Zurueck Milindapañha, Teil 4

Mil. 4.8.9. Können alle bei rechtem Wandel das Nibbāna erreichen?

 

«Erreichen wohl, ehrwürdiger Nāgasena, alle, die einen rechten Wandel führen, die Durchdringung der Lehre oder erreichen sie einige nicht?»

«Die einen, o König, erreichen die Durchdringung, die anderen nicht.»

«Wer aber erreicht sie, o Ehrwürdiger, und wer nicht?»

«Ein Tier, o König, selbst wenn es recht lebt, erreicht keine Durchdringung der Lehre, ebenso wenig der im Gespensterreiche Wiedererschienene, der von falscher Erkenntnis Erfüllte, der Betrüger, der Muttermörder, der Vatermörder, der Heiligenmörder, der Ordensspalter, wer (eines Buddha) Blut vergossen hat, wer sich in diebischer Weise (ohne Weihe) dem Orden anschließt, der zu den Andersgläubigen übergetretene, der Nonnenschänder, wer eines der dreizehn schweren (Sanghādisesa-)Vergehen (der Ordensdisziplin) begangen und sich nicht wieder frei davon gemacht hat (durch Bekenntnis, Buße usw.), der Entmannte, der Zwitter und ein Kind unter sieben Jahren. Diese sechzehn Wesen erreichen keine Durchdringung der Lehre, selbst wenn sie einen rechten Wandel führen.»

«Daß, o Ehrwürdiger, die (zuerst genannten) fünfzehn gehemmten Wesen keine Durchdringung der Lehre erreichen, das mag sein oder mag nicht sein. Doch aus welchem Grunde ein Kind unter sieben Jahren trotz seines rechten Wandels keine Durchdringung der Lehre erreichen soll, das ist wohl noch eine Frage. Ist denn wohl das Kind nicht frei von Gier, Haß und Verblendung, frei von Dünkel und falschen Ansichten, von Mißmut und sinnlichen Gedanken? Von den Leidenschaften unbefleckt, dürfte doch das Kind geeignet, fähig und imstande sein, gleich auf einmal die vier Wahrheiten zu durchdringen.»

«Das, o König, ist ja gerade der Grund für meine Behauptung, daß ein Kind unter sieben Jahren trotz seines rechten Wandels die Lehre nicht durchdringt. Könnte ihm nämlich bei giererregenden Dingen Gier kommen, bei haßerregenden Haß, bei betörenden Betörung, bei berauschenden Wahn, und könnte es Ansichten, sowie Lust und Unlust begreifen, Heilsames von Unheilsamem unterscheiden, dann könnte es wohl für das Kind eine Durchdringung der Lehre geben. Doch beim Kinde unter sieben Jahren ist der Geist unfähig und schwach, beschränkt, gering, klein, langsam und unklar; das unerschaffene Element des Nibbāna aber ist gewichtig, schwerwiegend, weit und mächtig. Und das Kind unter sieben Jahren mit seinem schwachen, beschränkten, langsamen und unklaren Geiste ist nicht imstande, das gewichtige, schwerwiegende, große und mächtige, gewaltige, unerschaffene Element des Nibbāna zu durchdringen. Könnte zum Beispiel ein Mann mit seiner natürlichen Kraft, Stärke und Anstrengung den Sineru, den König der Berge, ausreißen, diesen so schweren, lastenden, großen und mächtigen Berg?»

«Das wohl nicht, o Ehrwürdiger.»

«Und aus welchem Grunde nicht, o König?»

«Weil dazu, o Ehrwürdiger, der Mann zu schwach, der Sineru, der König der Berge, aber gar zu gewaltig ist.»

«Oder könnte man wohl, o König, diese so lange, breite, umfangreiche, weite, ausgebreitete, ausgedehnte, große und mächtige Erde dadurch, daß man sie mit einem winzigen Tropfen Wasser anfeuchtet, in Schlamm verwandeln?»

«Das wohl nicht, o Ehrwürdiger.»

«Und warum nicht, o König?»

«Weil der Wassertropfen, o Ehrwürdiger, gar winzig, die große Erde aber zu gewaltig ist.»

«Oder nimm an, o König, es brenne da ein schwaches, mattes, kleines, winziges, unbedeutendes Feuerchen. Könnte man wohl damit in der Welt mitsamt ihren Göttern die Finsternis vertreiben und Licht erzeugen?»

«Das wohl nicht, o Ehrwürdiger.»

«Und warum nicht, o König?»

«Weil, o Ehrwürdiger, das Feuer gar winzig, die Welt aber gar zu groß ist.»

