Anguttara Nikaya

7. Kapitel: yamaka-vagga

A.X. 61-62 Bedingte Entstehung

(61) Nicht läßt sich, ihr Mönche, ein erster Anfang der Unwissenheit (*1) derart er kennen, als ob Unwissenheit vordem nicht dagewesen und erst später entstanden wäre. Wohl aber läßt sich erkennen. daß die Unwissenheit eine bestimmte Bedingung hat (idapaccayā). Auch die Unwissenheit, sage ich, hat eine sie ernährende Bedingung (sāhāram, wtl: mit Nährstoff), ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der Unwissenheit? »Die fünf Hemmungen«, hätte man zu antworten.

(62) Nicht läßt sich, ihr Mönche, ein erster Anfang des Daseinsdurstes (bhava-tanhā) derart erkennen, als ob der Daseinsdurst vordem nicht dagewesen und erst später entstanden wäre. Wohl aber läßt sich erkennen, daß der Daseinsdurst eine bestimmte Bedingung hat. Auch der Daseinsdurst hat eine ihn ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung des Daseinsdurstes? »Die Unwissenheit«, hätte man zu antworten. Aber auch die Unwissenheit, sage ich, hat eine sie ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der Unwissenheit? »Die fünf Hemmungen«, hätte man zu antworten.

(61-62) Doch auch die fünf Hemmungen, sage ich, haben eine sie ernährende Bedingung, sind nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der fünf Hemmungen? »Der dreifach üble Wandel (in Werken, Worten und Gedanken)«, hätte man zu antworten.

Doch auch der dreifach üble Wandel, sage ich, hat eine ihn ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die Bedingung des dreifach üblen Wandels? »Das Ungezügeltsein der Sinne«, hätte man zu antworten.

Doch auch das Ungezügeltsein der Sinne, sage ich, hat eine es ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die Bedingung für das Ungezügeltsein der Sinne? »Unachtsamkeit und Unbesonnenheit«, hätte man zu antworten.

Doch auch Unachtsamkeit und Unbesonnenheit, sage ich, haben eine sie ernährende Bedingung, sind nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die Bedingung für Unachtsamkeit und Unbesonnenheit? »Unweises Nachdenken«, hätte man zu antworten.

Doch auch das unweise Nachdenken, sage ich, hat eine es ernährende Bedingung, nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die Bedingung des unweisen Nachdenkens? »Vertrauenslosigkeit«, hätte man zu antworten.

Doch auch die Vertrauenslosigkeit, sage ich, hat eine sie ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die Bedingung der Vertrauenslosigkeit? Das Hören falscher Lehren«, hätte man zu antworten.

Doch auch das Hören falscher Lehren, sage ich, hat eine es ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die Bedingung für das Hören falscher Lehren? »Der Umgang mit schlechten Menschen«, hätte man zu antworten.

Der Umgang mit schlechten Menschen also, ihr Mönche, einmal zustande gekommen, führt zum Hören falscher Lehren. Das Hören falscher Lehren, einmal zustande gekommen, führt zur Vertrauenslosigkeit. Die Vertrauenslosigkeit, einmal zustande gekommen, führt zu unweisem Nachdenken. Unweises Nachdenken, einmal zustande gekommen, führt zu Unachtsamkeit und Unbesonnenheit. Unachtsamkeit und Unbesonnenheit, einmal zustande gekommen, führen zum Ungezügeltsein der Sinne. Das Ungezügeltsein der Sinne, einmal zustande gekommen, führt zum dreifach üblen Wandel. Der dreifach üble Wandel, einmal zustande gekommen, führt zum Auftreten der fünf Hemmungen. Die fünf Hemmungen, wenn aufgetreten, führen zur Unwissenheit.

(62:) Die Unwissenheit, wenn aufgetreten, führt zum Daseinsdurst. Das also ist die ernährende Bedingung dieses Daseinsdurstes, und so kommt er zustande.

