen Wissenshellblick zu streben. In der Folgezeit wird er dann sowohl innere Geistesruhe besitzen als auch den Hohen Wissenshellblick bei den Daseinserscheinungen.

Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Selbstprüfung erkennt, daß er den hohen Wissenhellblick bei den Daseinserscheinungen besitzt, nicht aber die innere Geistesruhe, so hat jener Mönch, gefestigt im Hohen Wissenshellblick, nach der inneren Geistesruhe zu streben. In der Folgezeit wird er dann sowohl den Hohen Wisenshellblick besitzen als auch die innere Geistesruhe.

Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Selbstprüfung erkennt, daß er weder die innere Geistesruhe besitzt noch den Hohen Wissenshellblick bei den Daseinserscheinungen, so hat jener Mönch, um eben diese heilsamen Dinge zu erwirken, äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit einzusetzen. Gleichwie einer, dessen Kleider oder Haare in Flammen stehen, um diese zu löschen, äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit zu betätigen hat; ebenso muß auch ein Mönch, um jene heilsamen Dinge zu erwirken, äußersten Willensentschluß... einsetzen. In der Folgezeit wird er dann sowohl innere Geistesruhe besitzen als auch den Hohen Wissenshellblick bei den Daseinserscheinungen.

Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Selbstprüfung erkennt, daß er sowohl die innere Geistesruhe besitzt als auch den Hohen Wissenshellblick, so hat eben jener Mönch, in diesen heilsamen Eigenschaften gefestigt, weiterhin nach Versiegung aller Triebe zu streben.

Hinsichtlich eines Gewandes, ihr Mönche, lehre ich zweierlei: ob man es tragen soll oder nicht; zweierlei hinsichtlich der Almosenspeise: ob man sie genießen soll oder nicht; zweierlei hinsichtlich der Wohnstätte: ob man sie bewohnen soll oder nicht; zweierlei hinsichtlich Dorf und Stadt: ob man sie besuchen soll oder nicht; zweierlei hinsichtlich eines Landes: ob man darin leben soll oder nicht; zweierlei hinsichtlich eines Menschen: ob man mit ihm verkehren soll oder nicht.

(Die hier folgende Erklärung entspricht derjenigen in A.IX.6; hier jedoch in der obigen Reihenfolge und mit der Änderung von »hat man zu wissen« in »lehre ich«.)


A.X. 55 Selbstprüfung - IV

Der ehrwürdige Sāriputta sprach:

»Man spricht da, ihr Brüder, von einem dem Rückschritt verfallenen Menschen. Inwiefern nun, ihr Brüder, hat der Erhabene einen Menschen als dem Rückschritt verfallen bezeichnet und inwiefern als nicht dem Rückschritt verfallen?«

-»Von weither selbst würden wir kommen, o Bruder, um vom verehrten Sāriputta den Sinn dieser Worte zu erfahren.«

-»So höret denn, ihr Brüder, und achtet wohl auf meine Worte.«

-»Ja, o Bruder«, erwiderten jene Mönche, und der ehrwürdige Sāriputta sprach:

»Inwiefern nun, ihr Brüder, hat der Erhabene einen Menschen als dem Rückschritt verfallen bezeichnet? Da, ihr Brüder, bekommt der Mönch eine noch nicht vernommene Lehre nicht zu hören; die bereits vernommenen Lehren entfallen ihm; die früher im Geiste erwogenen Lehren sind ihm nicht mehr gegenwärtig; und das Unverstandene lernt er nicht verstehen. Insofern, ihr Brüder, hat der Erhabene einen Menschen als dem Rückschritt verfallen bezeichnet.

Inwiefern aber, ihr Brüder, hat der Erhabene einen Menschen als nicht dem Rückschritt verfallen bezeichnet? Da, ihr Brüder, bekommt der Mönch eine bisher nicht vernommene Lehre zu hören; die vernommenen Lehren entfallen ihm nicht; die früher im Geiste erwogenen Lehren bleiben ihm gegenwärtig; das bisher Unverstandene lernt er verstehen. Insofern, ihr Brüder, hat der Erhabene einen Menschen als nicht dem Rückschritt verfallen bezeichnet.«

(Hier folgt wieder der gesamte Text 51. Zu den dort genannten Eigenschaften, die in der Selbstprüfung als vorhanden oder nicht vorhanden festgestellt werden, kommen jedoch in Text 55 hinzu: »Freude an der Lehre, innere Geistesruhe, der Hohe Wissenshellblick bei den Daseinserscheinungen«. Die etwas unterschiedliche Formulierung ist hier: »Weile ich wohl häufig gierlos? Findet sich diese Eigenschaft in mir oder nicht?« usw.


