Visuddhi Magga VII

Die sechs Betrachtungen (anussati)

Vis. VII. 5. Die Betrachtung über die Freigebigkeit (cāgānussati)

 

Als "Betrachtung über die Freigebigkeit" gilt die betreffs der Freigebigkeit aufgestiegene Betrachtung; damit bezeichnet man jene Achtsamkeit, die die Vorzüge des Gebens zum Vorstellungsobjekte hat, nämlich Freigebigkeit usw.
 

Wer aber die Betrachtung über die Freigebigkeit zu entfalten wünscht, soll von Natur aus der Freigebigkeit geneigt und beständig mit Geben und Teilen mit anderen beschäftigt sein. Oder aber, während er diese Geistesentfaltung in Angriff nimmt, mache er das Gelübde: 'Von nun ab werde ich nicht mehr essen, ohne nicht vorher wenigstens einen Brocken als Gabe weggegeben zu haben, sofern sich ein Empfänger dafür findet.' An diesem Tage aber verteile er Gaben an besonders tugendhafte Empfänger, seinem Vermögen und seinen Mitteln entsprechend. Dabei fasse er das geistige Bild (nimitta) auf (bestehend im Beachten des bei solchem Geben zufolge des Freigebigkeitswillens aufgetretenen Geisteszustandes. Kom.) begebe sich dann in die Einsamkeit, und abgeschieden gedenke er der eigenen Freigebigkeit hinsichtlich ihres Freiseins vom Schmutze des Geizes, wie ihrer übrigen Vorzüge, nämlich: "Gesegnet, wahrlich, bin ich; hochgesegnet, wahrlich, bin ich, daß ich unter den vom Schmutze des Geizes besessenen Geschöpfen mit einem vom Schmutze des Geizes freien Herzen lebe, freigebig, mit reinen Händen, am Weggeben Freude empfindend, den Bitten zugänglich, am Geben und Teilen mit anderen Freude empfindend (vgl. A.VI.10; XI.12).
 
 
"Gesegnet, wahrlich, bin ich" bedeutet hier: 'Segnungen, wahrlich, sind mir beschieden'. Gemeint ist: 'Ohne Zweifel habe ich Anteil an jenen Segnungen des Gebens, die der Erhabene gepriesen hat in den Worten: "Wer aber Leben spendet, dem ist langes Leben beschieden, himmlisches oder menschliches. Wer Gaben spendet, ist beliebt, und viele suchen seinen Umgang. Indem man Gaben spendet, ist man beliebt und folgt der Lehre der Guten."
 

"Hochgesegnet, wahrlich, bin ich" bedeutet: 'Wahrlich, Ein großer Segen ist es für mich, daß mir die Lehre und die Menschenform zuteil gewoden sind. Und warum? Weil ich unter den vom Schmutze des Geistes besessenen Geschöpfen ... am Geben und Teilen mit Anderen Freude empfinde'.

 
"Vom Schmutze des Geizes (macchera) beherrscht" heißt soviel wie: vom Schmutz, des Geizes überwältigt. Mit "Geschöpfen" bezeichnet man die Wesen auf Grund ihres Erzeugtwerdens. Somit ist der Sinn dieser: 'unter den Geschöpfen, die überwältigt sind vom Schmutze des Geizes, d.i. eines von jenen die Herzensreinheit trübenden, düsteren Dingen, das gekennzeichnet ist durch die Unfähigkeit, den eigenen Gewinn mit den anderen teilen zu können'.

 
"Vom Schmutze des Geizes frei" heißt es wegen des Befreitseins vom Geize, wie auch von Gier, Haß und den übrigen Unreinheiten. "Mit einem (vom Schmutze des Geizes freien) Herzen lebe ich" bedeutet: 'ich verweile erfüllt von einem Geiste der beschriebenen Art'. In der Suttensammlung (A.VI.10) aber heißt es: " . . . wohne ich im Hause", insofern nämlich dem Sakker Mahānāma, damals ein Sotapan (aber noch Hausvater), auf seine Frage, welchem Zustande er sich hingeben solle, mit Rücksicht hierauf geantwortet wurde. Hier aber ist der Sinn: 'Ich verweile, nachdem ich (den Geiz) überwunden habe'.

 
"Freigebig" bedeutet: losgelöst gebend ("Ohne besorgt zu sein" sagt der Kom).
 

"Mit reinen Händen" bedeutet: mit sauberen Händen. Allzeit hält er seine Hände rein, sagt man, um in ehrerbietiger Weise mit eigenen Händen die zu gebende Gabe darzureichen. ("Wie man von einem Menschen, der häufig lebende Wesen umbringt, sagt, daß seine Hände mit Blut befleckt seien, so auch sagt man von einem Menschen, der häufig Gaben spendet, daß er reine Hände habe" (Kom.) Der Sinn dieses Ausdruckes ist möglicherweise auch so zu verstehen, daß der wahre Geber nicht durch Diebstahl und unlautere Aneignung von Schätzen seine Hände unrein macht.)

 
In dem Ausdruck "am Geben (vossagga) Freude empfindend" ist Weggeben so viel wie 'Aufgeben', d.h. völliges Fahrenlassen. Und als 'am Weggeben Freude empfindend" gilt, wer an solchem Weggeben auf Grund fortgesetzter Übung Freude empfindet.
 

"Den Bitten zugänglich" (yāca-yogo) bedeutet: er entspricht den Bitten, indem er jedesmal das gibt, worum ihn die Anderen bitten. Auch die Lesart yāja-yogo (statt yāca) findet sich; der Sinn derselben ist: dem als 'Opfern' geltenden Geben zugetan.

 
"Am Geben und Teilen mit Anderen Freude empfindend" bedeutet: Er ruft sich ins Gedächtnis: 'Ich gebe sowohl Gaben, als auch verteile ich von dem, was für meinen eigenen Genuß bestimmt ist. An Beidem finde ich meine Freude'.

 
"Wer auf diese Weise seiner eigenen Freigebigkeit gedenkt hinsichtlich ihres Freiseins vom Schmutze des Geizes und hinsichtlich ihrer anderen Vorzüge, dessen Geist ist zu einer solchen Zeit weder von Gier, noch von Haß, noch von Verblendung besessen; ganz aufgerichtet ist zu einer solchen Zeit sein Geist angesichts der Freigebigkeit. In wem solcherart in der oben besprochenen Weise die Hemmungen gelähmt sind, dem steigen gleichzeitig die Vertiefungsglieder auf. Infolge der Unergründlichkeit der Vorzüge der Freigebigkeit aber, oder infolge des Bestrebens, sich der vielartigen Vorzüge der Freigebigkeit zu erinnern, erreicht die Vertiefung nicht die volle, sondern bloß die angrenzende Stufe. Weil diese Vertiefung nun auf Grund der Erinnerung an die Vorzüge der Freigebigkeit aufgestiegen ist, darum gilt sie als die Betrachtung über die Freigebigkeit.

 
Der aber dieser Betrachtung über die Freigebigkeit hingegebene Mönch ist in hohem Maße der Freigebigkeit zugetan, von selbstloser Gesinnung, voll Wohlwollen im Handeln, voll Selbstvertrauen, von Begeisterung und Frohsinn erfüllt; und sollte auch ein solcher nicht weiter vordringen, so ist er doch einer glücklichen Daseinsfährte gewiß.
 
 

 
Dies nun ist die ausführliche Darlegungsweise der Betrachtung über die Freigebigkeit. 


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