Visuddhi Magga II

10. Die Übung des unter freiem Himmel Lebenden (abbhokāsikanga)

 

Auch die Übung des unter freiem Himmel Lebenden nimmt man in einem von beiden folgenden Aussprüchen als Gelübde auf sich, nämlich: 'Eine gedeckte Behausung, wie auch den Fuß eines Baumes, verwerfe ich; die Übung des unter freiem Himmel Lebenden nehme ich als Gelübde auf mich.'

 

Ein solcher unter freiem Himmel lebender Asket aber mag in das Uposatha-Gebäude eintreten, um die Lehre zu hören oder wegen der Uposatha-Feier. Regnet es nun, nachdem er dort eingetreten ist, so soll er während des Regens nicht hinausgehen, sondern erst dann, wenn der Regen aufgehört hat. In die Speisehalle oder Feuerhalle mag er eintreten. um seine Pflichten zu erfüllen; er mag die älteren Mönche in der Speisehalle zum Essen bitten; und wenn er unterweist oder sich unterweisen läßt, mag er in eine gedeckte Behausung eintreten und die draußen verkehrt aufgestellten Betten, Stühle u. dgl. nach innen bringen. Wenn er unterwegs einen Bedarfsgegenstand (wie Schale, Gewand usw.) eines älteren Mönches trägt, darf er während des Regens in ein auf halbem Wege befindliches Haus eintreten. Trägt er aber nichts, so darf er sich nicht beeilen, mit der Absicht in dem Hause zu bleiben, sondern in gewöhnlichem Gange sich bewegend mag er in das Haus eintreten und solange bleiben, bis der Regen vorüber ist und dann weitergehen. Dieses sind die Ausübungsvorschriften für ihn. Genau dieselbe Erklärung gilt auch für den Baumasketen.

 

Hinsichtlich der Einteilung ist auch dieser Asket von dreierlei Art. Der hervorragende von den Asketen nun darf nicht dicht bei einem Baume oder Felsen oder Hause wohnen; sondern ganz unter freiem Himmel muß er sich seine Hütte aus Gewändern herrichten und darin wohnen. Der mittelmäßige Asket mag bei einem Baume oder Felsen oder Hause wohnen, aber nicht dort untertreten. Für den schlaffen Asketen ist auch ein nicht (gegen die vom Berge herabströmenden Regenmassen) mit Tropfrinne versehener Felsvorsprung gestattet, oder eine Laube aus Zweigen, oder ein gestärktes Tuch oder eine von Feldhütern verlassene und dort im Felde stehengebliebene Hütte.

 

Sobald aber diese drei Asketen des Wohnens wegen in ein gedecktes Haus oder unter einen Baum treten, in diesem Augenblicke gilt ihre Läuterungsübung als übertreten; nach den Lehren des Anguttara aber erst dann, wenn sie wissentlich dort den Anbruch der Morgendämmerung abwarten. Dies nun gilt hierbei als die Übertretung.

 

Folgendes aber sind die Segnungen, nämlich das Zunichtemachen der durch eine Wohnung bedingten Störungen; Vertreibung von Stumpfheit und Mattigkeit; das Würdigsein solches Lobes: wie: "Ohne Haus und Hasten leben meine Mönche wie das Wild des Waldes" (S.9.4); Freisein von Hasten, allerwärts Gesichertsein; und eine der Bedürfnislosigkeit entsprechende Lebensweise.

 

Ein Lager unter freiem Himmel,
Mit goldnem Sternenzelt bedacht,
Beleuchtet von des Mondes Licht,
Ist leicht erlangt und mönchsgemäß.

 

Der Mönch, dort seine Wohnung wählend,
Im Geiste frei gleichwie das Wild,
Verscheuchet stumpfe Mattigkeit,
Der Lust zur Geisteszucht geneigt.

 

Und bald darauf wird ihm zuteil
Der Einsamkeit süßer Genuß.
Am Leben unter freiem Himmel
Mög' d'rum der Weise sich erfreu'n.

 

Dies nun ist hinsichtlich der Übung des unter freiem Himmel Lebenden die Beschreibung des Aufsichnehmens als Gelübde, der Ausführungsvorschriften, Einteilung, Übertretung und Segnungen.   


Vis. II. 11. Die Übung des Friedhofasketen (sosānikanga)

 

Auch die Übung des Friedhofasketen nimmt man in einem von folgenden beiden Aussprüchen als Gelübde auf sich, nämlich: 'Einen anderen Ort als den Friedhof verwerfe ich; die Übung des Friedhofasketen nehme ich als Gelübde auf mich.'

