Zurueck Milindapañha, Teil 1

Die äußere Erzählung

 

So lautet die Überlieferung:

Einst im Lande der Griechen (wörtlich Jonier, Pāli: yonakā, dies war die in Indien allgemein übliche Bezeichnung der baktrischen Griechen) gab es eine Stadt mit Namen Sāgalā. Sie war ein Umschlagplatz für mannigfachen Handel, in entzückender Landschaft gelegen, geschmückt mit Flüssen und Bergen und war reich an Parkanlagen, Gärten, Hainen, Seen und Teichen.

Diese Stadt war einst von erfahrenen Männern erbaut worden und keine Gefahr drohte ihr seitens der Feinde, denn diese waren schon vor gar langer Zeit unterworfen. Auch hatte die Stadt viele verschiedene starke Türme und Wälle, stolze und stattliche Tore und Bogengänge. Tiefe Gräben und weißgetünchte Mauern umgaben die Königsburg. Die Straßen, Höfe, Kreuzwege und Plätze waren trefflich angeordnet. Die Märkte waren mit mannigfachen kostbaren Waren gefüllt, die schön ausgelegt waren. Und die Stadt war gesegnet mit vielen Hunderten von Almosenhallen und prangte von Hunderten und Tausenden von Herrschaftshäusern, die gleichsam wie Bergesgipfel des Himalaja in die Lüfte ragten. In den Straßen herrschte ein Gedränge von Elefanten, Pferden, Wagen und Soldaten, und Scharen stattlicher Männer und Frauen wanderten umher. Dicht bevölkert war die Stadt und bewohnt von vielen Adeligen, Brahmanen, Bürgern und Dienern. Überall hörte man Willkommensrufe an Asketen und Priester der zahlreichen Schulen erschallen.

Ja, die Stadt Sāgalā war der Sammelpunkt vieler großer, weiser Männer mit mannigfachem Wissen. Dort fand man unzählige Verkaufsstätten, gefüllt mit kostbaren Benares- und Kotumbarastoffen. Und die ganze Stadt durchdrang der Duft der Läden mit ihren Blumen und Parfümen, geschmackvoll zur Schau gestellt. Eine Fülle der entzückendsten Juwelen konnte man dort finden, und eine Menge von stattlichen Kaufleuten wohnte dort, mit ihren nach allen Richtungen hin schön angeordneten Waren. Die Stadt war förmlich gespickt mit Geld und Gold, mit Silber, Messing und Edelgestein, ein wahrer Berg voll strahlender Schätze, voll Überfluß an Geld und Getreide, Hab und Gut und angefüllt mit vielen Warenhäusern. Da gab es mancherlei Speisen und Naschwerk, Leckereien, Getränke und Säfte. Ja, die ganze Stadt glich Uttarakuru (ist ein mythisches Land des Wohlstandes) , und sie war reich an Korn wie Alakamandā, die Götterstadt!

Hier müssen wir vorerst stehen bleiben und die vorgeburtlichen Beziehungen zwischen Milinda und Nāgasena berichten.

Einst in alter Zeit nämlich, so sagt man, als noch der erhabene Kassapa (ist der Überlieferung nach der Name eines der früheren Buddhas) die Botschaft verkündete, wohnte in der Nähe des Ganges in einem Kloster eine große Schar von Mönchen. Dort hatten die in der Erfüllung der Vorschriften und Sittenregeln vollkommenen Mönche die Gewohnheit, schon ganz in der Frühe aufzustehen. Darauf pflegten sie mit langstieligen Besen den Klosterhof zu fegen und den Schmutz auf einen Haufen zusammen zu kehren, währenddessen sie über die Eigenschaften des Erleuchteten (Buddha) nachsannen.

Eines Tages nun geschah es, daß ein Mönch einen Novizen anrief mit der Bitte, den Schmutz fortzuschaffen. Der Novize jedoch ging weiter und tat, als ob er nichts hörte. Und auch zum zweitenmal und drittenmal angerufen, tat er, als ob er nichts hörte und ging ruhig seines Weges weiter. Da aber geriet der Mönch wegen der Widerspenstigkeit jenes Novizen in Zorn und versetzte ihm einen Schlag mit dem Besenstiel, so daß derselbe zu weinen begann und aus Furcht den Schmutz zur Seite schaffte. Dabei kam dem Novizen dieser erste Wunsch: «Ach, möchte ich doch infolge dieses guten Werkes, das ich durch das Entfernen des Schmutzes verrichte, während der ganzen Zeit bis zum Eintritte in die Erlösung (nibbāna), an welchem Orte auch immer ich wiedergeboren werde, der Mittagssonne gleich von großer Macht und großem Glanze sein!»

