Zurueck Milindapañha, Teil 4

7. Kapitel 

 

Mil. 4.7.1. Bildet das Lernen kein Hindernis für den Mönch?

 

«Der Erhabene, ehrwürdiger Nāgasena, hat gesagt: <Durch der Vielfalt Aufhebung beglückt möget ihr verweilen, o Mönche, an der Vielfalt Aufhebung Freude empfinden.>

(Dies ist einer der «acht Gedanken eines großen Mannes». Siehe A.VIII.30)

Was aber ist jene Aufhebung der Vielfalt?»

(Nippapañca, «das Nicht-Vielfältige», d.i. das Nibbāna. Papañca bedeutet in diesem Zusammenhang die gewaltige Vielfalt der Wandelwelt, des Samsāra. Dieser wird erstmalig eine Grenze gesetzt durch den Stromeintritt und sie ist endgültig aufgehoben für den Heiligen)

«Das <Ziel des Stromeintrittes>, o König, ist der Vielfalt Aufhebung; das <Ziel der Einmal-Wiederkehr> ist der Vielfalt Aufhebung; das <Ziel der Niewiederkehr> ist der Vielfalt Aufhebung; das <Ziel der Heiligkeit> ist der Vielfalt Aufhebung.»

«Wenn dies aber, o ehrwürdiger Nāgasena, der Vielfalt Aufhebung ist, warum beschäftigen sich dann die Mönche mit dem Hersagen und Besprechen der Lehrreden, der mit Versen vermischten Prosa, der Erklärungen, der Verse, der Feierlichen Aussprüche, der Geburtsgeschichten, der Worte des Meisters, der Außergewöhnlichen Dinge und der Zergliederungen (diese sind die «neun Arten der Botschaft des Buddha«, sāsana), und warum lassen sie sich stören durch Reparaturarbeiten, durch Gaben und Verehrung? Verrichten sie denn damit nicht Werke, die der Siegreiche verworfen hat?»

«Nein, o König. Alle die Mönche, die so handeln, streben danach, der Vielfalt Aufhebung zu erreichen. Zwar mögen diejenigen, o König, die von Natur aus rein sind und im Besitz von früheren (vorgeburtlichen) Eindrücken, in einem einzigen Bewußtseinsaugenblick der Vielfalt Aufhebung erreichen. 

Diejenigen Mönche aber, o König, deren Augen noch stark vom Staub der Leidenschaften getrübt sind, werden eben bloß durch diese Mittel die Aufhebung der Vielfalt erreichen. Da zum Beispiel sät ein Mann auf einem Feld Samen aus. Und er vermag mit eigener Kraft und Stärke und Anstrengung, ohne jede Einzäunung, das Korn zur Reife zu bringen. Ein anderer Mann aber geht, nachdem er in seinem Feld den Samen gesät hat, in den Wald, schlägt dort Stöcke und Zweige ab; und nachdem er eine Einzäunung hergestellt hat, läßt er das Korn reifen. Wenn der Mann also darauf ausging, eine Einzäunung herzustellen, so geschah das eben dem Korn zuliebe. Ebenso auch, o König, mögen diejenigen, die von Natur aus rein sind und im Besitz von früheren Eindrücken, in einem einzigen Bewußtseinsaugenblicke die Aufhebung der Vielfalt erreichen, gerade wie ohne die Einzäunung jener Mann das Korn zur Reife brachte. 

Diejenigen Mönche aber, o König, deren Augen noch stark vom Staube getrübt sind, werden eben bloß durch diese Mittel die Aufhebung der Vielfalt erreichen, gerade wie der Mann, der zuerst eine Einzäunung herstellen mußte, bevor er das Korn ernten konnte. Oder: gesetzt, o König, auf dem Gipfel eines gewaltig hohen Mangobaumes befinde sich ein Bündel Früchte. Wer da nun magische Kräfte besitzt, mag dort hinaufsteigen und sich die Früchte wegholen; wer da aber keine magischen Kräfte besitzt, muß sich erst Stöcke und Schlingpflanzen abschneiden, sich daraus eine Leiter anfertigen und auf dieser den Baum erklimmen, um sich die Früchte holen zu können. Wenn da nun dieser Mann sich nach einer Leiter umsah, so geschah das eben den Früchten zuliebe. Ebenso auch, o König, mögen diejenigen, die von Natur aus rein sind und im Besitz von früheren Eindrücken, in einem einzigen Bewußtseinsaugenblicke die Aufhebung der Vielfalt erreichen, gerade wie einer durch magische Kraft die Früchte vom Baume pflücken möchte. 