A.X. 56-57 Zehn segensreiche Vorstellungen

Zehn Vorstellungen, ihr Mönche, wenn entfaltet und häufig geübt, bringen hohen Lohn und Segen; sie münden im Todlosen, enden im Todlosen. Welche zehn?

(56) Die Vorstellung der Unreinheit (des Körpers), des Todes, des Ekelhaften bei der Nahrung, der Reizlosigkeit des ganzen Daseins, der Vergänglichkeit, des Leidhaften in der Vergänglichkeit, der Ichlosigkeit im Leidhaften, des Aufgebens, der Entsüchtung und des Erlöschens.

  1. Die Vorstellung der Vergänglichkeit, der Ichlosigkeit, des Todes, des Ekelhaften bei der Nahrung, der Reizlosigkeit des ganzen Daseins; die Vorstellung eines Knochengerippes, einer von Würmern angefressenen Leiche, einer blau-schwarz verfärbten Leiche, einer zerstückelten Leiche, einer aufgedunsenen Leiche.

A.X. 58 Über das Wesen aller Dinge

Sollten da, ihr Mönche, andersgläubige Wanderasketen euch fragen, worin wohl die sämtlichen Erscheinungen wurzeln, wodurch sie erzeugt werden, wodurch bedingt sie entstehen, was sie zusammenhält, was ihr Führer ist, wodurch sie gemeistert werden, was ihr Höchstes ist und ihr wahrer Zweck, worin sie münden und enden - so habt ihr da, derart befragt, diesen andersgläubigen Wanderasketen so zu antworten:

»Im Willen (*1), ihr Brüder, wurzeln alle Dinge; durch Aufmerksamkeit (manasikāra) werden sie zeugt; durch den Sinnen-Eindruck bedingt entstehen sie; das Gefühl hält sie zusammen; die Sammlung ist ihr Führer; durch die Achtsamkeit werden sie gemeistert; die Weisheit ist ihr Höchstes; die Befreiung ist ihr wahrer Zweck; im Todlosen münden sie, und sie enden im Nibbāna.« (Zum Vorstehenden vgl. A.IX.14)


(*1) chanda (Wille) - ein an sich ethisch indifferenter Begriff - bedeutet hier, dem K zufolge, soviel wie Absicht (ajjhāsaya-chanda) und Wunsch zu handeln (kattukamyata-chanda).


A.X. 59 Wonach der Mönch streben soll

Darum (*1), ihr Mönche, sollt ihr also streben:

Hat nun der Mönch sein Herz im Geiste echter Mönchsgesinnung bestärkt, und die aufgestiegenen üblen, unheilsamen Dinge halten sein Herz nicht mehr gefesselt; und hat er sein Herz (in allen jenen Vorstellungen) bestärkt, so mag er eine von beiden Früchten erwarten: noch bei Lebzeiten das Höchste Wissen (der Heiligkeit) oder, wenn noch ein Haftensrest übrigbleibt, die Nichtwiederkehr.


(*1) Der Beginn mit »Darum« (tasmātiha) läßt darauf schließen, daß hier eine Einleitung fehlt.

(*2) yathā-pabbajjā-paricitam; wtl: gemäß dem Herausziehen (d.h. aus dem Hausleben ins Mönchstum) bestärkt. K: im Streben nach Heiligkeit.

(*3) bhavañca vibhavañca. Die Übersetzung folgte K, der erklärt: vaddhiñca vināsañca, oder: sampatti: vipatti (Erfolg und Mißerfolg).


