Visuddhi Magga I

8. Die in Zügelung gemäß der Ordenssatzung bestehende Sittlichkeit (42a) (pātimokkha-samvara-sīla)

 

Hierzu ist folgendes die Untersuchung nebst der, der Reihe nach gegebenen Erklärung der Worte (des obigen Palitextes) von Anfang an. "Hier" bedeutet: in dieser Lehre. Mit dem Namen "Bhikkhu" wird der aus Vertrauen (in die Hauslosigkeit des Mönchlebens) hinausgezogene edle Sohn bezeichnet, weil er im Daseinskreislaufe einen Schrecken erblickt' (bhayam ikkh-ati) oder weil er sich in zerrissene (bhinna) Tücher kleidet.

 

In dem Ausdruck: "gezügelt in der Zügelung gemäß der Ordenssatzung" bedeutet "Ordenssatzung" die in den Übungsregeln (sikkhāpada) bestehende Sittlichkeit. Denn wer diese 'hütet' (pāti) und darüber wacht, den 'befreit' (mokkheti) sie und erlöst ihn von den Abgründen (apāya: Tierreich, Gespensterreich, Dämonenreich, Hölle) und den anderen Leiden. Daher wird sie 'Pātimokkha' genannt. "Zügelung" (samcara) bedeutet 'sich zügeln' und bezeichnet das Nichtausschreiten in Werken und Worten.

 

In dem Ausdruck "Zügelung gemäß der Ordenssatzung" bedeutet Ordenssatzung eben die Zügelung. "Gezügelt in der Zügelung gemäß der Ordenssatzung" (pātimokkha samvara-samvuta) bedeutet, daß der Mönch gezügelt ist in der Zügelung im Sinne der Ordenssatzung, daß er sie erreicht hat, mit ihr ausgestattet ist. "Er verharrt" bedeutet: er verweilt. In dem Ausdruck "Vollkommen im Wandel und Umgang" (ācāra-gocara-sampanno) usw. hat man die Bedeutung in der im Kanon (Vibh. p.246f.) gegebenen Weise zu verstehen. Dort heißt es nämlich:

 

"Vollkommen ist er im Wandel und Umgang. Es gibt nämlich einen guten Wandel (ācāra) und es gibt einen schlechten Wandel (an ācāra).

 

"Und was ist der schlechte Wandel (anācāra)? Körperliche Ausschreitung, sprachliche Ausschreitung und körperliche-sprachliche Ausschreitung: das nennt man schlechten Wandel; eben alle Sittenlosigkeit gilt als schlechter Wandel. Da z.B. gewinnt einer der Mönche (bhikkhu) seinen Lebenunterhalt durch Abgabe von Bambus, Blättern, Blüten, Früchten, Badepulver (sināna, hier als Badepulver erklärt), Zahnstäbchen (*) oder durch Kriecherei, Bohnensuppenwesen, Kinderwarten, Botengänge oder irgend eine andere vom Erleuchteten verworfene, verkehrte Lebensgewinnung. Das nennt man schlechten Wandel. -

(*) danta-kattha. Das eine Ende desselben bildet eine Art Zahnbürste, das andere Ende einen Zahnstocher. Vgl. A.V.208 u. Anm.

 

Und was ist da guter Wandel (ācāra)? Das Nichtausschreiten in Werken, in Worten, oder in Werken und Worten: das nennt man guten Wandel; eben alle sittliche Zügelung gilt als guter Wandel. Da z.B. gewinnt einer seinen Lebensunterhalt nicht durch Abgabe von Bambus, Blättern, Blüten, Früchten, nicht durch Abgabe von Badepulver, Zahnstäbchen oder durch Kriecherei, Bohnensuppenwesen, Kinderwarten, Botengänge oder irgend eine andere vom Erhabenen verworfene, verkehrte Lebensweise. Das nennt man guten Wandel.