Diejenigen Mönche aber, o König, deren Augen noch stark vom Staube getrübt sind, werden eben bloß durch diese Mittel die Aufhebung der Vielfalt erreichen, gerade wie der eine Mann nur vermittelst einer Leiter sich die Früchte vom Baume holen konnte. Oder: wie, o König, ein geschäftstüchtiger Mann ganz allein zu seinem Herren geht und die Geschäfte erledigt, während ein Reicher vcrmittelst seines Reichtums erst Anhänger sammelt und dann mit deren Hilfe das Geschäft zum Abschluß bringt - das Suchen nach Anhängern geschah eben dem Geschäft zuliebe -: ebenso auch, o König, mögen alle diejenigen, die von Natur aus rein sind und im Besitz von früheren (vorgeburtlichen) Eindrücken, in einem einzigen Bewußtseinsaugenblicke die Meisterschaft über die sechs Geisteskräfte erlangen, gerade wie der Mann, der ganz allein die Geschäfte erledigte. 

Diejenigen Mönche aber, o König, deren Augen noch stark vom Staube getrübt sind, vermögen nur durch solche Mittel den Sinn des Asketentums zu verwirklichen, gerade wie der eine Mann nur mit Hilfe seiner Anhänger die Geschäfte zum Abschluß bringen konnte.

Für alle diese zu erwirkenden Dinge, o König, ist das Hersagen (von Texten) von hohem Segen, ist die Besprechung von hohem Segen, ist das Reparieren der Wohnungen von hohem Segen, sind Gaben und Verehrung von hohem Segen; gerade wie ein Mann, der mit dem Könige verkehrt, geachtet ist von den Ministern, Soldaten, Boten, Torwächtern, Leibwachen und dem Gefolge, und ihm diese alle bei eintretender Gelegenheit eine große Stütze sind. Wären, o König, alle von Geburt aus lauter, so brauchte man keine Unterweiser. Weil aber eben nicht alle von Geburt aus lauter sind, deshalb bedarf man der Belehrung. 

Der Ordensältere Sāriputta, o König, hatte zwar eine unbegrenzte, unermeßliche Zeit hindurch die Grundlagen des Guten in sich angehäuft und den Gipfel des Wissens erreicht. Aber nicht einmal er war imstande, ohne das Gesetz zu hören, die Versiegung der Leidenschaften zu erreichen. Darum, o König, ist das Lernen von hohem Segen, ebenso das Hersagen und die Besprechung. Darum wird auch das Hersagen und die Besprechung (des Gesetzes) als die Aufhebung der Vielfalt, als <ungeworden> bezeichnet.(*) 

«Gut ausgesonnen, ehrwürdiger Nāgasena, hast du das Problem. So ist es, und so nehme ich es an.»


(*) Dies allerdings nur im Sinne einer Vorbereitung dafür, welche keineswegs notwendig ihr Ziel erreichen muß. Hier handelt es sich zweifellos um eine unzulässige Ausdehnung in der Anwendung des Begriffes «Aufhebung der Vielfalt». - Das «Ungewordene» (asankhata) ist eine Bezeichnung des Nibbāna, ebenso wie «Aufhebung der Vielfalt».)


Mil. 4.7.2. Warum kann man nach Erreichung der Heiligkeit nicht im Weltleben verbleiben?

 

«Ihr sagt da, ehrwürdiger Nāgasena, daß für einen, der als weltlicher Anhänger die Heiligkeit erreicht hat, bloß zwei Möglichkeiten offen stehen, keine dritte: daß er entweder noch an demselben Tage seiner Erreichung dem Weltleben entsagt, oder aber daß er abscheidet und keinen Tag länger am Leben bleibt. Wenn dieser nun aber, ehrwürdiger Nāgasena, an jenem Tage keinen Lehrer oder Berater finden oder Gewand und Almosenschale nicht erlangen sollte, würde er dann wohl als Heiliger aus sich selber heraus Mönch werden, oder würde er noch einen Tag warten, oder würde etwa irgend ein magiegewaltiger Heiliger kommen und ihn in den Orden aufnehmen? Oder würde er etwa abscheiden?»

