Die Lehre des Buddha von Max Ladner

 

Die vier Wahrheiten

Diese höhere, dem weltlich Gesinnten fremde Freude, quillt aus dem Bewusstsein, den rechten Weg zu kennen, der zur endgültigen Loslösung vom Leiden führt. Sie quillt aus dem Wissen um die Möglichkeit der Leidens-Überwindung, aus dem Wissen um die vier Wahrheiten: der Wahrheit vom Leiden, der Wahrheit von der Entstehung des Leidens, der Wahrheit von der Aufhebung des Leidens und der Wahrheit von dem zur Auflösung des Leidens führenden Pfad.

Diese vier Wahrheiten stellen die Quintessenz der Buddha-Lehre dar und dem völligen In-sich-aufnehmen, Durchdringen, Beleuchten und Erfassen derselben gilt das Streben jedes wirklichen Buddha-Jüngers.

Der Buddha begann seine Lehrtätigkeit mit der Verkündung dieser vier Grundwahrheiten.

Unmittelbar nach seiner vollkommenen Erleuchtung traf er im Gazellenhain Isipatana bei Benares jene fünf Asketen, die er von früher her kannte und die, wie er, ihr Leben dem Ringen um höchste Erkenntnis gewidmet hatten.


Der Mittlere Pfad

"Dort nun richtete der Erhabene", so heißt es in dieser ersten Rede des Buddha, "das Wort an die Schar der fünf Mönche:

'Folgende zwei Extreme, ihr Mönche, sollten von einem, der die Weltentsagung vollzogen hat, nicht verfolgt werden: welche zwei?

Da ist auf der einen Seite diese auf sinnliches Glück erpichte Hingabe an die Sinneslüste, die niedrige, gemeine, weltliche, unedle, zwecklose; und da ist auf der anderen Seite jene Hingabe an Selbstpeinigung, die leidvolle, unedle, zwecklose. Diese beiden Extreme, ihr Mönche, hat der Vollendete vermieden und hat den mittleren Pfad vollständig verstanden, der sehend macht, der Erkenntnis verleiht, der zur Ruhe, zum höheren Wissen, zur Erwachung, zum Nibbāna führt.

Und welches, ihr Mönche, ist dieser von dem Vollendeten völlig verstandene mittlere Pfad, der sehend macht, der Erkenntnis verleiht, der zur Ruhe, zum höheren Wissen, zur Erwachung, zum Nibbāna führt? Es ist eben dieser hohe achtteilige Weg, nämlich: Rechte Anschauung, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechte Lebensführung, rechter Kampf, rechtes Gedenken, rechte Konzentration. Das alles, ihr Mönche, ist dieser von dem Vollendeten völlig verstandene mittlere Pfad, der sehend macht, der Erkenntnis verleiht, der zur Ruhe, zum höheren Wissen, zur Erwachung, zum Nibbāna führt.


Erklärung der vier Wahrheiten

Dies nun, ihr Mönche, ist die hohe Wahrheit vom Leiden: Geburt ist leidvoll, Alter ist leidvoll, Krankheit ist leidvoll, Tod ist leidvoll; Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung sind leidvoll; mit Unliebem vereint sein ist leidvoll, vom Lieben getrennt sein ist leidvoll, nicht erlangen was man begehrt ist leidvoll. Kurz gesagt, die fünf Gruppen des Anhaftens sind leidvoll.

Dies nun, ihr Mönche, ist die hohe Wahrheit von der Entstehung des Leidens: Es ist jener Wiedergeburt erzeugende, von Wohlgefallen und Lust begleitete 'Durst', der bald hier, bald dort sich ergötzt, das will sagen: der Durst nach Sinneslust, der Durst nach Werden, der Durst nach Wohlsein.

Dies nun, ihr Mönche, ist die hohe Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Es ist eben dieses Durstes spurloses, restloses Aufheben, Aufgeben, Verwerfen, Ablegen, Vertreiben.

Dies nun, ihr Mönche, ist die hohe Wahrheit von dem zur Leidensaufhebung führenden Pfade: Es ist das dieser hohe, achtteilige Weg, nämlich: Rechte Anschauung, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechte Lebensführung, rechter Kampf, rechtes Gedenken, rechte Konzentration.

