Die Lehre des Buddha von Max Ladner

Die Geburt der Lehre vom Ich

"Die brahmanische Spekulation hatte den Begriff der Gottheit Schritt für Schritt zurückgedrängt. Ein neuer Mittelpunkt des Denkens war gefunden. Ein Gott größer als alle alten Götter, denn er reicht durch das All. Und doch verlangte dieser Gott nicht wie jene, dass man in demütiger Anbetung als der Geringe und Abhängige vor ihn, den Herrn, trete. Denn er ist ja des Menschen eigenes Ich: 'Ich bin das All: dies ist seine Verehrungsformel.' 'Tattvamasi', spricht man zueinander, 'das bist du.' Das quälende Gefühl der eigenen Begrenztheit schwindet, mystische Seligkeit leuchtet auf, namenlose Reichtümer fallen ihm in den Schoss, dem sich das Brahman enthüllt hat. Wer also sieht, also denkt, also erkennt, an dem Ich sich freuend, mit dem Ich spielend, mit dem Ich sich paarend, an dem Ich sich ergötzend, der ist Selbstherr; frei durchwandelt er alle Welten." (Oldenberg, Buddha, S. 33 u. 56.)

Der Atman als höchste Instanz

Und weiter heißt es: "Den Atman verehre man, den geistigen, dessen Leib der Odem, dessen Gestalt Licht, dessen Selbst der Aether ist, der sich Gestalten bereitet, welche er will, den gedankenschnellen, voll rechten Wollens, voll rechten Haltens, allduftig, allsaftreich, der nach allen Weltgegenden dringt, der durch dies All reicht, wortlos, achtlos. So klein wie ein Korn Reis oder Gerste oder Hirse oder ein Hirsekern, also weilt dieser Geist im Ich; golden wie ein Licht ohne Rauch, so ist er; weiter denn der Himmel, weiter denn der Äther, weiter denn diese Erde, weiter denn alle Wesen; er ist das Ich des Odems, er ist mein Ich (Atman), mit diesem Atman werde ich, wenn ich von hinnen scheide, mich vereinigen." (Oldenberg, S. 32.)

Auf dieser gewaltigen Höhe bewegte sich damals das Denken, aber trotz allem ward der Weg noch nicht gefunden, der wirklich und endgültig zur Leidlosigkeit führt.

Die Überwindung des Atman

Es geschah nun, dass der Sakyersohn Gotama, der werdende Buddha, in einer Vollmondnacht (525 Jahre vor Christus), unter dem Bodhibaum die vollkommene Erleuchtung erlangte. Wir übergehen die Vorgeschichte dieser Erleuchtung, gehen auch nicht näher ein auf die Geschehnisse, die unmittelbar danach sich abspielten, sondern bleiben bei der Darstellung dessen, was ihn zum Buddha machte.

Wir haben vorhin kurz auf die Atmanlehre, die Lehre vom Ich in der vorbuddhistischen Zeit, hingewiesen. Diese Atmanlehre stellt wohl die höchstmögliche Steigerung und Verfeinerung des Gottesbegriffes, oder vielmehr der Vorstellung eines Absoluten, des Transzendenten an sich, dar. Der Buddha aber erkannte in jener Vollmondnacht, dass auch dieser Atmanbegriff nichts anderes als eine leere Spekulation, so gewissermaßen ein letztes Hangen an überlieferten Vorstellungen war, die einer endgültigen Lösung der Probleme im Wege stand. Er erkannte die Wesenlosigkeit alles Seienden, entthronte das "Ich", den Atman als "Ding an sich", als "Weltseele" und "Weltgrund" und setzte an seine Stelle die Lehre vom "Nicht-Ich", den anatta-vada.

Hören wir Buddhas eigene Worte:

"Die ganze Welt ist wesenslos'
Wer dies mit weisem Sinne sieht
Wird bald des Leidenslebens satt:
Das ist der Weg zur Läuterung."

(Dh. V. 279)

"Ob nun, ihr Mönche, Vollendete erstehen oder Vollendete nicht erstehen, so bleibt es dennoch Tatsache und die feste notwendige Bedingung des Daseins, dass alle Gestaltungen vergänglich sind, dass alle Gestaltungen leidbringend sind, dass alle Erscheinungen ohne Wesenskern sind. Solches erkennt und durchschaut der Vollendete, und nachdem er es erkannt und durchdrungen hat, verkündet er, lehrt, offenbart, predigt, enthüllt er, erklärt er im einzelnen, macht es evident, dass alle Gestaltungen vergänglich, leidbringend und alle Erscheinungen nicht das Ich sind."

