Visuddhi Magga IX

Die Göttlichen Verweilungszustände (brahma-vihāra)

1. Die Entfaltung der Güte (mettā-bhavanā) (Fortsetzung)

Wenn aber trotz der Betrachtung, daß jeder seine eigenen Taten zu tragen hat, sich dennoch der Groll nicht legt, so denke er an die Vorzüge von des Meisters früherem Wandel. Dabei ist dies die Art, wie er nachzudenken hat:

 

,Lieber Hausloser! Während da dein Meister schon vor seiner Erleuchtung als Bodhisat durch vier unermeßliche Zeitläufe und hunderttausend Zeitalter hindurch die Vollkommenheiten (pāramī) zur Entfaltung brachte, hat er da nicht wohl selbst gegen Mörder und Feinde sein Herz von Groll freigehalten? In der Geburtsgeschichte von Sīlavā (Jāt.), z.B., erlaubte er nicht einmal seinen Ministern die Waffen zu ergreifen, als sie dabei waren, den Gegenkönig abzuhalten, der über eine Strecke von dreihundert Meilen die Herrschaft an sich gerissen hatte und von einem üblen Minister, der sich mit seiner eigenen Königin vergangen hatte, geholt worden war.

 

,Ferner, als er auf dem Leichenfelde zusammen mit seinen tausend Ministern bis zum Halse in der Erde eingegraben war, da ließ er nicht einmal einen gehässigen Gedanken aufsteigen; erst als die Schakale zur Fressen der Leichen herankamen, strengte er seine Manneskraft an, um die Erde zu entfernen, und rettete so sein Leben. Dann begab er sich mit Hilfe der Macht eines Gespenstes zu seinem eigenen Schlafgemach. Beim Anblick des auf dem Staatsbette ruhenden Feindes aber geriet er nicht in Wut; sondern er erwirkte eine gegenseitige Eidablegung, und jenen an Freundesstelle einsetzend sprach er:

 

 

,Als in der Vorgeburtsgeschichte von dem Lehrer der Duldsamkeit (Jāt.313) er als Mönch auf die Frage des törichten Königs von Kāsī, welche Lehre er verkündete, antwortete: 'Die Duldsamkeit lehre ich', da wurde er mit Stachelpeitschen geprügelt, und beide Füße wurden ihm abgehauen; doch dabei zeigte er nicht den geringsten Groll.

 

,Doch das ist noch nicht so wunderbar, daß ein alter, in die Hauslosigkeit gezogener Mönch sich so verhält. In der Vorgeburtsgeschichte von Cūla-Dhammapāla (Jat.385) aber wird solches von ihm schon als Säugling berichtet.

 

 

(Die englische Übersetzung ist hier außerordentlich frei und stammt offenbar von Mrs. Rhys Davids, die es ganz besonders darauf abgesehen zu haben scheint, den Jammer einer Mutter zu schildern.)

 

,Als so seine Mutter jammerte und König Mahā-Patāpa, sein Vater, ihm beide Hände und Füße abschlagen ließ, als wären es Bambussprossen, und, damit noch nicht zufrieden, seine Enthauptung befahl, da sprach er zu sich selber: 'Nun ist es an der Zeit, daß ich mein Herz bezwinge. So lasse mich denn gleiche Gesinnung üben gegen diese vier: den meine Enthauptung befehlenden Vater, die mich enthauptenden Männer, meine weinende Mutter und gegen mich selber!' So in seinem Entschlusse fest verharrend zeigte er auch nicht einmal eine Spur von Groll.

 

,Auch das ist immer noch nicht so wunderbar, daß er als menschliches Wesen solches vollbringt. Aber selbst als Tier, u.zw. als der Elefant Sechserzahn (Jat.514), empfand, obgleich von einem giftgetränkten Pfeil in den Nabel getroffen, sein Herz nicht einmal Groll gegen den ihm solches Unheil bringenden Jäger. Wie es heißt:

 

 

,Als auf diese Worte hin der Jäger erwiderte, daß er von der Königin von Kāsī seiner Zähne wegen gesandt worden sei, brach er, ihr diesen Wunsch zu erfüllen, seine in sechs Farben erstrahlenden, glänzenden, lieblich leuchtenden eigenen Zähne ab und gab sie hin.