... So, ihr Mönche, ging mir über diese früher nicht gehörten Nonnen das Auge auf, ging mir die Erkenntnis auf, ging mir die Weisheit auf, ging mir das Wissen auf, ging mir die geistige Klarheit auf

... Und mir ging die Erkenntnis und Schauung auf 'Unerschütterlich ist meine Geisteserlösung; dies ist die letzte Geburt, nicht gibt es nunmehr ein ferneres Werden."' (Samy. Nik. 56.11)

Im Dhammapadam (Dh. 334, 335, 338) sagt der Buddha:

„Einem leichtfertigen Menschen wächst der 'Durst' wie ein Schlinggewächs; er eilt von einem Dasein zum andern, gleich wie ein Affe, der im Walde Früchte sucht.

Wen dieser niedrige 'Durst', der die Welt beherrscht, überwältigt, dem häuft sich der Kummer immer mehr, wuchernd wie das Birana-Gras.

Gleichwie ein starker Baum, den man fällte und dessen Wurzeln unversehrt blieben, wieder von neuem wächst, so wächst auch immer wieder dieses Leiden, wenn die Neigung zum 'Durst' nicht gänzlich vernichtet ist."


Der Grundzug unseres Wesens

Es würde zu weit führen, wollten wir hier näher auf die vier Wahrheiten, besonders hinsichtlich der einzelnen Punkte des Pfades, der zur Erlösung führt, eintreten. Es dürfte aber nach all dem Gesagten ohne weiteres zu verstehen sein, dass das Leiden als solches nicht eine Eigentümlichkeit der äußeren Welt, noch dass es im Belieben einer außer uns bestehenden und entscheidenden Macht, heiße sie Gott, Natur oder sonstwie, liegt, sondern dass es ein Grundzug unseres eigenen, selbstgeschaffenen, karmisch sich auswirkenden Wesens ist, und darum liegt auch seine Überwindung allein in unseren eigenen Händen. Wir haben nur seine Ursachen zu beseitigen und damit ist alles getan, was zu tun ist. Diese Ursachen aber sind Gewohnheiten, die sich seit undenklichen, anfangslosen Zeiten gebildet haben, auf Grund des Durstes und des Nichtwissens, Gewohnheiten, die wir nicht nur in uns tragen, sondern die wir selber sind.


Nibbana, Ergebnis der Einsicht

Damit würde wohl die Aufhebung des Leidens auch die Aufhebung der eigenen Persönlichkeit bedeuten? Ja, das bedeutet sie. Vom Standpunkt der Welt aus ist diese Zielsetzung allerdings völlig negativ und wohl nichts weniger als begehrenswert, denn die Aufgabe der Persönlichkeit ist gleichzeitig die Aufgabe der Welt, aber vom Standpunkt der buddhistischen Einsicht aus ist sowohl die Persönlichkeit wie das, was wir als Welt bezeichnen, einfach Leiden und somit das Negative, dem das Nichtsein, das Nicht-Leiden als das eigentlich Positive gegenübersteht.

Übrigens ist das buddhistische Nibbāna, die vollkommene Erlöschung, gar keine Zielsetzung. Es ist bloßes Ergebnis einer gründlichen Einsicht und dementsprechender Gestaltung des Lebens. Nibbāna ist der zwangsläufige Schlusspunkt des Entwerde-Prozesses, der völligen Auslöschung von Gier, Hass und Verblendung. Wer alle Gier verloren, wer allen Hass überwunden und wer vollkommenes Wissen erreicht hat, der will nicht mehr. Was sollte er noch wollen? Für ihn besteht die Frage: "Was nun?" nicht mehr. Diese Frage hat nur einen Sinn innerhalb des Werdeprozesses und in Hinsicht auf diesen Prozess, aber keinen mehr an seinem Ende.


Was Nibbana nicht ist

Wer sich das buddhistische Nibbāna als ein Land vorstellt, in dem für alle ewigen Zeiten Milch und Honig fließt, d.h. in dem eine bewusste Glückseligkeit von unendlicher Dauer zu finden ist, der hat noch nicht begriffen, noch nicht verstanden, der kennt noch nicht den kompromisslosen Wirklichkeitsgehalt buddhistischer Einsicht, dem ist, um ein Wort des Buddha zu gebrauchen, das Wahrheitsauge noch nicht aufgegangen.

Wohlverstanden, Nibbāna ist nicht Vernichtung, weder einer Seele, einer Individualität, noch sonst irgend einer transzendenten Größe, da nicht vernichtet werden kann, was nicht besteht. Es ist bloßes Aufhören eines Prozesses, der seit anfangslosen Zeiten auf Grund des Gesetzes der Kausalität besteht und immer weiter besteht, falls nicht jene tiefe Einsicht in das Wesen dieser Existenz, das Leiden ist, der weiteren Entwicklung des Prozesses, auf Grund der Aufhebung des Durstes, ein Ende macht.


Die Religion der Freude

Mit Pessimismus hat das aber gar nichts zu tun. Wie sollte auch da, wo nichts anderes gewollt wird als Aufhebung des Leidens, Pessimismus entstehen können? Ja, wenn der Weg zur Auflösung des Leidens nicht gefunden wäre, wenn es nur Leiden gäbe, aber keine Möglichkeit ihm für immer zu entrinnen, dann, ja dann wäre wohl Pessimismus am Platze.

So zeigt auch das ruhige, stille Lächeln des Buddha, wie wir es an Plastiken und auf Bildern sehen können, nicht die geringste Spur eines an der Welt Leidenden. Im Gegenteil, sein Lächeln zeugt von einer vollkommenen inneren Ausgeglichenheit, von einem vollkommenen Befreitsein vom Leiden. Wenn wir weiter auch die Feststellung des Abhidhammata-Sangasa, des Kompendiums buddhistischer Philosophie und Psychologie in Betracht ziehen, dass von den 121 möglichen Bewusstseinsklassen 63 von Freude begleitet, 55 Klassen indifferent und 3 von ihnen leidvoll sind, so dürfte das genügend darauf hinweisen, dass der Buddhismus die eigentliche Religion der Freude ist. Der Mensch aber, in seiner Verblendung, beharrt vorzugsweise in jenen drei unheilsamen Klassen, trotz den überwiegenden Möglichkeiten freudvoller Bewusstseinszustände.


Die Lehre vom Karma

Die körperlichen und geistigen Zustände der Wesen sind ihr unmittelbares, sichtbares, konkretes Karma. Karma ist das Wirken, es ist Ursache und Folge. Es ist das Ergebnis eines anfangslosen Werdens und gleichzeitig ist es die Gestaltung der Zukunft. Die Lehre vom Karma (Pali: Kamma) ist eine der wichtigsten des Buddhismus. Man kann sie kurz wie folgt formulieren: Solange ein Mensch in Gedanken, Worten und Werken triebhaft handelt, solange er noch an irgend einem Ding haftet, solange erzeugt und erduldet er Karma. Alle Differenzierungen des Körpers und Geistes, alle Verschiedenheiten des Glaubens, der kulturellen und sozialen Verhältnisse usw. entwickeln sich auf Grund des Karma-Gesetzes. Alles Böse hat seine Wurzel im Bösen, und alles Gute wurzelt im Guten. Besonders schön drücken dies die beiden ersten Strophen des Dhammapada, des ältesten Dokumentes der buddhistischen Lehre, aus:

"All Wirken nimmt vom Herzen seinen Lauf,
Im Herzen ruht die böse Saat zuhauf
Und wer auch immer mit verderbten Sinnen
Im Tun und Handeln denket zu gewinnen –
Dem folgen Leidensqualen, wie dem Fuss
Des Zugtiers stets der Karren folgen muss!

 

All Wirken hat im Herzen seinen Sitz.
Entspringt ihm, wie aus Wolken zuckt der Blitz.
Und wer auch stets mit gutgewillten Sinnen
Im Tun und Handeln denket zu gewinnen –
Dem folgen, wie der Schatten, der nicht weicht
Die frohen Stunden, die er dann erreicht! "

Wir dürfen nicht übersehen, dass die buddhistische Lehre vom Karma deshalb, weil sie sich nicht auf eine Seele und daher auch nicht auf eine Seelenwanderung stützt, verschieden ist von der Karma-Theorie des Brahmanismus und Hinduismus. Dem Buddhisten ist das Karma eine völlig wesenlose, mentale Brücke, die aufeinanderfolgende Existenzen, die voneinander abhängig und doch verschieden sind, miteinander verbindet. Wir sehen dies am besten an der Wiedergeburtslehre, die innig mit dem Karma-Gesetz verbunden ist.


  Oben zeilen.gif (1054 bytes)



n-->