THERAGĀTĀ

Cattālīsanipāta

Mahākassapa

1051. Nicht sollte man sich dorthin begeben, wo man von den Leuten verehrt wird: Abgelenkt wird man dadurch nur und schwer ist es, den Geist zu konzentrieren. Wenn man erkannt hat, dass die Nähe von Menschen aller Art leidvoll ist, soll man die Menge meiden.

 

1052. Nicht begibt der Weise sich (auf dem Almosengang) in die Häuser hochgestellter Familien: Abgelenkt wird man dort nur und schwer ist es, den Geist zu konzentrieren. Wer da begierig ist nach Sinnen-Freuden (nach wohlschmeckender Nahrung oder nach Lüsten allgemein), der wird das Ziel, das beglückende, nicht erlangen.

 

1053. Als Unrat nur wird Ehrerweisung bezeichnet, wie sie von Hochgestellten wird erwiesen. Wie ein Pfeil nur schwer herauszuziehen ist, ist's schwer für den Toren, auf Ehrerweisung zu verzichten. 193)

 

1054.  Meine (abgeschiedene) Unterkunft verlassend ging ich in die Stadt, wo Almosen ich mir erbettelt’. Dort sah ich einen Aussätzigen, der sein karges Mahl einnahm; ehrerbietig stellte ich mich zu seiner Seite hin 194);

 

1055. mit seinen vom Aussatz zerfress'nen Händen legte Speise er in meine Almosenschale, wobei ein kranker Finger von der Hand abfiel;

 

1056.  an eine Mauer gelehnt nahm ich die Nahrung ein; weder während des Essens noch danach stieg Widerwillen in mir auf. 195)

 

1057.  Wer mit Speise-Resten ist zufrieden, wem Harn als Medizin genügt 196), die Wurzel eines Baumes als Lagerstätte, ein Stoff-Fetzen, am Kehrichthaufen gesammelt, als Gewand, der, wahrlich, ist einer, der überall zu Hause ist (wörtl.: ein Mensch der vier Himmelsrichtungen).

 

1058.  Die steile Felswand, an der so mancher tödlich stürzt hinab: Besonnen, klar bewusst erklimmt sie Kassapa, des Buddha Erbe, kraft seiner übernatürlichen Fähigkeiten.

 

1059.  Vom Almosengang zurückgekehrt erklimmt Kassapa den Fels; dort pflegt er beschauliche Versenkung, vom Anhaften frei, frei von Furcht und Angst.

 

1060.  Vom Almosengang zurückgekehrt erklimmt Kassapa den Fels; dort pflegt er beschauliche Versenkung, vom Anhaften frei, erloschen unter den Brennenden.

 

1061.  Vom Almosengang zurückgekehrt erklimmt Kassapa den Fels; dort pflegt er beschauliche Versenkung, vom Anhaften frei, nach getaner Aufgabe, einflussfrei.

 

1062.  Diese hochgelegenen Gebiete mit den (schönen) Kareri-Bäumen erfreuen mich, es erfreuen mich diese wunderbaren Felsen, zu denen der Schrei der Elefanten dringt.

 

1063.  Diese Felsen erfreuen mich, deren Farbe der von blauen Wolken gleicht, die prächtigen, wo es kühles Wasser gibt, klare Ströme, und wo die Indagopaka (-Insekten) herumschwirren.

 

1064.  Wie dunkelblaue Wolkenformationen, wie schön geschwung'ner Giebel am Palast, so erfreuen mich diese schönen Felsen, in denen der Elefanten Rufe widerhallen.

 

1065.  Bezaubernd schön sind die Anhöhen vom Regen benetzt, die von den Weisen aufgesuchten, in denen der Ruf der Pfauen zu hören ist: Diese Felsen erfreuen mich.

 

1066.  Sie (diese Felsen) genügen mir, der ich mich versenken will, klar bewusst, entschlossen (wörtl.: mit darauf ausgerichtetem Selbst). Sie genügen mir, dem entschlossen weilenden Bhikkhu, der das (höchste) Ziel erstrebt.

 

1067.  Sie genügen mir (diese Felsen), dem zielbewusst weilenden Bhikkhu, der unbeschwert leben möchte; sie genügen mir, dem zielbewusst strebenden Ehrwürdigen, der ernsthaft praktizieren will.

 

1068.  Diese Felsen, von flachsfarbenen Blüten bewachsen wie der Himmel von Wolken bedeckt ist, von mannigfachen Vögeln bewohnt, sie erfreuen mich.

