uparrow.gif (358 bytes)     Visuddhi Magga XVI

Die 22 Fähigkeiten und 4 Wahrheiten

Die 22 Fähigkeiten (indriya)
(A) "Nach Sinn":
(B) "Nach den Merkmalen usw.":
(C) "Der Reihenfolge nach":
(D) "Nach Zerlegbarkeit und Unzerlegbarkeit":
(E) "Nach den Funktionen":
(F) "Nach den Gebieten":
Die 4 Wahrheiten (sacca)
(1.) Nach Einteilung:
(2.) Nach Wortklärung:
(3.) Nach Merkmal, Wesen usw.:
(4.) Nach Sinn:
(5.) Nach Auswahl der Bedeutung:
(6.) Als mehr nicht, auch nicht weniger:
(7.) Der Reihenfolge nach:
(8.) Nach Feststellen der Dinge, mit Geburt beginnend:

8.I. Darstellung des Leidens (dukkha)
(8.II). Darstellung der Leidensentstehung (dukkha-samudaya)
(8.III). Darstellung der Leidenserlöschung (dukkha-nirodha)
(8.IV). Darstellung des zur Leidenserlöschung führenden Pfades

(9.) Nach den Funktionen des Erkennens (ñāna-kicca):
(10.) Nach Einteilung der Inhalte:
(11.) Nach Gleichnissen:
(12.) Mit Hinsicht auf die Vierergruppe:
(13.) Mit Hinsicht auf die Leerheit (suññatā):
(14.) Nach Einfachsein und Mehrfachsein:
(15.) Nach Ähnlichkeit und Unähnlichkeit:


Die 22 Fähigkeiten (indriya)
 

Was die unmittelbar nach den Elementen aufgezählten Fähigkeiten anbetrifft, so gibt es deren 22, nämlich:

1. Sehorgan
2. Hörorgan
3. Riechorgan
4. Schmeckorgan
5. Körperorgan
6. Geist (Bewußts.)
7. Weiblichkeit
8. Männlichkeit
9. Lebensfähigkeit (körperl. wie geist.)
10. Körperl.Wohlgefühl
11. Schmerz
12. Frohsinn
13. Trübsinn
14. Indifferenz
15. Vertrauen
16. Willenskraft
17. Achtsamkeit
18. Sammlung
19. Wissen
20. Der Gedanke: 'Das noch Unerkannte werde ich erkennen' (anaññātañ-ñassāmît' indriya)
21. Höchstes Wissen, Gnosis (aññ'indriya)
22. Die Fähigkeit des das Höchste Wissen Besitzenden (aññātav'indriya)

 

Dazu heißt es:
 
 


(A) "Nach Sinn":

 

1 - 19. - Hinsichtlich des Sehorgans, usw. (1-19) wurde bereits der Sinn erklärt in den Worten (XIV,XV): "Das Sehorgan ist das, was sieht usw."

 

20. Als Fähigkeit (die da weiß): 'Das noch unerkannte werde ich erkennen', als solche gilt die erste von den drei letztgenannten Fähigkeiten aus dem Grunde, weil ihr die Bedeutung einer Fähigkeit zukommt und weil sie in dem in den Pfad (des Stromeintritts = sotāpatti-magga) Eingetretenen aufsteigt (als das Wissen): 'Die zuvor unerkannte todlose Stätte sowie die vier edlen Wahrheiten werde ich erkennen'.

 

21. Die (beim Eintritt in die Frucht des Stromeintritts, 'sotāpattiphala', aufsteigende und bis zum Eintritt in den Pfad der Arahatschaft anhaltende) zweitletzte Fähigkeit gilt als die 'Fähigkeit des Höchsten Wissens'; auf Grund des Vollen Erkennens, und weil ihr die Bedeutung einer Fähigkeit zukommt.

