| |
Die
Lehre des Buddha von Max Ladner
Wiedergeburt
Der Ausdruck "Wiedergeburt" ist wohl sehr bequem im Gebrauch, aber er
entspricht nicht ganz dem, was der Buddhismus darunter versteht. Wiedergeboren
wird nicht ein Wesen, nicht eine unsterbliche Seele, ein Ich an sich, oder gar
etwa die leiblich-geistige Persönlichkeit, wie sie da steht. Nicht einmal
psychische Zustände werden wiedergeboren, denn dann müssten es ja genau
dieselben sein, die schon da waren; das aber gibt es nicht, denn 'sabbe sankhara
anicca', alle Gestaltungen sind vergänglich. Eine Textstelle möge uns zeigen,
wie dies gemeint ist. Da haben wir z.B. ein Gespräch aus dem
Milinda-Panha, zwischen dem
König Milinda und dem buddhistischen Mönch Nagaseno:
"Der König sprach: 'Gibt es wohl, ehrwürdiger Nagaseno, irgend ein Wesen, das
beim Tode von dem einen Körper in einen anderen Körper hinüberwandert?'
'Nein, o König.'
'Wenn dies sich aber so verhält, o Herr, entgeht man denn dadurch nicht der
Folge böser Taten?'
'Wenn man nicht mehr wiedergeboren wird, dann wohl. Solange man aber noch
wiedergeboren wird, entgeht man nicht der Folge böser Taten.'
'Erkläre mir dies!'
'Wenn da irgend ein Mann von einem anderen Mangos weggestohlen hätte,
verdiente der wohl Strafe?'
'Gewiss verdiente er Strafe, o Herr.'
'Wieso denn? Er hat doch gar nicht jene Mangos gestohlen, die der andere
gepflanzt hat.'
'Jenen (gepflanzten) Mangos aber zufolge sind diese (gestohlenen) Mangos
entstanden. Darum eben verdient er Strafe.'
'Ebenso auch, o König, werden durch diese geistig-körperliche Verbindung gute
oder böse Taten gewirkt, und zufolge jener Taten entsteht eine neue
geistig-körperliche Verbindung. Darum eben entgeht man nicht der Folge böser
Taten.'
'Weise bist du, ehrwürdiger Nagaseno!'
Besonders die Schlussworte Nagasenos, "zufolge jener Taten entsteht eine neue
geistig-körperliche Verbindung", geben einen tiefen Einblick in die
buddhistische Wiedergeburtslehre.
Aus dem Paticca-samuppada, dem Gesetz der ursächlichen Entstehung, kennen wir
die Bedingungen der Geburt: Werden, Anhaften, Durst usw., und wir wissen auch,
dass diese Bedingungen nicht so zu verstehen sind, als wäre im absoluten Sinne
ein Werdender da, ein Anhaftender, ein Dürstender usw., als Träger dieser
Faktoren. Nein, das sind alles nur Zustände, nichts als karmisch bedingte
Zustände, die sich in der "Person" zu einem individuellen Dasein verdichtet
haben, ohne dass da eine absolute Wesenheit zu finden oder auch nur irgendwie
notwendig wäre.
Wenn wir die Persönlichkeit, wie sie in Erscheinung tritt, als ein seiendes,
bleibendes Wesen ansehen würden, wäre das offensichtlich ein Irrtum, denn in
Wirklichkeit bestehen wir aus einer steten Aufeinanderfolge von
Bewusstseins-Momenten, d.h. unser Wesen besteht nur solange, als ein
Bewusstseins-Moment besteht.
Der vergehende Moment gebiert schon wieder einen neuen, nicht den gleichen,
aber auch keinen völlig anderen, denn der eine ist Bedingung für den anderen.
Solange die Ursachen bestehen, solange wiederholt sich dieser Prozess, resp.
solange verwirklicht er sich. Ein diesbezügliches Gleichnis aus dem Kanon möge
die Sache noch näher beleuchten:
"Wenn jemand eine Lampe anzündet, könnte dieselbe die ganze Nacht brennen? -
Ja. - Ist die Flamme in der ersten Nachtwache dieselbe wie in der zweiten? -
Nein. - Ist die Flamme während der zweiten Nachtwache dieselbe wie in der
dritten? - Nein. - Dann sind es wohl verschiedene Flammen, die in den
verschiedenen Nachtwachen brennen? - Nein, die Flamme genährt durch das Öl in
derselben Lampe brannte die ganze Nacht. - Ebenso geht es mit den lebenden
Wesen. Einer stirbt, einer wird geboren; ohne Unterbrechung folgt eine Existenz
der anderen, ebenso wie die Bewusstseinsmomente während des Lebens einer dem
anderen folgen."
Wir sind nie ganz gleich, auch nicht während zwei Augenblicken, die
aufeinander folgen, weder in körperlicher noch in geistiger Hinsicht; aber die
Differenzen, die Unterschiede, die Veränderungen können sehr klein sein, so dass
sie vielleicht überhaupt erst nach längerer Zeit bemerkbar sind.