«Nicht würde, o König, jener Heilige sich selber zum Mönche machen; denn wenn jemand sich selber zum Mönche macht, begeht er einen Diebstahl (d.h. er hat sich selber unrechtmäßig in das Mönchsgewand eingekleidet, das ihm, der Ordensregel gemäß, in gültiger Weihe von seinem Lehrer gegeben werden muß). Keinen Tag länger würde er am Leben bleiben. Ob da ein anderer Heiliger kommt, oder ob er nicht kommt er würde noch an demselben Tage abscheiden, ins endgültige Nibbāna eingehen.»

«Doch dadurch, ehrwürdiger Nāgasena, wird ja der friedvolle Zustand des Heiligen verlassen, wenn dem, der ihn erreicht, das Leben entschwindet.»

«Unpassend, o König, sind für einen solchen die äußeren Bedingungen des weltlichen Anhängers. Bei unpassenden äußeren Bedingungen aber muß, eben infolge der Unzulänglichkeit der äußeren Bedingungen, der zur Heiligkeit gelangte weltliche Anhänger entweder noch an demselben Tage Mönch werden, oder aber er scheidet ab. Dafür, o König, trifft die Heiligkeit keine Schuld, sondern eben bloß die äußeren Bedingungen des weltlichen Anhängers, nämlich die Unzulänglichkeit dieser Bedingungen. Oder: wenn da die Nahrung, die doch für alle Wesen lebenerhaltend und lebenschützend ist, einem Menschen mit schlechtem Magen und langsamer, schwacher Verdauung infolge der ungenügenden Verdauung das Leben kosten mag, so liegt doch die Schuld nicht an der Speise, sondern eben am Magen und an der schlechten Verdauung. Oder: wie der winzige Grashalm, auf den man einen schweren Stein legt, infolge seiner Schwäche umknickt, sich umbiegt, - oder wie ein schwacher, kraftloser Mann, von niedriger Herkunft und geringen (in früherem Leben gewirkten) Verdiensten, der in den Besitz eines großen Reiches gelangen sollte, sofort wieder gestürzt und zu Falle gebracht würde und zurück träte und außerstande wäre, die Herrschaft zu behalten: ebenso auch, o König, kann der zur Heiligkeit gelangte weltliche Anhänger unter jenen Bedingungen die Heiligkeit nicht ertragen. Und aus diesem Grunde wird er noch an demselben Tage Mönch, oder er scheidet ab.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.7.3. Ist der Heilige unfehlbar?

 

«Mag wohl, ehrwürdiger Nāgasena, bei dem Heiligen noch verwirrte Achtsamkeit auftreten?»

«Nein, o König. Frei von Unachtsamkeit sind die Heiligen.»

«Kann aber, o Ehrwürdiger, der Heilige sich noch eines Ordensvergehens schuldig machen?»

«Ja, o König.»

«In welcher Sache aber?»

«Beim Errichten einer Hütte (zum Beispiel bei Errichtung der Hütte in von der Ordensregel nicht erlaubten Maßverhältnissen), oder beim Umgang (mit Frauen, hier handelt es sich natürlich nur um äußere Verhaltensregeln, zum Beispiel darf der Mönch keine Frau allein in seinem Wohnraum empfangen, auch wenn das beiderseitige Betragen ganz korrekt ist), oder wenn er sich in der Zeit (für das Mittagessen, das vor zwölf Uhr beendet sein muß) irrt; oder wenn, nachdem er eingeladen wurde, er nicht mehr daran denkt; oder wenn er eine Speise übriggelassen zu haben glaubt, trotzdem er keine übriggelassen hat.»

«Ihr sagt da, ehrwürdiger Nāgasena, daß alle, die ein Vergehen verüben, es aus zwei Gründen tun: entweder aus Unehrerbietigkeit oder ohne Wissen Geschieht es nun wohl, o Ehrwürdiger, beim Heiligen aus Unehrerbietigkeit, wenn er ein Vergehen verübt?»

«Nein, o König.»

«Wenn nun, ehrwürdiger Nāgasena, der Heilige ein Vergehen verübt, bei ihm aber keine Unehrerbietigkeit anzutreffen ist, so besitzt er doch noch Unachtsamkeit!»

«Unachtsamkeit findet sich beim Heiligen nicht mehr. Und doch mag er sich noch eines Ordensvergehens schuldig machen.»

«So überzeuge mich denn durch einen Beweis davon, o Ehrwürdiger! Was gilt da als Grund?»

«Zweierlei Vergehen gibt es, o König: das <von der Welt als verwerflich Bezeichnete> und das <von den Ordensvorschriften als verwerflich Bezeichnete>. 

Die <zehn unheilsamen Wirkensfährten> (kamma-patha) gelten als das von der Welt als verwerflich Bezeichnete. Als das von den Ordensvorschriften als verwerflich Bezeichnete gilt alles das in der Welt, was zwar für Hausleute nicht verwerflich, wohl aber für Asketen unpassend und unziemlich ist, und hinsichtlich dessen der Erhabene seinen Jüngern die Übungsregeln vorgeschrieben hat, die zeitlebens nicht überschritten werden dürfen. So ist zum Beispiel abendliche Mahlzeit, o König, für die Welt nicht verwerflich, wohl aber im Orden des Siegers; ebenso gelten das Verletzen von Pflanzen, der Wassersport und alle derartigen Handlungen im Orden des Siegers als verwerflich. Das gilt als das von den Ordensvorschriften als verwerflich Bezeichnete. Ein Vergehen aber, das in der Welt als verwerflich gilt, vermag der von Leidenschaften Erlöste nicht mehr zu verüben. Doch ein Vergehen, das von den Ordensvorschriften als verwerflich bezeichnet wird, das mag er unwissentlich noch verüben. Nicht gehört es ja zum Bereiche des Heiligen, daß er alles weiß; und nicht liegt es in seiner Macht, alles zu wissen. Name und Familie von Männern und Frauen mag dem Heiligen nicht bekannt sein; auch nicht jeden Weg auf dieser Erde mag er kennen. 

Die Erlösung aber, o König, die kennt der Heilige. Und der mit den sechs höheren Geisteskräften ausgestattete Heilige mag wohl sein eigenes Gebiet kennen. <Allerkenner> aber, o König, ist bloß der Vollendete: er erkennt alles.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.7.4. Was gibt es nicht in der Welt?

 

«Es finden sich, o Ehrwürdiger, Erleuchtete (Buddhā) in der Welt, Einzelerleuchtete (pacceka-buddhā), Jünger des Vollendeten, Weltherrscher, Menschen und Götter; man findet Reiche und Arme, Glückliche und Unglückliche; man sieht am Manne weibliche Merkmale und am Weibe männliche Merkmale auftreten; man findet gutes und böses Wirken und Wesen, die die Früchte guter und böser Taten genießen. 

Man findet in der Welt eiergeborene, leibgeborene, durch Gärung erzeugte und spontan (elternlos) entstandene Wesen. 

Man findet fußlose Wesen, Zweifüßer, Vierfüßer und Vielfüßer. 

Man findet in der Welt Gespenster, Unholde, Dämonen, Titanen, Genien, Geister der Abgestorbenen und Kobolde. 

Es gibt Halbmenschen, Schlangengeister, Drachen, Vogelgeister, Zauberer und Beschwörer. 

Es gibt Elefanten, Rosse, Rinder, Büffel, Kamele, Esel, Ziegen, Schafe, Hirsche, Schweine, Löwen, Tiger, Panther, Bären, Wölfe, Hyänen, Hunde, Schakale und vielerlei Vögel. 

Es gibt Gold, Silber, Perlen, Juwelen, Muscheln, Steine, Korallen, Rubine, Smaragd, Beryll, Diamant, Kristall, Eisen, Kupfer, Messing und Bronze. 

Es gibt Flachs, Seide, Baumwolle, Hanf und Wolle. 

Es gibt Reis, Gerste, Hirse, Kudrūsa-Korn, Schminkbohnen, Weizen, Mungbohnen, Masabohnen, Sesam und Wicken. 

Es gibt Riechstoffe aus Wurzeln, Kernholz, Grünholz, Rinde, Blättern, Blüten, Früchten und alle Düfte enthaltende Mischungen. 

Es gibt Gras, Schlingpflanzen, Büsche, Bäume, Kräuter und wilde Fruchtbäume, Flüsse, Berge und Meere, Fische und Schildkröten. 

Alles das gibt es in der Welt. Was es aber nicht in der Welt gibt, das mögest du mir erklären.»

«Drei Dinge, o König, gibt es nicht in der Welt: welche drei? 

Diese drei Dinge, o König, gibt es nicht in der Welt.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.7.5. Inwiefern gibt es keine Entstehungsursache des Nibbāna, aber dennoch einen Weg zu seiner Verwirklichung?

 

«Man findet in der Welt, ehrwürdiger Nāgasena, durch (vorgeburtliches) Wirken (kamma) entstandene Dinge, man findet durch Ursachen entstandene Dinge, man findet durch Temperatur entstandene Dinge. Was aber in der Welt weder durch Wirken, noch durch Ursachen, noch durch Temperatur entstanden ist, das mögest du mir erklären.»

«In der Welt, o König, gibt es zwei Dinge, die weder durch vorgeburtliches Wirken, noch durch Ursachen, noch durch Temperatur entstanden sind, nämlich der Raum und das Nibbāna.»

(Die Behauptung, daß der Raum nicht durch Ursachen (hetu) entstanden ist, steht im Widerspruch mit dem Pāli-Kanon und auch der späteren Theravada-Überlieferung. Es war in einer späteren Schule, den Sarvastivādins (Vaibhāsikas), daß der Raum als eines der «ungewordenen (asankhata) Dinge» bezeichnet wird. Im nächsten Kapitel beschränkt freilich Nāgasena den Begriff «Ursache» (hetu) auf das Feuer und die Pflanzenwelt, was eine merkwürdige Einengung dieses Begriffes ist.)

«Mögest du, ehrwürdiger Nāgasena, nicht die Worte des Siegers entstellen! Mögest du nicht das Problem erklären, ohne es zu verstehen!»

«Was habe ich denn gesagt, o König, daß du so zu mir sprichst?»

«Ist es denn wirklich recht, ehrwürdiger Nāgasena, zu behaupten, daß das Nibbāna und der Raum weder durch (vorgeburtliches) Wirken, noch durch Ursachen, noch durch Temperatur entstanden seien? Auf vielhundertfache Weise hat doch der Erhabene seinen Jüngern den Pfad zur Verwirklichung des Nibbāna gewiesen. Und da sagst du, daß das Nibbāna nicht aus Ursachen entstanden sei.»

«Wahr ist es, o König, daß der Erhabene auf vielhundertfache Weise seinen Jüngern den Pfad zur Verwirklichung des Nibbāna gewiesen hat. Nicht aber hat er eine Entstehungsursache des Nibbāna dargelegt.»

«Wir geraten da, ehrwürdiger Nāgasena, von einem Dunkel in ein noch größeres Dunkel, von einem Gestrüpp in ein noch dichteres Gestrüpp, von einem Dickicht in das andere, wenn du behauptest, es gäbe zwar ein Mittel zur Verwirklichung des Nibbāna, aber keine Entstehungsursache dieses Zustandes (dhamma). Wenn es, ehrwürdiger Nāgasena, ein Mittel zur Verwirklichung des Nibbāna gibt, so muß man doch erwarten, daß es auch eine Entstehungsursache des Nibbāna gibt. Gleichwie, ehrwürdiger Nāgasena, der Sohn einen Vater hat und man aus diesem Grunde auch einen Vater des Vaters zu erwarten hat - oder wie der Schüler einen Lehrer hat und man aus diesem Grunde auch einen Lehrer des Lehrers zu erwarten hat, - oder wie der Keim aus dem Samenkorn entsteht und man aus diesem Grunde auch einen Samen des Samens erwarten darf: ebenso auch, o König, hat man, wenn es ein Mittel zur Verwirklichung des Nibbāna gibt, aus diesem Grunde anzunehmen, daß es auch eine Entstehungsursache des Nibbāna gibt. Gleichwie der Baum oder die Schlingpflanze, weil sie eine Spitze haben, auch eine Mitte und eine Wurzel haben müssen: ebenso auch, ehrwürdiger Nāgasena, muß man, da es ein Mittel zur Verwirklichung des Nibbāna gibt, annehmen, daß es auch eine Entstehungsursache desselben gibt.»