 

22. Die (bei Erreichung der Frucht der Heiligkeit, 'arahatta-phala' aufsteigende) letzte Fähigkeit gilt deshalb als die 'Fähigkeit des das Höchste Wissen Besitzenden', weil ihr die Bedeutung einer Fähigkeit zukommt und weil sie in demjenigen aufsteigt, der das Vollkommene Wissen besitzt, der hinsichtlich der vier Wahrheiten die Aufgabe des Erkennens vollendet hat und in dem die Triebe (āsava) versiegt sind.

 

Was aber bedeutet das Wort 'Fähigkeit'? Das Erkennungszeichen des Herrschers (inda = skr. indra), das, was vom höchsten Herrn erkannt (dittha), beherrscht (sittha) und gepflegt (juttha) wird. Das alles trifft hier zu je nachdem Zusammenhange. Der Erhabene nämlich, der Allerleuchtete gilt, weil er die höchste Herrschaft ausübt, als der höchste Herr. Auch das heilsame und unheilsame Karma gilt unter den Betätigungen als der Herrscher, da es keinen Herrscher über sich hat. Darum eben lassen die durch Karma gezeugten Fähigkeiten das heilsame und unheilsame Karma erkennen; und weil die Fähigkeiten dadurch beherrscht werden, gelten sie als Fähigkeiten in dem Sinne, daß sie das Herrscherkennzeichen besitzen und vom höchsten Herrn beherrscht werden. Weil aber diese vom Erhabenen der Wirklichkeit gemäß verkündet und völlig erkannt wurden, darum gelten sie, im Sinne von etwas durch den Herrn Gewiesenes und Erkanntes, als Indriyas oder Fähigkeiten. Und da vom Erhabenen, vom König unter den Weisen, einige von ihnen zum Zwecke der Sinnentätigkeit gepflegt werden, einige zur Geistesentfaltung, so gelten sie auch im Sinne von etwas vom Herrn (indra) Gepflegtes als Indriyas oder Fähigkeiten.

 

Ferner gelten sie auch als Indriyas oder Fähigkeiten, weil sie die als vorherrschender Einfluß' (adhipacca) geltende Herrschaft besitzen. Beim Auftreten des Sehbewußtseins usw. nämlich zeigt sich der vorherrschende Einfluß des Sehorgans usw. insofern, als bei scharfem Sehorgan auch das Sehbewußtsein scharf ist, bei schwachem Sehorgan aber schwach usw.

 

Dies ist hier vorerst die Erklärung hinsichtlich des Sinnes.


(B) "Nach den Merkmalen usw.":

 

- Dies besagt, daß man die Erklärung der Fähigkeiten wie Sehorgan usw. auch nach Merkmal, Wesen, Äußerung und Grundlage kennen sollte. Diese ihre Merkmale usw. aber wurden bereits in der Darstellung der Daseinsgruppen (XIV) besprochen. Die mit Wissen (19) beginnenden (vier letzten) Fähigkeiten sind dem Sinne nach dasselbe wie Unverblendung (amoha). Die übrigen Fähigkeiten werden dort in ihrer üblichen Lautform überliefert.


(C) "Der Reihenfolge nach":

 

- Auch hier kommt die Reihenfolge der Darlegung in Betracht.

 

1-6. Da die Erreichung des Gebietes der Edlen auf Grund der Durchdringung der der Person angehörenden Erscheinungen stattfindet, darum werden hier die in der Persönlichkeit eingeschlossenen Fähigkeiten wie Sehorgan usw. zuerst dargelegt.

 

7, 8. Dann wird Weiblichkeit (itthindriya) und Männlichkeit (purisa) genannt, um zu zeigen, daß es diese Eigenschaft ist, in Abhängigkeit von welcher jene Persönlichkeit als 'Frau' oder 'Mann' bezeichnet wird.

 

9. Darauf wird die Lebensfähigkeit (jīvit'indriya) genannt, um zu zeigen, daß beide Arten von Persönlichkeit an die Lebensfähigkeit gebunden sind.

 

10-14. Dann werden die Fähigkeiten wie Wohlgefühl usw. (sukh-indriya, dukkha, somanassa, domanassa, upekkhā) aufgezählt, um zu zeigen, daß, solange jene Lebensfähigkeit im Gange ist, auch diese Gefühle nicht stille stehen, und daß alles ein Elend ist.