Gleichwie, ihr Mönche, wenn es oben im Gebirge stark regnet, das Wasser beim Hinabfließen die Bergschluchten, Klüfte und Rinnen füllt, die vollen Bergschluchten, Klüfte und Rinnen aber die kleinen Teiche füllen, die gefüllten kleinen Teiche die Seen, die gefüllten Seen die Flüsse, die Flüsse die Ströme füllen und die Ströme das Meer; ebenso auch, ihr Mönche, führt der Umgang mit schlechten Menschen, einmal zustande gekommen, zum Hören falscher Lehren... führt die Unwissenheit, wenn aufgetreten, zum Daseinsdurst. Das also ist die ernährende Bedingung dieses Daseinsdurstes, und so kommt er zustande.

Auch die Wissenserlösung, sage ich, ihr Mönche, hat eine sie ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der Wissenserlösung? »Die sieben Erleuchtungsglieder«, hätte man zu antworten.

Doch auch die sieben Erleuchtungsglieder haben eine sie ernährende Bedingung, sind nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der sieben Erleuchtungsglieder? »Die vier Grundlagen der Achtsamkeit«, hätte man zu antworten.

Doch auch die vier Grundlagen der Achtsamkeit haben eine sie ernährende Bedingung, sind nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der vier Grundlagen der Achtsamkeit? »Der dreifach gute Wandel«, hätte man zu antworten.

Doch auch der dreifach gute Wandel hat eine ihn ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung des dreifach guten Wandels? »Die Sinnenzügelung«, hätte man zu antworten.

Doch auch die Sinnenzügelung hat eine sie ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der Sinnenzügelung? »Achtsamkeit und Besonnenheit«, hätte man zu antworten.

Doch auch Achtsamkeit und Besonnenheit haben eine sie ernährende Bedingung, und nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung der Achtsamkeit und Besonnenheit? »Weises Nachdenken«, hätte man zu antworten.

Doch auch das weise Nachdenken hat eine es ernährende Bedingung, ist nicht ohne solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung des weisen Nachdenkens? »Das Vertrauen«, hätte man zu antworten. Doch auch das Vertrauen hat eine es ernährende Bedingung, ist nicht ohne eine solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung des Vertrauens? »Das Hören der Guten Lehre«, hätte man zu antworten.

Doch auch das Hören der Guten Lehre hat eine es ernährende Bedingung, ist nicht eine solche Bedingung. Und was ist die ernährende Bedingung des Hörens der Guten Lehre? »Der Umgang mit edlen Menschen«, hätte man zu antworten.

Der Umgang mit edlen Menschen also, ihr Mönche, einmal zustande gekommen, führt zum Hören der Guten Lehre. Das Hören der Guten Lehre, einmal zustande kommen, führt zum Vertrauen. Das Vertrauen, einmal zustande gekommen, führt zu weisem Nachdenken. Das weise Nachdenken, einmal zustande gekommen, führt zu Achtsamkeit und Besonnenheit. Achtsamkeit und Besonnenheit, einmal zustande gekommen, führen zur Sinnenzügelung. Sinnenzügelung, einmal zustande gekommen, führt zum dreifach guten Wandel. Der dreifach gute Wandel, einmal zustande gekommen, führt zu den vier Grundlagen der Achtsamkeit. Die vier Grundlagen der Achtsamkeit, einmal zustande gekommen, führen zu den sieben Erleuchtungsgliedern. Die sieben Erleuchtungsglieder, einmal zustande gekommen, führen zur Wissenserlösung. Das also ist die ernährende Bedingung der Wissenserlösung, und so kommt sie zustande.

Gleichwie, ihr Mönche, wenn es oben im Gebirge stark regnet, das Wasser beim abfließen die Bergschluchten, Klüfte und Rinnen füllt, die vollen Bergschluchten, Klüfte und Rinnen aber die kleinen Teiche füllen, die gefüllten kleinen Teiche die Seen, die vollen Seen die Flüsse, die Flüsse die Ströme füllen und die Ströme das Meer; ebenso auch, ihr Mönche, führt der Umgang mit edlen Menschen, einmal zustande gekommen, zum Hören der Guten Lehre;... führen die sieben Erleuchtungsglieder, einmal zustande gekommen, zur Wissenserlösung. Das also ist die ernährende Bedingung der Wissenserlösung, und so kommt sie zustande.