 

An einem Orte nun aber, den die Menschen, nach Gründung eines Dorfes, für den Friedhof bestimmen, darf ein solcher Friedhofasket nicht wohnen, denn bevor dort noch keine Leiche verbrannt ist, gilt dieser nicht als Friedhof. Wenn andererseits aber ein Friedhof, seit der Zeit, wo dortselbst Leichen verbrannt wurden, sogar bereits zwölf Jahre lang aufgegeben wurde, so ist dieser doch immer noch ein Friedhof. Während nun der Mönch dort lebt, darf er niemanden veranlassen, Wandelgang, Laube u. dgl. herzurichten, Stuhl und Bett aufzustellen oder Wasser zum Trinken und Waschen zu bringen; und er darf nicht, während er dort wohnt, die Lehre vortragen. Schwer, wahrlich, ist diese Läuterungsübung. Daher soll er, um aufsteigende Gefahren abzuwenden, den Älteren der Ordensgemeinde oder den königlichen Aufseher in Kenntnis setzen und dann dort unermüdlich verweilen (*103). Beim Auf- und Abgehen soll er mit halbgeöffneten Augen nach der Verbrennungsstätte blicken (*104). Auch beim Hingehen zum Friedhof soll er vom Hauptwege abbiegen und auf einem Seitenpfade sich hinbegeben (*105). Schon bei Tage sollte er jeden Gegenstand feststellen, denn dann wird ihm dieser bei Nacht keinen Schrecken einflößen (*106). Und wenn Unholde in der Nacht heulend und jammernd umherstreifen, soll er nichts nach ihnen werfen. Unstatthaft ist es, selbst für einen einzigen Tag nicht nach dem Friedhof zu gehen. Die Lehrer des Anguttara aber sagen, nachdem er die mittlere Nachtwache auf dem Friedhof verbracht habe, dürfe er in der letzten Nachtwache zurückkehren. Nicht darf er solche Kau- oder Eßwaren genießen, die den Unholden lieb sind, wie zerriebene Sesamkörner, Bohnenreis, Fisch, Fleisch, Milch, Öl, Zucker u. dgl. In eine Familie sollte er nicht eintreten (*109). Dieses nun sind die Ausübungsvorschriften für ihn.

Hinsichtlich der Einteilung ist auch dieser Asket von dreierlei Art. Der hervorragende Asket nun soll dort wohnen, wo beständig Leichenverbrennungen stattfinden, beständig Leichen umherliegen, beständig Weinen zu hören ist. Der mittelmäßige Asket mag wohnen, wo eines von diesen drei Dingen anzutreffen ist. Der lässige Asket mag wohnen an einem Orte, der gerade noch die oben erwähnten Merkmale eines Friedhofs aufweist (*110).


(*103) Der Friedhof nämlich dient den Dieben zum Versteck für ihre Beute. Daher könnte es leicht vorkommen, daß man ihn als Dieb festnehmen möchte.

(*104) Um seine ganze Aufmerksamkeit auf die Todesbetrachtung zu heften. Die Vorschrift, die Augen nur halb zu öffnen, wird wohl deshalb gegeben, um die Menschen nicht wissen zu lassen, daß er in die Todesbetrachtung vertieft sei, oder vielleicht auch, weil das Feuer seinen Augen schaden möchte.

(*105) Um nicht jedermann wissen zu lassen, daß er das Gelübde des Friedhofasketen befolgt, weil dadurch in ihm Dünkel aufsteigen könnte.

(*106) "Er sollte feststellen, daß dies ein Termitenhügel ist, jenes ein Baum, jenes ein Baumstumpf usw." (Kom.)

(*109) Weil ihm der Leichengeruch anhaftet und er dadurch die Gespenster anlockt" (Kom.).

(*110) D.i. an einem Orte, der bereits seit 12 Jahren als Leichenverbrennungsstätte aufgegeben wurde.


 

Sobald nun aber diese drei Asketen ihre Lager anderwo als auf dem Friedhofe aufschlagen, übertreten sie die Läuterungsübung. Die Lehrer des Anguttara aber sagen, daß ihre Übung erst an demjenigen Tage übertreten werde, an dem sie nicht zum Friedhof gehen. Dies nun gilt hierbei als die Übertretung.

 

Folgendes aber sind die Segnungen, nämlich: Gewinnung der Betrachtung über den Tod; ein Leben frei von Lässigkeit; Gewinnung der Vorstellung des Ekels; Vertreibung sinnlicher Begierde; häufiger Anblick der wahren Beschaffenheit des Körpers; große Ergriffenheit; Aufgeben des Gesundheitsdünkels, des Jugenddünkels und des Lebensdünkels (s. A.III.39b); Bezwingung von Angst und Schrecken; Achtung und Ehrerbietung seitens der Unholde; und eine der Bedürfnislosigkeit entsprechende Lebensweise.

 

Kraft der Betrachtung über's Sterben mag den Friedhofsmönch,
Selbst wenn er schläft, kein Lässigkeitsvergehen je beschleichen.
In ihm, der so viel Leichen Tag für Tag zu seh'n bekommt,
Da mag das Herz nicht der Gewalt der Sinnengierde weichen

 

In äußerste Ergriffenheit gerät er, nicht in Wahn,
Und gründlich kämpfet er im Suchen nach dem höchsten Frieden
So möge darum man, das Herz dem Nirwahn zugetan,
Befolgen diese Übung, die solch, reine Frucht kann bieten.

 

Dies nun ist hinsichtlich der Übung des Friedhofasketen die Beschreibung des Aufsichnehmens als Gelübde, der Ausübungsvorschriften, Einteilung, Übertretung und Segnungen.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus