DIE WURZELN VON GUT UND BÖSE

IV. ALLGEMEINE TEXTE (Nr. 17 - 25)

17.

"Wenn drei Dinge nicht in der Welt zu finden wären, würde der Erhabene, der Heilige, der Vollkommen Erleuchtete nicht in der Welt erscheinen, noch würde seine Lehre und Zucht ihr Licht über die Welt ausbreiten. Welches sind diese drei Dinge? Es sind Geburt, Alter und Tod. Doch weil diese drei in der Welt zu finden sind, deshalb ist der Erhabene, der Heilige, der Vollkommen Erleuchtete in der Welt erschienen und deshalb breitet seine Lehre und Zucht ihr Licht über die Welt aus.

Es ist jedoch unmöglich, Geburt, Alter und Tod zu überwinden, ohne drei andere Dinge zu überwinden, nämlich Gier, Haß und Verblendung."

A.X.76


18.

"Zweierlei Ausblick (wörtl. Zwei Dinge) gibt es: den Genuß im Auge haben bei den Dingen, die fesseln können;(*1) oder die Abwendung im Auge haben bei den Dingen, die fesseln können.

(*1) Kommentar: D.h. Dinge, die Bedingungen für die zehn Fesseln sind.

 

Wer (so) lebt, daß er bei den fesselnden Dingen (nur) den Genuß im Auge hat, der kann Gier, Haß und Verblendung nicht aufgeben. Doch ohne diese aufzugeben, wird er nicht frei von Geburt, Alter und Tod, von Sorge, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung, wird er nicht frei, sage ich, vom Leiden.

Doch wer (so) lebt, daß er bei den fesselnden Dingen die Abwendung im Auge hat, der kann Gier, Haß und Verblendung aufgeben. Durch deren Aufgabe wird er frei von Geburt, Alter und Tod, von Sorge, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung, wird er frei, sage ich, vom Leiden."

A.II.6


19.

"Gier ist ein Widerhaken, Haß ist ein Widerhaken, Verblendung ist ein Widerhaken. Deshalb, ihr Mönche, sollt ihr ohne (diese) Widerhaken und frei von (diesen) Widerhaken ausharren. Die Arahants sind ohne (derartige) Widerhaken, frei von (derartigen) Widerhaken sind die Arahants."

A.X.72

Erläuterung. - Das Pāliwort für "Widerhaken" (oder "Kanthaken") ist kantaka, wörtlich 'ein Dom'. Ein ähnlicher, figürlicher Ausdruck, nämlich Wurfspieß, Pfeil oder Stachel (salla), findet sich in den Versen 938 und 939 des Sutta Nipāta:

"Als dann am Ende ich die Wesen in Bedrängnis sah, da kam der Ekel mir.
Den Stachel sah ich dann, der, schwer erkennbar, hier im Herzen steckt.
Von welchem Stachel man durchbohrt umher nach allen Seiten läuft,
Hat diesen Stachel man entfernt, dann läuft man nicht, versinkt man nicht."

20.

a) "Gier ist ein Erzeuger von Beschränkungen, Haß ist ein Erzeuger von Beschränkungen, Verblendung ist ein Erzeuger von Beschränkungen.

b) Gier ist etwas Bürdenhaftes, Haß ist etwas Bürdenhaftes, Verblendung ist etwas Bürdenhaftes.

c) Gier macht Kennzeichen, Haß macht Kennzeichen, Verblendung macht Kennzeichen.

All diese hat der triebfreie Arahant aufgegeben, sie an den Wurzeln abgeschnitten, (unfruchtbar) gemacht wie einen Palmstumpf, zum Nichtsein gebracht, nicht länger fähig, künftig in Erscheinung zu treten."

Aus dem Mahā-Vedalla-Sutta

Erläuterung. - a) "Erzeuger von Beschränkungen" (pamāna-karano). Die drei Wurzeln des Bösen beschränken die Sicht des Menschen; sie schaffen Begrenzungen im Verständnis der Dinge, wie sie wirklich sind, und engen die Möglichkeiten der menschlichen Wahlfreiheit ein. Sie beschränken den Geist, machen ihn "flach und eng" (Komm.: uttāno paritta-cetaso).