«Ebenso auch, o König, ist beim Kinde unter sieben Jahren der Geist unfähig und schwach, beschränkt, gering, klein, langsam, unklar, durch das große Dunkel der Verblendung verhüllt. Darum kann man schwerlich in ihm das Licht der Erkenntnis erwecken. Das eben ist der Grund, daß das Kind unter sieben Jahren trotz seines rechten Wandels die Lehre nicht durchdringt. Nimm an, ein kranker, dürrer, winziger Schakal erblicke einen mächtigen Elefanten von neun Fuß Länge, drei Fuß Breite, zehn Fuß Umfang und acht Fuß Höhe. Und er wolle den Elefanten mit sich fortschleifen, um ihn aufzufressen. Brächte das wohl jener Schakal fertig?»

«Nein, o Ehrwürdiger.»

«Und warum nicht?»

«Weil der Schakal, o Ehrwürdiger, so winzig und der Elefant so gewaltig ist.»

«Ebenso auch, o König, ist beim Kinde unter sieben Jahren der Geist unfähig und schwach, beschränkt, gering, klein, langsam und unklar; gewaltig aber das unerschaffene Element des Nibbāna. Und mit seinem schwachen, beschränkten, langsamen und unklaren Geiste ist das Kind nicht imstande, das gewaltige, unerschaffene Element des Nibbāna zu durchdringen. Das eben ist der Grund, daß das Kind unter sieben Jahren trotz seines rechten Wandels die Lehre nicht durchdringt.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.» 


Mil. 4.8.10. Gibt es im Nibbāna noch Leiden?

 

«Ist wohl, ehrwürdiger Nāgasena, das Nibbāna ein vollkommenes Glück, oder ist es noch mit Leid vermischt?»

«Ein vollkommenes Glück, o König, ist das Nibbāna, unvermischt mit Leid.»

«Das glaube ich nicht, ehrwürdiger Nāgasena. Nach meiner Überzeugung ist das Nibbāna mit Leid vermischt, denn ich habe meinen Grund dafür. Bei allen nach dem Nibbāna Strebenden nämlich findet man, daß sie sich körperlich und geistig quälen und abplagen, sich beim Stehen, Gehen, Sitzen, Liegen und Essen bezwingen, den Schlaf unterdrücken, die Sinne bändigen, Schätzen und Gütern entsagen und liebe Freunde und Vettern verlassen. Die aber in der Welt im Glück und Genuß leben, alle diese lassen die Sinne an den fünf Sinnendingen sich ergötzen und erfreuen: das Auge an den so mannigfaltigen, äußerst lieblichen Formen; das Ohr an den so mannigfaltigen, äußerst lieblichen, durch Gesang und Musik erzeugten, angenehm empfundenen Tönen; die Nase an den so mannigfaltigen, äußerst lieblichen, durch Blüten, Früchte, Blätter, Rinde, Wurzeln oder Kernholz erzeugten, angenehm empfundenen Düften; die Zunge an den so mannigfaltigen, äußerst lieblichen, beim Kauen, Essen, Lecken, Trinken und Schmecken erzeugten, angenehm empfundenen Geschmacksempfindungen; den Körper an den so mannigfaltigen, äußerst lieblichen, durch etwas ganz Zartes, ganz Weiches erzeugten, angenehm empfundenen Körperempfindungen; den Geist an den so mannigfaltigen, lieblichen und unlieblichen, guten und bösen, edlen und unedlen Gedanken und Erwägungen. Ihr dagegen unterdrückt, stört, hindert und hemmt den Genuß am Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, unterdrückt den körperlichen und geistigen Genuß. Bei gequältem Körper aber empfindet man körperliches Schmerzgefühl, und bei gequältem Geiste geistiges Schmerzgefühl. Hat denn nicht auch Māgandiya, der Pilger, vom Erhabenen tadelnd gesagt, daß er, der Asket Gotama, ein Lebensverneiner sei? Aus diesem Grunde eben behaupte ich, daß das Nibbāna mit Leid vermischt ist.»

«Nicht ist, o König, das Nibbāna mit Leid vermischt. Ein vollkommenes Glück ist das Nibbāna. Was du aber als das leidvolle Nibbāna bezeichnest, dies Leiden ist ja gar nicht das Nibbāna, sondern nur der der Verwirklichung des Nibbāna vorausgehende Zustand, das Suchen nach dem Nibbāna. Ein ganz und gar vollkommenes Glück aber ist das Nibbāna, unvermischt mit Leid. Darüber will ich dich aufklären. Kennen wohl, o König, die Fürsten so etwas wie Herrscherglück?»

«Gewiß, o Ehrwürdiger.»

«Ist wohl, o König, jenes Herrscherglück mit Leid vermischt?»