(*1) avijjā ist das erste Glied der Reihe der Bedingten Entstehung (paticca-samuppāda; s. A.III.62). Die Aussagen unseres Textes schließen das Mißverständnis aus, daß Unwissen als ein Uranfang im absoluten Sinne aufgefaßt wird. Das gleiche gilt für das Begehren oder den 'Durst' (in Text 62 als 'Daseinsdurst' bhava-tanhā erwähnt), das in der zweiten Heiligen Wahrheit als Leidensentstehung genannt wird. Nichtwissen sowohl wie Begehren sind selber bedingt entstanden (und darum aufhebbar), stellen aber die Hauptbedingungen für das Weltleid dar.


A.X. 63 Gewißheit

Diejenigen, ihr Mönche, die in mir Gewißheit (*1) gefunden haben, alle diese sind zur Erkenntnis gekommen (*2) Von diesen Erkennenden erreichen fünf hier (in dieser Welt) die Vollendung (*3) (Nibbāna); und fünf erreichen, von hier abgeschieden (*4), die Vollendung.

Welche fünf erreichen hier die Vollendung?

Welche fünf aber erreichen, von hier abgeschieden, die Vollendung?


(*1) nitthangatā. Dies ist gleichbedeutend mit dem »unerschütterlichen Vertrauen« (aveccappasāda), einem Kennzeichen der hier behandelten Stufe des »Stromeintritts«.

(*2) ditthi-sampannā, eine Bezeichnung der »Stromergriffenen« (sotāpanna).

(*3) nitthā: hier in der Bedeutung »das Ende« oder »der Abschluß« (der Wiedergeburten).

(*4) K: diese Welt verlassend und in der Brahmawelt der 'Reinen Gefilde' (suddhāvāsa) wiedergeboren.

(*5) Dies sind die drei Arten eines Sotāpanna; s A.III.88, A.IX.12.

(*6) Die fünf Arten eines Nichtwiederkehrers (anāgāmī), s. A.III.88; A.IX.12.. - Die fünf erstgenannten Jünger erreichen die Vollendung hier in der Sinnenwelt (kāma-loka), und zwar in einer späteren Wiedergeburt; die anderen fünf jedoch in den zur feinkörperlichen Welt (rūpa-loka) gehörenden 'Reinen Gefilden'.


A.X. 64 Unerschütterliches Vertrauen

Diejenigen, ihr Mönche, die zu mir unerschütterliches Vertrauen haben, alle diese sind in den Strom eingetreten. Von diesen in den Strom Eingetretenen erreichen fünf hier (in dieser Welt) die Vollendung; und fünf erreichen, von hier abgeschieden, die Vollendung.

(Fortsetzung wie in Text 63.)


A.X. 65 Was ist Glück, was Elend?

Bei Nālakagāmaka im Magadherlande.

Der Wanderasket Sāmandakāni sprach zum ehrwürdigen Sāriputta:

»Was, Freund Sāriputta, ist wohl Glück und was ist Elend?«

-»Wiedergeborenwerden, Freund, ist ein Elend, Nichtwiedergeborenwerden ist Glück.

Beim Wiedergeborenwerden, Freund, hat man solches Elend zu erwarten, als wie Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Kot, Urin, Gefährdung durch Feuer, Stock und Schwert; oder Verwandte und Freunde tun sich zusammen und fügen einem ein Leid zu. Beim Wiedergeborenwerden, Freund, hat man solches Elend zu erwarten.