Der Kommentar erklärt es unterschiedlich und sagt, daß die Erscheinungsforinen der drei unheilsamen Wurzeln einen Standard oder Maßstab (pamāna) zur Beurteilung von Menschen bieten, ob sie unbefreite Weltlinge (puthujjana) oder edle Personen (ariya) sind. Da aber in einem späteren Passus der hier zitierten Lehrrede diesem Begriff die "unbegrenzte Befreiung des Geistes" (appamāna-cetovimutti) gegenübergestellt wird, ist wohl die anfangs gegebene Auslegung zutreffender.

b) "Etwas (kiñcano) Bürdenhaftes". Das Paliwort kiñcana bedeutet wörtlich "etwas". In einem anderen Abschnitt desselben Textes, der hier nicht wiedergegeben ist, wird das "etwas Bürdenhafte" kontrastiert mit ākiñcañña-cetovimutti, der "Befreiung des Geistes durch (den meditativen Zustand) der Nicht-Etwasheit".

Der Kommentar bezieht jedoch diesen Begriff auf das Verb kinchati: vernichten, niederpressen, unterdrücken. Gier, Haß und Verblendung sind eine schwere Bürde, die den Menschen niederzwingt durch "irgend etwas", durch "dieses oder jenes", das seine Leidenschaft erweckt und seine Sicht bewölkt. Das Wort kiñcana hat manchmal auch die Bedeutung von Eigentum oder Besitztümern.

c) "Macht Kennzeichen" (nimitta-karano). Die drei unheilsamen Wurzeln übertragen gleichsam ihre Kennzeichen oder Merkmale auf die Objekte der Sinneswahmehmung, wodurch diese Objekte gewohnheitsmäßig gekennzeichnet werden als anziehend, abstossend oder als Basis für geistige Verworrenheit oder falsche Ansichten. Sie versehen auch "Ich und Welt" mit den trughaften Merkmalen der Unvergänglichkeit, Glückhaftigkeit, Ichheit und Schönheit (niccanimitta, usw.), anstelle der wahren Kennzeichen der Vergänglichkeit, der Leidhaftigkeit, des Nicht-Selbst und der Unreinheit.


21.

"Wer Gier, Haß und Verblendung nicht aufgegeben hat, wird Māras' Gefangener genannt, ist in Māras Fallen gefangen, dem Willen und dem Vergnügen des Bösen unterworfen.

Wer aber Gier, Haß und Verblendung aufgegeben hat, ist nicht länger Māras Gefangener, ist befreit aus Māras Fallen, nicht länger dem Willen und dem Vergnügen des Bösen unterworfen."

Itivuttaka, Nr. 68

[Māra, die Verkörperung des Todes und der Bindung an die Sinnenwelt.]


22.

"Ein Mönch oder eine Nonne, die Gier, Haß und Verblendung nicht abgelegt haben, die haben nicht den Ozean (Samsāra) mit seinen Wellen und Strudeln, Monstern und Dämonen überquert.

Ein Mönch oder eine Nonne aber, die Gier, Haß und Verblendung abgelegt haben, die haben den Ozean mit seinen Wellen und Strudeln, Monstern und Dämonen überquert, sie haben ihn gekreuzt, sind zum anderen Ufer (Nibbāna) gelangt und stehen auf sicherem Grund als wahre Heilige."

Itivuttaka, Nr. 68 


AUS DEM KOMMENTAR DES BHADANTÁCARIYA DHAMMAPALA

"Gier, Haß und Verblendung, soweit sie zu Wiedergeburt in Welten des Elends führen, werden auf dem ersten Pfad (des Stromeintrittes) aufgehoben.

Sinnliches Verlangen und Haß werden in ihren groben Formen auf dem zweiten Pfad (der Einmal-Wiederkehr) aufgehoben.

Vollständig werden beide auf dem dritten Pfad (der Nicht-Wiederkehr) aufgehoben.

Das Verlangen nach (irgendeiner) erneuten Existenz (bhava rāga) und alle verbleibenden Formen der Verblendung werden auf dem vierten Pfad (der Heiligkeit) aufgehoben.

Wenn diese (drei) aufgehoben sind, dann sind damit auch andere Befleckungen, die sich jenen zugesellt haben, aufgehoben."


23.