Darauf ging er zum Badeplatz des Ganges, um sich zu baden. Sobald er aber dort den murmelnden Wellenschlag des Ganges wahrnahm, äußerte er diesen zweiten Wunsch: «Ach, möchte ich doch während der ganzen Zeit bis zum Eintritte in die Erlösung, an welchem Orte auch immer ich wiedergeboren werde, gleichwie dieser Wellenschlag bei jedem aufgestiegenen Problem eine spontane Schlagfertigkeit besitzen!»

Auch der Mönch war, nachdem er den Besen in den Schuppen gestellt hatte, zum Badestrand des Ganges gegangen, um sich zu baden. Gerade aber bei seiner Ankunft vernahm er die Worte des Novizen, und er dachte bei sich: «Wenn dieser da, von mir angespornt, sich solches erhoffen darf, warum sollte es mir dann nicht auch glücken?» Und er sprach folgenden Wunsch aus: «Ach, möchte ich doch während der ganzen Zeit bis zum Eintritte in die Erlösung, an welchem Orte auch immer ich wiedergeboren werde, gleichwie dieser Wellenschlag ein unfehlbarer, schlagfertiger Redner sein und die Gabe besitzen, jedes beliebige Problem, das mir dieser Novize stellen wird, zu entwirren und zu lösen!»

 

Während nun jene beiden unter Göttern und Menschen die Daseinsrunde durcheilten, durchlebten sie die ganze Zeitspanne, die zwischen der Geburt zweier Erleuchteten liegt. Und gerade wie der Ordensältere Tissa, der Moggali Sohn (Moggaliputta-Tissa) , so wurden auch sie schon von unserem erhabenen Meister wahrgenommen, der von ihnen folgendes prophezeite: «Fünfhundert Jahre nach meinem völligen Nibbāna werden diese beiden in der Welt wiedererscheinen; und die von mir dargelegte tiefsinnige Lehre (Dhamma) und Disziplin (Vinaya) werden sie vermittelst Fragestellung und Anwendung von Gleichnissen enthüllen, erklären und auseinandersetzen.»

Von jenen beiden nun wurde der Novize als der König Milinda wiedergeboren.

Dort nun in der Stadt Sāgalā hatte der König Milinda seinen Sitz. Er war ein weiser, erfahrener, einsichtiger und befähigter Herrscher. Er beobachtete genau die Zeit für die Befolgung der sämtlichen Andachtsübungen und religiösen Riten, die vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Dinge betrafen. Auch viele Wissenschaften hatte er erlernt, als wie: die Überlieferung, das konventionelle Gesetz, die Sānkya-, Yoga-, Nyāya- und Vaiseshika-Philosophie, Arithmetik, Musik, Heilkunde, die vier Veden, die Purānen und die Legenden, Sternkunde, Zauberei, Logik, Beschwörungskunst, Kriegskunst, Dichtkunst und die Zeichensprache. Kurz gesagt: neunzehn Wissenschaften. Bei sämtlichen Glaubensstiftern galt er als der bedeutendste Redner und als ein unvergleichlicher, unbesiegbarer Gegner. Und in ganz Indien gab es nicht einen, der dem König Milinda an Körperkraft, Schnelligkeit, Heldenmut und Wissen gleichgekommen wäre. Überdies war er reich, hochbegütert, hochvermögend, und seine Heerscharen waren geradezu unermeßlich.

Eines Tages hatte der König den Wunsch, die aus den vier Divisionen - Elefantenabteilung, Wagenabteilung, Kavallerie und Infanterie - bestehende unendliche Truppenmacht seines gewaltigen Heeres Revue passieren zu lassen. Er zog daher hinaus vor die Stadt und ließ dortselbst eine Zählung der Truppen vornehmen. Als die Truppenschau zu Ende war, schaute der König - der ein großer Wortfechter war und es leidenschaftlich liebte, sich in Diskussionen mit Naturphilosophen, Sophisten und anderen Denkern einzulassen - nach der Sonne und sprach zu seinen Räten: «Es ist noch früh am Tage. Was sollen wir jetzt schon in der Stadt tun? Gibt es denn nicht irgend einen weisen Asketen oder Priester, der das Haupt einer Gemeinde oder Jüngerschar, einer Jüngerschar Lehrer ist - und sollte er sich selbst für einen Heiligen, Vollkommen-Erleuchteten ausgeben - der imstande wäre, mit mir zu diskutieren und meine Zweifel zu lösen?»