«Nein, o Ehrwürdiger.»

«Warum aber ziehen dann, o König, wenn ein Grenzgebiet in Aufruhr ist, zur Bezähmung der Grenzbewohner jene Fürsten, von Ministern, Räten, Soldaten und Wachen umgeben, hinaus und eilen auf ebenen und unebenen Wegen umher, belästigt von Fliegen und Stechmücken, von Wind und Sonnenglut, führen Krieg und begeben sich in Lebensgefahr?»

«Nicht das, ehrwürdiger Nāgasena, ist ja das Herrscherglück, sondern nur der dem Suchen nach dem Herrscherglück vorausgehende Zustand. Nachdem die Fürsten aber unter Leiden danach gerungen haben, genießen sie schließlich dieses Herrscherglück. Somit ist das Herrscherglück unvermischt mit Leid; und etwas anderes ist Herrscherglück, etwas anderes aber Leiden.»

«Ebenso auch, o König, ist das Nibbāna ein vollkommenes Glück, unvermischt mit Leid. Die aber noch nach dem Nibbāna ringen, quälen ihren Körper und Geist (Man hätte erwartet, daß Nāgasena es nicht übernimmt, sondern es zurückweist, wenn König Milinda sagt, daß die «nach dem Nibbāna Strebenden sich körperlich und geistig quälen». Hatte doch der Buddha schon in seiner ersten Lehrpredigt Selbstqual und Schmerzensaskese verworfen), bezwingen sich im Stehen, Gehen, Sitzen, Liegen und Essen, unterdrücken den Schlaf, bändigen die Sinne, opfern Leib und Leben; und nachdem sie unter Leiden danach gerungen haben, genießen sie schließlich das vollkommene Glück des Nibbāna, gerade wie die Fürsten nach Niederwerfung ihrer Feinde das Herrscherglück genießen. Somit ist das Nibbāna ein vollkommenes Glück, unvermischt mit Leid. Nibbāna ist eines und etwas anderes ist das Leiden. Auch noch einen anderen Vergleich sollst du hören. Empfinden wohl, o König, die ausgelernten Künstler so etwas wie Freude an ihrer Kunst?»

«Gewiß, o Ehrwürdiger.»

«Wozu aber, o König, begrüßen sie dann ehrfurchtsvoll ihren Lehrer, erheben sich vor ihm, holen ihm Wasser, fegen sein Haus, warten ihm mit Zahnstäbchen und Mundwasser auf, begnügen sich mit Speiseresten, reiben ihn ein, baden ihn, waschen seine Füße und quälen so, indem sie ihren eigenen Willen unterdrücken und einem fremden Willen folgen, durch unbequeme Lagerstatt und grobe Nahrung ihren Körper?»

«Nicht das, ehrwürdiger Nāgasena, ist ja die Freude an der Kunst, sondern nur der ihrer Erlernung vorausgehende Zustand. Nachdem sich aber die Künstler unter Leiden um die Erlernung der Kunst bemüht haben, wird ihnen schließlich die Freude an der Kunst zuteil. Somit ist die Freude an der Kunst unvermischt mit Leid; und eines ist die Freude an der Kunst und ein anderes das Leiden.»

«Ebenso auch, o König, ist das Nibbāna ein vollkommenes Glück, unvermischt mit Leid. Die aber noch nach dem Nibbāna ringen, quälen ihren Körper und Geist, bezwingen sich im Stehen, Sitzen, Gehen, Liegen und Essen, unterdrücken den Schlaf, bändigen die Sinne, opfern Leib und Leben; und nachdem sie unter Leiden darnach gerungen haben, genießen sie schließlich das vollkommene Glück des Nibbāna, gerade wie dem ausgelernten Künstler die Freude an seiner Kunst. Somit ist das Nibbāna ein vollkommenes Glück, unvermischt mit Leid; und eines ist das Leiden, etwas anderes aber das Nibbāna.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.» 


Mil. 4.8.11. Kann man das Nibbāna beschreiben?

 

«Ihr sprecht da vom Nibbāna, ehrwürdiger Nāgasena. Läßt sich nun wohl Form, Gestalt, Dauer oder Größe dieses Nibbāna durch Gleichnisse, Gründe, Ursachen und Schlußfolgerungen erklären?»

«Nein, o König, unvergleichbar ist das Nibbāna.»

«Dem stimme ich nicht bei, ehrwürdiger Nāgasena, daß man vom Nibbāna, das doch wirklich etwas Existierendes ist, nicht Form, Gestalt, Dauer oder Größe angeben könne. Überzeuge mich denn davon anhand von Beweisen!»