"Welche Dinge, ihr Mönche, können weder durch körperliche Handlungen noch durch die Rede, sondern durch wiederholte weise Betrachtung aufgehoben werden? Gier kann weder durch körperliche Handlungen noch durch die Rede aufgehoben werden; aber sie kann durch wiederholte weise Betrachtung aufgehoben werden. Haß kann weder durch körperliche Handlungen noch durch die Rede aufgehoben werden; aber er kann durch wiederholte weise Betrachtung aufgehoben werden. Verblendung kann weder durch körperliche Handlung noch durch die Rede aufgehoben werden; aber sie kann durch wiederholte weise Betrachtung aufgehoben werden."

A.X.23

Erläuterung. - "Weise Betrachtung" bezieht sich hier, dem Kommentar zufolge, auf die Weisheit, die zum Pfad der Befreiung (magga-pannā) gehört, zusammen mit dem Klarblick (saha-vipassanāya), der seinen Höhepunkt auf den Pfaden erreicht. Aus dieser Erklärung geht hervor, daß der Begriff 'Aufheben' hier im höchsten Sinn zu verstehen ist, nämlich als endgültiges Aufhören, bewirkt durch die Erreichung der Pfade der Befreiung (Stromeintritt, usw.).

Immerhin kann eine Schwächung der unheilsamen Wurzeln auch durch den Körper und die Sprache bewirkt werden, indem man mehr und mehr jene Taten und Worte zügelt, die durch Gier, Haß und Verblendung motiviert sind.

Die Erwähnung der "weisen Betrachtung" ist ein Hinweis auf die entscheidende Wichtigkeit, die Anwesenheit der unheilsamen Wurzeln innerhalb des eigenen Bewußtseinsablaufs achtsam festzustellen. Diese wiederholte Konfrontierung mit den unheilsamen Wurzelursachen wird den Weg zum befreienden Klarblick öffnen, ebnen und vorbereiten (siehe Texte 34 und 35).


24. Die drei Feuer

"Die Welt ist ein immer-loderndes Feuer. " Heraklit

"Drei Feuer gibt es: das Feuer der Lust, das Feuer des Hasses und das Feuer der Verblendung.

Das Feuer der Lust brennt in lüsternen Sterblichen,
Die durch die Sinnes-Objekte betört sind.
Das Feuer des Hasses brennt in zornigen Menschen,
Die von Haß getrieben sind, Lebewesen zu erschlagen.
Das Verblendungsfeuer schwelt in törichtem Volk,
Das nicht den heiligen Dhamma sehen kann.
 
Jene, die am Persönlichkeitsgebilde sich ergötzen:
Sie kennen nicht das Feuer, das da dreifach brennt.

[Der Ausdruck "Persönlichkeitsgebilde" (PaIi: sakkāya) bezieht sich auf die vergängliche Persönlichkeit, bestehend aus den fünf Anhaftensgruppen Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein.]

Sie bewirken das Wachstum der Welten des Elends:
Die Höllen und das Leben der Tierwelt,
Die Bereiche der Geister und die der Dämonen:
Unbefreit sind sie von den Ketten des Māra.
 
Doch jene Wesen, die bei Tag und Nacht
Geweiht der Buddha-Lehre leben,
Das Feuer des Gelüstens löschen sie in sich,
Indem die Unreinheit des Körpers sie durchschauen.
 
Sie löschen auch des Hasses Feuer
Durch Gütestrahlung, edelste der Menschen.
Auch löschen sie das Feuer der Verblendung,
Durch Weisheit in Durchdringung reifend. (*1)
 
Wenn die drei Feuer sie gelöscht
Ohn' Unterlaß bei Tag und Nacht, als Weise
Vollkommen sind sie dann befreit,
Vollkommen überwinden sie das Leid.
 
Des heiligen Reiches (Nibbāna) Seher sind sie;
Das rechte Wissen (*3) führte sie zur Weisheit.
Das Wiedersein durch tiefen Klarblick endend,
Zu neuem Dasein gehen sie nicht mehr."

Itivuttaka, Nr. 93

(*1) Wörtlich: "zum Durchbohren führend" (nibbedha-gāmini). Dies bezieht sich auf die Durchdringung oder Zerstörung der dichten Masse der geistigen Befleckungen.