Auf diese Worte sprachen die fünfhundert Griechen zum König Milinda: «Es gibt da, o König, sechs Meister: Pūrana Kassapa, Makkhali Gosāla, Nigantha Nāthaputta, Sañjaya Belatthaputta, Ajita Kesakambalī und Pakudha Kaccāyana.(*8) Dieselben sind Häupter einer Gemeinde und Jüngerschar, einer Jüngerschar Lehrer, anerkannte und berühmte Glaubensstifter und von vielen hochgeachtet. Geh, König, und stelle jenen deine Fragen, damit sie dir deine Zweifel lösen!»

 

(*8) Diese sechs Meister lebten freilich zur Zeit des Buddha, was dem Verfasser unseres Werkes sicher bekannt war. Doch dieser Anachronismus galt ihm offenbar in einer imaginativen Erzählung als erlaubt. Über die Lehren dieser sechs Meister siehe Digha-Nikāya Nr.2.

 

Und der König Milinda bestieg seinen prächtig bespannten Staatswagen und begab sich in Begleitung der fünfhundert Griechen zu Pūrana Kassapa. Dort angelangt, begrüßte er sich mit ihm, und nach Austausch freundlicher und zuvorkommender Worte setzte er sich zur Seite nieder und sprach: «Wer ist wohl, Herr Kassapa, der Träger der Welt?»

«Die Erde, o König, ist der Träger der Welt.»

«Wenn dem aber so ist, o Herr, wie ist es dann möglich, daß die Wesen, die zur Avīci-Hölle hinab gelangen, über den Bereich der Erde Hinaus können?»

Diese Worte aber konnte Pūrana Kassapa weder verdauen, noch konnte er sich ihrer entledigen. Niedergeschlagen und mürrisch saß er da, ohne ein Wort zu sprechen.

Darauf begab sich der König Milinda zu Makkhali Gosāla und sprach:

«Gibt es wohl, Herr Gosāla, karmisch heilsame und unheilsame Taten? Und gibt es eine Wirkung oder ein Ergebnis heilsamer und unheilsamer Taten?»

«Nein, o König, es gibt keine heilsamen und unheilsamen Taten. Und es gibt keine Wirkung und kein Ergebnis heilsamer und unheilsamer Taten. Alle Adeligen zum Beispiel, o König, die es in dieser Welt gibt, werden nach dem Eintritt in die nächste Welt wiederum Adelige sein. Und ebenso steht es mit den Brahmanen, Bürgern, Dienern, Fegern und Ausgestoßenen. Was bedarf es da heilsamer und unheilsamer Taten?»

«Wenn dem so ist, Herr Gosala, und man nichts mit heilsamen und unheilsamen Taten bewirken kann, so wird man eben denjenigen Menschen, denen in dieser Welt (als Strafe) Hände, Füße Nase oder Ohren abgeschnitten wurden, nach ihrem Eintritt in die nächste Welt wieder Hände, Füße, Nasen oder Ohren abschneiden.»

Auf diese Worte hin verstummte Gosāla.

Der König Milinda aber rief aus: «Wahrlich, nichtig ist doch dieses Indien! Einer leeren Hülse gleicht es. Denn nicht einen einzigen gibt es hier unter den Asketen und Priestern, der imstande wäre, mit mir zu diskutieren und meine Zweifel zu lösen!»

Darauf wandte sich der König an seine Räte: «Lieblich ist diese Mondesnacht! Welchen Asketen oder Priester könnten wir heute noch aufsuchen, um ihn zu befragen? Wen gibt es sonst noch, der mit mir diskutieren und meine Zweifel lösen kann?»

Nach diesen Worten standen die Räte des Königs stumm da, und sahen nur den König an.

Damals nämlich war die Stadt Sāgalā bereits seit zwölf Jahren ohne irgend einen gelehrten Asketen, Priester oder Laien. Wo immer nämlich der König erfahren hatte, daß sich gelehrte Asketen, Priester oder Laien aufhielten, dort war er hingeeilt und hatte ihnen seine Fragen gestellt. Da sie jedoch alle außerstande gewesen waren, den König mit ihren Lösungen der Probleme zu befriedigen, waren sie hier- und dorthin gezogen. Diejenigen aber, die sich nicht in eine andere Gegend begeben hatten, waren verstummt. Die meisten Mönche hatten sich indessen nach dem Himalaja zurückgezogen.

Zu jener Zeit wohnten unzählige Heilige auf der «Geschützten Fläche» an den Abhängen des Himalajagebirges. Und der ehrwürdige Assagutta, der vermittelst seiner Fähigkeit des Himmlischen Ohres (dibba-sota, sihe abhiñña) des Königs Milinda Worte mit angehört hatte, hieß die Mönchsgemeinde, sich auf dem Yugandharaberge zu versammeln, und fragte die Mönche, ob einer unter ihnen imstande sei, mit dem König Milinda zu diskutieren und seine Zweifel zu lösen. Auf diese Frage hin erwiderte keiner ein Wort. Und auch zum zweitenmale und drittenmale gefragt, verhielten sich alle stumm. Da sprach der ehrwürdige Assagutta zur Mönchsgemeinde: «Es gibt, o Freunde, im Himmel der Dreiunddreißig, im Osten des Vejayantapalastes, ein Schloß mit Namen Ketumatī. Dort wohnt ein Göttersohn, mit Namen Mahāsena, der die Fähigkeit besitzt, mit dem Könige Milinda zu diskutieren und seine Zweifel zu lösen.» Darauf verschwanden alle die zahlreichen Heiligen vom Yugandharaberge und traten im Himmel der Dreiunddreißig wieder in Erscheinung.

Sakka, der Götterkönig, aber sah jene Mönche schon von ferne herankommen. Und er ging dem ehrwürdigen Assagutta entgegen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und stellte sich zur Seite hin. Zur Seite stehend sprach Sakka, der Götterkönig, zum ehrwürdigen Assagutta: «Fürwahr, o Herr, eine gewaltige Mönchsschar trifft da ein! Ich stehe der Gemeinde zu Diensten. Was wünscht sie? Was könnte ich tun?»

Und der ehrwürdige Assagutta erwiderte Sakka, dem Götterkönig: «Es lebt da, o König, in der Stadt Sāgalā in Indien ein König mit Namen Milinda, ein unübertroffener, unbesiegbarer Redner, der allen Glaubensstiftern als der bedeutendste Gegner gilt. Der hat die Gewohnheit, die Mönche aufzusuchen und zu belästigen, indem er ihnen auf sophistische Weise Fragen stellt.»

Und Sakka, der Götterkönig, sprach: «Dieser selbe König Milinda, o Herr, schied einst von hier ab und wurde unter den Menschen wiedergeboren. In dem Ketumatī-Schlosse aber wohnt ein Göttersohn mit Namen Mahāsena, der die Fähigkeit besitzt, mit diesem König Milinda zu diskutieren und seine Zweifel zu lösen. Den laßt uns um Wiedergeburt in der Menschenwelt ersuchen!»

Darauf begab sich Sakka, der Götterkönig, indem er die Mönchsgemeinde vorangehen ließ, zum Ketumatī-Schlosse, umarmte dort Mahāsena, den Göttersohn, und sprach:

«Es ersucht dich, Verehrter, die Mönchsgemeinde um Wiedergeburt in der Menschenwelt.»

«Ich begehre nicht nach der Menschenwelt, o Herr, wo es viel (leidschaffendes) Wirken gibt (wörtl.: "mit viel kamma"). Schrecklich ist die Menschenwelt! Ich möchte, o Herr, nach der Wiedergeburt in immer höheren Sphären, eben in der Götterwelt die völlige Erlösung erreichen.» Und auch zum zweitenmale und drittenmale von Sakka, dem Götterkönig, ersucht, gab Mahāsena, der Göttersohn, die nämliche Antwort.

Darauf wandte sich der ehrwürdige Assagutta an Mahāsena, den Göttersohn, und sprach: «Die ganzen Götterwelten haben wir durchsucht, Verehrter, doch keinen anderen haben wir gefunden außer dir, der es vermöchte, die Behauptungen des Königs Milinda zu widerlegen und so der Lehre als Stütze zu dienen. Die Mönchsgemeinde, o Verehrter, ersucht dich um Wiedergeburt in der Menschenwelt, damit, o Edler, du der Lehre des mit den zehn Kräften ausgerüsteten Buddha als Stütze dienen möchtest.»

Durch diese Worte aber wurde Mahāsena, der Göttersohn, von Freude und Begeisterung erfüllt - in dem Gedanken nämlich, daß er imstande sein werde, die Behauptungen des Königs Milinda zu widerlegen und so ein Retter der Lehre zu werden. Er gab nun seine Zustimmung und sprach: «Nun gut, o Herr, ich will in der Menschenwelt wieder erscheinen.»