 

15-19. Dann werden die Fähigkeiten wie Vertrauen usw. genannt, um zeigen, was da richtiges Vorgehen ist, daß nämlich, um jene Gefühle aufzuheben, man diese Eigenschaften zu entfalten habe.

 

20. Dann folgt die Fähigkeit (die da weiß): 'Das Unerkannte werde ich erkennen' (anaññātañ-ñassāmî t' indriya), um die Unfehlbarkeit des richtigen Vorgehens zu zeigen, insofern durch solches Vorgehen einem sich als erstes diese Fähigkeit offenbart.

 

21. Dann folgt die Fähigkeit des 'Höchsten Wissens' (aññā), da eben diese das Ergebnis der früheren Fähigkeit ist und unmittelbar danach zu entfalten ist.

 

22. Zuletzt aber, als das höchste Gut, wird die Fähigkeit des das Höchste Wissen Besitzenden (aññātāv'indriya) genannt, um zu zeigen, daß man durch Entfaltung der früheren Fähigkeit diese Fähigkeit erreicht und daß, wenn diese erreicht ist, es nichts Weiteres mehr zu tun gibt.

 

Dies ist hierbei die Reihenfolge.


(D) "Nach Zerlegbarkeit und Unzerlegbarkeit":

 

- Es gibt hier bloß eine Zerlegbarkeit der Lebensfähigkeit (jīvit'indriya). Diese nämlich ist von zweifacher Art: körperlich oder geistig. Die übrigen Fähigkeiten lassen sich nicht zerlegen.

 

Auf diese Weise hat man hier die Erklärung mit Hinsicht auf Zerlegbarkeit und Unzerlegbarkeit zu verstehen.


(E) "Nach den Funktionen":

 

- Worin nun bestehen die Funktionen der Fähigkeiten?

 

1-6. "Die Sehorgan-Grundlage ist für das Sehbewußtseins-Element und die damit verbundenen Erscheinungen (Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen) eine Bedingung im Sinne von Fähigkeit" (indriya-paccaya): nach diesen Worten (Tika-Patthāna) besteht die vermittels seiner Eigenschaft als Bedingung, und zwar als Fähigkeit, zu erfüllende Funktion des Sehorgans darin, daß es gemäß seiner eigenen Schärfe, Schwäche usw. solche Erscheinungen wie Sehbewußtsein usw. seiner als Schärfe, Schwäche usw. geltenden eigenen Art anpaßt. Entsprechend verhält es sich mit Hör-, Riech-, Schmeck- und Körperorgan. Die Funktion der Geist-Fähigkeit (man'indriya = manâyatana) aber besteht darin daß sie die gleichzeitig damit entstandenen Erscheinungen (wie Gefühl usw.) in ihre Gewalt bringt.

 

7-9. Die Lebensfähigkeit (jīvitindriya) hat als Funktion, daß sie die gleichzeitig damit entstehenden Erscheinungen (körperliche wie geistige) aufrecht erhält, während die Fähigkeiten Männlichkeit und Weiblichkeit die männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale, männliche und weibliche Erscheinung, Anmut und Benehmen bewirken.

 

10-14. Die Fähigkeiten wie Wohlgefühl, Schmerz, Frohsinn und Trübsinn haben als Funktion, daß sie die gleichzeitig damit entstehenden Erscheinungen (Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewußtsein) beherrschen und sie zu dem entsprechenden grobgearteten Zustande führen, während die Fähigkeit der Indifferenz diese Erscheinungen zum Zustande der Ruhe, Erhabenheit und Ausgeglichenheit (majjhatta) führt.

 

15-19. Die Fähigkeiten wie Vertrauen usw. haben als Funktion, daß sie die widerstrebenden Dinge überwinden und die mit ihnen verbundenen Dinge zum Zustande der Beruhigung usw. führen.