«Gut, o König, ich werde dich durch Gleichnisse davon überzeugen. Gibt es wohl ein Weltmeer?»

«Gewiß, o Ehrwürdiger.»

«Wenn aber, o König, dich jemand darnach fragen sollte, wieviel Wasser sich im Weltmeere befinde, und wieviele Wesen darin hausen, was würdest du diesem auf seine Frage erwidern?»

«Ich würde sagen: <Lieber Mann, du fragst mich da etwas, das man nicht zu fragen hat. Eine solche Frage darf niemand stellen. Abzuweisen ist eine solche Frage. Und nie haben die Naturbeschreiber das Weltmeer so erklärt. Denn nicht möglich ist es, das Wasser des Weltmeeres zu messen oder die darin hausenden Wesen zu zählen!> Das würde ich diesem erwidern.»

«Warum aber, o König, würdest du betreffs des Weltmeeres, was doch etwas wirklich Existierendes ist, eine solche Antwort geben? Solltest du nicht eher das Weltmeer messen und jenem mitteilen, daß sich so und soviel Wasser darin befinde, und soviel Wesen darin hausen?»

«Das kann ich nicht, o Ehrwürdiger. Dieses Problem geht über meine Kräfte.»

«Gerade wie du, o König, von dem Weltmeere, das doch etwas wirklich Existierendes ist, sagst, daß man weder sein Wasser messen, noch die darin hausenden Wesen zählen könne: so auch kann man vom Nibbāna, obwohl es etwas wirklich Existierendes ist, dennoch keine Form, Gestalt, Dauer und Größe angeben. Doch möchte ein Magiegewaltiger, Geistesmächtiger eher imstande sein, das Wasser des Weltmeeres zu messen und die darin hausenden Wesen zu zählen, als die Form, Gestalt, Dauer und Größe des Nibbāna anzugeben. Aber noch einen weiteren Vergleich sollst du hören. Gibt es nicht wohl unter den Göttern solche, die man als die Formlosen Götter bezeichnet?»

«Ja, o Ehrwürdiger. Davon habe ich gehört.»

«Kann man nun wohl, o König, die Form, Gestalt, Dauer und Größe dieser Götter durch ein Gleichnis klarmachen?»

«Nein, o Ehrwürdiger.»

«Dann gibt es also, o König, keine Götter der Formlosen Welt.»

«Es gibt, o Ehrwürdiger, solche Götter, doch ihre Form läßt sich nicht erklären.»

«Genau so aber, o König, verhält es sich mit dem Nibbāna.»

«Gut, ehrwürdiger Nāgasena, es sei zugegeben, daß das Nibbāna ein vollkommenes Glück ist. doch daß man nicht imstande ist, seine Form anzugeben. Gibt es nun aber irgend ein Merkmal des Nibbāna, das sich auch in anderen Dingen findet, irgend etwas, das sich wenigstens durch ein Gleichnis andeuten ließe?»

«Nicht hinsichtlich seiner wahren Beschaffenheit, o König, wohl aber hinsichtlich seiner Merkmale läßt sich einiges durch Gleichnisse andeuten.»

«Schön, ehrwürdiger Nāgasena. So künde es mir denn bald, damit ich wenigstens über einen Punkt, über die Merkmale des Nibbāna, eine Erklärung habe. Lösche die Glut meines Herzens und stille sie mit dem kühlenden, linden Hauch deiner Worte!»

«Ein Merkmal der Lotosblume, o König, findet sich im Nibbāna. Zwei Merkmale des Wassers finden sich darin, drei Merkmale der Arznei, vier Merkmale des Weltmeeres, fünf Merkmale der Nahrung zehn Merkmale des Raumes, drei Merkmale des Edelsteinjuwels, drei Merkmale des roten Sandelholzes, drei Merkmale des Butterölschaumes und fünf Merkmale des Berggipfels.»

«Ein Merkmal der Lotosblume, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finde sich im Nibbāna; welches ist dieses eine Merkmal?»

«Gleichwie, o König, die Lotosblume vom Wasser unberührt bleibt, so bleibt das Nibbāna von allen Leidenschaften unbefleckt. Dies ist das eine Merkmal.»

«Zwei Merkmale des Wassers, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, fänden sich im Nibbāna; welches sind diese beiden?»

«Gleichwie, o König, das Wasser kühl ist und die Glut löscht, so ist das Nibbāna kühlend und löscht die Glut aller Leidenschaften. Dies ist das erste Merkmal. Wie fernerhin das Wasser den erschöpften und schmachtenden, von Durst und Hitze gequälten menschlichen und tierischen Geschöpfen den Durst stillt, so stillt das Nibbāna den Durst der Sinnengier, der Daseinsgier und der Selbstvernichtungsgier. Dies ist das zweite Merkmal.»

