Visuddhi Magga II

8. Die Übung des Waldasketen (āraññikanga)

 

Auch die Übung des Waldasketen nimmt man in einem von folgende beiden Aussprüchen als Gelübde auf sich, nämlich: 'Die Wohnstätte im Dorfe verwerfe ich; die Übung des Waldasketen nehme ich als Gelübde auf mich.'

Ein solcher Waldasket soll die Dorfbehausung verlassen und im Wald den Anbruch der Morgendämmerung abwarten. Hier nun bezieht sich 'Dorfbehausung' auf das Dorf selber, zusammen mit seiner Umgebung. Als 'Dorf' gilt irgend ein Dorf, ob aus einem einzigen Hause oder aus vielen Häusern bestehend, von einem Walle umgeben oder nicht, von Menschen bewohnt oder unbewohnt (*78); sogar eine Karawane, die seit über vier Monaten ihr Lager aufgeschlagen hat, gilt als Dorf. Sagen wir, ein von einem Walle umgebenes Dorf habe zwei Torschwellen, etwa wie Anurādhapura, so zeigt der Steinwurf eines mittelstarken Mannes von der inneren Torschwelle aus die (Grenze der) Dorfumgebung an. Die Vinaya-Gelehrten aber sagen so: 'Gesetzt, junge Leute, um ihre eigene Kraft zu zeigen, schleuderten mit ausgestrecktem Arme einen Stein, so gilt die Strecke bis zur Fallstelle des geschleuderten Steines als das Merkmal für die (Ausdehnung der) Dorfumgebung. Die Sutta-Gelehrten hingegen sagen, es sei die (Strecke bis zur Fallstelle) eines Steines, den man geworfen habe, um die Krähen abzuhalten. Wenn nun bei einem nicht umwallten Dorfe eine an der Tür des allerletzten Hauses stehende Frau aus einem Gefäße Wasser schleudert, so gilt die Fallstelle als die (Grenze der) Hausumgebung; von da eine Steinwurfweite in besagter Weise zeigt (die Grenze) des Dorfes an, eine zweite die Grenze der Dorfumgebung.


(*78) amanusso; vielleicht auch 'von Nichtmenschen, d.i. Unholden, bewohnt.'


 

Als 'Wald' gilt nach der Vinaya-Erklärung alles, was sich außerhalb von Dorf und Dorfumgebung befindet; nach der Abhidhamma-Erklärung (Vibh. p.251) aber gilt als 'Wald' alles, was sich nach dem Hinaustreten außerhalb der Torschwelle befindet. Hier in dieser Sutta-Darstellung ist eine Waldbehausung zum wenigsten fünfhundert Bogenlängen entfernt. Diese Entfernung ist mittels eines Meistersbogens (*84) zu messen und festzustellen, u.zw. bei einem eingefriedigten Dorfe von der Torschwelle ab, und bei einem nicht-eingefriedigten Dorfe von der Fallstelle des ersten Steinwurfs ab bis zur Klostereinfriedigung. Ist aber das Kloster nicht umfriedigt, so nehme der Mönch beim Messen als Grenze die zu allernächst stehende Wohnstätte an, oder die Speisehalle, die ständige Versammlungshalle, den Bodhibaum oder den Schrein, selbst wenn diese weit von seiner Wohnstätte sein sollten so heißt es in den Vinaya-Kommentaren. Im Kommentar zur Sammlung der Mittleren Reden jedoch heißt es, man solle die Umgebung des Klosters genau in der Weise wie beim Dorfe festlegen und dann die Strecke innerhalb der drei Steinwurfstellen messen; dieses Maß gilt hier. Ist nun zwar das Dorf in der Nähe und sind die Stimmen der Menschen den im Kloster Weilenden hörbar, kann man aber wegen dazwischen liegender Hindernisse, wie Berge, Flüsse und dgl., nicht in gerader Richtung dorthin gelangen, sondern geschieht der natürliche Zugang vermittels eines Bootes: in diesem Falle hat man auf diesem (Wasser-)Wege fünfhundert Bogenlängen abzumessen. Sollte aber einer den Weg nach dem nahen Dorfe hier und da versperren, um die Übung möglich zu machen, so gilt er als 'Dieb der Läuterungsübung'. Ist nun der Berater oder Lehrer des Waldmönches krank und erlangt in jenem Walde keine Heilmittel, so hat er ihn zu einem Dorfkloster zu bringen und ihm aufzuwarten. Ganz in der Frühe aber soll er wieder von dort aufbrechen, um an dem für die Übung vorgeschriebenen Orte (nämlich dem Walde) den Anbruch der Morgendämmerung abzuwarten. Wenn jedoch beim Anbruch der Morgendämmerung die Krankheit jenes Ordensälteren zunimmt, so soll er sich bloß mit ihm beschäftigen und nicht um Reinheit der Läuterungsübung besorgt sein. Dies sind die Ausübungsvorschriften für ihn.