 

20. Die Fähigkeit (die da weiß): 'Das noch Unerkannte werde ich erkennen' (anaññātañ-ñassāmî t'indriya) bringt die Überwindung der 3 Fesseln (Persönlichkeitsglauben, Zweifelsucht und Haften an Regeln und Riten) zustande und führt die damit verbundenen Erscheinungen solcher Überwindung entgegen.

 

21. Die Fähigkeit des 'Höchsten Wissens' (aññindriya) hat als Funktion, daß sie die Abschwächung und (schließliche) Überwindung der Sinnengier, des Übelwollens und der übrigen Fesseln zustandebringt und über die gleichzeitig damit entstandenen Erscheinungen ihre Herrschaft ausübt.

 

22. Die Fähigkeit des 'das Höchste Wissen Besitzenden' (aññātāv'indriya) aber hat als Funktion, daß sie bei allen Handlungen das Verlangen überwindet und daß sie die Bedingung dafür bildet, daß die mit ihr verbundenen Erscheinungen auf das Todlose hinzielen.

 

Auf diese Weise hat man hier die Erklärung mit Hinsicht auf die Funktionen zu verstehen.


(F) "Nach den Gebieten":

 

- Die Fähigkeiten wie Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck-, Körperorgan, Männlichkeit, Weiblichkeit, Wohlgefühl, Schmerz und Trübsinn gehören hier bloß dem 'Sinnlichen' Gebiete an.

- Die Fähigkeiten aber wie Geist, Lebensfähigkeit und Indifferenz, Vertrauen, Tatkraft, Achtsamkeit, Sammlung und Einsicht sind in allen 4 Gebieten (dem sinnlichen, feinkörperlichen, unkörperlichen und überweltlichen) eingeschlossen.

- Die Fähigkeit Frohsinn ist in 3 Gebieten eingeschlossen: dem sinnlichen, feinkörperlichen (1.-3. Vertiefung) und überweltlichen (d.i. den Pfad- und Fruchtmomenten).

- Die 3 letzten Fähigkeiten sind stets bloß überweltlich (lokuttara).

 

Auf diese Weise hat man hier die Erklärung mit Hinsicht auf die Gebiete zu verstehen.

 

Für den also Verstehenden aber gilt dies:
 

 

Dies ist die ausführliche Besprechung der Fähigkeiten.


Die 4 Wahrheiten (sacca)

 

Die nunmehr folgenden Wahrheiten sind die vier Edlen Wahrheiten (ariya-sacca):
 

 

Hierzu gilt:
 

Der Weise sollte wohl verstehen
Der Lehrmethode Auslegung:
 


(1.) Nach Einteilung:

 

- Von jeder der vier Wahrheiten werden jedesmal 4 Bedeutungen als wahr, nicht unwahr, nicht anders dargelegt; und diese müssen von dem das Leiden Durchdringenden durchdrungen werden.

 

Wie es heißt (Pts.I.48):

 

Das Leiden hat die Bedeutung von Bedrückung, Geschaffensein, Qual und Wechsel: diese 4 Bedeutungen des Leidens sind wahr, nicht unwahr, nicht anders (s.S.56.20).

Die Leidensentstehung hat die Bedeutung von Anhäufen, Ursache. Fessel und Hemmnis . . .

Die Leidenserlöschung hat die Bedeutung von Entrinnung, Abgelöstheit, Unerschaffensein und Todlosigkeit. ...

Der Pfad hat die Bedeutung von Entkommung, Wurzelbedingung, Erkennen und Vorherrschaft. Diese 4 Bedeutungen des Pfades sind wahr, nicht unwahr, nicht anders."

 

Auf diese Weise hat man das Leiden usw. hinsichtlich der jedesmal so erklärten Bedeutung zu verstehen.

 

Dieses ist hier vorerst die Erklärung mit Hinsicht auf die Einteilung.


(2.) Nach Wortklärung:

 

- (Hier folgen wieder eine Reihe von etymologischen Wortspielereien. So wird z.B. 'dukkha' (Leiden, Elend) erklärt als: 'du' (Elend) + 'khan' (Leere), also etwa: 'elende Leere'; 'samudaya' (Entstehung) als: 'sam' (mit) + 'ud' (auf) + 'aya' (Eingang), 'nirodha' (Erlöschung) als 'ni': (ohne) + 'rodha' (Kerker usw. usw.).