"Es ist unmöglich, ihr Mönche, dass ein mit rechter Anschauung begabter Mensch irgend eine Erscheinung für das Ich halten sollte; das ist unmöglich. Aber es ist sehr wohl möglich, ihr Mönche, dass ein Weltmensch irgend eine Erscheinung für das Ich hält." (A.III.134 u. A.I.25)

Die Lehre vom Nicht-Ich

Was soll nun diese schwer verständliche Rede vom Nicht-Ich bedeuten? Wenn etwas völlig sicher und gewiss ist, so sagt der Ich-Gläubige, so ist es doch mein Selbst, mein Ich, denn wer und was sonst denkt, empfindet, fühlt, sieht, hört, redet usw. als eben ich? Dieses Ich soll es nicht geben, es soll nicht zu finden sein? Das kann nicht sein. Ich selber bin ja der lebendige Gegenbeweis. Es muss doch letzten Endes ein Subjekt da sein, als Gegensatz zum Objekt, es muss ein Berührendes, Empfindendes, ein Subjektives existieren, das, auch wenn es mit den Sinnesorganen nicht erkennbar ist, dem Objektiven gegenübersteht, das Objektive erkennt.

Aus solcher Rede spricht der felsenfeste Glaube an das "Ich an sich", an eine Seele, an ein absolut Seiendes. Wir dürfen ruhig zugestehen, dass dieser Glaube als solcher nichts beweist. Gewiss sind wir da als Person, als Wesen, als Erscheinung, als Wirkende, aber dass hinter allem eine unsichtbare, unfassbare, unerkennbare Seele, ein Ich, ein absolutes, ewig unwandelbares, unzerstörbares, unvergängliches Subjekt, ein Atman steckt, dafür haben wir auch nicht die Spur eines Beweises.

Was aber sind wir denn als Person, als Wesen, als Erscheinung usw.? Nichts anderes als eine Gruppe von Dingen, die in ihrem Zusammenwirken die Person, die Erscheinung, den Herrn Soundso, die Frau Soundso usw. ausmachen.

Nehmen wir z.B. den Begriff "Wald" und stellen wir uns vor, wir ständen mitten darin, nicht etwa im Begriff, sondern in einem wirklichen Wald. Was sehen wir? Bäume, Zweige, Nadeln und Blätter. Sind diese Dinge etwa der Wald? oder ist das Moos am Boden der Wald? oder ist das gedämpfte Licht der Wald, oder dies oder jenes? Keines von allen. Keines von all diesen Dingen ist der Wald, und doch verstehen wir, was der Wald ist: das Miteinandersein dieser Dinge in einer bestimmten Art und Weise ist der Wald; aber hinter diesen Dingen und ohne diese Dinge gibt es keinen Wald, ist ein Wald nicht festzustellen, ist nicht zu finden. Ein "Wald an sich", ein Wald im Sinne eines Absoluten, Transzendenten ist doch wirklich im höchsten Grade unwirklich und undenkbar.

Die Gruppen des Anhaftens

Nun ist es nach buddhistischer Auffassung beim Menschen und all den anderen Lebewesen genau so. Es verbleibt uns nur festzustellen, welche Dinge denn den Menschen eben zu dem machen was er ist. Es sind die fünf Gruppen, näher: die fünf Gruppen des Anhaftens. In der 44. Rede des MaJhima Nikaya lesen wir:

"Da nun begab sich Visakho, ein Anhänger, zur Nonne Dhammadinna, begrüsste sie höflich und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach nun der Anhänger Visakho zur Nonne Dhammadinna also: Die Persönlichkeit, heisst es, Ehrwürdige; was hat denn wohl der Erhabene gesagt, Ehrwürdige, dass die Persönlichkeit sei?

Die fünf Stücke des Anhangens sind die Persönlichkeit, hat der Erhabene gesagt, Bruder Visakho, als da ist ein Stück Anhangen an der Form, ein Stück Anhangen am Gefühl, ein Stück Anhangen an der Wahrnehmung, ein Stück Anhangen an der Gestaltung, ein Stück Anhangen am Bewusstsein. Diese fünf Stücke des Anhangens, Bruder Visakho, sind die Persönlichkeit, hat der Erhabene gesagt."