 


(*84) Derselbe soll eine Länge von 8 Spannen gehabt haben.


 

Hinsichtlich der Einteilung ist auch dieser Asket von dreierlei Art. Der hervorragende von den Asketen sollte jederzeit im Walde den Anbruch der Morgendämmerung abwarten. Der mittelmäßige Asket mag die vier Regenmonate im Dorfe verleben, der schlaffe Asket sogar noch die Wintermonate. Auch wenn diese drei innerhalb der für sie bestimmten Zeit (*87) aus dem Walde gekommen sind und im Dorfkloster die Lehre hören, so gilt, selbst wenn inzwischen die Morgendämmerung bereits angebrochen ist, ihre Läuterungsübung nicht als übertreten. Und auch wenn, nachdem sie die Lehre angehört haben, unterwegs beim Zurückkehren die Morgendämmerung anbricht, auch dann gilt ihre Läuterungsübung noch nicht als übertreten.

 


(*87) d.i.: "innerhalb der für jeden einzelnen bestimmten Zeit, wie oben erwähnt." (Dharm.) Nämlich: "Für den hervorragenden Asketen kommen alle drei Jahreszeiten in Betracht, für den mittelmäßigen zwei, für den lässigen nur eine." (Kom.).


 

Wenn aber, nachdem der Lehrredner sich erhoben hat, jene denken: 'Lasset uns vor dem Gehen ein wenig ausruhen!' und dann, während sie noch am Schlafen sind, die Morgendämmerung anbricht, oder auch wenn sie auf ihren eigenen Wunsch hin im Dorfkloster den Anbruch der Morgendämmerung abwarten: in diesem Falle gilt ihre Läuterungsübung als übertreten. Dies nun gilt hierbei als die Übertretung.

 

Folgendes aber sind die Segnungen: während der Waldasket im Geiste sich in der Wahrnehmung des Waldes ergeht, ist er imstande, die noch nicht erreichte Sammlung zu erreichen oder die erreichte Sammlung zu bewahren; auch der Meister ist mit einem solchen zufrieden, denn er sagt: "Insofern, Nāgita, bin ich mit dem Waldleben jenes Mönches zufrieden"; keinerlei unheilsame Formen und dgl. zerstreuen den Geist des in abgelegener Behausung Lebenden; frei von Schrecken ist er; dem Lebensdrange entsagt er; am Glücke der Abgeschiedenheit empfindet er Geschmack; auch der Zustand des Fetzenkleidträgers usw. sagt ihm zu.

 

Ganz abgeschieden, abgeschlossen
In einsamer Behausung froh,
Erfreut der Mönch des Meisters Herz
Durch seinen Aufenthalt im Wald.

 

Das Glück, das der Asket gewinnt,
Der einsam in dem Walde lebt,
Bekommen nicht zu kosten je
Die Götter samt dem Götterfürst.

 

Das Kleid aus aufgeles'nen Fetzen
Als Panzer auf dem Leibe tragend,
Die andern Hilfsmittel als Waffen:
So zieht zum Kampf er in den Wald.

 

Und bald gelingt's ihm zu bezwingen
Den Mahr samt seiner Heeresmacht.
So möge denn der weise Mönch
Sich an dem Waldleben erfreu'n.

 

Dies nun ist hinsichtlich der Übung des Waldasketen die Beschreibung des Aufsichnehmens als Gelübde, der Ausübungsvorschriften, Einteilung, Übertretung und Segnungen.  


Vis. II. 9. Die Übung des Baumasketen (rukkha-mūlikanga)

 

Auch die Übung des Baumasketen nimmt man in einem von folgenden beiden Aussprüchen als Gelübde auf sich, nämlich: 'Eine gedeckte Behausung verwerfe ich; die Übung des Baumasketen nehme ich als Gelübde auf mich.'