Als somit jene Mönche ihre Aufgabe erledigt hatten, verschwanden sie aus dem Himmel der Dreiunddreißig und traten auf der «Geschützten Fläche» an den Abhängen des Himalajagebirges wieder in Erscheinung. Und der ehrwürdige Assagutta wandte sich an die Mönchsgemeinde und fragte, ob vielleicht irgend einer der Mönche, die dieser Gemeinschaft angehörten, nicht in der Versammlung zugegen sei.

Auf diese Worte erwiderte einer der Mönche dem ehrwürdigen Assagutta, daß der ehrwürdige Rohana vor einer Woche sich ins Himalajagebirge begeben und sich dort in den (meditativen) Erlöschungszustand (nirodha, steht für die vollständige Bezeichnung "Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl" (saññā-vedayita-nirodha) ein zeitweiliger Meditationszustand tiefster Versenkung, siehe nirodha-samāpatti) versenkt habe, und daß man deshalb einen Boten zu ihm senden möge.

Der ehrwürdige Rohana jedoch, der sich gerade in diesem Augenblicke aus dem Erlöschungszustand erhoben hatte fühlte, daß die Gemeinde ihn erwartete. Und er verschwand alsobald vom Himalajagebirge und trat auf der «Geschützten Fläche» vor den zahlreichen Mönchen wieder in Erscheinung.

Und der ehrwürdige Assagutta sprach zu ihm: «Weißt du denn nicht, Freund Rohana, was die Gemeinde zu tun hat, jetzt wo die Lehre des Erleuchteten im Zerfall begriffen ist?»

«Daran habe ich nicht gedacht, o Herr.»

«So hast du denn, Freund Rohana, dafür Sühne zu leisten.»

«Und was muß ich da tun, o Herr?»

«An den Abhängen des Himalaja, Freund Rohana, da liegt ein Brahmanendorf, Kajañgala genannt. Dort wohnt ein Brahmane namens Sonuttara. Der wird einen Sohn empfangen, mit Namen Nāgasena. Dort zu jenem Hause sollst du sieben Jahre und zehn Monate lang um Almosen gehen. Darauf sollst du den jungen Nāgasena aus dem Hausleben entziehen und als Novizen aufnehmen. Und sobald jener in die Hauslosigkeit fortgezogen sein wird, sollst du von deiner Schuld befreit sein.»

«Nun gut!» stimmte der ehrwürdige Rohana bei.

Mittlerweile verschied Mahāsena, der Göttersohn, aus dem Himmel der Dreiunddreißig und wurde im Leibe der Frau des Brahmanen Sonuttara wiedergeboren. Im Augenblicke seiner Wiedergeburt taten sich drei wunderbare, außerordentliche Erscheinungen kund: sämtliche Waffenkammern leuchteten auf, die junge Saat wurde reif, und ein mächtiger Regen (während der Trockenzeit) strömte hernieder. Der ehrwürdige Rohana ging nun von der Geburt des Knaben an sieben Jahre und zehn Monate lang zu jenem Hause um Almosen. Doch nicht an einem einzigen Tage erhielt er selbst nur einen Löffel Reis oder eine Kokosschale voll Suppe oder eine Begrüßung oder einen Handgruß oder irgend welche Ehrfurchtsbezeigung. Nein, nichts als Hohn und Spott erntete er. Selbst nicht ein einziges Mal sprach einer die übliche Bitte aus, den Almosengang fortzusetzen. Am Ende der sieben Jahre und zehn Monate jedoch wurde ihm eines Tages endlich einmal gesagt: «Wolle, bitte, der Herr weitergehen!» (Dies ist die übliche Höflichkeitsformel, mit der man den auf Almosen wartenden Mönch zur nächsten Türe verweist, falls man gerade keine Speise bereit hat oder nicht gewillt ist, solche zu geben) Gerade an jenem Tage nun aber kam der Brahmane von einer außerhalb verrichteten Arbeit zurück, und als er den ehrwürdigen Rohana unterwegs erblickte, fragte er, ob er auch zu seinem Hause gegangen sei.

«Ja, Brahmane», war die Antwort.

«Und hast du irgend etwas bekommen?»

«Ja, Brahmane, ich habe etwas bekommen.»

Darauf ging jener voll Verdruß in sein Haus und fragte, ob man dem Mönch etwas gegeben habe. «Nein!» hieß es. «Wir haben nichts gegeben.»