 

1069.  Diese Felsen, nicht von den Hausleuten bewohnt, bevölkert von gar vielen Vögeln und Hochwild-Herden, sie erfreuen mich.

 

1070.  Diese Felsen, wahrlich, sie erfreuen mich, mit ihren klaren Gewässern und scharfen Klippen, moosbedeckt, wo Affen und Hochwild umherstreifen. 197)

 

1071.  Schönster Musik fünffacher Klang vermag nicht so hohes Glück zu schenken wie die rechte Einsicht dessen, der einheitlichen Geistes die Lehre schaut. 198)

 

1072.  Man sollte sich nicht körperlicher Arbeit hingeben; die Geselligkeit soll man meiden und sich nicht anstrengen 199). (Auch) wer begierig nach Sinnen-Freuden ist wird das Ziel, das beglückende, nicht erlangen.

 

1073.  Man sollte sich nicht körperlicher Arbeit hingeben; das, was nicht mit dem Ziel verbunden ist, soll man meiden: Der Körper wird angespannt und ermüdet und Geistes-Ruhe (samatha) gelangt nicht zur Entfaltung.

 

1074.  Nicht durch bloßes Rezitieren gelangt man zur Selbst-Erkenntnis (wörtl.: sieht man das Selbst); hoffärtig nur wird man dadurch, wähnend: „Ich bin besser!"

 

1075.  Ohne besser zu sein (als and're), wähnt der Tor sich besser doch. Die Weisen preisen nicht den Hoffärtigen.

 

1076.  Wer weder in der einen noch in der and'ren Weise wähnt: „Besser bin ich!", „nicht besser bin ich", „schlechter bin ich" oder „gleichwertig" 200),

 

1077.  — diesen Ehrwürdigen, der also mit Weisheit ausgestattet ist, dessen Gemüt geläutert, dessen Geist befriedet ist, ihn, wahrlich, preisen die Weisen.

 

1078.  Wer da verachtet die, welche mit ihm den heiligen Wandel leben, der ist der guten Lehre (dem saddhamma) so fern wie der Himmel fern der Erde ist. 201)

 

1079.  Der heilige Wandel jener aber, die fest gegründet sind in Bescheidenheit und Demut (als Gegensatz zum Hochmut), zur vollen Entfaltung wird gelangen. Künftiges Werden gibt es für sie nicht.

 

1080. Mag ein Bhikkhu auch in Fetzen-Gewänder, am Kehrichtshaufen gesammelt, gekleidet sein: Ist er eitel und hoffärtig, so wird er (trotz des Anscheins von Bescheidenheit) nicht leuchten, so wenig wie der in ein Löwenfell gehüllter Affe.

 

1081.  Wer nicht hoffärtig ist, fest gegründet, wer nicht eitel ist und unermüdlich strebt, dessen Sinne wohl gezügelt sind, mögen auch nur Fetzen, am Abfall-Haufen gesammelt, ihn umhüllen, der leuchtet wie der Löwe in der Felsen-Höhle.

 

1082.  Diese zahlreichen hehren Gottheiten, im Besitze übernatürlicher Fähigkeiten, zu Tausenden hier versammelt, alle der Brahmāwelt angehörend,

 

1083. stehen mit zum Gruß erhobenen Händen da, Sāriputta Ehre erweisend, dem großen, dem Überwinder, dem Meister der Versenkung, dem allzeit Konzentrierten:

 

1084.  (Die Brahma-Gottheiten:) „Ehre sei dir erwiesen, du Edler unter den Menschen, Ehre sei dir erwiesen, Bester unter den Menschen! Wahrlich: Deiner Versenkung Gebiet ist uns unerreichbar!

 

1085.  Erstaunlich, wunderbar ist ja der Erwachten subtiler, hoher Weidegrund (gocara); nicht ist es uns gegönnt, zu diesem vorzudringen, obwohl wir uns doch als Bogenschützen hier versammelt haben, die gleichsam Haare zu spalten wissen (eine Metapher für große Weisheit)!"

 

1086.  — Als der Ehrwürdige Kappina sah, wie die zahlreichen mächtigen Gottheiten Sāriputta Ehre erwiesen, zeigte sich ein Lächeln auf seinem Antlitz.

 

1087.  (Mahākassapa?:) So weit des Buddha Gefolgschaft reicht, der große Weise selbst ausgenommen, bin ich der Hervorragendste unter denen, die sich in den Vorschriften der Askese üben. Keinen gibt es, der mir gleicht. 202)

 

1088.  Dem Meister hab' ich aufgewartet, die Botschaft des Buddha ist verwirklicht. Die schwere Last ist abgelegt, bis auf den Grund zerstört ist der zum Werden führende Kanal. 203)

 

1089.  Gotama (der Buddha), der unermesslich Hehre, haftet nicht am Gewand, nicht an der Lagerstatt, nicht an der Nahrung, der Lotosrose gleich, die nicht vom Wasser wird benetzt. Dem Sich-Abwenden nur ist er zugeneigt, völlig losgelöst von den drei Bereichen des Werdens 204) ist er.

 

1090.  Sein Hals ist die Besonnenheit bei den vier Gegenständen (satipatthānā), Vertrauen sind seine Hände, Einsicht sein Haupt. Im Besitz tiefer Weisheit wandert der große Weise, (vollkommen) erloschen.


Anmerkungen:

193)    Die Nr. 1053 gleicht Nr. 124 und 495.

194)    Um ihm die Gelegenheit zu geben, sich in Hingabe zu üben?

195)    Mahākassapa neigte zu extrem strenger Askese; auch wenn er als Mönch dazu angehalten war, unbesehen alles zu verzehren, was ihm als Almosen gereicht wurde, war dies in diesem speziellen Fall wohl nur infolge völligen Gleichmuts möglich. Diese strenge Askese pflegte Kassapa bis ins hohe Alter hinein; in den Nrn. 1062-1071 beantwortet er die Frage, warum er selbst als Greis kein unbeschwerteres Leben wähle.

196)    Die Harn-Therapie, so alt wie die Menschheitsgeschichte, gewinnt gerade in unserer Zeit wieder an Aufmerksamkeit, wie man aus der geradezu florierenden einschlägigen Literatur ersehen kann...

197)    Nr. 1070 gleicht Nr. 601.

198)    Nr. 1071 gleicht Nr. 398.

199)    Eine Mahnung an Mönche, die wie Hausleute verschiedene Arbeiten verrichteten; die Begründung für diese Unterlassungs-Regel findet sich im nächsten Vers (Nr. 1073). In unserer Zeit hingegen wird in einigen buddhistischen Traditionen körperliche Arbeit von den Mönchen erwartet.

200)    Die buddhistische Lehre kennt dreierlei Arten von Stolz: Den Überheblichkeits-Stolz (atimāna), den Minderwertigkeits-Stolz (omāna) und den Gleichwertigkeits-Stolz (māna); sie drücken sich in folgenden Gedanken aus: „Ich bin besser" (seyyo 'ham asmī); „ich bin ebenbürtig" (sadiso 'ham asmī); „ich bin geringer" (hīno 'ham asmī) = Stolz auf die Persönlichkeit (asmīmāna).

201)    Nr. 1078 gleicht Nr. 278.

202)    Nr. 1087 wird Mahākassapa zugeschrieben, die Annahme liegt jedoch nahe, dass er eine spätere Hinzufügung darstellt. Es gibt Stellen in den alten Schriften, die sogar dem Erhabenen ein ähnliches Maß an Eigenlob zuschreiben. Da aber diese Eigenschaft der Praxis des buddhistischen Pfades vollkommen widerspricht - ist doch einem Arahat jede, auch die geringste Regung von Stolz fremd! - muss davon ausgegangen werden, dass solche Stellen gut gemeinte, auf Liebe und Verehrung beruhende Einfügungen und Ausschmückungen seitens der Kompilatoren darstellen.

203)    Nr. 1088 gleicht den Nrn. 604, 656, 687, 792, 891, 918, 1016 und 1050.

204)    Die drei Bereiche des Werdens, auch Daseins-Sphären genannt: 1. das Werden im Bereich der Sinnenlüste (kāmabhava, zu dem die Menschen-Welt und die sinnlichen Himmelswelten zählen; 2. das Werden im Bereich der (reinen) Formen (rūpabhava), das sind die höheren Welten, in denen zwar noch eine körperliche Form, nicht aber Begierden vorhanden sind (z.B. die Brahmā-Welten); 3. das Werden im Bereich der formlosen Welten (arūpabhava), d.h. ab dem Bereich der „Raum-" oder „Bewusstseins-Unendlichkeit".


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