(*3) Rechtes Wissen" (sammad-aññāya). Aññā ist das Höchste Wissen oder Gnosis, erreicht durch die Heiligkeit.


AUS DEM KOMMENTAR DES BHADANTÁCARIYA DHAMMAPALA

"Weil die Gier, wenn sie sich erhebt, die Lebewesen brennt und verzehrt, deshalb wird sie ein Feuer genannt; und ebenso verhält es sich mit Haß und Verblendung. Wie das Feuer den Brennstoff verbraucht, aus dem es entstanden ist, und zu einer gewaltigen Feuersbrunst anwächst, ganz ähnlich verhält es sich mit Gier, Haß und Verblendung: sie verzehren die Lebens-Kontinuität, in der sie entstanden sind, und wachsen zu einer lodernden Feuersbrunst heran, die schwer zu löschen ist.

Unzählbar sind die Wesen, deren Herz entflammt ist durch das Feuer der Lust und die durch das Leiden unerfüllten Begehrens zu Tode kommen. Das ist die brennende Natur der Gier. Für die brennende Kraft des Hasses sind ein Beispiel jene 'Gottheiten, die von ihrem ärgerlichen Geist ruiniert wurden' (manopadosika-devā), und für Verblendung sind ein Beispiel jene Götter, die von ihrer spielerischen Vergnüglichkeit ruiniert werden (khidda-Padosika devā). In ihrer verblendeten Befangenheit im Spiel wurden die letzteren so vergeßlich, daß sie ihre Mahlzeiten vergessen und sterben. Das ist die brennende Beschaffenheit von Gier, Haß und Verblendung, soweit es das gegenwärtige Leben betrifft. In künftigen Leben werden diese drei noch schrecklichere und härtere Folgen haben, weil sie zur Wiedergeburt in Höllen und anderen Welten des. Elends führen können." 


25. Drei innere Gegner

"Es gibt drei innere Makel, drei innere Gegner, drei innere Feinde, drei innere Mörder, drei innere Widersacher. Welches sind diese drei? Gier ist ein innerer Makel ... Haß ist ein innerer Makel ... Verblendung ist ein innerer Makel, ein innerer Gegner, ein innerer Feind, ein innerer Mörder, ein innerer Widersacher.

Gier ist ein Grund für Unheil,
Rastlosigkeit des Geistes folgt ihr nach.
Doch die Gefahr, die ihm von innen droht,
Der Giergeblendete nimmt sie nicht wahr.
 
Der Gierige verkennt die Wirklichkeit.
Der Gierige erkennt die Wahrheit nicht.
Denn wer von Gier ist überwältigt,
Der bleibt in dichte Finsternis gehüllt.
 
Doch wer sich von der Gier befreit
Und, was da gierig anreizt, nicht verlangt,
Dem gleitet Gier vom Herzen ab
Wie Wasser von dem Lotusblatt.
 
Haß ist ein Grund für Unheil,
Rastlosigkeit des Geistes folgt ihm nach.
Doch die Gefahr, die ihm von innen droht,
Der Haßgeblendete nimmt sie nicht wahr.
 
Wer haßerfüllt, verkennt die Wirklichkeit,
Wer haßerfüllt, erkennt die Wahrheit nicht.
Denn wer vom Hasse überwältigt ist,
Der bleibt in dichte Finsternis gehüllt.
 
Doch wer vom Hasse sich befreit
Und, was zum Hassen anreizt, nicht mehr haßt,
Dem fällt der Haß vom Herzen ab
Wie von dem Stiel die reife Frucht.
 
Verblendung ist ein Grund für Unheil,
Rastlosigkeit des Geistes folgt ihr nach.
Doch die Gefahr, die ihm von innen droht,
Der blind Verblendete nimmt sie nicht wahr.
 
Verblendeter verkennt die Wirklichkeit.
Verblendeter erkennt die Wahrheit nicht.
Wer von Verblendung ist umsponnen,
Der bleibt in dichte Finsternis gehüllt.
 
Doch wer Verblendung ausgetilgt,
Bleibt von der Wirrsal unverwirrt
Und treibt des Wahnes Blendwerk aus
Wie Sonnenaufgang dunkle Nacht."

Itivuttaka, Nr. 88


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