Beim Nichtwiedergeborenwerden, Freund, hat man das Glück zu erwarten, daß es keine Kälte gibt, keine Hitze, keinen Hunger und Durst, keinen Kot und Urin, keine Gefährdung durch Feuer, Stock und Schwert; und nicht tun sich Verwandte und Freunde zusammen, um einem ein Leid zuzufügen. Beim Nichtwiedergeborenwerden, Freund, hat man solches Glück zu erwarten.«


A.X. 66 Unlust und Freude an der Lehre

Bei Nālakagāmaka im Magadherlande.

Der Wanderasket Sāmandakāni sprach zum ehrwürdigen Sāriputta:

»Was, Freund, Sāriputta, ist wohl in dieser Lehre und Zucht Glück und was ist das Elend?«

-»Die Unlust an dieser Lehre und Zucht, Freund, ist ein Leid, die Freude daran ist Glück.

Bei Unlust, Freund, hat man folgendes Leiden zu erwarten: Ob man geht oder steht, sitzt oder liegt, ob man sich im Dorfe befindet oder im Walde, am Fuße eines Baumes, in einsamer Behausung, unter freiem Himmel oder unter Mönchen, man findet eben kein Glück und keine Freude. Bei Unlust, Freund, hat man dieses Leiden zu erwarten.

Findet man aber Freude daran, so hat man folgendes Glück zu erwarten: Ob man geht oder steht, sitzt oder liegt, ob man sich im Dorfe befindet oder im Walde, am Fuße eines Baumes, in einsamer Behausung, unter freiem Himmel oder unter Mönchen, man empfindet eben Glück und Freude. Findet man Freude an dieser Lehre und Zucht, so hat man dieses Glück zu erwarten.«


A.X. 67 Fortschritt und Rückschritt I

Einst befand sich der Erhabene auf der Wanderung durch das Kosalerland, begleitet von einer großen Schar Mönche, und er traf vor der Kosalerstadt Nālakapāna ein. Dort verblieb er im Palāsawalde (*1) bei Nālakapāna. Während dieser Zeit nun saß einmal der Erhabene, an einem Vollmondstage, inmitten der Mönchsgemeinde. Nachdem er nun einen großen Teil der Nacht die Mönche in Worten über die Lehre unterwiesen, ermahnt, ermutigt und ermuntert hatte, ließ er seine Blicke über die stille, schweigsame Mönchsschar schweifen und sprach darauf zum ehrwürdigen Sāriputta: »Frei von Mattigkeit und Müdigkeit, Sāriputta, ist die Mönchsgemeinde. Möge dir daher, Sāriputta, für die Mönche ein Gespräch über die Lehre einfallen: Mein Rücken schmerzt (*2), ich will mich ausstrecken.« - »Gut, o Herr!« erwiderte der ehrwürdige Sāriputta dem Erhabenen. Und der Erhabene breitete das vierfach gefaltete Obergewand aus und ruhte wie ein Löwe auf der rechten Seite, ein Bein über dem anderen, nachdem er achtsam und besonnen der Zeit des Aufstehens gedacht hatte.

Und der ehrwürdige Sāriputta wandte sich nun an die Mönche: »Brüder!« sprach er, und die Mönche erwiderten: »Ja, o Bruder!« Darauf sprach nun der ehrwürdige Sāriputta also:

»Wem es, Brüder, bei den heilsamen Dingen an Vertrauen fehlt, an Schamgefühl und Gewissensscheu, an Willenskraft und Weisheit, der hat, sei es bei Tag oder bei Nacht, eben einen Rückschritt zu erwarten in den heilsamen Dingen, keinen Fortschritt.

Gleichwie, Brüder, in der dunklen Monatshälfte, sei es tags oder nachts, der Mond beständig abnimmt an Glanz, an Rundung, an Leuchtkraft, an Größe und Umfang; ebenso auch, Brüder, ist es mit einem, dem es bei den heilsamen Dingen an Vertrauen fehlt, an Schamgefühl und Gewissensscheu, an Willenskraft und Weisheit: er hat, sei es bei Tag oder Nacht, eben Rückschritt zu erwarten in den heilsamen Dingen, keinen Fortschritt.