 

Weil nun die Erleuchteten und anderen Edlen diese vier Wahrheiten durchdringen, darum werden diese als die Edlen Wahrheiten bezeichnet, wie es heißt: "Vier edle Wahrheiten gibt es, ihr Mönche . . . Weil die Edlen diese durchdringen, darum gelten sie als die edlen Wahrheiten."

 

Ferner gelten sie als die Edlen (ariya) Wahrheiten, weil sie die Wahrheiten der Edlen sind, wie es heißt (vgl.S.56.28): "In der Welt mit Ihren Himmelswesen, ihr Mönche, . . . gilt der Vollendete als der Edle, darum spricht man von den Edlen Wahrheiten." Oder aber, weil durch ihre völlige Durchschauung der Zustand eines Edlen erreicht wird, darum gelten sie als die Edlen Wahrheiten, wie es heißt (ib.23): "Weil er, ihr Mönche, diese 4 Edlen Wahrheiten der Wirklichkeit gemäß völlig durchschaut hat, darum wird er der Vollendete, Heilige, Allerleuchtete, der Edle genannt."

 

Fernerhin gelten diese Wahrheiten als die Edlen Wahrheiten, weil sie edel sind, d.i. wahr, nicht verkehrt, untrüglich, wie es heißt (ib.2): "Weil diese 4 Wahrheiten, ihr Mönche, wahr sind, nicht verkehrt, nicht anders, darum bezeichnet man sie als die Edlen Wahrheiten."

 

Auf diese Weise hat man die Erklärung mit Hinsicht auf die Worterklärung zu verstehen.


(3.) Nach Merkmal, Wesen usw.:

 

- Was dies anbetrifft, so hat die Leidenswahrheit als Merkmal die Bedrückung, als Wesen die Qual, als Äußerung die Fortdauer. Die Wahrheit von der Leidensentstehung hat als Merkmal das Erzeugen, als Wesen das ununterbrochene Wirken, als Äußerung das Hemmen. Die Wahrheit von der Leidenserlöschung hat als Merkmal den Frieden, als Wesen die Todlosigkeit, als Äußerung das Ursachlose. Die Wahrheit vom Pfade hat als Merkmal das Entrinnen, als Wesen das Überwinden der Geistestrübungen, als Äußerung das Erheben (über Daseinsursache und Daseinsfortgang; vutthana).

 

Fernerhin haben der Reihe nach die vier Wahrheiten das Merkmal des (I) Imgangeseins, (II) Ingangbringens, (III) Stillstandes und Zumstillstandbringens. In derselben Weise haben sie als Merkmale (I) das Erschaffene, (II) das Begehren, (III) das Unerschaffene und (IV) das Erkennen.

 

Auf diese Weise hat man die Erklärung mit Hinsicht auf Merkmal, Wesen usw. zu verstehen.


(4.) Nach Sinn:

 

- Was den Sinn aber anbetrifft, was gilt da als der Sinn der Wahrheit?
Es ist jenes Gebiet der edlen Erkenntnis, das denjenigen eignet, die es mit dem Auge der Erkenntnis erforschen und das nicht wie ein Zauberkunststück bloßer Schein ist, nicht wie eine Luftspiegelung trügerisch ist, nicht wie das sog. 'Ich' (Persönlichkeit) der Andersgläubigen von unauffindbarer Natur ist, sondern das bedingt ist durch die Wahrheit, Untrüglichkeit und Wirklichkeit hinsichtlich (I) der Bedrückung, (II) der Entstehung, (III) des Friedens und (IV) des Entrinnens. Genau so wahr, wie das Merkmal des Feuers (das Heißsein) und das Wesen der Welt (Geborenwerden, Altern, Sterben) sind, genau so ist dieses Wahrsein, Untrüglichsein und Wirklichsein als der Sinn der Wahrheit aufzufassen. Wie es heißt (S.56.20): "Daß das Leiden da ist, diese Tatsache, ihr Mönche, ist wahr, nicht verkehrt, nicht anders."
 