A.X.60 Die Heilung des Girimānanda

Einst weilte der Erhabene im Jetahaine bei Sāvatthī, im Kloster des Anāthapindika. Damals nun war der ehrwürdige Girimānanda krank, leidend, von schwerer Krankheit befallen. Und der ehrwürdige Ananda begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprach der ehrwürdige Ananda zum Erhabenen also:

»Der ehrwürdige Girimānanda, o Herr, ist krank, leidend, von schwerer Krankheit befallen. Gut wäre es, o Herr, wenn sich der Erhabene zu ihm hinbegeben möchte durch Mitleid bewogen.«

-»Wenn du, Ananda, zum Mönche Girimānanda hingehen und ihm zehn Betrachtungen weisen willst, so mag es sein, daß nach deren Anhören die Krankheit des Mönches Girimānanda auf der Stelle schwindet. Welches sind die zehn Betrachtungen?

  1. Die Betrachtung der Vergänglichkeit,
  2. der Ichlosigkeit,
  3. der Unreinheit,
  4. des Elends
  5. des Aufgebens,
  6. der Entsüchtung,
  7. der Erlöschung,
  8. der Reizlosigkeit allen Daseins,
  9. die Betrachtung der Vergänglichkeit aller Daseinsbildungen und
  10. die Achtsamkeit bei Ein- und Ausatmung.

1. Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Vergänglichkeit? Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung, und erwägt bei sich also: 'Vergänglich ist die Körperlichkeit, vergänglich ist das Gefühl, vergänglich ist die Wahrnehmung, vergänglich sind die Gestaltungen, vergänglich ist das Bewußtsein.' So verweilt er bei den fünf die Objekte des Haftens bildenden Daseinsgruppen in der Betrachtung ihrer Vergänglichkeit.

2. Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Ichlosigkeit? Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung, und erwägt bei sich also: 'Ohne ein Ich sind Auge und Formen, ohne ein Ich Ohr und Töne, ohne ein Ich Nase und Düfte, ohne ein Ich Zunge und Geschmäcke, ohne ein Ich der Körper und die Körpereindrücke, ohne ein Ich der Geist und die Geistobjekte.' So weilt er bei diesen sechs inneren und sechs äußeren Sinnengrundlagen in der Betrachtung ihrer Ichlosigkeit. Das, Ananda, nennt man die Betrachtung der Ichlosigkeit.

3. Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Unreinheit? Da betrachtet der Mönch diesen Körper, von der Fußsohle aufwärts und vom Haarschopf abwärts, den hautumgrenzten, mit vielerlei Unrat angefüllten, so nämlich: 'An diesem Körper gibt es Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen, Knochenmark, Nieren, Herz, Leber, Innenhaut, Milz, Lunge, Darm, Gekröse, Mageninhalt, Kot, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett, Tränen, Lymphe, Speichel, Rotz, Gelenköl und Urin.' So weilt er bei diesem Körper in Betrachtung seiner Unreinheit. Das, Ananda, nennt man die Betrachtung der Unreinheit.

4. Was aber, Ananda, ist die Betrachtung des Elends? Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung und erwägt bei sich also: 'Wahrlich, voller Leiden ist dieser Körper, voller Elend. Es entstehen in diesem Körper mannigfache Leiden, als wie Erkrankungen von Auge, Ohr, Nase, Zunge, Leib, Kopf, Ohrmuschel, Mund und Zähnen, Husten, Engbrüstigkeit, Schnupfen, Entzündung, Fieber, Magenschmerzen, Ohnmacht, Durchfall, Gliederreißen, Ruhr, Aussatz, Beulen, Ausschlag, Schwindsucht, Fallsucht, Zitteroch, Jucken, Grind, Krätze, Räude, Erkrankungen des Blutes und der Galle, Zuckerkrankheit, Lähmung, Blattern, Fistel, durch Galle, Schleim und Gase oder deren Zusammenwirken hervorgerufene Krankheiten, durch Temperaturwechsel, unregelmäßige Lebensweise und Unfall bedingte Krankheiten, durch früheres Karma verschuldete Krankheiten, sowie Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Kot und Urin.' So weilt er bei diesem Körper in Betrachtung des Elends. Das, Ananda, ist die Betrachtung des Elends.

5. »Was aber Ananda, ist die Betrachtung des Aufgebens? Da läßt der Mönch einen aufgestiegenen sinnlichen Gedanken nicht Fuß fassen, überwindet, vertreibt und verrichtet ihn, bringt ihn zum Schwinden. Er läßt einen aufgestiegenen Gedanken des Hasses... der Schädigung sowie (andere) jeweils aufsteigende üble, unheilsame Dinge nicht Fuß fassen, überwindet, vertreibt und vernichtet sie, bringt sie zum Schwinden. Das, Ananda, nennt man die Betrachtung des Aufgebens.

6. »Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Entsüchtung? Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung und wägt bei sich also: 'Das ist der Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand aller Daseinsgebilde, die Entledigung von allen Daseinssubstraten, die Gierversiegung, die Entsüchtung, das Nibbāna!' Das, Ananda, nennt man die Betrachtung Entsüchtung.

7. »Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Erlöschung? Da begibt sich der Mönch den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung und erwägt bei sich also: 'Das ist der Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand aller Daseinsgebilde, die Entledigung von allen Daseinssubstraten, die Gierversiegung, die Erlöschung, das Nibbāna!' Das, Ananda, nennt man die Betrachtung der Erlöschung.

8. »Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Reizlosigkeit allen Daseins? Da überwindet der Mönch das krampfhafte Hängen an der Welt, diese beharrliche, hartnäckige Tendenz des Geistes, er wendet sich davon ab und haftet nicht daran. Das, Ananda, nennt man die Betrachtung der Reizlosigkeit allen Daseins.

9. »Was aber, Ananda, ist die Betrachtung der Vergänglichkeit aller Daseinsbildungen? Da empfindet der Mönch Entsetzen, Ekel und Abscheu vor allen Daseinsbildungen. Das, Ananda, nennt man die Betrachtung der Vergänglichkeit aller Daseinsbildungen.

10. »Was aber Ananda, ist die Achtsamkeit bei Ein- und Ausatmung? Da begibt sich der Mönch in den Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine einsame Behausung. Mit gekreuzten Beinen setzt er sich nieder, den Körper gerade aufgerichtet, die Achtsamkeit vor sich gegenwärtig haltend. Achtsam atmet er ein, achtsam atmet er aus.

Atmet er kurz ein, so weiß er: 'Ich atme kurz ein'; atmet er kurz aus, so weiß er: 'Ich atme kurz aus'. Atmet er lang ein, so weiß er: 'Ich atme lang ein'; atmet er lang aus, so weiß er: 'Ich atme lang aus'. 'Den ganzen (Atem-) Körper klar empfindend, will ich einatmen', so übt er sich. 'Den ganzen (Atem-) Körper klar empfindend, will ich ausatmen', so übt er sich. 'Die Körperfunktion beruhigend, will ich einatmen', so übt er sich. 'Die Körperfunktion beruhigend, will ich ausatmen', so übt er sich.

'Die Verzückung klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Die Freude klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Die Geistesfunktion klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Die Geistesfunktion beruhigend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich.

'Den Geisteszustand klar empfindend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Den Geist erheiternd, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Den Geist sammelnd, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Den Geist befreiend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich.

'Die Vergänglichkeit betrachtend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Die Entsüchtung betrachtend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Die Erlöschung betrachtend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich. 'Die Entledigung betrachtend, will ich einatmen... ausatmen', so übt er sich.

Das, Ananda, nennt man die Achtsamkeit bei Ein- und Ausatmung (*1).

Wenn du, Ananda, zum Mönche Girimānanda gehen und ihm diese zehn Betrachtungen weisen willst, so mag es sein, daß nach deren Anhören die Krankheit des Mönches Girimānanda auf der Stelle schwindet.«

Nachdem nun der ehrwürdige Ananda vom Erhabenen diese zehn Betrachtungen gelernt hatte, begab er sich zum ehrwürdigen Girimānanda und unterwies ihn in diesen zehn Betrachtungen. Sobald aber der ehrwürdige Girimānanda diese zehn Betrachtungen vernommen hatte, legte sich seine Krankheit auf der Stelle. Er erhob sich von seinem Krankenlager und war von seiner Krankheit geheilt.


(*1) Über die »Achtsamkeit bei Ein- und Ausatmung« siehe ausführlich in VisM, VIII.3.


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