SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

IV.9. Māgandiya (Māgandiya-Sutta)

 

835 (DER ERHABENE)

Gesehen hab' ich Tanhā, Arati und Rāgā,
Doch nicht kam dabei Wunsch mir nach Begattung.
Wie sollt' ich da dies Harn- und Kot-Gefüllte
Auch mit dem Fuß nur zu berühren wünschen!

 


Laut K hatte der Brahmane Māgandiya dem ihm unbekannten Buddha, den er im Walde getroffen hatte, seine Tochter zur Ehe angeboten. Der Buddha antwortet darauf mit diesem Vers.

Zeile a. - Dies sind die drei Töchter Māras (,Begierde', 'Unbefriedigung' und 'Verlangen'), die sich dem Buddha in der Nacht der Erleuchtung genähert hatten, um ihn zu versuchen.


 

836 (MAGANDIYA)

Wenn solches Kleinod du nicht wünschst,
Ein Weib, das viele Fürsten sich ersehnt, -
Was ist dann wohl dein Glaube, deine Regel, Lebensweise,
Und welche Daseinsform verkündest du (als Ziel)?

 


Die Angabe der Unterredner findet sich erst vom folgenden Verse 837 an, mit dem die Behandlung des eigentlichen Themas der Sutte beginnt.


 

837 DER ERHABENE

Wovon ich sagen könnte: 'Dieses künd' ich',
Kein Dogma hab' ich, unter Lehren ausgesucht.
Erkennend, greif' ich nicht nach Ansicht.
Den Inneren Frieden sah ich, ihn ergründend.

 


Zeile a. - dhammesu niccheyya samuggahītam; siehe 785 Anm.


 

838 MAGANDIYA

Urteile des Denkens, die man sich ersinnt,
Die, sagst du, Muni, übernimmst du nicht.
Doch was als Heil du kündest, 'Inneren Frieden',
Wie wird er wohl erklärt von Weisen?

 


Der Sinn von Māgandiyas Frage dürfte sein: "Du lehnst die Aussagen und Werturteile der verschiedenen 'Ansichten' oder Philosophien ab. Ist aber nicht auch der 'Innere Friede', von dem du sprichst, an Werturteile der Erkenntnis und der Lebensführung gebunden oder wie sonst willst du ihn erklären?" Der Buddha antwortet dann mit dem scheinbaren Paradox des Verses 839


 

839 DER ERHABENE

Auf Grund von Ansicht nicht, von Wissen und Erkenntnis,
Nicht kann man wegen Regeln und Gelübden von der 'Reinheit' sprechen.
Doch auch nicht ohne Ansicht, Wissen und Erkenntnis,
Nicht ohne Regeln und Gelübde, auch nicht ohne diese.
Abwerfend jene, nicht sich (an diese) klammernd,
Wird man, gestillt und stützenlos, kein Dasein mehr ersehnen.

 


Zeile a. - na ditthiyā na sutiyā na ñānena; MNidd bezieht dies auf die 'Reinigung durch Gesehenes und Gehörtes' (dittha suta-suddhi), von der die Sutte 'Rein' (s. bes. v. 789) handelt. Die Erklärung des MNidd zum zweiten Versteil (s. folg. Anm.) entspricht jedoch der hier gewählten Übersetzung. Dieser scheinbare Widerspruch soll vielleicht darauf hindeuten, daß hier an beide Bedeutungen der betreffenden Begriffe zu denken ist.

Zeile c/d. - MNidd: "Auch Ansicht (ditthi) ist wünschenswert, nämlich die Rechte Ansicht (sammā-ditthi) in der folgenden zehnfachen Weise: 'Es gibt Gabe, Opfer und Spende, es gibt eine Frucht und Folge guter und schlechter Taten; es gibt diese Welt und jene Welt und Vater und Mutter; es gibt geistentstandene Wesen; es gibt in der Welt in Vollkommenheit wandelnde, in Vollkommenheit lebende Asketen, die diese und jene Welt verkünden, nachdem Sie sie selber verstanden und erfahren haben.'

Auch Wissen (savana, zur Erklärung von suti, 'Gelehrsamkeit') ist wünschenswert: das (belehrende) Wort eines anderen; die Lehrreden, gemischte Vers- und Prosa-Texte usw. (d.h. die traditionellen neun Teile des kanonischen Buddha-Wortes).

Auch Erkenntnis (ñāna) ist wünschenswert: die Erkenntnis von der Eignerschaft am Wirken; die mir den 'Wahrheiten' übereinstimmende Erkenntnis, die mit den Höheren Geistesfähigkeiten und den meditativen Erreichungszuständen verbundene Erkenntnis.

Auch Regeln (sīla) sind wünschenswert: die Zügelung in den Ordensregeln.

Auch Gelübde (vata) sind wünschenswert: die acht Läuterungsregeln (dhutanga), nämlich die des Waldasketen, des Almosengängers, des Fetzenkleid-Trägers, des Drei-Gewand-Trägers, des Von-Haus-zu-Haus-Gängers, des Die-Spätere-Speise-Verweigernden, des Stetig-Sitzers, des Mit-jedem-Lager-Zufriedenen. (In der späteren Literatur werden dreizehn Läuterungs-Übungen genannt; siehe Visuddhi-Magga, 2. Teil.)

Der Innere Friede wird nicht erreicht durch Rechte Ansicht allein, durch Wissen allein usw., doch auch nicht ohne diese Dinge erlangt man ihn. Diese Dinge sind vielmehr Hilfsmittel, um den Inneren Frieden zu erreichen, zu erfahren, zu verwirklichen."

Zeile e. - Die Hinzufügung in Klammern folgte dem K, wo unter 'jene' die falschen Ansichten, das falsche Wissen usw., verstanden werden, während das folgende sich auf die rechten Ansichten, das rechte Wissen usw. bezieht, an die man sich gleichfalls nicht klammern soll.


 

840 MAGANDIYA

Wenn nicht auf Grund von Ansicht, Wissen und Erkenntnis,
Nicht wegen Regeln und Gelübden man von 'Reinheit' spricht,
Doch auch nicht ohne Ansicht, Wissen und Erkenntnis,
Nicht ohne Regeln und Gelübde, auch nicht ohne diese, -
Verworren scheint mir solche Lehre!
Durch Ansicht kommen manche ja zur Reinheit!

 

841 DER ERHABENE

Gestützt auf Ansicht stellst du Frag' um Frage.
Durch deine Vorurteile kamst du in Verwirrung.
Nicht das Geringste kannst du davon fassen.
Verworren scheint dir darum diese Lehre.

 


Zeile c. - Davon, nämlich vom Inneren Frieden. - Vgl. vv. 762c/d, 763.


 

842

Daß gleich er, besser oder unterlegen,
Wer also denkt, der streitet eben deshalb.
Wer unberührt von diesen drei Begriffen,
,Gleich' oder 'besser' gibt es nicht für ihn.

 

843

Wie sollt' solch wahrer Priester sagen: "Dies ist Wahrheit"?
Warum auch sollt' er streiten: "Falsch ist dieses"?
Für den es weder 'gleich' noch 'ungleich' gibt,
Warum sollt' er auf Streitgespräche eingehen?

 

844

Das Haus verlassend, ohne Heimstatt wandernd,
Vertrauten Umgang pflegt der Muni nicht im Dorfe.
Leer von Begierden, Künftiges nicht ersehnend,
Nicht mag er mit der Menge führen Streitgespräch.

 


Dieser Vers wird von Mahā-Kaccana im Samyutta-Nikāya (22, 3) erläutert. Eine vollständige Übersetzung dieses Textes findet sich im Anhang B. 1. MNidd bringt diese Sutte vollständig statt eigener Erläuterungen.

Zeile c. - Künftiges nicht ersehnend (apurekkharāno); wtl.: nicht vorwegnehmend, antizipierend, - nämlich Zukunftswünsche: "So möge mein Körper, mein Gefühl usw. sein!" Vgl. die Erläuterung in der vorgenannten Lehrrede aus dem Samyutta-Nik.


 

845

Von denen abgelöst der Weise durch die Welt dahinzieht,
Nicht lerne er und lehr' er (solche Theorien).
Gleichwie die Lotusblüten, die im Wasser wachsen,
Vom Wasser und vom Schlamme bleiben unbefleckt,
So auch ein Muni, gierlos, Künder inneren Friedens,
Wird nicht befleckt von Sinnen-Wünschen in der Welt.

 


Zeile b. - Zusatz in Klammern lt. MNidd.

Zeile e. - Künder inneren Friedens (santivado); vgl. v. 838c: ajjhattasanti.