 

Ein solcher Baumasket aber soll folgende Bäume vermeiden, nämlich: einen auf der Landesgrenze stehenden Baum (*89), einen Opferbaum (*90), einen Harzbaum, einen Fruchtbaum, einen von Fledermäusen bewohnten Baum, einen Baum mit Löchern (*91), einen mitten im Klosterhof stehenden Baum. Er soll sich einen in der Nachbarschaft des Klosters stehenden Baum auswählen. Das sind die Ausübungsvorschriften für ihn.

 

Hinsichtlich der Einteilung ist auch dieser Asket von dreierlei Art. Der hervorragende unter den Asketen darf, nachdem er sich einen ihm zusagenden Baum gewählt hat, den Platz darunter nicht herrichten lassen, sondern soll mit dem Fuße die abgefallenen Blätter beiseite schieben und dann dort wohnen. Der mittelmäßige Asket aber darf diesen Platz von Leuten, die gerade dort hinkommen, herrichten lassen. Der schlaffe Asket aber mag, bevor er dort wohnt, die Novizen des Klosters herbeirufen und sie veranlassen, den Platz zu säubern, zu ebnen, mit Sand zu bestreuen und ihn mit einer Mauer einzufriedigen und daran ein Tor anzubringen. An einem Festtage (*93) aber darf der Baumasket nicht dort bleiben, sondern muß sich anderswo an einen versteckten Ort hinsetzen (*94).


(*89) Weil nämlich zwischen beiden Ländern Grenzstreitigkeiten oder Krieg ausbrechen möchten und er dann in seiner Einsamkeit gestört würde. Aus diesem letzteren Grunde hat er auch die folgenden Bäume zu meiden.

(*90) d.i. einen der darin hausenden Gottheit geweihten Baum. Denn die vielen Menschen, die dort häufig ihre Opfer darbringen, möchten ihn in seiner Sammlung stören.

(*91) Offenbar weil darin Schlangen hausen könnten.

(*93) Wörtl. 'an einem Großen Tage.' Gemeint ist ein Tag, an dem viele Menschen zum Kloster kommen, um Gaben zu spenden usw.

(*94) Weil die vielen Menschen seine Sammlung stören möchten; und weil er nicht jedermann wissen lassen soll, daß er die Übung befolgt, um so nicht dem Dünkel zu verfallen.


 

Sobald nun aber diese drei Asketen ihre Wohnung in einer gedeckten Behausung nehmen, in diesem Augenblick übertreten sie die Läuterungsübung. Die Lehrer des Anguttara-Nikaya jedoch sagen, daß diese erst dann die Läuterungsübung übertreten, wenn sie wissentlich in einem gedeckten Hause den Anbruch der Morgendämmerung abwarten. Dies nun gilt hiebei als die Übertretung.

 

Folgendes aber sind die Segnungen, nämlich: die Tatsache, daß man einen den Grundlagen angemessenen Wandel führt, gemäß dem Ausspruch: 'Das Mönchsleben stützt sich auf das Wohnen am Fuße eines Baumes'; Besitz eines von den Bedarfsgegenständen, die vom Erhabenen als gering, leicht erlangbar und untadelig gepriesen wurden (ib.); die Tatsache, daß beim häufigen Anblick der sich verändernden Blätter des Baumes der Gedanke der Vergänglichkeit geweckt wird; keine Scheelsucht hinsichtlich der Wohnstätte und kein Hang zu äußerer Tätigkeit; das Zusammenleben mit den (Baum-) Geistern; und eine der Bedürfnislosigkeit usw. angemessene Lebensweise.

 

Was gliche wohl dem Fuß des Baumes
Als Wohnung für den Einsamen,
Die Buddha pries, der Edelste,
Als eine Stütze für den Mönch.

 

Denn, pflichttreu, abgeschieden wohnend
Am Fuße eines großen Baumes,
Der alle Wohnungsgier verscheucht
Und von den Geistern wird bewacht

 

Sieht er die Blätter sich verändern,
Erst rot, dann grün, beim Fallen gelb,
Und dabei wird er völlig los
Den Glauben an Beständigkeit.
Mög' d'rum der Weise nicht verschmähen
Die abgeschiedne Baumbehausung,
Die Stätte der Vertiefungsfrohen,
Die Erbschaft der Erleuchteten (*97).

 

Dies nun ist hinsichtlich der Übung des Baumasketen das Aufsichnehmen als Gelübde, der Ausübungsvorschriften, Einteilung, Übertretung und Segnungen.


(*97) Nach Parākr. wird der Fuß eines Baumes so genannt, weil an solcher Stelle die 4 Hauptereignisse im Leben des Buddha stattfanden, nämlich:


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