«Nicht erzeugbar, o König, ist das Nibbāna; daher wurde keine Entstehungsursache desselben angegeben.»

«Komm', ehrwürdiger Nāgasena, gib mir einen Beweis und überzeuge mich durch Vernunftgründe, damit ich einsehen lerne, daß es zwar ein Mittel zur Verwirklichung des Nibbāna gibt, aber keine Entstehungsursache desselben!»

«So leihe mir denn aufmerksam Gehör! Höre gut zu! Ich will dir die Sache erklären. Kann wohl, o König, ein Mann vermittelst seiner natürlichen Kräfte von hier aus zum Himālaja, dem Könige der Berge, gelangen?»

«Gewiß, o Ehrwürdiger.»

«Könnte er aber, o König, den Himālaja hierher holen?»

«Das freilich nicht, o Ehrwürdiger.»

«Oder kann wohl, o König, ein Mann vermittelst seiner natürlichen Kräfte das Weltmeer mit einem Schiffe durchkreuzend, das jenseitige Ufer erreichen?» «Gewiß, o Ehrwürdiger.»

«Könnte er aber, o König, das jenseitige Ufer des Meeres hierher holen?» «Das freilich nicht, o Ehrwürdiger.»

«Ebenso auch, o König, kann man zwar den Weg zur Verwirklichung des Nibbāna aufweisen, aber keine Entstehungsursache desselben. Und warum nicht? Weil eben dieser Zustand (nämlich das Nibbāna) unerschaffen ist.» (asankhatattā-dhammassa; asankhata = ungeworden, ungestaltet, nicht bedingt entstanden)

«Ist denn, ehrwürdiger Nāgasena, das Nibbāna unerschaffen?»

"Ja, o König. Unerschaffen ist das Nibbāna; durch niemanden ist es erschaffen worden. Vom Nibbāna, o König, kann man nicht sagen es sei entstanden oder nicht entstanden oder erzeugbar, oder vergangen, gegenwärtig oder zukünftig, oder erkennbar für Auge, Ohr, Nase, Zunge oder Körper.»

«In diesem Falle, ehrwürdiger Nāgasena, erklärt ihr doch das Nibbāna als etwas Nichtseiendes und zeigt, daß das Nibbāna gar nicht existiert.»

«Es existiert, o König, das Nibbāna. Dem Geiste erkennbar (mano-viññeyyam) ist das Nibbāna. Mit dem geklärten, erhabenen, geraden, ungehemmten, überweltlichen Geiste erkennt der mit vollkommenem Wandel ausgestattete edle Jünger das Nibbāna.»

«Welcherart aber, o Ehrwürdiger, ist wohl dieses Nibbāna? Überzeuge mich, insofern es sich durch Gleichnisse erklären läßt. Belehre mich darüber durch Beweisgründe, insoweit seine Existenz durch Vergleiche klargemacht werden kann!»

«Existiert wohl der Wind, o König?»

«Gewiß, o Ehrwürdiger.»

«So zeige mir denn, o König, den Wind und erkläre mir seine Farbe und Gestalt, und ob er fein oder grob, lang oder kurz ist!»

«Nicht läßt sich, ehrwürdiger Nāgasena, der Wind aufzeigen und mit der Hand festhalten und drücken. Aber dennoch existiert der Wind.»

«Wenn man aber, o König, den Wind nicht aufzeigen kann, so existiert doch gar kein Wind.»

«Ich weiß aber, ehrwürdiger Nāgasena, daß der Wind existiert. Ich bin davon überzeugt. Aufzeigen aber kann ich den Wind nicht.»

«Ebenso auch, o König, existiert das Nibbāna, doch nicht läßt es sich aufzeigen und nach Farbe und Gestalt erklären.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! Einen guten Vergleich hast du gewiesen und die Sache gut erklärt. So ist es, und ich nehme daher an, daß das Nibbāna existiert.»

 


Mil. 4.7.6. Die verschiedenen Arten der Entstehung

 

«Welche Dinge, ehrwürdiger Nāgasena, sind durch (vorgeburtliches) Wirken entstanden (kamma-nibbattā), welche durch Ursachen (hetu-nibbattā), und welche durch Temperatur (utu-nibbattā)? Und welche Dinge sind weder durch (vorgeburtliches) Wirken, noch durch Ursachen, noch durch Temperatur entstanden?»