Am folgenden Tage setzte sich deshalb der Brahmane vor seine Haustür, indem er bei sich dachte: «Heute aber will ich den Mönch für seine Lüge demütigen.» Und der Ordensältere kam am nächsten Tage wieder zur Haustüre des Brahmanen. Kaum aber hatte ihn der Brahmane erblickt, als er auch schon zu ihm sprach: «Du hast gestern behauptet, in unserem Hause etwas bekommen zu haben, und nicht das Geringste hast du bekommen. So ist das Lügen wohl bei euch erlaubt?»

Der Ordensältere aber sprach: «Während der sieben Jahre und zehn Monate habe ich in eurem Hause auch nicht ein einziges Mal die bloßen üblichen Worte zu hören bekommen: «Wolle der Herr, bitte, weitergehen!» Gestern aber bekam ich diese Worte zu hören. Und eben mit Beziehung auf diese höflichen Worte habe ich solches gesagt.»

Da dachte der Brahmane bei sich: «Diese Mönche sprechen ja schon wegen eines bloßen, höflichen Wortes, das sie zu hören bekommen, unter den Leuten ihre Anerkennung aus, indem sie sagen, daß sie etwas erhalten haben. Wie sollten sie es dann nicht erst recht anerkennen, wenn sie irgend eine harte oder weiche Speise erhalten?» Und voll Freude ließ er ihm von dem Reis, der für ihn persönlich hergerichtet war, einen Löffel voll als Almosen darreichen, zusammen mit der entsprechenden Portion Gemüse, indem er sagte: «Diese Gabe, o Herr, sollt ihr alle Tage erhalten.» Sobald er nun die innere Ruhe des Ordensälteren der vom folgenden Tage ab stets kam, wahrgenommen hatte, fand er mehr und mehr Gefallen an ihm und bat ihn, von nun ab regelmäßig bei der Almosenverteilung in seinem Hause zugegen zu sein. Der Ordensältere gab stillschweigend seine Zustimmung. Und täglich, wenn er sein Mahl beendet hatte und im Begriffe war zu gehen, trug er diesen oder jenen kurzen Ausspruch des Erleuchteten vor.

(Obgleich der Brahmane dem Nāgasena täglich Almosen darreicht, ist er dadurch noch keineswegs ein Anhänger der buddhistischen Lehre. Es ist nämlich in Indien Sitte, ohne Unterschied der Sekte und religiösen Überzeugung, allen Mönchen Almosen darzureichen.)

Nach Verlauf von zehn Monaten nun brachte die Frau des Brahmanen einen Sohn zur Welt, dem man den Namen Nāgasena gab. Allmählich wuchs derselbe heran und erreichte das Alter von sieben Jahren. Und der Vater des jungen Nāgasena sprach zu seinem Sohne: «Du solltest dich nun, lieber Nāgasena, in den Studien dieser Brahmanenkaste schulen.»

«Welche sind dies, lieber Vater?»

«Die drei Veden, lieber Nāgasena, gelten als die Wissenschaften, die anderen Arten des Könnens aber bezeichnet man als die Künste.»

«So will ich mich denn, lieber Vater, den Studien widmen.»

Und der Brahmane Sonuttara gab einem Brahmanenlehrer eintausend Geldstücke als Lehrgehalt und ließ in einem abseits gelegenen Zimmer im Innern des Hauses Sitzgelegenheiten herrichten und sprach zu dem Brahmanenlehrer: «Lasse du, Brahmane, diesen Knaben die heiligen Gesänge lernen!»

Und der Brahmanenlehrer trug die heiligen Gesänge vor und ließ sie den Knaben auswendig lernen. Und schon nach einer einmaligen Rezitation wußte der junge Nāgasena bereits die drei Veden auswendig, konnte sie wörtlich hersagen, hatte sie wohl behalten, wohl im Gedächtnisse bewahrt, wohl im Geiste erwogen. Und ganz von selber gewann er einen Einblick in die drei Veden, mitsamt dem Wörterverzeichnis, der Formenlehre, den Wortzergliederungen und als fünftem den Legenden. Und er wurde vertraut mit den Worten und der Grammatik, wohl bewandert in der Naturlehre und den Merkmalen eines großen Mannes.

Da sprach der junge Nāgasena zu seinem Vater: «Gibt es wohl, lieber Vater, in dieser Brahmanenkaste noch mehr zu lernen, oder ist dies alles?»

«Nein, dies ist alles, lieber Nāgasena.»