 

 

846

Durch seine Ansicht nicht und nicht durch Meinung anderer
Kommt einen Weisen jemals Dünken an. Dies ist entgegen seiner Art.
Kein karmisch Wirken und kein Wissen kann ihn mehr verlocken,
Und von Gewöhnungen wird nicht mehr er gelenkt.

 


Zeile a. - na ditthiyā na mutiyā. Für ditthiyā gibt MNidd nur die eine Erklärung: "durch die 62 falschen Ansichten" für mutiyā jedoch zwei verschiedene: 1) muta-rūpena d.i. durch 'erfahrene Körperlichkeit' (d.h. durch den Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn erfahrene); 2) "durch die Stimme anderer, durch allgemeine Übereinkunft (d.h. Anerkennung; mahājana-sammutiyā)." K gibt nur die erste Erklärung.

Zeile c. - Wissen (sutena) wurde hier übersetzt wie sutiyā in v. 839a, abweichend von den folgenden kommentariellen Erklärungen. MNidd: I) 'Reinigung durch Gehörtes (suta-suddhi); 2) 'durch die Stimme anderer, durch allgemeine Übereinkunft' (wie oben). K gibt auch hier nur die erste Erklärung.

Zeile d. - Von Gewöhnungen (nivesanesu); wohl auch hier wieder auf die 'gewohnte Ansicht' zu beziehen.


 

 

847

Wer üblen Denkens sich entledigt, für den gibt's keine Fesseln.
Und wer befreit in Weisheit, für den gibt es kein Wähnen.
Die aber übles Denken und Ansicht in sich aufgenommen,
Im Streit zusammenstoßend gehen sie durch die Welt.

 


Zeile a. - Wer üblen Denkens sich entledigt (saññāvirattassa). Gefolgt wurde der kommentariellen Erklärung, die offenbar saññā wieder als das dreifache üble Denken auffaßt, wie in v. 535. MNidd: "Wer unter Vorangang der Übung in Geistesruhe (samathapubbangama) den Hohen Pfad entfaltet, dessen 'Fesseln' sind zu Beginn zurückgedrängt (vikkbambhita- s. v. 54 Anm.); bei Erreichung der Heiligkeit aber sind für den Heiligen die Fesseln, das Wähnen, die Hemmungen, die Gedanken (saññā) der Sinnlichkeit des Hasses, der Schädigung sowie die falschen Ansichten aufgegeben, mit der Wurzel ausgerodet . . ." - K: "Wer durch eine mit dem Gedanken der Entsagung usw. beginnende (nekkhammādisaññā-pubbangama) Geistes-Entfaltung den Sinnlichkeits-Gedanken aufgegeben hat, der gilt als 'des üblen Denkens entledigt' (saññā-viratto) und zwar ist er ein 'Beiderseits-erlöster Geistesruhe Übender' (ubhatobhāga-vimutto samatha-yāniko)." Man möchte geneigt sein, saññā-viratto besser als Gegensatz zu saññā-satto (Wahrnehmungs-befangen) (v. 792) aufzufassen und zu übersetzen: Zeile a: "Wer bei der Wahrnehmung entsüchtet . . .", Zeile c: "Die aber sich an Wahrnehmung und Ansicht halten . . .". Doch der Sinn-Zusammenhang in Zeile c/d macht hier die kommentarielle Erklärung wahrscheinlicher. Die tatsächlich beabsichtigte Bedeutung des Wortes saññā wird freilich an manchen Stellen des Sutta-Nipāta ungewiß bleiben müssen.

Zeile b. - Befreit in Weisheit (paññā-vimuttassa). MNidd: "Wer unter Vorangang der Klarblicks-Übung (vipassanā-pubbangama) den Edlen Pfad entfaltet, dessen Wähnen ist zu Beginn 'zurückgedrängt'; bei Erreichung der Heiligkeit aber sind für den Heiligen das Wähnen, die Fesseln, die Hemmungen . . . aufgegeben, mit der Wurzel ausgerodet . . ." - K: "Es handelt sich hier um einen den 'bloßen Klarblick Übenden' (sukkha-vipassako)." Vgl. v. 725 m. Anm.

Zeile d. - Lt. MNidd kommt es durch das dreifache üble Denken zum kriegerischen Zusammenstoß zwischen den Völkern, zum Streit innerhalb der Kasten, Familien usw.; durch Ansichten kommt es zum Streit zwischen den verschiedenen religiösen und philosophischen Richtungen.


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