Daß ein Mensch vertrauenslos ist, Brüder, das ist ein Rückschritt. Daß ein Mensch keine Scham besitzt und keine Gewissensscheu, daß er träge ist und keine Weisheit besitzt, voller Zorn und Wut, voll üblen Ehrgeizes, schlechten Umgang pflegt und falsche Ansichten besitzt, das, Brüder, ist ein Rückschritt.

Wer aber, Brüder, bei den heilsamen Dingen Vertrauen hat, Schamgefühl und Gewissensscheu, Willenskraft und Weisheit, der hat, sei es bei Tag oder Nacht, eben einen Fortschritt zu erwarten in den heilsamen Dingen, keinen Rückschritt.

Gleichwie, Brüder, in der hellen Monatshälfte, sei es tags oder nachts, der Mond beständig zunimmt an Glanz, an Rundung, an Leuchtkraft, an Größe und Umfang: ebenso auch, Brüder, ist es mit einem, der bei den heilsamen Dingen Vertrauen besitzt, Schamgefühl und Gewissensscheu, Willenskraft und Weisheit: er hat, sei es bei Tag oder Nacht, eben einen Fortschritt zu erwarten in den heilsamen Dingen, keinen Rückschritt.

Daß ein Mensch Vertrauen besitzt, das, Brüder, ist ein Fortschritt. Daß ein Mensch Schamgefühl und Gewissensscheu besitzt, Willenskraft und Weisheit, daß er frei ist von Zorn, Wut und üblem Ehrgeiz, daß er edlen Umgang pflegt und rechte Erkenntnis besitzt, das, Brüder, ist ein Fortschritt.«

(Es folgt hier Billigung und Wiederholung seitens des Buddha.)


(*1) palāsa, auch Pulasbaum (butea frondosa, Sinhalesisch gas-kāla) genannt, ist ein Baum mit schönen roten Blüten.

(*2) Der Kommentar sagt, daß der Erhabene infolge seiner der Erreichung der Buddhaschaft vorausgegangenen sechsjährigen Kasteiungen in seinem Alter an Gliederreißen zu leiden hatte.


A.X. 68 Fortschritt und Rückschritt II

(Gleiche Einleitung wie in Text 67)

Der ehrwürdige Sāriputta sprach:

»Wem es, Brüder, bei den heilsamen Dingen an Vertrauen fehlt, an Schamgefühl und Wissensscheu, an Willenskraft und Weisheit; wer kein Gehör leiht, sich die Lehren nicht merkt, ihren Sinn nicht erforscht, nicht der Lehre gemäß lebt, kein ernstes Streben besitzt bei den heilsamen Dingen, der hat, sei es bei Tag oder Nacht, eben einen Rückschritt zu erwarten in den heilsamen Dingen, keinen Fortschritt.

»Wer aber, Brüder, bei den heilsamen Dingen Vertrauen besitzt, Schamgefühl und Gewissensscheu, Willenskraft und Weisheit; wer Gehör leiht, sich die Lehren merkt, ihren Sinn erforscht, der Lehre gemäß lebt und ernstes Streben besitzt bei den heilsamen Dingen, der hat, sei es bei Tag oder Nacht, eben einen Fortschritt zu erwarten in den heilsamen Dingen, keinen Rückschritt.«

(Gleichnis und Schluß wie in Text 67)


A.X. 69 Gemeines und edles Gespräch

Einst weilte der Erhabene im Jetahain bei Sāvatthī, im Kloster des Anāthapindika. Damals aber saßen zahlreiche Mönche, nach Beendigung des Mahles, am Nachmittag, in der Empfangshalle beisammen und führten allerhand niedrige Gespräche (*1), wie da sind: Gespräche über Könige und Räuber, Minister und Heere, Gefahr und Krieg, Essen und Trinken, Kleider und Lagerstatt, Blumen und Düfte, Verwandte und Wagen, Dörfer und Marktflecken, Städte und Länder, Weiber und Helden (*2); Straßen- und Brunnengespräche, Gespräche über früher Verstorbene, Klatschereien, Erzählungen über die Welt und das Meer, Gewinn und Verlust.