 
Auf diese Weise hat man die Erklärung mit Hinsicht auf den Sinn zu verstehen.


(5.) Nach Auswahl der Bedeutung:

 

-Wie aber hat man da die Erklärung zu verstehen? Es findet sich da das Wort 'Wahrheit' (sacca) in vielerlei Bedeutungen, wie z.B.: -

"Die Wahrheit sprich, sei nicht erzürnt" (Dhp.224): in solchen Ausprüchen ist die Wahrheit der Worte gemeint.

 

"In Wahrheit gefestigt sind Mönche und Priester": in solchen Ausprüchen ist die in Enthaltsamkeit (vom Lügen) bestehende Wahrheit gemeint.
 

"Warum denn lehren sie verschied'ne Wahrheit
Und reden so wie kluge Unterweiser" (Snp.885):

 

In solchen Aussprüchen ist Wahrheit im Sinne von Ansicht gemeint.

 

"Nur eine Wahrheit gibt es, keine zweite" (Sn.884): in solchen Aussprüchen ist gemeint die Wahrheit im Sinne des höchsten Zieles, des Nirwahns und des Pfades.

 

"Wieviele unter den 4 Wahrheiten sind karmisch heilsam usw.?" (Vibh.IV.9): in solchen Aussprüchen ist das Wort im Sinne der edlen Wahrheit gemeint, und eben auch hier findet sich dieses Wort mit Bedeutung auf die edlen Wahrheiten.

 

Auf diese Weise hat man die Erklärung mit Hinsicht auf die Auswahl der Bedeutung zu verstehen.


(6.) Als mehr nicht, auch nicht weniger:

 

- Warum werden gerade vier edle Wahrheiten gelehrt, nicht mehr und nicht weniger? Weil es keine weiteren gibt und keine davon weggenommen werden kann. Dein nicht gibt es außer diesen Wahrheiten noch eine andere, noch auch kann irgend eine davon weggenommen werden.

 

Wie es heißt: "Nicht möglich, ist es, ihr Mönche, daß da ein Mönch oder Priester kommen und behaupten sollte: 'Dies ist nicht die edle Wahrheit vom Leiden, anders ist die edle Wahrheit vom Leiden. Diese edle Wahrheit vom Leiden werde ich verwerfen und eine andere edle Wahrheit vom Leiden kundtun usw.'"

 

Wie es heißt (S.56.16): "Nicht möglich ist es, ihr Mönche, daß da irgend eine von den Asketen oder Priestern also sprechen sollte: 'Nicht ist das die vom Mönche Gotama gewiesene erste edle Leidenswahrheit. Diese erste edle Wahrheit vom Leiden verwerfend, werde ich eine andere erste edle Wahrheit vom Leiden verkünden.'"

 

Ferner, indem der Erhabene das Imgangesein des Leidens (I) erklärte, erklärte er es zusammen mit seiner Ursache (II); und indem er seinen Stillstand (III) erklärte, erklärte er ihn zusammen mit dem Wege dahin (IV). Weil somit das Imgangesein (I) und der Stillstand (III) und die beiden Anlässe dazu (II. und IV. Wahrheit) die letzte Grenze bilden, so wurden oben bloß vier Wahrheiten gelehrt.

 

Ferner geschah dies auch mit Rücksicht auf die zu durchschauenden (pariññeyya) Dinge (5 Gruppen), zu überwindenden (pahātabba) Dinge (Begehren und Verblendung), zu verwirklichenden (sacchikātabba) Dinge (Nirwahn) und zu entfaltenden (bhāvetabba) Dinge (Pfad); auch mit Rücksicht auf die Objekte des Begehrens, das Begehren, die Erlöschung des Begehrens und die Mittel zur Erlöschung des Begehrens; ferner auch mit Rücksicht auf das Anhaften, die Lust am Anhaften, die Ausrottung des Anhaftens und den Weg zur Ausrottung des Anhaftens.
 