«Die willensbegabten (bewußten) Wesen, o König: alle diese sind durch (vorgeburtliches) Wirken entstanden. Das Feuer sowie alle aus Pflanzenkeimen hervorgegangenen Dinge sind durch Ursachen entstanden. Erde, Berge, Wasser und Wind sind alle durch Temperatur entstanden. Der Raum und das Nibbāna aber sind weder durch (vorgeburtliches) Wirken, noch durch Ursachen, noch durch Temperatur entstanden. Vom Nibbāna kann man nicht sagen, daß es durch Wirken oder durch Ursachen oder durch Temperatur entstanden sei, daß es entstanden oder nicht entstanden oder erzeugbar sei, daß es durch Auge, Ohr, Nase, Zunge oder Körper erkannt werden könne. Dem Geiste aber erkennbar, o König, ist das Nibbāna, das der edle Jünger von vollendetem Wandel in lauterer Erkenntnis schaut.»

«Dieses schöne Problem, ehrwürdiger Nāgasena, ist nun trefflich entschieden, von Unklarheiten befreit und abgeschlossen. Und meine Zweifel sind geschwunden bei dir, dem edelsten und besten der Lehrer.»

 


Mil. 4.7.7. Warum hat der Buddha die Ordensregeln nicht gleich zu Anfang festgelegt?

 

«Die da, ehrwürdiger Nāgasena, die einstmaligen Lehrer der Ärzte waren, wie Nārada, Dhammantarā, Angīrasa, Kapila, Kandaraggi, Sāma, Atula, Pubbakaccāyana: alle diese haben gleich mit einem Male ihre Lehren zusammengestellt und ihre Lehrsätze verfaßt, nachdem sie die Entstehung der Krankheiten, ihr Wesen, ihre Ausbreitung, Heilung, Behandlung und die erfolgreiche Wiederherstellung völlig verstanden hatten und wußten, daß solche und solche Krankheiten in diesem Körper entstehen können. Und keiner von diesen war allerkennend. Warum aber hat der Vollendete, der doch allerkennend war und die künftigen Ereignisse mit seinem Buddhawissen voraussah und wußte, daß auf diesem oder jenem Gebiete solche und solche Übungsregeln vorzuschreiben wären: warum hat er nicht die Übungsregeln gleich genau bestimmt und vollständig bekannt gemacht, sondern seinen Jüngern die Übungsregeln jedesmal erst dann vorgeschrieben, wenn eine Gelegenheit dazu eintrat oder ein Übel sich ausbreitete und häufig wurde, oder wenn die Leute aufgebracht waren (über das Benehmen der Mönche)?»

«Wohl hat, o König, der Vollendete gewußt, daß es nötig sein werde, den Menschen in diesem Orden über hundertfünfzig Ordensregeln vorzuschreiben. Doch der Vollendete sagte sich: <Sollte ich gleich mit einem Male über hundertundfünfzig Ordensregeln vorschreiben, so möchte die große Menge Angst bekommen, daß man da gar zu viel zu beobachten habe, daß es wahrlich schwer sei, im Orden des Asketen Gotama Mönch zu werden. Und die zur Hauslosigkeit Neigenden möchten nicht dem Orden beitreten, möchten meinen Worten kein Vertrauen schenken; und dadurch möchten sie auf den Abweg geraten. Darum will ich, sobald die Gelegenheit eintritt, die Mönche jedesmal durch einen Lehrvortrag aufklären, will bei einem zutage tretenden Übel die betreffende Ordensregel vorschreiben.>»

«Wunderbar, ehrwürdiger Nāgasena, ist es doch mit dem Erleuchteten, außerordentlich ist es doch mit dem Erleuchteten, wie gar gewaltig sein allerkennendes Wissen ist. Das verhält sich so, ehrwürdiger Nāgasena, und der Vollendete hatte den Umstand erkannt, daß die Wesen, sobald sie davon hören würden, wie viel es hier zu befolgen gäbe, einen Schrecken bekommen und kein Einziger unter ihnen im Orden des Siegers Mönch werden möchte. Das ist so, und so nehme ich es an.»


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