«Drei Merkmale der Arznei, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finden sich im Nibbāna; welches sind diese drei?»

«Gleichwie, o König, die Arznei für die Menschen, die an einer Vergiftung leiden, eine Zuflucht bildet, so ist das Nibbāna die Zuflucht für die von den Leidenschaften geplagten Wesen. Dies ist das erste Merkmal. Wie fernerhin die Arznei den Krankheiten ein Ende macht, so macht das Nibbāna allem Leiden ein Ende. Dies ist das zweite Merkmal. Wie fernerhin die Arznei ein ambrosischer Trank ist, so auch ist es das Nibbāna. Dies ist das dritte Merkmal.»

«Vier Merkmale des Weltmeeres, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finden sich im Nibbāna; welches sind diese vier?»

«Gleichwie, o König, das Weltmeer sich aller Leichen entledigt, so ist das Nibbāna ledig jeder Leidenschaft. Dies ist das erste Merkmal. Wie fernerhin das Weltmeer gewaltig ist, uferlos, und trotz aller Zuflüsse nie ganz voll wird, so ist das Nibbāna gewaltig, ohne Diesseits und Jenseits, und wird trotz aller Wesen (die es erreichen) niemals voll. Dies ist das zweite Merkmal. Wie fernerhin das Weltmeer die Behausung mächtiger Geschöpfe bildet, so bildet das Nibbāna eine Stätte großer Heiliger, fleckenloser, leidenschaftserlöster, machtbegabter, willensgewaltiger Wesen. Dies ist das dritte Merkmal. Wie fernerhin das Weltmeer mit den wie Blüten aussehenden unzählbaren, mannigfachen, mächtigen Wellen bedeckt ist, so ist das Nibbāna bedeckt mit den unzähligen, mannigfachen, großen, unbefleckten, lauteren Blüten des Wissens und der Erlösung. Dies ist das vierte Merkmal.»

«Fünf Merkmale der Nahrung, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finden sich im Nibbāna; welches sind diese fünf?»

«Gleichwie, o König, die Nahrung alle Wesen am Leben erhält, so ist das Nibbāna, einmal verwirklicht, der Erhalter des Lebens, indem es Alter und Tod ein Ende setzt (dies ist wohl nur ein mißglückter Vergleich. Es war sicher nicht die Absicht, hiermit Nibbāna als einen Zustand ewigen Lebens zu bezeichnen). Dies ist das erste Merkmal. Wie fernerhin die Nahrung allen Wesen Kraft verleiht, so bringt das Nibbāna, einmal verwirklicht, in allen Menschen höhere Kräfte zur Entfaltung. Dies ist das zweite Merkmal. Wie fernerhin die Nahrung allen Wesen Schönheit verleiht, so verleiht das Nibbāna, einmal verwirklicht, allen Wesen Tugendschönheit. Dies ist das dritte Merkmal. Wie fernerhin die Nahrung aller Wesen Qualen lindert, so stillt das Nibbāna, einmal verwirklicht, in allen Wesen die Qual der Leidenschaften. Dies ist das vierte Merkmal. Wie fernerhin die Nahrung in allen Wesen den Hunger und Durst vertreibt, so vertreibt das Nibbāna, einmal verwirklicht, in allen Wesen des ganzen Leidens Hunger und Schwäche. Dies ist das fünfte Merkmal.»

«Zehn Merkmale des Raumes, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, fänden sich im Nibbāna; welches sind diese zehn?»

«Gleichwie, o König, der Raum nicht entsteht, altert und stirbt, weder verschwindet noch wiedererscheint und unüberwindbar ist, gesichert gegen den Raub durch Diebe, ohne Stützpunkt, von Vögeln belebt, Unbeschränkt und unendlich: ebenso auch entsteht, altert und stirbt das Nibbāna nicht, verschwindet nicht und erscheint nicht wieder, kann nicht bezwungen oder geraubt werden, ist unabhängig, die Fährte der Edlen, unbeschränkt und unendlich. Dies sind die zehn Merkmale.»

«Drei Merkmale des (magischen) Edelsteinjuwels, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finden sich im Nibbāna; welches sind diese drei?»

«Gleichwie, o König, das Edelsteinjuwel alle Wünsche erfüllt, Freude erweckt und Helligkeit verbreitet, so auch tut es das Nibbāna. Dies sind die drei Merkmale.»

«Drei Merkmale des roten Sandelholzes, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finden sich im Nibbāna; welches sind diese drei?»

«Gleichwie, o König, das rote Sandelholz schwer zu erlangen ist, einen unvergleichlichen Duft besitzt und von den Edlen gepriesen wird, so auch ist es mit dem Nibbāna der Fall. Dies sind die drei Merkmale.»