Und in der 22. Rede des Sam. Nikaya sagt der Buddha:

„Was es da, ihr Mönche, irgend an körperlicher Form gibt, irgend an Empfindung, an Wahrnehmung, an Gemütsregungen, an Bewusstsein gibt, vergangen, zukünftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, hässlich oder schön, fern oder nahe: das nennt man die Gruppe der körperlichen Form, der Empfindung, der Wahrnehmung, der Gestaltungen, des Bewusstseins."

Aus diesen Gruppen also besteht der Mensch, und sie umschließen tatsächlich alles, was zu seiner Gesamterscheinung gehört: alles Körperliche oder formhaft Gestaltete, alles was irgendwie empfunden werden kann, sei es freudvoll, leidvoll oder indifferent, alles mit den Sinnen Wahmehmbare, alle möglichen physischen und psychischen Gestaltungen und alle Bewusstseinsmöglichkeiten, die sich aus dem Gebrauch der Sinnesorgane, einschließlich des Denkorgans, ergeben. Das Zusammenwirken dieser fünf Gruppen ist das, was wir unter dem Namen "Mensch", "Person", verstehen. Dieses Wirken aber ist karmisch bedingt.

Die Entstehung der Gruppen

Nun wäre zu fragen, wie eigentlich so eine Gruppe, sagen wir einmal die Körperlichkeit, entsteht. Aus Nahrung entsteht sie, aus den Nahrungsstoffen, die sich wiederum auf die vier Grundelemente zurückführen lassen, dem Festen, Flüssigen, Feurigen und Luftigen. Und weiter entsteht sie aus dem Willen zu dieser Nahrung, aus der Nahrungsgier. Wäre diese nicht vorhanden, könnte ein Körper nicht entstehen.

Welche Ursachen liegen aber der Gruppe "Empfindung" zu Grunde? Unmittelbar nichts anderes als die Berührungsmomente der Sinnesorgane mit ihren Objekten. Eine Empfindung ohne vorhergehende Berührung, sei es mittels des Auges (Sehberührung), mittels des Ohres (Hörberührung) usw., inkl. Berührung des Denkorgans mit dem Gedanken-Objekt, oder dem Objekt der reinen Vorstellung, gibt es nicht. Ähnlich lassen sich auch die anderen Gruppen auf ihre Ursachen zurückführen.

Da ja nun der Körper aus Nahrung besteht, so müsste der, welcher nach einem Wesenhaften des Körpers fragt, auch nach dem Wesenhaften der Nahrung fragen und letzten Endes nach dem Wesenhaften des Festen, Flüssigen usw. Seine Fragen würden sich schließlich ins Nichts verlieren und sinnlos werden. Also nicht ein "Ich", eine "Seele", ein "Ding an sich", liegt der Körperlichkeit zugrunde, sondern stoffliches Werden, Nahrung die sich formt infolge des Ernährungswillens.

"Ich" als Werdeprozess

Wir haben also im Begriff "Ich" einen Werdeprozess vor uns, der in seiner Gesamtheit die Persönlichkeit ausmacht. Jede transzendentale Deutung dieses Begriffes ist ein Griff ins Leere.

Das Auge ist nicht mein Ich, das Ohr nicht, die Nase nicht, die Empfindung und auch das Denken nicht, der Körper und auch der Wille nicht, usw., aber in Abhängigkeit von diesen Dingen entsteht die Persönlichkeit und mit ihr der rein konventionelle Begriff "Ich", so gewissermaßen als eine gedankliche Funktion, als die kürzeste Umschreibung der effektiven Sein- resp. Werde-Empfindung.

Das Gesetz von der abhängigen Entstehung

Wir sehen nun ein, dass es nach buddhistischer Auffassung völlig falsch ist, zu fragen: Wer denkt? Wer empfindet? Wer ist sich bewusst? usw. Auf eine solche Frage kann es keine der Wirklichkeit entsprechende Antwort geben; sondern es muss gefragt werden: Von was ist das Denken, die Empfindung, das Bewusstsein usw. abhängig? Die Antwort darauf ergibt sich aus dem Paticca-samuppada, dem Gesetz von der abhängigen Entstehung, auf das wir nun eintreten wollen. In jener entscheidenden und so ungeheuer bedeutungsvollen Stunde, in der der meditierende Bodhisattva zum Buddha, zum Erleuchteten wurde, entschleierte sich ihm auch jenes ewige Gesetz, das sich in die kurzen Worte fassen lässt: "Wenn dieses ist, ist jenes, wenn dieses nicht ist, ist jenes nicht." Er begnügte sich aber nicht mit dieser knappen Formulierung eines Axioms, sondern analysierte gleichzeitig gründlich das Gefüge jenes Baues, den wir Welt nennen und der im Grunde genommen Leiden ist.

In tiefster Inschau entschleierte er das Geheimnis jener Zusammenhänge, aus denen in unendlicher Folge das Leiden entsteht, und erst auf Grund dieser Erkenntnis war es ihm möglich den Weg zu zeigen, der demjenigen, der ihn geht, mit unfehlbarer Sicherheit zur Überwindung von Geburt und Tod, zur völligen Loslösung vom Leiden, zum Nibbāna führt.

Die Analyse der Leidensentstehung ergab zwölf Glieder, die gemeinsam jene Ursachenkette bilden, die wir gesamthaft als Gesetz der ursächlichen Entstehung kennen. Die einzelnen Glieder dieser Kausalitätsreihe sind:

1. Nichtwissen avijja
2. Gestaltungen sankhara
3. Bewusstsein vinnana
4. Geist und Form nama-rupa
5. Sechssinnenbereich sal-ayatana
6. Berührung phassa
7. Empfindung vedana
8. Durst tanha
9. Anhaften upadana
10. Werden bhava
11. Geburt jati
12. Alter und Tod jaramarana

Nun sei gleich gesagt, dass diese Reihe nicht etwa so zu verstehen ist, als ob Nichtwissen den Anfang der ganzen Leidenskette und somit des Daseins darstellt. Einen Anfang des Seins gibt es nicht, lässt sich nicht einmal denken. Man kann aber die Reihe wohl in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und in eine aktive und passive Seite unterteilen, doch wollen wir nur noch kurz die Formulierung der gegenseitigen Abhängigkeit, so wie sie im Kanon (Nid. Samy. 12.3.) steht, erwähnen:

"Aus dem Nichtwissen als Ursache entstehen die Gestaltungen;

aus den Gestaltungen als Ursache entsteht das Bewusstsein-,

aus dem Bewusstsein als Ursache entsteht Geist und Form,

aus Geist und Form als Ursache...usw.

aus der Geburt als Ursache entstehen Alter und Tod, Schmerz, Kummer, Jammer, Betrübnis und Verzweiflung.

Auf solche Art kommt der Ursprung der ganzen Masse des Leidens zustande."

Es würde im Rahmen dieser kleinen Arbeit zu weit führen, auf eine Analyse der einzelnen Kausal-Glieder näher einzutreten. Wer sich eingehender dafür interessiert, der sei auf einen Artikel aufmerksam gemacht, welcher 1943 im Juni-Heft der "Mitteilungen der buddhistischen Gemeinschaft Zürich" über dieses Thema veröffentlicht wurde.

Wie schon angedeutet, stellen die einzelnen Glieder der Kette nicht einfach ein zeitliches Nacheinander dar. Sie existieren sowohl gleichzeitig und verteilen sich doch auf drei aufeinanderfolgende Existenzen. Diese Verteilung auf drei Existenzen gibt uns bereits einen Hinweis auf die ganz einzigartige Stellung, die der Buddhismus dem Wiedergeburtsgedanken gegenüber einnimmt. Darüber kommen wir nachher noch zu sprechen.


Die Fragen des Kassapa

Als Abschluss der Ausführungen über den Paticca-samuppada sei noch ein kurzer Dialog zwischen dem Buddha und dem Nacktgänger Kassapa erwähnt, den wir im Samy. Nikaya finden:

"Kassapa: Ist etwa das Leiden, Herr Gotama, selbst verursacht?

Buddha: Nicht so sollst du sprechen, Kassapa.

Kassapa: Oder aber ist das Leiden von einem anderen verursacht?

Buddha: Nicht so sollst du sprechen, Kassapa.

Kassapa: Ist etwa das Leiden sowohl selbst verursacht als auch von einem anderen verursacht?

Buddha: Nicht so sollst du sprechen, Kassapa.

Kassapa: Oder aber ist das Leiden nicht selbst bewirkt und auch nicht von einem anderen bewirkt, sondern durch Zufall entstanden?

Buddha: Nicht so sollst du sprechen, Kassapa.

Kassapa: Gibt es also, Herr Gotama, überhaupt kein Leiden?

Buddha: Es gibt wohl ein Leiden, Kassapa.

Kassapa: Kennt also Herr Gotama das Leiden nicht und sieht es nicht?

Buddha: Ich kenne das Leiden wohl, ich sehe das Leiden wohl, Kassapa.

Kassapa: So möge mir der Erhabene das Leiden darlegen, möge es mir verkünden."

Daraufhin antwortete der Buddha zusammenfassend:

"Behauptet man nämlich, der Nämliche ist es, der die Handlung ausführt und der die Folgen empfindet, so gibt es einen, der von Anbeginn da ist-, sagt man von dem aus, das Leiden ist selbst verursacht, so kommt man damit auf ein ewig Dauerndes hinaus.-

Behauptet man ein anderer ist es, der die Handlung ausführt und der die Folgen empfindet, so gibt es einen, der von Empfindung betroffen ist. Sagt man von dem aus, das Leiden ist von einem anderen verursacht, so kommt man auf eine völlige Vernichtung hinaus.

Diese beiden Enden vermeidend, Kassapa, verkündet in der Mitte der Tathagata die wahre Lehre: "Aus dem Nichtwissen als Ursache entstehen die Gestaltungen, aus den Gestaltungen als Ursache entsteht das Bewusstsein usw."

Auch die wenigen Sätze dieser Textstelle werfen schon ein klares Licht auf den anatta-Gedanken. Sie zeigen uns, dass der Buddha ein unveränderliches, dauerndes Ich, eine ewige Seele, die von Dasein zu Dasein als dieselbe existiert, ablehnt. Sie zeigen auch, dass der Buddha eine völlige Vernichtung (nach dem Tode), also den reinen Materialismus, ablehnt. Denn diese Vernichtung würde einen Zusammenhang der einzelnen Existenzen aufheben. Dass ein solcher Zusammenhang aber besteht, auch ohne die Annahme eines ewigen Selbst, beweisen die Bindeglieder, wie wir sie im Paticca-samuppada vor uns haben. Weiter haben wir in der Fragestellung des Kassapa einen Hinweis auf das Leiden vor uns. Dieser Hinweis führt uns zum Mittelpunkt der ganzen Buddha-Lehre, zum Leiden und zur Erlösung vom Leiden.


Die Leidenswelt

"Wie das große Weltmeer nur von einem Geschmack durchdrungen ist, vom Geschmack des Salzes, so ist diese Lehre nur von einem Geschmack durchdrungen, vom Geschmack der Erlösung."

Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass wir, die wir in einer Welt voller Leiden leben, - ein noch größeres Maß als das vorhandene könnte überhaupt nicht mehr ertragen werden - , so unglaublich schwer einsehen, dass die Welt als solche schon Leiden ist und nichts anderes.

In neuerer Zeit hat ein Einziger das Leidvolle der Welt von sich aus erkannt und eingehend dargelegt: Arthur Schopenhauer. Seine Philosophie deckt sich in dieser Hinsicht völlig mit der Buddha-Lehre, nur ist sie auf halbem Wege stehen geblieben, wohingegen der Buddha den ganzen Weg zurückgelegt und das Ziel, von dem Schopenhauer kaum eine Ahnung hatte, die vollkommene Loslösung vom Leiden, erreicht hat.

Karl Eugen Neumann, der bekannte Übersetzer des Pali-Kanons, sagt in seinen Bemerkungen zum Dhamapadam: "Im Pariser Louvre ist ein Bild von Raphael, ein kleines, wenig beachtetes, Apollo und Marsyas darstellend. Marsyas sitzt da und bläst fleißig seine gemeinen Melodien, der Gott aber steht daneben und sieht auf ihn herab, voll unsäglich mitleidiger Verachtung, und von seiner hehren Stirn leuchtet weithin unsichtbar sichtbar das Heil. So gibt es Marsyas-Wahrheiten und Apollo-Wahrheiten, alltägliche und hohe. Manche gemeine Wahrheit mag zu Zeiten recht lustig und kurzweilig dünken: vor dem Strahl der hohen, der höchsten Wahrheit verblasst sie zu ödem Leiden, zu nichts. Die Melodien das Marsyas sind wahr und die Melodien Apollos sind wahr, beide haben ihre eigene Gültigkeit. Jene singen die Unsäglichkeit der Welt, diese künden die Gewissheit des Heils. Wem Marsyas gefällt, dem erscheint die hohe Wahrheit traurig, wie dem Jüngling zu Sais. Wer sich zum lichten Gotte hinwendet, dem erscheint diese Marsyas-Welt traurig; durch Leiden wissend schmeckt er die Heiterkeit der hohen Wahrheit.

'Zweierlei Freuden gibt es, ihr Mönche', sagt der Buddha, 'welche zwei? Die weltliche Freude und die weltfremde Freude. Das, ihr Mönche, sind zweierlei Freuden. Die erhabenere dieser zwei Freuden, ihr Mönche, ist die weltfremde Freude."'


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