"Was "Umgang" (gocara) anbetrifft, so gibt es einen guten Umgang und einen schlechten Umgang. Und was ist der schlechte Umgang (agocara)? Da pflegt einer Umgang mit Huren oder Witwen, alten Jungfern, Eunuchen, Nonnen; oder er besucht Trinkhallen; oder er lebt in verkehrter Weise und nach Art eines Weltmenschen, in Gesellschaft von Fürsten, Ministern, Irrlehrern und Anhängern von Irrlehrern; oder er verkehrt, hegt und pflegt Umgang mit solchen Familien, die ohne Vertrauen und Zuversicht sind und die Mönche, Nonnen, Anhänger und Anhängerinnen beschimpfen, schmähen und ihnen Schaden, Nachteil und Ungemach wünschen und keinen Frieden gönnen. Das nennt man schlechten Umgang. -

 

Und was ist der gute Umgang (gocara)? Da pflegt einer keinen Umgang mit Huren, Witwen, alten Jungfern, Eunuchen, Nonnen, besucht keine Trinkhallen, lebt nicht in verkehrter Weise und, nach Art eines Weltmenschen, in Gesellschaft von Fürsten, Ministern, Irrlehrern und deren Anhängern, sondern er verkehrt, hegt und pflegt Umgang mit solchen Familien, die Vertrauen und Zuversicht besitzen, gleichsam ein Born (poet. - Quell, Brunnen - der Freude, des Wissens) sind (für das Wohlergehen der Mönche), bei denen es von gelben Gewändern leuchtet und die durchweht werden vom Dufte der Weisen, und die 'den Mönchen, Nonnen, Anhängern und Anhängerinnen Heil, Segen, Annehmlichkeit und Sicherheit wünschen: das nennt man guten Umgang. Mit diesem guten Wandel und Umgang ist er ganz und gar ausgestattet, hat ihn ganz und gar erlangt, besitzt ihn ganz und gar, ist damit versehen. Darum nennt man ihm vollkommen im Wandel und Umgang."

 

Ferner hat man 'Wandel und Umgang' auch in der folgenden Weise zu verstehen. Schlechter Wandel (anācāra) nämlich ist zweifach: körperlich oder sprachlich. Und was ist da schlechter körperlicher Wandel? Da hat sich einer in eine Mönchsversammlung begeben, und ohne Ehrerbietung steht und setzt er sich, indem er gegen die älteren Mönche stößt; er stellt und setzt sich vor sie, sitzt auf hohem Sitze, hat das Haupt beim Sitzen bedeckt, spricht im Stehen und indem er die Arme ausstreckt; wandelt in Sandalen, während die älteren Mönche ohne Sandalen wandeln; wandelt auf einem höheren Wandelgange, während die älteren Mönche auf einem niederen Wandelgange wandeln; wandelt im Wandelgange, während die älteren Mönche auf dem Erdboden wandeln; drängt sich beim Stehen und Sitzen dicht an die älteren Mönche heran, verdrängt die jüngeren Mönche von ihren Sitzen, legt ohne Erlaubnis der älteren Mönche Holz in den Feuerraum und schließt die Tür zu; stößt beim Eintreten in den Badeplatz die älteren Mönche an, geht vor ihnen hinein, stößt sie beim Baden an, badet vor ihnen, stößt sie beim Herausgehen an, steigt vor ihnen heraus, stößt beim Gehen zwischen den Häusern (des Dorfes) die älteren Mönche an und geht vor ihnen, entfernt sich von ihnen und eilt ihnen immer voraus, tritt unerwartet in die geheimen und abgeschlossenen inneren Gemächer der Familien, da wo die Frauen und Mädchen der Familie sitzen, und streichelt dem Kinde den Kopf. Das nennt man schlechten körperlichen Wandel. -

 

Was aber ist da schlechter sprachlicher Wandel? Da hat sich der Mönch in eine Mönchsversammlung begeben, und ohne Ehrerbietung und ohne die älteren Mönche zu fragen, bespricht er die Lehre, erklärt Fragen, rezitiert die Ordenssatzung (pātimokkha), spricht im Stehen oder mit erhobenen Händen, und beim Gehen zwischen den Häusern (der Dorfstraße) spricht er zu einer Frau oder einem Mädchen also: 'Frau So und So, von so und so einer Familie, was gibt's heute? Ist Reissuppe da, oder etwas zum Essen oder Kauen? Was sollen wir essen und trinken, was sollen wir genießen? Was wollt ihr mir geben?' Auf diese Weise schwatzt er. Das nennt man sprachlichen schlechten Wandel. -

 

Als das Gegenteil davon aber hat man guten Wandel (ācāra) zu verstehen. Ferner aber auch ist der Mönch erfüllt von Ehrfurcht und Gehorsam, von Schamgefühl und Gewissensscheu, trägt seine unteren und oberen Gewänder richtig, ist voll Anmut beim Weggehen und Herankommen, beim Vorwärts- und Seitwärtsblicken, beim Beugen und Strecken, mit gesenkten Blicken, vollkommen in seiner Haltung, hinsichtlich der Sinnentore bewacht, maßvoll beim Essen, der Wachsamkeit ergeben, mit Achtsamkeit und Klarheit ausgestattet, genügsam, zufrieden, voll Willenskraft, die Regeln des guten Benehmens gewissenhaft erfüllend, voll Ehrerbietung gegen alle Verehrungswürdigen. Das nennt man guten Wandel. Das also hat man als den guten Wandel zu verstehen.

 

"Umgang" (gocara) (*) nun aber ist dreifach: als Stütze, als Schutz und als fester Halt. Und welcher Umgang ist eine 'Stütze'? Einen mit den für die 10 Gesprächsgegenstände erforderlichen Eigenschaften ausgestatteten edlen Freund, durch dessen Hilfe der Mönch vorher noch nicht Gehörtes kennen lernt, das Gelernte sich klarmacht, den Zweifel überwindet, seine Anschauung berichtigt, seinen Geist erheitert, oder unter dessen Weisung er zunimmt an Vertrauen, Sittlichkeit, Wissen, Opfersinn und Einsicht: einen solchen Umgang nennt man eine Stütze. - Und welcher Umgang ist ein 'Schutz'? Wenn da der Mönch sich zwischen den Häusern (der Dorfstraße) befindet und die Straße entlang wandert, so geht er mit gesenktem Blicke, indem er bloß ein Joch (**) vor sich blickt und wohl bewacht ist. Und beim Gehen schaut er nicht nach Elefanten, Pferden oder Wagen, nicht nach Frauen oder Männern, nicht nach oben oder unten, nicht nach dieser oder jener Richtung. Solchen Umgang nennt man einen Schutz. -


(*) Es ist unmöglich, für gocara ein passendes Äquivalent zu finden, das im Folgenden an jeder Stelle paßt. Die Bedeutungsentwicklung mag etwa folgende sein: 'Rinder-wandel', Weide, Gebiet, Betätigungsfeld, Verkehr, Umgang, Sinnensphäre usw.

(**) Das indische 'Joch' (yuga, zu yuj jochen) war nicht wie bei uns ein Flächenmaß, sondern ein Längenmaß, eine 'Spanne' von etwa 2 m.


 

Welcher Umgang (Betätigungsfeld) aber ist ein 'fester Halt'? Es sind die vier Grundlagen der Achtsamkeit (sati-patthāna), woran man den Geist festbindet (der Kommentar zitiert: "Gleichwie ein Mann das zu zähmende Kalb an einen Pfahl anbindet, so bindet man den eigenen Geist an dem Objekt der Achtsamkeit fest"). Der Erhabene nämlich hat gesagt (S. 47.6): "Und was, ihr Mönche, ist das Betätigungsfeld des Mönches und sein eignes väterliches Gebiet? Die 4 Grundlagen der Achtsamkeit sind es." Solchen Umgang bezeichnet man als festen Halt. - Mit solchem Wandel und Umgang ist er ausgestattet. Darum nennt man ihn vollkommen im Wandel und Umgang.

 

"In den kleinsten Vergehen Gefahr erblickend" bedeutet: gewohnt Gefahr zu erblicken im Verüben der versrhiedenen winzig kleinen (Ordens-) Vergehen, wie hinsichtlich der Anstandsregeln (sekhiya), der aufsteigenden schuldvollen Dinge usw.

 

"Er übt sich in den auf sich genommenen Übungsregeln" bedeutet: Alle Übungsregeln, die zu üben sind, hat er völlig auf sich genommen und übt sich darin. Hier wird mit dem Ausdruck 'Gezügelt in der Zügelung gemäß der Ordenszucht' insoweit nur die in Zügelung gemäß der Ordenszucht bestehende Sittlichkeit angedeutet, als sie sich äußert in dem mit persönlichen Vorsatz verbundenen Bekenntnisse. Der Ausdruck 'Vollkommen im Wandel und Umgang' usw. aber wird gebraucht, um den Weg zu zeigen, durch dessen Befolgung die ganze Sittlichkeit zur Vollkommenheit gelangt. So ist dies zu verstehen.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus