Anguttara Nikaya

2. Das Kapitel des Streitens (adhikarana-vagga)

A.II. 11 Erwägung und Entfaltung - I

Zwei Kräfte gibt es, ihr Mönche. Welche zwei? 
Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Erwägung. 

Da erwägt einer also bei sich: 'Schlechtem Wandel in Werken, Worten und Gedanken ist in diesem, wie in künftigem Leben eine schlechte Frucht beschieden.' Und infolge dieser Erwägung verwirft er den schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken, führt einen guten Wandel und bewahrt sein Herz in Reinheit.

Was aber ist die Kraft der Entfaltung? (*2) Was es da an Kraft der Geistesentfaltung gibt, diese Kraft eignet dem Schulungstüchtigen; (sekha) denn auf diese Schulungskraft gestützt, überwindet man die Gier, überwindet man den Haß, überwindet man die Verblendung. Nach Überwindung von Gier, Haß und Verblendung aber tut man nichts Unheilsames mehr, begeht man nichts Böses. Das nennt man die Kraft der Entfaltung.

Diese beiden Kräfte gibt es, ihr Mönche.

(*1) patisankhāna-bala, bhāvanā-bala.
(*2) bhāvanā (s. Wtb), d.i. die methodische Entwicklung und Pflege des Geistes durch Meditation und andere geistige Schulung.

A.II. 12 Erwägung und Entfaltung - II

Zwei Kräfte gibt es, ihr Mönche. Welche zwei? 

Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Erwägung? (wie in 11)

Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Entfaltung?

Da übt der Mönch die mit Abgeschiedenheit, Abwendung und Entsüchtung verbundenen, zur Loslösung führenden Glieder der Erleuchtung (bojjhanga), nämlich:

Das nennt man die Kraft der Entfaltung.

Diese beiden Kräfte gibt es, ihr Mönche.

A.II. 13 Erwägung und Entfaltung - III

Zwei Kräfte gibt es, ihr Mönche. Welche zwei? 

Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Erwägung? (wie in 11)

Was aber, ihr Mönche, ist die Kraft der Entfaltung?

Da, ihr Mönche, gewinnt der Mönch, ganz abgeschieden von den Sinnendingen, abgeschieden von unheilsamen Geisteszuständen, die mit Gedankenfassen und Erwägen verbundene, in der Abgeschiedenheit geborene, von Verzückung und Glücksgefühl erfüllte erste Vertiefung und weilt in ihr.

Nach Stillung von Gedankenfassen und Überlegen gewinnt er den inneren Frieden, die Einheit des Geistes, die von Gedankenfassen und Erwägen freie, in der Sammlung geborene, von Verzückung und Glücksgefühl erfüllte zweite Vertiefung und weilt in ihr.

Nach Loslösung von der Verzückung weilt er gleichmütig, achtsam, klar bewußt, und ein Glücksgefühl empfindet er in seinem Innern, von dem die Edlen künden: 'Der Gleichmütige, Achtsame weilt beglückt'; so gewinnt er die dritte Vertiefung und weilt in ihr.

Nach dem Schwinden von Wohlgefühl und Schmerz und dem schon früheren Erlöschen von Frohsinn und Trübsinn, gewinnt er die leidlos-freudlose, in der völligen Reinheit von Gleichmut und Achtsamkeit bestehende vierte Vertiefung und weilt in ihr (*1).

Das, ihr Mönche, nennt man die Kraft der Entfaltung.

Diese beiden Kräfte gibt es, ihr Mönche.

(*1) Eine genaue Erklärung dieses Grundtextes für die vier Vertiefungen (jhāna) findet sich in VisM, S. 163ff.

A.II. 14 Darlegungsweisen

Zweierlei Darlegungen der Lehre gibt der Vollendete, ihr Mönche. Welche zwei?

Die zusammengefaßte Darlegung und die ausführliche Darlegung.


A.II. 15 Selbstprüfung in Streitfällen

Wenn da, ihr Mönche, bei einem Streitfall (*1) der schuldige und der anklagende Mönch sich nicht selber gründlich betrachten, dann ist zu erwarten, daß es zu Weitschweifigkeiten, Grobheiten und Tätlichkeiten kommt und daß die Mönche nicht in Frieden leben werden.

Wenn sich aber bei einem Streitfall der schuldige und der anklagende Mönch selber gründlich betrachten, dann ist zu erwarten, daß es zu keinen Weitschweifigkeiten, Grobheiten und Tätlichkeiten kommt und daß die Mönche in Frieden leben werden.

Wie aber betrachtet der schuldige Mönch sich selber gründlich? Da überlegt der schuldige Mönch also: 'Fürwahr, ich habe da etwas Unheilsames begangen, ein Vergehen in Taten, und jener Mönch hat mich dabei gesehen. Hätte ich es nicht begangen, so hätte jener Mönch es mich nicht tun sehen. Da ich nun aber ein Vergehen begangen habe, so konnte jener Mönch mich dabei sehen. Und als er es sah, da ward er ungehalten, und ungehalten sagte er mir mißvergnügte Worte. Von jenem Mönche aber mit mißvergnügten Worten angesprochen, geriet ich in Zorn, und zornig sprach ich davon zu anderen. So trifft eben mich hier die Schuld, wie bei einem Zollpflichtigen (*2) hinsichtlich seiner Ware!'. So betrachtet der schuldige Mönch sich selber gründlich.

Wie aber betrachtet der anklagende Mönch sich selber gründlich? Da überlegt der anklagende Mönch also: 'Fürwahr, dieser Mönch hat etwas Unheilsames begangen, ein Vergehen in Taten, und ich habe ihn dabei gesehen. Hätte dieser Mönch es nicht begangen, so hätte ich ihn nicht dabei sehen können. Insofern nun dieser Mönch ein Vergehen begangen hat, konnte ich ihn dabei sehen, und als ich es sah, wurde ich ungehalten, und ungehalten sagte ich diesem Mönch mißvergnügte Worte. Von mir aber mit mißvergnügten Worten angesprochen, geriet dieser Mönch in Zorn, und zornig sprach er davon zu anderen. So trifft eben mich hier die Schuld, wie bei einem Zollpflichtigen hinsichtlich seiner Ware.' So betrachtet der anklagende Mönch sich selber gründlich.

Wenn da, ihr Mönche, bei einem Streitfall der schuldige und der anklagende Mönch sich nicht selber gründlich betrachten, dann ist zu erwarten, daß es zu Weitschweifigkeiten, Grobheiten und Tätlichkeiten kommt und daß die Mönche nicht in Frieden leben werden. Wenn sich aber bei einem Streitfall der schuldige und der anklagende Mönch selber gründlich betrachten, dann ist zu erwarten, daß es zu keinen Weitschweifigkeiten, Grobheiten und Tätlichkeiten kommt und daß die Mönche in Frieden leben werden.


(*1) adhikarana; vgl. A.II.52, A.II.64; M. 15.
(*2) K: Wenn jemand mit zollpflichtigen Waren das Zollhaus zu umgehen sucht und dabei ertappt wird, so ist es seine Schuld und nicht die der Regierung oder der Beamten.

A.II. 16 Unterschiedliche Wiedergeburt

Einst begab sich ein gewisser Brahmane zum Erhabenen. Beim Erhabenen angelangt, wechselte er mit ihm höflichen Gruß, und nach Austausch freundlicher und zuvorkommender Worte setzte er sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend, sprach nun jener Brahmane zum Erhabenen also:

»Was ist wohl, Herr Gotama, die Ursache, was ist der Grund, daß da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niederer Welt erscheinen, auf einer Leidensfährte, in Daseinsabgründen, in einer Hölle?« -

»Wegen tugendlosen und unrechten Wandels, Brahmane, erscheinen da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niederer Welt, auf einer Leidensfährte, in Daseinsabgründen, in einer Hölle.« -

»Was ist nun aber, Herr Gotama, die Ursache, was ist der Grund, daß da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Fährte erscheinen, in himmlischer Welt?« -

»Wegen tugendhaften und rechten Wandels, Brahmane, erscheinen da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Fährte, in himmlischer Welt.« -

»Vortrefflich, Herr Gotama! Vortrefflich, Herr Gotama! Gleichwie man, Herr Gotama, das Umgestürzte wieder aufrichtet oder das Verborgene enthüllt oder den Verirrten den Weg weist oder in die Finsternis ein Licht bringt, damit, wer Augen hat, die Gegenstände sehen kann, ebenso hat der Herr Gotama auf mannigfache Weise die Lehre enthüllt. So nehme ich Zuflucht zum Herrn Gotama, zur Lehre und zur Mönchsgemeinde. Als Anhänger möge mich der Herr Gotama betrachten, als einen, der von heute ab zeitlebens Zuflucht genommen hat.«


A.II. 17 Getanes und Ungetanes

Einst begab sich Jānussoni, der Brahmane, dorthin, wo der Erhabene weilte. Dort angelangt, wechselte er mit dem Erhabenen freundlichen Gruß, und nach Austausch höflicher, zuvorkommender Worte setzte er sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend, sprach Jānussoni, der Brahmane, zum Erhabenen also:

»Was ist wohl, Herr Gotama, die Ursache, was ist der Grund, daß da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niederer Welt erscheinen, auf einer Leidensfährte, in Daseinsabgründen, in einer Hölle?«-

»Wegen des Getanen, Brahmane, und wegen des Ungetanen erscheinen da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niederer Welt, auf einer Leidensfährte, in Daseinsabgründen, in einer Hölle.«-

»Was ist nun aber, Herr Gotama, die Ursache, was ist der Grund, daß da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Fährte erscheinen, in himmlischer Welt?«-

»Wegen des Getanen, Brahmane, und wegen des Ungetanen erscheinen da einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Fährte, in himmlischer Welt.«-

»Nicht verstehe ich den ausführlichen Sinn dessen, was der Herr Gotama in Kürze gesagt, aber nicht weiter erklärt hat. Gut wäre es, wenn der Herr Gotama mir die Lehre so darlegte, daß ich des in Kürze Gesagten ausführlichen Sinn verstehe.«

»So höre denn, Brahmane, und achte wohl auf meine Worte.«-

»Ja, o Herr!« erwiderte Jānussoni, der Brahmane, dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach also:

»Da, Brahmane, verübt einer schlechte Tat in Werken, Worten und Gedanken, und gute Tat in Werken, Worten und Gedanken unterläßt er. Insofern nun, Brahmane, erscheinen wegen des Getanen und Ungetanen einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niederer Welt, auf einer Leidensfährte, in Daseinsabgründen, in einer Hölle.

Da verübt jedoch einer, Brahmane, gute Tat in Werken, Worten und Gedanken, und böse Tat in Werken, Worten und Gedanken unterläßt er. Insofern nun, Brahmane, erscheinen wegen des Getanen und wegen des Ungetanen einige Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Fährte, in himmlischer Welt.«-

»Vortrefflich, Herr Gotama! Vortrefflich, Herr Gotama! ... So nehme ich meine Zuflucht zum Herrn Gotama, zur Lehre und zur Mönchsgemeinde. Als Anhänger möge mich der Herr Gotama betrachten, als einen, der von heute ab zeitlebens Zuflucht genommen hat.«

A.II. 18 Zu meiden und auszuüben

Einst begab sich der ehrwürdige Ananda zum Erhabenen. Dort angelangt begrüßte er ehrfurchtsvoll den Erhabenen und setzte sich zur Seite nieder. Als er sich gesetzt hatte, sprach der Erhabene also zum ehrwürdigen Ananda:

»Einen schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken, den hat man, o Ananda, gewissenhaft zu meiden.«-

»Wird aber, o Herr, dieser schlechte Wandel in Werken, Worten und Gedanken betätigt, den der Erhabene als gewissenhaft zu meiden bezeichnet hat, welcher Nachteil steht dann zu erwarten?«-

»Wird, Ananda, dieser schlechte Wandel in Werken, Worten und Gedanken betätigt, den ich als gewissenhaft zu meiden bezeichnet habe, so steht folgender Nachteil zu erwarten: 

Solcher Nachteil ist dann zu erwarten.

Einen guten Wandel in Werken, Worten und Gedanken, den hat man, Ananda, gewissenhaft zu betätigen.«-

»Wird aber, o Herr, dieser gute Wandel in Werken, Worten und Gedanken befolgt, den der Erhabene als gewissenhaft zu betätigen bezeichnet hat, welcher Segen steht dann zu erwarten?«-

»Wird, Ananda, dieser gute Wandel in Werken, Worten und Gedanken befolgt, den ich als gewissenhaft zu betätigen bezeichnet habe, so steht folgender Segen zu erwarten: 

Solcher Segen ist dann zu erwarten.«


A.II. 19 Überwindung und Erweckung

Laßt, ihr Mönche, das Unheilsame! Man kann das Unheilsame lassen. Wäre es nicht möglich, das Unheilsame zu lassen, so würde ich nicht sagen: 'Laßt das Unheilsame!' Doch weil man das Unheilsame lassen kann, deshalb sage ich: 'Laßt das Unheilsame!'

Wenn, ihr Mönche, das Lassen des Unheilsamen zum Schaden und Unglück gereichte, so würde ich nicht sagen: 'Laßt das Unheilsame!' Weil aber das Lassen des Unheilsamen zum Segen und Wohl gereicht, deshalb eben sage ich: 'Laßt das Unheilsame!'

Erwecket, ihr Mönche, das Heilsame! Man kann das Heilsame erwecken. Wäre es nicht möglich, das Heilsame zu erwecken, so würde ich nicht sagen: 'Erwecket das Heilsame!' Doch weil man das Heilsame erwecken kann, deshalb eben sage ich: 'Erwecket das Heilsame!'

Wenn, ihr Mönche, die Erweckung des Heilsamen zum Schaden und Unglück gereichte, so würde ich nicht sagen: 'Erwecket das Heilsame!' Weil nun aber die Erweckung des Heilsamen zum Segen und Wohl gereicht, deshalb eben sage ich: 'Erwecket das Heilsame!'

A.II. 20-21 Getreue Überlieferung - I

Zwei Umstände, ihr Mönche, führen zum Schwinden und Untergang der wahren Lehre. Welche zwei?

Der Sinn verkehrten Wortlauts aber ist irreführend. Diese beiden Umstände, ihr Mönche, führen zum Schwinden und Untergang der wahren Lehre.

Zwei Umstände, ihr Mönche, führen zum Fortbestand der wahren Lehre, zu ihrer Erhaltung und Ausbreitung. Welche zwei?

Der Sinn rechten Wortlautes ist nämlich wohlverständlich. Diese beiden Umstände, ihr Mönche, führen zum Fortbestand der wahren Lehre, zu ihrer Erhaltung und Ausbreitung.


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