Nachdem nun der junge Nāgasena seinem Lehrer Rechenschaft über sein Können abgelegt hatte, ging er aus dem Hause, und infolge einer angeborenen Neigung, von einem inneren Triebe beseelt, eilte er in die Einsamkeit. Und während er dort zurückgezogen weilte, sann er über den Anfang, die Mitte und das Ende seines eigenen Könnens nach. Als er aber beim Überdenken der Veden weder am Anfang noch der Mitte noch dem Ende derselben den geringsten Gehalt bemerken konnte, da ward er ganz traurig und unzufrieden und dachte: «Nichtig sind doch diese Veden, leere Hülsen, gleich, ohne Kern und Gehalt?»

Der ehrwürdige Rohana, der in diesem Augenblicke in der Vattanīya-Klause saß, erkannte im Geiste die Gedanken des jungen Nāgasena. Er kleidete sich daher an, verschwand aus der Vattanīya-Klause und trat, mit Schale und Gewand versehen, vor dem Brahmanendorfe Kajañgala wieder in Erscheinung. Und der junge Nāgasena, der in diesem Augenblicke in der Torhalle des Hauses stand, sah schon von Ferne den ehrwürdigen Rohana herankommen. Durch seinen Anblick aber wurde er froh und freudig gestimmt. Und mit Entzücken und Freude dachte er, daß vielleicht dieser Mönch etwas wirklich Gehaltvolles wisse. Und er ging auf den ehrwürdigen Rohana zu und sprach ihn an mit den Worten: «Wer bist du, o Herr, der du deine Haare geschoren hast und gelbe Gewänder trägst?»

«Einen Hauslosen (Mönch, pabbajito wörtl.: «ein Hinausgezogener», nämlich aus dem weltlichen Hausleben ins Mönchtum.) nennt man mich, o Knabe.»

«Aus welchem Grunde aber, o Herr, nennt man dich einen Hauslosen?»

«Weil ich von zu Hause fortgezogen bin, um dem Schmutze des Lasters zu entgehen: darum, mein Knabe, nennt man mich einen Hauslosen.»

«Aus welchem Grunde aber, o Herr, trägst du keine Haare wie alle anderen?»

«Angesichts folgender sechzehn Ablenkungen, mein Knabe, habe ich als Hausloser Haar und Bart geschoren. Diese sind das Schmücken der Haare, der Gebrauch von Schönheitsmitteln, das Einölen, Waschen und Verwenden von Blumen, wohlriechenden Substanzen und Salben, von gelben und schwarzen Myrobalansamen, das Färben, Zusammenbinden und Kämmen der Haare, das Zuhilfenehmen eines Barbiers, das Auskämmen von Knoten sowie das Ungeziefer. Und wenn da einem die Haare ausfallen, so ist man voller Sorge und quält sich; man jammert und schlägt sich in die Brust und gerät in Verzweiflung. Ja, mein Knabe, die Menschen, die in diese sechzehn Ablenkungen verwickelt sind, vernachlässigen alle feineren Künste.»

«Aus welchem Grunde aber, o Herr, trägst du keine Kleider wie alle anderen?»

«Die weltlichen Kleider, mein Knabe, sind mit Sinnlichkeit verknüpft; sie reizen die Sinne und sind das Kennzeichen der in der Welt Lebenden. Wer aber mit dem gelben Gewande bekleidet ist, ist den Gefahren nicht ausgesetzt, die zufolge der weltlichen Kleider entstehen. Aus diesem Grunde trage ich keine Kleider wie alle anderen.»

«Kennst du wohl, o Herr, die Wissenschaften?»

«Ja, mein Knabe, ich kenne die Wissenschaften; und was in der Welt das höchste Wissen* ist , auch das kenne ich. »

* (uttamam mantam, das Pāli-Wort manta entspricht dem Sanskrit mantra. Im vedischen und frühindischen Gebrauch und auch in den Pāli-Texten bezieht sich dieser Begriff auf die vedischen Hymnen und Sprüche und wurde daher auch auf Seite 34 mit «heilige Gesänge» wiedergegeben. Doch der junge Nāgasena, der von seinem Veda-Studium enttäuscht war, hat die Worte des ehrw. Rohana sicher auf ein höheres Wissen bezogen. Des Übersetzers freie Wiedergabe des Wortes manta erscheint daher sinngemäß berechtigt.)

«Könntest du mir aber wohl, o Herr jenes Wissen anvertrauen?»

«Ja, mein Knabe, das kann ich.»

«So tue es, bitte!»

«Es ist jetzt nicht an der Zeit, mein Knabe, denn ich habe eben gerade meinen Almosengang im Dorfe angetreten.»

Der junge Nāgasena entnahm daher die Almosenschale den Händen des ehrwürdigen Rohana und hieß ihn in das Haus eintreten. Dort bewirtete er den ehrwürdigen Rohana, indem er ihm eigenhändig mit auserlesenen harten und weichen Speisen aufwartete. Als nun der ehrwürdige Rohana mit dem Mahle fertig war und seine Hand von der Almosenschale zurückgezogen hatte, wandte sich der junge Nāgasena zu ihm und sprach: «Vertraue mir nun, o Herr, jenes Wissen an!»

«Wenn du, mein Knabe, keine Ablenkungen mehr haben wirst und mit Einwilligung deiner Eltern die auch von mir gewählte Mönchskleidung tragen willst, so werde ich dir jenes Wissen anvertrauen.»

Und der junge Nāgasena begab sich alsbald zu seinen Eltern hin und sprach zu ihnen: «Liebe Eltern, dieser Hauslose sagt, daß er das höchste Wissen in der Welt kenne, doch will er mir's nicht anvertrauen, wenn ich nicht unter ihm das Weltleben verlasse. Ich möchte daher unter ihm dies Weltleben verlassen und mir jenes Wissen aneignen.»

Da dachten seine Eltern: «Lassen wir ruhig unseren Sohn jenes Wissen sich aneignen, selbst wenn er dafür in die Hauslosigkeit zieht. Er wird ja doch, sobald er sich dasselbe angeeignet haben wird, wieder zu uns zurückkehren.» Und sie gaben ihm ihre Einwilligung mit den Worten: «Gut, lieber Sohn, du magst dir jenes Wissen aneignen.»

Und der ehrwürdige Rohana nahm den jungen Nāgasena mit sich und ging mit ihm zur Vattanīya-Klause in Vijambha-Vatthu. Nachdem er dort die Nacht verbracht hatte, begab er sich zur «Geschützten Fläche» und nahm den jungen Nāgasena unter Beisein der zahllosen Heiligen als Hauslosen auf. Als Hausloser aber aufgenommen, sprach er, der ehrwürdige Nāgasena, zum ehrwürdigen Rohana: «Ich habe deine Kleidung angenommen, o Herr. Vertraue mir nun jenes Wissen an!»

Und der ehrwürdige Rohana dachte für sich: «Worin soll ich wohl Nāgasena zuerst unterrichten, in den Lehrreden oder in den philosophischen Texten (Abhidhamma)?» Da er sich aber sagte, daß Nāgasena klug war und befähigt, die philosophischen Texte mit großer Leichtigkeit zu erlernen, so entschloß er sich, ihn zuerst darin zu unterweisen. Und schon nach einer einmaligen Rezitation konnte der ehrwürdige Nāgasena die ganze Sammlung der philosophischen Werke auswendig, nämlich:

  1. die «Aufzählung der Daseinsphänomene» (Dhammasangani) mit der Einteilung in heilsame, unheilsame und karmisch-neutrale Dinge, (in einer Darstellung) geziert mit Zweier- und Dreiergruppen;
  2. das «Buch der Abhandlungen» (Vibhanga), das auch aus achtzehn Abhandlungen (über die Daseinsgruppen usw.) besteht;
  3. das «Buch von der Besprechung der Elemente» (Dhātu-Katha) mit seinen vierzehn Kapiteln, über Verbundensein und Nichtverbundensein;
  4. das «Buch der Charaktere» (Puggala-Paññatti) mit seiner sechsfachen Einteilung in die Darstellung der Daseinsgruppen, die Darstellung der Sinnesgrundlagen usw.;
  5. das «Buch der Diskussions-Gegenstände» (Kathā-Vatthu), das, im Ganzen genommen, aus tausend Traktaten besteht, nämlich aus fünfhundert Traktaten über unsere eigene Lehre und aus fünfhundert Traktaten über die Lehre der Gegner;
  6. das «Buch der Paare» (Yamaka) mit seiner sechsfachen Einteilung in paarweise Fragen über Wurzeln, Daseinsgruppen usw.;
  7. das «Buch von der Entstehung» (Patthāna) mit seiner Einteilung in die vierundzwanzig Bedingtheitsarten, als wie Wurzelbedingung, Objektbedingung usw.

(Dies sind die sieben Bücher des kanonischen Abhidhamma-Pitaka.)


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