Die Biologie stellte fest, dass sich jeder Teil des Körpers innerhalb von
sieben Jahren vollständig erneuert; aber der Geist ändert sich in bedeutend
kürzerer Zeit. Darum sagt der Buddha: "Es wäre richtiger, den Körper als
beständig zu betrachten, statt den Geist, weil jener sich weniger schnell
ändert." Diese unaufhörlichen Veränderungen sind das Kennzeichen des Lebens.
Entstehen und Vergehen sind nur die beiden Seiten desselben. Tod und Geburt sind
nur die beiden Seiten eines Vorganges. Was hier verschwindet, erscheint dort
wieder, und es ist anzunehmen, dass zwischen Tod und Geburt weder die Gesetze
des Raumes noch der Zeit Geltung haben. Darum sind alle Keime der Welt dem Durst
nach Anhaften, nach Werden, gleich weit entfernt und gleich nahe. Wie das Feuer
mit geisterhafter Allgegenwart nur auf die Bedingungen seines Aufflammens
wartet, ganz gleich, ob sie hier oder in unendlicher Entfernung in Erscheinung
treten, so besteht für den Durst nach Dasein keine räumliche und zeitliche
Grenze. Er wird dort einsetzen, wo er den passenden Stoff findet, sei es im
Menschenreich, mit seinen unzähligen Variationen, sei es im Tierreich, in
Bereichen noch ungünstigerer Bedingungen, oder in der Welt der Götter.
Aber auch dieser "Durst nach Dasein" ist kein "Ding an sich". Er ist ebenso
abhängig, wie alle anderen Glieder der Kausalkette.
Es wäre noch vieles zu sagen, z.B. über die buddhistische Meditations-Praxis,
über die Psychologie und Ethik des Buddhismus, über den Sangha, die Gemeinde der
Mönche und Nonnen, über die verschiedenerlei Sekten, die sich gebildet haben,
speziell über das Mahayana und seine Philosophie usw. usw., das würde aber viel
zu weit führen und den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Etwas aber dürfen wir
nicht übergehen, und das ist ein kurzer Überblick über das Schrifttum des alten,
ursprünglichen Buddhismus, den Pali-Kanon.
Die Wissenschaft hat sich sehr eingehend mit der Sprache und der Herkunft
dieser Texte befasst, sie hat sie hinsichtlich ihres dokumentarischen Wertes mit
den chinesischen und tibetanischen und besonders mit den Sanskrit-Texten, auf
die sich speziell der Mahayana-Buddhismus stützt, verglichen und ist dabei zum
Schluss gekommen, dass einzig die Pali-Texte für das massgebend sein können, was
der Buddha wirklich gelehrt hat.
So sagt z.B. Prof. Winternitz in seiner Einleitung zum "Der ältere
Buddhismus": "Soviel ist sicher, dass weder die nepalesische buddhistische
Sanskritliteratur noch die buddhistische Literatur von Tibet und China an
Altertümlichkeit und Ursprünglichkeit dem Pali-Kanon auch nur einigermassen
gleichkommt, und dass das Älteste und Ursprünglichste, was wir in nepalesischen,
tibetischen und chinesischen Texten finden, stets das ist, worin sie mit den
Pali-Texten übereinstimmen."
Prof. Walleser von der Heidelberger Universität bemerkt in seinem Buche "Die
philosophische Grundlage des älteren Buddhismus"-. "Den einzigen Aufschluss über
die persönlichen Lehren und Anschauungen Buddhas können nur dessen Reden und
Gespräche gewähren, und so mag es als keiner weiteren Rechtfertigung bedürftig
erscheinen, wenn wir die Erörterung der philosophischen Grundlage des
ursprünglichen Buddhismus an den Sutta-pitaka des Pali-Kanons anschließen."
Dr. Wolfang Bohn bemerkt in der Einleitung zu seinem Buche "Die Psychologie
und Ethik des Buddhismus": "Die Kenntnis des reinen, das heisst von späteren
ausserindischen Zutaten freien Buddhismus schöpfen wir aus dem sogenannten
Pali-Kanon."
Der Kanon selber führte den Namen "Tipitaka", d.h. "Dreikorb", und zwar
deshalb, weil er in drei Abteilungen zerfällt. Vielleicht wurde jede Abteilung
der auf Palmblätter geschriebenen Texte seinerzeit in einem Korb aufbewahrt.
Dies wäre wenigstens eine Erklärung für die eigenartige Benennung. Diese drei
Abteilungen bestehen aus dem
- Vinaya-Pitaka, dem Buch der Moralvorschriften,
- Sutta-Pitaka, dem Buch der Lehrreden,
- Abhidhamma-Pitaka, dem Buch der Psychologie und Philosophie.
Diese großen Abteilungen zerfallen wieder in mehrere Unterabteilungen. Die
wichtigsten und aufschlussreichsten Texte bilden das Sutta-Pitaka: Es zerfällt
in die fünf Nikayas oder Sammlungen und zwar:
- den Digha-Nikaya, die Sammlung der langen Lehrreden,
- den Majhima-Nikaya, die Mittlere Sammlung, oder die Sammlung der
mittellangen Lehrreden,
- den Samyutta-Nikaya, die Sammlung einander verwandter Lehrreden,
- den Anguttara-Nikaya, die vom zahlenmäßigen Gesichtspunkt aus
aneinandergereihte Sammlung von Reden,
- den Khuddaka-Nikaya, die kleine Sammlung, zu der verschiedene Bücher
gehören, wie das Dhammapadam, die Lieder der Mönche und Nonnen, die Jatakas
usw.
Den grössten Teil dieser Texte besitzen wir heute auch in deutscher Sprache,
und da sind es besonders die Übersetzungen Karl Eugen Neumanns, die wohl dem
Urtext, was Schönheit des sprachlichen Ausdrucks und sinngemässe Genauigkeit
anbelangt, am nächsten kommen.
Wer den Kanon gedanklich unvoreingenommen studiert, der erkennt, dass dessen
Grösse in seinem kompromisslosen, unbestechlichen Wirklichkeitsgehalt liegt. Es
ist der Atem der Wirklichkeit, der aus ihm entgegenweht. Seine oft
nüchternschwerfälligen Gedankenreihen erheben das Herz und geben so unendlich
viel, dass auch die erlesensten Leckerbissen antiker und moderner Philosophen,
die Erhabenheiten östlicher und westlicher Religionen, einfach liegen gelassen
werden, weil diese alle noch "einen Erdenrest, zu tragen peinlich" besitzen.
Wir schließen mit einer Feststellung Karl Eugen Neumanns: "Als Gesamtbild der
Kultur steht Indien unerreicht da; und dieser Jahrtausende alten, tiefwurzelnden,
unendlich mannigfaltigen Kultur edelste Frucht ist der Buddhismus."
Max Ladner wurde am 11. Dezember 1889 in Brixen im Südtirol geboren. Er kam
kurz vor dem ersten Weltkrieg in die Schweiz, wo er als Bauingenieur tätig war.
1919 heiratete er in Baden Rosa Suter. 1929 zog das Paar mit dem Sohn Max nach
Zürich. Zum Buddhismus kam Ladner über Schopenhauer und Nietzsche. Anfänglich
gehörte er zum Kreis um Georg Grimm, den er regelmäßig in München besuchte. 1936
überwarf er sich mit Grimm und am 5. Dezember 1942 gründete er zusammen mit
Raoul von Muralt die Buddhistische Gemeinde Zürich, die monatlich in Ladners
Haus zusammenkam. Von 1948 bis 1961 gab er "Die Einsicht" heraus, die damals
wichtigste deutschsprachige buddhistische Zeitschrift. 1933 veröffentlichte er
"Nietzsche und der Buddhismus" und 1948 das Hauptwerk "Gotamo Buddha". 1952
schließlich erschien "Wirklichkeit und Erlösung". Daneben publizierte er
zahlreiche Artikel und führte eine rege Korrespondenz mit Buddhisten in der
ganzen Welt, so mit Nyanatiloka, Nyanaponika und Lama Govinda. Er starb am 23.
Oktober 1963 in Zürich-Witikon.

Seit dem Erscheinen der vorliegenden Schrift sind mehr als fünfzig Jahre
vergangen und es gibt heute unzählige Einführungen in den Buddhismus. Wenn wir
uns trotzdem entschlossen haben, "Die Lehre des Buddha" neu herauszugeben, so
vor allem deshalb, weil dieses Werk einen ausgezeichneten Überblick über den
Buddhismus bietet, und das in kürzester Form. Es handelt sich dabei nicht um
eine gelehrte Abhandlung, sondern um eine persönlich gefärbte Darstellung, bei
der die Begeisterung und Freude des Verfassers an der Lehre spürbar mitschwingt.
Als Dokument aus der Zeit der Anfänge des Buddhismus in der Schweiz ist diese
Schrift sicher auch von historischem Interesse. Schließlich ist "Die Lehre" für
uns ein Stück Familienerbe und hat als solches nicht nur sentimentalen Wert -
eine Neuausgabe ist für uns auch eine Danksagung an unseren Vater bzw.
Großvater, durch den wir zum Buddhismus gekommen sind.
Es wurden keine bedeutenden Änderungen am Original vorgenommen. Auf die
Verwendung von Längezeichen (z.B. Pāli statt Pali) wurde bewusst verzichtet. Aus
dem Text geht klar hervor, dass der Autor dem ursprünglichen Buddhismus (Theravada)
zuneigt, was auch seine Verwendung von Pali-Ausdrücken erklärt, insbesondere
Nibbāna statt Sanskrit Nirvana (dagegen Sanskrit Karma statt Pali Kamma). Wir
wollen keine Stellung beziehen zur Frage, ob die auf dem Pali-Kanon basierende
Lehre dem Mahayana-Buddhismus vorzuziehen sei.
Max F. Ladner und Kathrin Cooper-Ladner Pfaffhausen, Februar 1999
|