«Drei Merkmale des Butterölschaumes, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, finden sich im Nibbāna; welches sind diese drei?»

«Gleichwie, o König, der Butterölschaum vollkommen in der Farbe ist, so auch ist das Nibbāna vollkommen in der Färbung seiner Tugenden. Dies ist das erste Merkmal. Wie fernerhin der Butterölschaum vollkommen ist in seinem Duft, so auch ist das Nibbāna vollkommen im Duft der Sittlichkeit. Dies ist das zweite Merkmal. Wie fernerhin der Butterölschaum vollkommen ist in seinem Geschmack, so auch ist das Nibbāna vollkommen in seinem inneren Gehalt. Dies ist das dritte Merkmal.»

«Fünf Merkmale eines Berggipfels, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, fänden sich im Nibbāna; welches sind diese fünf?»

«Gleichwie, o König, der Berggipfel in die Höhe ragt, so ist das Nibbāna hoch erhaben. Dies ist das erste Merkmal. Wie fernerhin der Berggipfel unerschütterlich ist, so auch ist das Nibbāna unerschütterlich. Dies ist das zweite Merkmal. Wie fernerhin der Berggipfel schwer zu erklimmen ist, so auch ist das Nibbāna allen Leidenschaften unzugänglich. Dies ist das dritte Merkmal. Wie fernerhin auf dem Berggipfel keine Keime mehr entstehen können, so auch läßt das Nibbāna keine Leidenschaften mehr emporkommen. Dies ist das vierte Merkmal. Wie fernerhin der Berggipfel sich weder hinneigt noch herneigt, so ist das Nibbāna frei von Zuneigung und Abneigung. Dies ist das fünfte Merkmal.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.8.12. Kann das Nibbāna erzeugt werden?

 

«Ihr sagt da, ehrwürdiger Nāgasena, daß das Nibbāna weder der Vergangenheit noch der Gegenwart noch der Zukunft angehöre, daß es weder erzeugt noch unerzeugt noch erzeugbar sei. Wenn nun der im Wandel Vollkommene das Nibbāna verwirklicht, erreicht er es wohl dann als etwas bereits Erzeugtes, oder erzeugt er es zuvor?»

«Weder das eine noch das andere trifft zu, o König. Und doch besteht dieses Element des Nibbāna, das der im Wandel Vollkommene verwirklicht.»

«Verhülle, ehrwürdiger Nāgasena, dieses Problem nicht durch deine Erklärungen. Erkläre es offen und deutlich; und von Eifer und Streben erfüllt, lege dar, was du darüber erfahren hast! Die Menschen sind eben darüber im Unklaren und voller Zweifel und sind in Ungewißheit. Beseitige diesen Stachel der inneren Unruhe!»

«Es existiert, o König, dieses Element des Nibbāna, dieses so friedvolle, selige, erhabene. Und dieses Nibbāna ist es, das der im Wandel Vollkommene verwirklicht, indem er der Weisung des Siegers getreu die Gebilde voll Einsicht erfaßt, gerade wie der Schüler unter Anleitung durch seine Lehrer voll Einsicht die Wissenschaft sich zu eigen macht. Und in welchem Sinne ist das Nibbāna aufzufassen? Als frei von Qual, Mißgeschick und Schrecken, als Sicherheit, Friede, Glück, Seligkeit, Erhabenheit, Lauterkeit und Kühle.

Gleichwie, o König, einer, sobald er sich mitten in den Flammen eines durch einen großen Haufen Holz genährten brennenden, lodernden Feuers befindet, sich eifrig herausrettet und an einen vor dem Feuer geschützten Ort begibt und dort höchstes Wohl empfindet: ebenso auch, o König, verwirklicht der im Wandel Vollkommene durch weise Erwägung das von der dreifachen Feuersglut freie höchste Glück des Nibbāna. Als das Feuer nämlich hat man das dreifache Feuer (der Gier, des Hasses und der Verblendung) zu betrachten; als den ins Feuer geratenen Mann den im Wandel Vollkommenen, und als den vom Feuer geschützten Ort das Nibbāna.

Oder gleichwie ein Mann, der in eine mit Schlangen-, Hunde- oder Menschenleichen und körperlichen Unrat angefüllte Grube gefallen ist und sich in die Haare der Leichen verwickelt hat, mit aller Macht sich herausrettet und einen von Leichen freien Ort aufsucht und dort höchstes Wohl empfindet: ebenso auch verwirklicht der im Wandel Vollkommene durch weise Erwägung das von den Leichen der Leidenschaft freie, höchste Glück des Nibbāna. Als Leichen nun hat man die fünf Sinnendinge zu betrachten, als den unter die Leichen geratenen Mann den im Wandel Vollkommenen, und als die von Leichen freie Stätte das Nibbāna.

Oder gleichwie ein Mann, der voller Angst und Schrecken bebt und verwirrten, unruhigen Geistes ist; sobald er aber mit Mühe entkommen und an einen starken, befestigten, sicheren, ungefährdeten Ort gelangt ist, dort höchstes Glück empfindet: ebenso auch, o König, verwirklicht der im Wandel Vollkommene durch weise Erwägung das von Angst und Schrecken freie höchste Glück des Nibbāna. Als Schrecken nun hat man hier die durch Alter, Krankheit und Tod bedingten, immer wieder auftretenden Schrecken zu betrachten; als den von Furcht erfüllten Mann den im Wandel Vollkommenen, und als die gefahrlose Stätte das Nibbāna.

Oder gleichwie ein Mann, der an einer schmutzigen, kotigen, dreckigen, schlammigen Stelle hingefallen ist, voll Eifer den Dreck und Schlamm von sich entfernt, sich an einen reinen, sauberen Ort begibt und dort höchstes Glück empfindet ebenso auch, o König, verwirklicht der im Wandel Vollkommene durch weise Erwägung das vom Dreck und Schlamm der Leidenschaften freie, höchste Glück des Nibbāna. Als Dreck nun hat man hier Gewinn, Ehre und Ruhm zu betrachten; als den in den Dreck gefallenen Mann den im Wandel Vollkommenen, und als die reine, unbefleckte Stätte das Nibbāna.»

«Auf welche Weise aber, o Ehrwürdiger, verwirklicht der im Wandel Vollkommene das Nibbāna?»

«Gleichwie, o König, ein Mann an einer den ganzen Tag über erhitzten, glühendheißen, feurigen Eisenkugel weder unten, noch oben, noch in der Mitte irgend eine Stelle bemerkt, wo er sie anfassen könnte: ebenso auch, o König, erwägt der im Wandel Vollkommene der Gebilde Werdegang; und indem er der Gebilde Werdegang erwägt, gewahrt er dabei das Geborenwerden gewahrt er das Altern, gewahrt er die Krankheit, gewahrt er das Sterben, und nicht bemerkt er darin irgendwie Glück oder Labsal; und weder am Anfang, noch in der Mitte, noch am Ende bemerkt er irgend etwas, woran er sich hängen sollte. Dabei bemächtigt sich der Widerwille seines Herzens, und eine Glut befällt seinen Körper. Und weil er da keinen Schutz, keine Zuflucht, keine Sicherheit findet, wird er der Daseinsformen überdrüssig. Gleichwie ein Mann, der in ein großes, flammendes Feuermeer hineingeraten und dort ohne Zuflucht, Sicherheit und Schutz ist, Grauen vor dem Feuer empfindet: so auch bemächtigt sich, da er nirgends etwas findet, woran er sich hängen sollte, der Widerwille seines Herzens, und eine Glut befällt seinen Körper. Und weil er da keinen Schutz, keine Zuflucht, keine Sicherheit findet, wird er der Daseinsformen überdrüssig. Und während er in dem Werdeprozeß Schrecken wittert, erhebt sich in ihm der Gedanke: <Ein verzehrendes Feuer, wahrlich, ist dieser Werdeprozeß, lodernd, aufflammend, voll des Elends und der Verzweiflung. Daß doch einer das Entwerden erreichen könnte, dieses höchste, erhabenste Ziel, den Stillstand aller Bildungen, die Loslösung von allen Substraten, der Gier Vernichtung, die Abwendung, die Aufhebung des Nibbāna!> So drängt sein Herz nach dem Entwerden, erfreut sich daran, erheitert sich und fühlt sich zufrieden in dem Gedanken <Endlich, wahrlich, habe ich den Ausgang gefunden!> Gerade wie ein Mann, der sich verirrt hat und in eine fremde Gegend geraten ist, beim Auffinden des zu seinem Ziele führenden Weges froh, heiter und zufrieden wird, weil er endlich den Weg gefunden hat. Ebenso auch in ihm, der das Schreckliche im Werdeprozeß gesehen hat, drängt sein Herz nach dem Entwerden, erfreut sich daran, erheitert sich und fühlt sich zufrieden in dem Gedanken: <Endlich, wahrlich, habe ich den Ausgang gefunden!> Und um das Jenseits des Werdens zu erreichen, pflegt er den Pfad, forscht ihm nach, hegt ihn, wandelt ihn beharrlich. Und auf dieses Zeil heftet sich seine Achtsamkeit, auf dieses Ziel heftet sich sein Wille, auf dieses Ziel richtet sich seine Freude. Und dadurch, daß er immer wieder erwägt, überwindet sein Geist den Werdeprozeß und gelangt zu jenem Zustande, wo es kein Werden mehr gibt. Und hat er das Entwerden erreicht, so sagt man von ihm, daß er, der im Wandel Vollkommene, das Nibbāna verwirklicht hat.»