Auf diese Weise hat man hier die Erklärung mit Hinsicht auf die Tatsache des 'nicht mehr und nicht weniger' zu verstehen.


(7.) Der Reihenfolge nach:

 

- Auch hier ist wieder die Reihenfolge der Darstellung gemeint. Hierbei nun wird die Wahrheit vom Leiden deshalb als erste genannt, weil sie leicht verständlich, grobgeartet und allen Wesen gemeinsam ist. Darauf folgt, um eben seine Entstehung zu zeigen, die Wahrheit von der Entstehung; dann 'die Wahrheit von der Erlöschung, um zu zeigen, daß durch Aufhebung der Ursache (Begehren) die Aufhebung der Wirkung (5 Daseinsgruppen) bedingt ist; zuletzt die Wahrheit vom Pfade, um die Mittel zur Erreichung (der Erlöschung) anzugeben.

 

Oder aber, um in den an den Genuß der Daseinsfreuden gefesselten Wesen Ergriffenheit zu erzeugen, wird als erste Wahrheit das Leiden gelehrt. Darauf wird dessen Entstehung gelehrt, um zu zeigen, daß das Leiden nicht etwa aus nichts entstanden ist, noch durch einen Gottschöpfer erzeugt wurde usw., sondern daß es aus eben dieser Ursache (Begehren) hervorgegangen ist. Darauf wird die Leidenserlöschung gelehrt, um durch Aufzeigung der Entrinnung jenen Wesen Trost einzuflößen, die, von dem ursächlich bedingten Leiden überwältigt und ergriffen, die Entrinnung aus dem leiden suchen. Darauf wird zwecks Erreichung der Leidenserlöschung der zur Erlöschung führende Pfad.

 

Auf diese Weise hat man die Erklärung mit Hinsicht auf die Reihenfolge zu verstehen.


Note:

Upatissa (Bapat 110) vergleicht die übliche Reihenfolge nach dem Erkenntnistheoretischen Gesichtspunkte mit:

Die Reihenfolge nach dem chronologischen Gesichtspunkte würden sein II., I., IV. und III. Wahrheit, d.i.


(8.) Nach Feststellen der Dinge, mit Geburt beginnend:
 

- Bei Darlegung der vier edlen Wahrheiten wurden vom Erhabenen in der Leidensdarlegung 12 Dinge gelehrt (M. 141), nämlich:

(8.I) Leiden:

Geburt ist Leiden (dukkha), Altern ist Leiden, Sterben ist Leiden, Sorge, Jammer Schmerz, Trübsal und Verzweiflung sind Leiden; mit Unliebem verbunden sein ist Leiden; von Liebem getrennt sein ist Leiden; das, was man wünschend nicht erlangt, auch das ist Leiden; kurz gesagt: die 5 Anhaftungsgruppen (Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein) sind Leiden."
 
(8.II) Leidensentstehung:

Das Begehren (tanhā) in der Darstellung der Leidensentstehung ist dreifach, nämlich (ib.): "jenes Begehren, das zur Wiedergeburt führende, mit Lust und Gier verbundene, sich hier und dort vergnügende, nämlich das 'sinnliche Begehren' (kāma-tanhā), das 'Daseinsbegehren' (bhava-tanhā), das 'Selbstvernichtungsbegehren' (vibhava-tanhā).

(8.III) Leidenserlöschung:

In der Darstellung von der Leidenserlöschung aber wird dem Sinne nach bloß ein einziges Nirwahn gelehrt, so nämlich (ib.): "Es ist da eben hinsichtlich jenes Begehrens die restlose Loslösung und Erlöschung, Verwerfung, Loslassung, Befreiung und Nichtanhaftung."

(8.IV) Der zur leidenselöschung führende Pfad:

In der Darstellung vom Pfade werden 8 Dinge gelehrt, so nämlich (ib.): "Eben dieses ist der edle achtfache Pfad, nämlich rechte Erkenntis, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechte Tat, rechter Lebenserwerb, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung."


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