Als nun der Erhabene sich gegen Abend aus der Zurückgezogenheit erhoben hatte, begab er sich zur Empfangshalle und setzte sich dort auf bereitetem Sitze nieder. Darauf sprach er also zu den Mönchen:

»Bei welcher Unterhaltung, ihr Mönche, sitzt ihr wohl beisammen? Welches Gespräch habt ihr unterbrochen?«

-»Nach Beendigung des Mahles, o Herr, saßen wir am Nachmittag in der Empfangshalle beisammen und führten allerhand niedrige Gespräche...«

»Für euch, o Mönche, die ihr aus Vertrauen vom Hause in die Hauslosigkeit gezogen seid, ziemt es sich wahrlich nicht, daß ihr allerhand niedrige Gespräche führt. Zehn Gegenstände für Gespräche gibt es, ihr Mönche. Welche zehn? Gespräche über Bescheidenheit, Genügsamkeit, Abgeschiedenheit, Weltabgewandtheit, Einsatz der Willenskraft, Sittlichkeit, Sammlung, Weisheit, Erlösung und Erkenntnisblick der Erlösung. Das, ihr Mönche, sind zehn (würdige) Gegenstände für Gespräche. Wollt ihr euch, o Mönche, bei euren Gesprächen stets an diese zehn Gegenstände halten, so möchtet ihr selbst das Licht von Sonne und Mond, der so hochmächtigen, hochgewaltigen, überstrahlen, gar nicht zu reden von jenen andersgläubigen Wanderketen.«


(*1) tiracchāna-kathā. Das Wort tiracchāna (Skr: tirascīna) bedeutet 'quer', 'horizontal' und ist im Pāli durchweg eine Bezeichnung für das Tier, als das horizontal und nicht aufrecht gerichtete Lebewesen. Demgemäß wird daher dieses Wort gewöhnlich auch in unserem Begriff tiracchānakathā aufgefaßt: als tierisches, d.i. niedriges Gespräch. Es mag aber sein, daß hier die wörtliche Bedeutung beabsichtigt ist. Böhtlingks Sanskrit-Wtb gibt für tirascīna: in die Quere gerichtet, waagerecht, zur Seite gewandt; und für tiras, u.a.: wider, abseits gerichtet, aus dem Wege. An diese Bedeutung mag der K zu unserer Stelle denken, wenn er erklärt: »Ein Gespräch, das nicht dem Entkommen (der Erlösung) dienlich ist und daher abseits (quer oder entgegengesetzt; tiracchāna-bhūtā) ist von den Wegen zu den Himmelswelten und zur Befreiung.« In diesem Sinne könnte unser Begriff mit »abwegige Gespräche« wiedergegeben werden. (Herausgeber)

(*2) In den Kommentaren werden noch vier weitere niedrige Gespräche genannt, so daß sich die Zahl auf 32 erhöht, wie meist in der exegetischen Literatur erwähnt. Die vier zusätzlichen Gesprächsgegenstände sind: Gespräche über Sinnengenuß und Selbstkasteiung, Ewigkeitsglauben und Vernichtungsglauben.


A.X. 70 Grunde des Lobes

Zehn Gründe des Lobes gibt es, ihr Mönche. Welche zehn?

Da ist ein Mönch selber bescheiden, und über die Bescheidenheit führt er Gespräche mit den Mönchen. Daß er aber selber bescheiden ist und über die Bescheidenheit mit den anderen spricht, das ist ein Grund, ihn zu loben.

Er ist selber genügsam, abgeschieden, weltabgewandt, voller Willenskraft, sittenrein, geistig gesammelt, weise, teilhaft der Erlösung, teilhaft des Erkenntnisblickes der Erlösung; und er führt darüber Gespräche mit den Mönchen. Daß er aber selber diese Eigenschaften besitzt und über sie Gespräche mit den Mönchen führt, das ist ein Grund, ihn zu loben.

Diese zehn Gründe des Lobes gibt es, ihr Mönche.


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