«Vortrefflich, ehrwürdiger Nāgasena! So ist es, und so nehme ich es an.»

 


Mil. 4.8.13. Gibt es einen Ort für das Nibbana?

 

«Gibt es wohl, ehrwürdiger Nāgasena, einen Ort im Osten, Westen, Norden oder Süden, oder in einer Zwischenrichtung, oder über oder unter uns, wo sich das Nibbāna befindet?»

«Nein, o König.»

«Wenn es aber, o Ehrwürdiger, keinen Ort gibt für das Nibbāna, so gibt es doch auch kein Nibbāna. Und alle, die dieses Nibbāna verwirklicht haben, deren Verwirklichung ist eben nichtig. Ich will dir den Grund hierfür erklären: Wie nämlich in aller Welt das Korn im Feld entsteht, der Duft in der Blüte, die Blume am Strauch, die Frucht am Baum, das Kleinod in einer Mine, und jeder, der eines dieser Dinge wünscht, es sich dort holen kann: so auch muß es, wenn es ein Nibbāna gibt, auch einen Entstehungsort jenes Nibbāna geben. Denn gibt es keinen Entstehungsort des Nibbāna, so sage ich, gibt es auch kein Nibbāna. Und alle, die dieses Nibbāna verwirklicht haben, deren Verwirklichung ist eben nichtig.»

«Nicht gibt es einen Ort, o König, wo sich das Nibbāna befindet. Und doch gibt es dieses Nibbāna. Denn der im Wandel Vollkommene verwirklicht es ja durch weise Erwägung. Gerade wie es Feuer gibt, aber keinen Aufspeicherungsort desselben, sondern man eben durch Zusammenreiben von zwei Hölzern das Feuer erlangt: so auch gibt es zwar das Nibbāna, aber keinen Ort, wo es aufgespeichert wäre. Sondern der im Wandel Vollkommene verwirklicht es durch weise Erwägung. Und gleichwie es zwar die sieben Kleinode (des Weltherrschers) gibt - das Kleinod des Rades, des Elefanten, des Rosses, des Edelsteins, des Weibes, des Hausvaters und des Ratgebers - aber sich dafür kein Aufspeicherungsort findet, sondern sich eben diese Dinge bei dem Adeligen von vollendetem Wandel kraft seines Wandels offenbaren: so auch gibt es zwar das Nibbāna, aber keinen Ort, wo es aufgespeichert wäre. Sondern der im Wandel Vollkommene verwirklicht es durch weise Erwägung.»

«Zugegeben, ehrwürdiger Nāgasena, daß es keinen Ort gibt, wo sich das Nibbāna befindet. Gibt es aber wohl eine Stätte, in der verweilend der im Wandel Vollkommene das Nibbāna verwirklicht?»

«Ja, o König, die gibt es.»

«Welches aber, o Ehrwürdiger, ist diese Stätte?»

«Die Sittlichkeit, o König, ist diese Stätte. Denn in der Sittlichkeit fest verharrend verwirklicht durch weises Erwägen der im Wandel Vollkommene das Nibbāna, ganz gleich wo er sich befindet, im Lande der Scythen oder der Griechen, in China oder der Tartarei, in Alexandrien (am Indus) oder Nikumba, in Benares oder Kosala, in Kashmir oder Gandhara, auf einem Berggipfel oder in der Brahmawelt. Wie nämlich ein Mann, der sehen kann, von jedem Orte aus, an dem er sich befindet, den Himmel erblickt, oder wie es überall für ihn einen Osten gibt: so auch mag der in Sittlichkeit Gefestigte und weise erwägend (yoniso manasikarontassa) als ein im Wandel Vollkommener das Nibbāna verwirklichen, ganz gleich wo er sich befindet.»

«Vortrefflich erklärt, ehrwürdiger Nāgasena, hast du das Nibbāna, gewiesen seine Verwirklichung, geschildert die Tugenden der Sittlichkeit, gezeigt den rechten Pfad, aufgerichtet die Flagge des Gesetzes, gefestigt das Auge des Gesetzes; und nicht umsonst ist die rechte Anstrengung der eifrig Strebenden. So ist es, o bester und edelster der Lehrer, und so nehme ich es an.»


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