 

,Als er aber als Affenkönig (Jat.407) einen Mann mit eigener Hand aus einer Gebirgsschlucht herausgezogen hatte, dachte dieser:

 

 

,Darauf schleuderte der Mann einen Stein auf ihn. Und mit zerschmettertem Kopfe und tränenerfülltem Antlitze blickte der Affe jenen Mann an und sprach:

 

 

(Der Wortlaut dieses Verses steht nicht ganz fest; es gibt hier verschiedene Lesarten.)
 

,Und ohne zu jenem Manne im Herzen Groll zu hegen oder an sein eigenes Leid zu denken, brachte er eben jenen Mann an einen sichern Ort.

 

,Während er als der Schlangenkönig Bhūridatta (Jat.) die Fasttagregeln befolgte und oben auf einem Termitenhügel lag, hegte er in seinem Herzen keine Spur von Groll gegen einen Brahmanen, obwohl dieser ihn über den ganzen Körper mit einem Safte besprengte, der wie das Weltenfeuer brannte, und ihn in einen Korb steckte und überall in Indien tanzen ließ. Wie es heißt:
 
 

"Auch als Campeyya, der Kobrakönig (Jat.506), hegte er, von dem Schlangenbändiger gequält, nicht die geringste Spur von Groll in seinem Herzen. Wie es heißt:
 
 

,Als Kobrakönig Sankhapala (Jat.) durchstachen ihn sechzehn rohe Buben an acht Stellen mit spitzen Speeren, steckten durch die Stecklöcher dornige Ranken, zogen ihm einen festen Strick durch die Nase und schleppten ihn dann vermittelst einer Tragstange fort, während er mit seinem Körper auf dem Erdboden entlang geschleift wurde und große Schmerzen empfand. Wäre er in Zorn geraten, so hätte er diese rohen Buben schon durch seinen Anblick alle in Asche verwandeln können. Und doch zeigte er beim Öffnen seiner Augen keine Spur von Groll. Wie es heißt:
 
 

 
'Aber nicht bloß diese, sondern noch viele andere wunderbare Taten hat der Erhabene vollbracht, wie z.B. als der Ordensältere Mātuposaka (Jat.455) und in anderen Daseinsformen. Außerordentlich unrecht und unpassend ist es also, in dir noch grollende Gesinnung aufsteigen zu lassen, wo du doch den Erhabenen als deinen Meister anerkennst, der die Allerkenntnis erreicht hat und in der Welt mitsamt den Himmelswesen unübertroffen ist in der Tugend der Langmut.'-
 

Wenn aber selbst bei solchen Betrachtungen über die guten Eigenschaften des früheren Wandels des Meisters in ihm, dem lange Zeiten hindurch der Knechtschaft der befleckenden Leidenschaften Verfallenen, jener Groll sich noch nicht legen will, so rufe er sich jene Sutten (S.15.14-19) ins Gedächtnis, die von dem in seinem Anfang unerforschlichen Daseinskreislaufe handeln. Dort nämlich heißt es:
 
 

"Nicht leicht ist es, ihr Mönche, ein Wesen zu finden, das nicht früher schon einmal Mutter von einem war, oder Vater, Bruder, Schwester, Sohn oder Tochter." Daher erzeuge der Mönch hinsichtlich jener Person in sich die Vorstellung:-

 

,Dieser also war in der Vergangenheit meine Mutter, die mich zehn Monate lang in ihrem Schoße trug, die von mir Harn, Kot, Speichel, Rotz usw. entfernte, als wäre es gelbes Sandelpulver; die mich auf ihrer Brust tanzen lassend oder auf der Hüfte tragend mich aufgezogen hat. Als jener Mensch mein Vater war, opferte er selbst sein Leben für mich, indem er, auf Ziegenpfaden oder dornigen und ähnlichen Wegen eilend, Handel trieb; und um seine Kinder ernähren zu können, zog er in den Krieg, wo sich die Schlachtreihen gegenüberstanden, durcheilte mit dem Schiffe das weite Meer und unternahm noch andere schwierige Taten; und während er sich auf solche Weise Schätze erwarb, zog er mich auf. Auch als Bruder, Schwester, Sohn und Tochter tat er mir diese und jene Dienste. Nicht recht ist es also für mich, gegen jenen Groll in meinem Herzen zu hegen.'-

 

Wenn der Mönch aber auch auf solche Weise seine gehässige Gesinnung nicht stillen kann, so denke er nach über die Segnungen der Güte:

 

,Lieber Hausloser, hat nicht wohl der Erhabene gesagt (A.XI.16): "Hat man, ihr Mönche, die Güte, die gemüterlösende, gepflegt, entfaltet, häufig geübt, zur Triebfeder und Grundlage gemacht, gefestigt, großgezogen und zur rechten Vollendung gebracht, so hat man elf Segnungen zu erwarten: welche elf? Friedlich schläft man, friedlich erwacht man, keine bösen Träume hat man, den Menschen ist man lieb, den übermenschlichen Wesen ist man lieb, die Himmelswesen wachen über einen; Feuer, Gift und Waffen haben einem nichts an; der unstete Geist sammelt sich, der Gesichtsausdruck klärt sich, unverwirrten Geistes stirbt man; und sollte man nicht noch zu Höherem durchdringen, so gelangt man in der Brahmawelt wieder zum Dasein." Wenn du diese gehässige Gesinnung nicht zur Ruhe bringst, wirst du von solchen Segnungen ausgeschlossen sein.'-

Kann der Mönch aber auch auf diese Weise seine gehässige Gesinnung nicht beruhigen, so nehme er die Zerlegung in die Elemente vor. Und in welcher Weise? Er sage sich:-

,Lieber Hausloser! Indem du dich da über jenen ärgerst, ärgerst du dich da wohl über seine Kopfhaare oder Körperhaare ... oder Urin? Oder aber ärgerst du dich über das in den Haaren und den anderen Körperteilen enthaltene feste, flüssige, erhitzende oder flüchtige Element? Oder was die 5 Daseinsgruppen (s. XIV.), 12 Grundlagen (Sinnenorgane und Objekte) und 18 Elemente (Auge, Sehobjekt, Sehbewußtsein; Ohr usw.; s. XV.) betrifft, durch die bedingt man diesen Verehrten mit so und so einem Namen bezeichnet, ärgerst du dich da wohl über die Körperlichkeitsgruppe? Oder die Gefühlsgruppe? Die Wahrnehmungsgruppe? Die Geistige Formationengruppe? Die Bewußtseinsgruppe? Oder ärgerst du dich über das als Grundlage geltende Sehorgan? ... Oder das Sehobjekt? . . . Oder über die Geistgrundlage? . . . oder das Geistobjekt? Oder ärgerst du dich über das als Element geltende Auge ... oder das Sehobjekt ... oder das Sehbewußtsein ... oder über das Geistelement ... oder das Geistobjekt-Element ... oder das Geistbewußtseins-Element?'

 

Wahrlich, für einen, der so die Zerlegung in die Elemente vornimmt, da gibt es keine Stelle, wo der Groll Fuß fassen könnte, ebensowenig wie ein Senfkorn auf der Spitze einer Ahle Platz findet oder ein buntes Bild im Luftraume schweben kann.

 

Ist der Mönch aber nicht fähig, die Zerlegung in die Elemente vorzunehmen, so tausche er Geschenke aus, nämlich von dem, was ihm selber gehört, gebe er dem anderen; und von dem was dem anderen gehört lasse er sich etwas geben. Ist der andere aber mittellos oder verfügt nur über Dinge, die er (als Mönch) kein Recht hat zu genießen, so gebe bloß er dem anderen. Durch solche Handlung beruhigt sich ganz bestimmt der Groll gegen jenen Menschen. Und auch der ihn schon von früheren Geburten her verfolgende Groll des anderen beruhigt sich in demselben Augenblicke, gleichwie bei jenem Ordensälteren im Cittalaberg-Kloster. Dieser nämlich hatte von dem durch ihn selber dreimal aus seiner Behausung fortgejagten Almosengängermönch eine Almosenschale erhalten, mit den Worten: 'Diese Almosenschale, o Ehrwürdiger, im Werte von acht Kahapanas, hat meine Mutter, die Laienanhängerin, gestiftet. Es ist eine rechtschaffene Gabe. Gebet der edlen Anhängerin Gelegenheit zu einem verdienstvollen Werke!'- Von solcher Macht ist eine derartige Gabe. Auch heißt es:
 

 

Sobald auf diese Weise sich in ihm der Groll gegen den Feind gelegt hat, betätigt sich sein Geist auch gegen ihn in Güte, genau so wie gegen den lieben Menschen, den sehr lieben Freund und den Gleichgültigen. Und während er immer und immer wieder Güte ausstrahlt, möge er zu vier Personen die gleiche Gesinnung erzeugen und so die Schranken zwischen ihnen aufheben, nämlich hinsichtlich seiner selbst, des lieben Menschen, des Gleichgültigen und des Feindes.

 

Dies aber gilt als das Erkennungszeichen hierbei: Angenommen, während dieser Mensch mit einem lieben Menschen, einem Gleichgültigen und einem Feinde - er selber als vierter - an irgend einem Orte sitzt, kommen Räuber heran und sprechen also: 'Ihr Ehrwürdigen, gebet uns einen der Mönche!' Und auf die Frage 'Zu welchem Zwecke?' antworten diese: 'Um ihn zu töten und das Blut seiner Kehle zu bekommen und zum Opfer darzubringen.' Denkt nun jener Mönch: 'Mögen sie diesen da oder jenen da nehmen!' so hat er noch nicht die Aufhebung der Schranken erreicht. Denkt er: 'Mögen sie mich nehmen, nicht aber diese drei!', auch dann hat er noch nicht die Aufhebung der Schranken erreicht. Und warum nicht? Weil er jedesmal demjenigen, dessen Gefangenschaft er wünscht, nicht wohlgesinnt ist, sondern bloß den übrigen. Sieht er aber unter den vier Menschen keinen, den man den Räubern geben sollte, und hegt gegen sich genau die gleiche Gesinnung wie gegen die drei anderen Menschen, so hat er die Aufhebung der Schranken erreicht. Daher sagen die alten Meister:

 

 

Erst dann, wenn solcherart alle Grenzen aufgehoben und ausgeglichen sind, hat der Mönch das geistige Bild und die Angrenzende Sammlung erreicht. Hat er aber die Aufhebung aller Grenzen erreicht und übt, entfaltet und pflegt eben jenes Bild, so gewinnt er schon mit leichter Mühe in der beim Erdkasina (4. Teil) beschriebenen Weise die Volle Sammlung. Somit aber hat er die von fünf Gliedern freie und von fünf Gliedern begleitete, dreifach edle, mit zehn Merkmalen ausgestattete und mit Güte verbundene erste Vertiefung erreicht. Hat er aber die erste Vertiefung erreicht und übt, entfaltet und pflegt eben jenes geistige Bild, so gewinnt er der Reihe nach die zweite und dritte Vertiefung gemäß der Vierereinteilung, oder die zweite, dritte und vierte Vertiefung gemäß der Fünfereinteilung. Denn gestützt auf eine dieser Vertiefungen "durchdringt er mit dem von Güte begleiteten Geiste erst eine Richtung, dann eine zweite, ebenso eine dritte, dann die vierte, dann die Richtung nach oben, unten, ringsherum, allerwärts; und so verharrt er, indem er, in allem sich wiedererkennend, die ganze Welt mit einem von Güte begleiteten Geiste durchdringt, mit weitem, erhabenem, unbeschränktem, frei von Groll und Bedrückung." Bloß bei einem, dessen Geist durch eine dieser Vertiefungen die Volle Sammlung erreicht hat, tritt solche Wandlung ein.

"Von Güte begleitet" bedeutet hier: mit Güte verbunden.

"Geist" ist soviel wie Bewußtsein.

"Erst eine Richtung" wird gesagt, weil der Mönch, mit einem in der einen Richtung zuerst aufgefaßten Wesen beginnend, schließlich alle die in dieser einen Richtung eingeschlossenen Wesen durchdringt.

"Er durchdringt" bedeutet: er berührt, nimmt zum Vorstellungsobjekt.

"Er verharrt" bedeutet: er fährt fort in jener Stellung zu verweilen, die er bei dem Göttlichen Verweilungszustande eingenommen hatte.

"Dann eine zweite" besagt: gleichwie er die östliche oder irgend eine andere von den Richtungen durchdringend verweilt, genau so macht er es darauf mit der zweiten, dritten und vierten Richtung.

"Dann die Richtung nach oben" besagt: in genau derselben Weise die Richtung nach oben.

"Unten, ringsherum" bedeutet: die untere Richtung und die Richtung ringsherum. Ebenso bedeutet dabei "unten" soviel wie 'abwärts', und "rings herum" soviel wie 'in den vier Zwischenrichtungen'. So läßt er, genau wie ein Pferd im Zirkus, den von Güte begleiteten Geist in allen Richtungen hin und her laufen. Insoweit wurde die begrenzte Durchdringung mit Güte gezeigt, die darin besteht, daß man eine Richtung nach der anderen einschließt.

"Allerwärts usw." aber wird gesagt, um die unbegrenzte Durchdringung zu zeigen. Dabei bedeutet 'allerwärts' soviel wie 'überall'.

"In allem sich wieder erkennend" bedeutet: alle Wesen, niedrige, mittlere, erhabene, Feinde, Freunde, Gleichgültige usw., wie sein eigenes Ich betrachtend, d.h. alle sich selber gleichsetzend, ohne zu untersuchen, ob dieser oder jener ein fremdes Wesen sei. Oder, der Ausdruck 'sabbattatāya' besagt: 'mit ganzem Herzensanteil', ohne auch den geringsten Teil davon auszuschließen.

"Alles umfassend" hat hier die Bedeutung: alle Wesen umfassend, alle Wesen einschließend.

Als "Welt" gilt hier die Welt der Wesen.

Der Ausdruck 'mit einem von Güte begleiteten Geiste' wird hier nochmals angeführt, um die Synonyme wie 'weit' usw. zu zeigen. Oder es geschieht, weil hier das Wörtchen tathā oder iti (ebenso, sodann) nicht wie bei der begrenzten Durchdringung wiederholt wird. Oder der Ausdruck wird als Abschluß gebraucht.

"Weit" ist hier zu verstehen im Sinne von weiter Durchdringung.

"Erhaben" aber ist dieser Geist hinsichtlich der Entfaltungsstufe.

"Unbeschränkt" ist er hinsichtlich der Fertigkeit und hinsichtlich der unbegrenzten Vorstellung von den Wesen.

"Frei von Groll" ist der Geist infolge Überwindung des feindseligen Übelwollens.

"Frei von Bedrückung" besagt frei von Leiden infolge Überwindung des Trübsinns.

Dies ist der Sinn der Herzenswandlung, wie zuvor erwähnt in den Worten: 'mit einem von Güte begleiteten Geiste usw.' Gleichwie aber nur in demjenigen, dessen Geist die Volle Sammlung gewonnen hat, sich dieser Wandel vollzieht, so kann man verstehen, wie auch nur in demjenigen, dessen Geist die Volle Sammlung erreicht hat, das zustande kommt, was in Patisambhidā (XIV) beschrieben wird in den Worten:

 

"Auf fünferlei Weise vollzieht sich die unbegrenzt durchdringende Gemütserlösung durch Güte, auf siebenerlei Weise die begrenzt durchdringende Gemütserlösung durch Güte, auf zehnerlei Weise die alle Richtungen durchdringende Gemütserlösung durch Güte."

 

Auf diese fünferlei Weise hat man die unbegrenzt durchdringende Gemütserlösung durch Güte zu verstehen: 'Mögen alle Wesen - alle Atmenden - alle Geschöpfe - alle Individuen - alle im persönlichen Dasein Einbegriffenen frei sein von Haß, Bedrückung und Beklemmung, mögen sie ihr Leben glücklich verbringen!'

 

Auf diese siebenerlei Weise hat man die begrenzt durchdringende Gemütserlösung durch Güte zu verstehen: 'Mögen alle weiblichen Wesen - alle männlichen Wesen - alle Edlen - alle Unedlen - alle Himmelswesen - alle Menschen - alle Verstoßenen frei sein von Haß, Bedrückung und Beklemmung, mögen sie ihr Leben glücklich verbringen!'

 

Auf diese zehnerlei Weise hat man die alle Richtungen durchdringende Gemütserlösung durch Güte zu verstehen: 'Ob in der östlichen, westlichen, nördlichen oter südlichen Richtung, der östlichen, westlichen, nördlichen oder südlichen Zwischenrichtung, in der Richtung nach oben und unten: alle Wesen, Atmenden, Geschöpfe, Individuen, im persönlichen Dasein Einbegriffenen: alle weiblichen und männlichen Wesen, Edlen, Unedlen, Himmelswesen, Menschen, Verstoßenen: - mögen alle frei sein von Haß, Bedrückung und Beklemmung, mögen sie ihr Leben glücklich verbringen!' "Alle" gilt hierbei als allumfassend.

 

"Satta", d.i. Wesen, sagt man, weil diese durch Lust und Gier an der Körperlichkeit und den anderen Daseinsgruppen 'angehangen' (satta, von saj) oder angehaftet sind. Der Erhabene nämlich hat gesagt (S.22.2): "Was es da Rādha, mit Hinsicht auf Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein an Lust und Gier gibt, dadurch ist man 'angehangen', angehaftet, deshalb gilt man als 'satta', oder Wesen. In der Alltagssprache aber gilt die Bezeichnung selbst für die Giererlösten, genau wie eine selbst aus Rohr hergestellte Fächerart auch als 'Palmyrafächer' bezeichnet wird. Die Grammatiker aber wollen, ohne die Bedeutung zu untersuchen, dies als bloßes Wort erklären. Und selbst diejenigen unter ihnen, die die Bedeutung untersuchen, möchten 'satta' in Verbindung bringen mit (skr.) sattva (dem lichten Prinzip in der Sankya-Philosophie).

Als "Atmende" (pāna) bezeichnet man die Wesen auf Grund des Atmens, d.h. weil sie in Abhängigkeit von Ein- und Ausatmung leben.

"Geschöpfe" (bhūita) nennt man sie, weil sie erzeugt, d.i. entstanden und geboren sind.

Mit "pum" bezeichnet man die 'Hölle'. Weil nun die Wesen dort 'hinabsinken' (galanti, von gal), deshalb nennt man sie puggala (Individuen).

Als "persönliches Dasein" (atta-bhāva) bezeichnet man den Körper oder alle fünf Daseinsgruppen, denn dadurch bedingt kommt es zur Entstehung dieses bloßen Begriffes. Weil nun die Wesen in diesem persönlichen Dasein eingeschlossen sind, deshalb nennt man sie die im persönlichen Dasein Einbegriffenen. 'Einbegriffen in' hat die Bedeutung 'davon umgrenzt' oder 'darin eingeschlossen'.

 

Genau nun wie das Wort 'Wesen' werden auch die übrigen Ausdrücke (,alle Geschöpfe' usw.,) im Sinne der volkstümlichen Sprache angewandt, und alle diese hat man als gleichbedeutend mit 'alle Wesen' zu betrachten. Obgleich sich da noch beliebig viele andere Synonyme finden für die Ausdrücke 'alle Wesen', wie z.B. 'alles Geborene, alles Leben usw.', so hat man doch ihrer allgemeinen Verbreitung zuliebe bloß diese fünf angeführt in dem Ausspruch "Auf fünferlei Weise vollzieht sich die unbegrenzte Gemütserlösung durch Güte."

 

Diejenigen aber, die hinsichtlich der Worte 'Wesen, Atmende usw.' nicht nur dem bloßen Wortlaute, sondern auch der Bedeutung nach einen Unterschied annehmen, diese geraten in Widerspruch mit der unbegrenzten Durchdringung. Ohne also solche Bedeutung anzunehmen, möge man auf irgend eine dieser fünf Weisen die unbegrenzte Güte ausstrahlen.

 

Hierbei nun bildet der Gedanke 'Mögen alle Wesen frei sein vom Haß!' eine einzige Volle Sammlung. 'Mögen sie frei sein von Bedrückung!': dieser Gedanke bildet eine andere Volle Sammlung, wobei 'frei von Bedrückung' soviel bedeutet wie 'frei von Übelwollen'. 'Mögen sie frei sein von Beklemmung!' dieser Gedanke bildet eine andere Volle Sammlung, wobei 'frei von Beklemmung' soviel bedeutet wie 'leidlos'. 'Mögen sie ihr Leben glücklich verbringen!': dieser Gedanke bildet eine andere Volle Sammlung. Welcher von diesen Ausdrücken also einem ganz geläufig ist, im Sinne jedesmal dieses Ausdruckes strahle man Güte aus. Somit gibt es mit Rücksicht auf diese fünf Wege und auf Grund dieser vier Vollen Sammlungen insgesamt zwanzig Volle Sammlungen in der unbegrenzten Durchdringung.

 

In der begrenzten Durchdringung aber gibt es mit Rücksicht auf die sieben Wege und auf Grund der vier Vollen Sammlungen insgesamt achtundzwanzig Volle Sammlungen. Hierbei spricht man von "männlichen" und ""weiblichen" Wesen mit Rücksicht auf das Geschlecht, von "Edlen;' und "Unedlen" mit Rücksicht auf die Edlen Jünger und die Weltlinge, von "Himmelswesen, Menschen und Verstoßenen" mit Rücksicht auf die Wiedergeburt.

 

Was das Durchdringen aller Richtungen anbetrifft, denkend: 'Mögen alle Wesen (usw.) in der östlichen Richtung usw.', so gibt es da nach dieser Methode in jeder einzelnen Richtung jedesmal 20 (s. oben), zusammen also 200 Volle Sammlungen. Nach der (7fachen) Methode: 'Mögen alle weiblichen Wesen (usw.) in der östlichen Richtung usw.', gibt es in jeder einzelnen Richtung jedesmal 28, zusammen (in allen 10 Richtungen) 280, somit 480 Volle Sammlungen im ganzen. In Patisambhidā werden zusammen 528 Volle Sammlungen genannt.

 

Der Übungsbeflissene aber, der durch irgend eine dieser Vollen Sammlungen die Gemütserlösung durch Güte entfaltet hat, erreicht die elf Segnungen, die genannt werden in den Worten: "Friedlich schläft man usw."

 

Hierbei bedeutet "Friedlich schläft man", daß man keinen schlechten Schlaf hat wie die anderen Wesen, die sich beim Schlafen hin und her wälzen und schnarchen. Und selbst in den Schlaf eingetreten, ist es, als sei man in einen Erreichungszustand (Vertiefung) eingetreten. "Friedlich erwacht man" besagt: man erwacht nicht gequält wie andere, die beim Erwachen stöhnen, gähnen und sich hin und her wälzen. Heiter und unverändert erwacht man, gleichwie eine sich öffnende Lotusblüte.

"Keine bösen Träume hat man" besagt: wenn man träumt, so träumt man bloß angenehm, etwa daß man sich vor einem Schreine verbeugt oder seine Verehrung darbringt oder die Lehre hört. Keine bösen Träume hat man wie die anderen, die davon träumen, daß sie von Räubern umgeben sind, von wilden Tieren angefallen werden oder in einen Abgrund stürzen.

"Den Menschen ist man lieb" besagt gerade wie eine an der Brust leuchtende Perlenschnur oder eine das Haupt schmückende Girlande ist man den Menschen lieb und angenehm.

"Den übermenschlichen Wesen ist man lieb" besagt: genau wie den Menschen, so ist man auch den übermenschlichen Wesen lieb, wie es z.B. der Ordensältere Visākha war. Dieser war, wie es heißt, ein Gutsherr in Pātaliputta. Dort wohnend kam ihm zu Ohren, daß die Insel Ceylon (Tambapannī) mit ganzen Ketten von Schreinen geschmückt sei und von gelben Mönchsgewändern leuchtete, daß man dort an jedem beliebigen Orte sich nicdersetzen oder hinlegen könnte, daß dort alles leicht zu finden sei, angenehmes Klima, angenehme Wohnung, angenehme Menschen und die Annehmlichkeit, die Lehre zu hören. Er vermachte also seine großen Schätze seiner Frau und seinen Kindern, und bloß mit einem in den Zipfel seines Gewandes eingewickelten Goldstücke verschen verließ er sein Haus und lebte einen Monat lang am Ufer des Meeres, indessen er auf ein Schiff wartete. Da er sich auf den Handel verstand, kaufte er an diesem Orte Waren ein und verkaufte dieselben wieder anderwärts und brachte so durch regelmäßigen Handel innerhalb des Monats ein Tausend zusammen. Nach und nach gelangte er nun zu dem Großen Kloster (bei Anurādhapura in Ceylon). Dort bat er um die Mönchsaufnahme. Als man ihn aber, um seine Aufnahme zu vollziehen, zu dem Sīmā (d.i. dem für Ordenshandlungen abgegrenzten Ort) geführt hatte, ließ er seinen Beutel mit den tausend Goldstücken aus seinem Gürtel zu Boden fallen. Auf die Frage, was das sei, antwortete er: "Tausend Goldstücke, o Ehrwürdiger." "Anhänger, von der Zeit ab, wo du Mönch sein wirst, kannst du davon keinen Gebrauch mehr machen." Auf diese Worte hin dachte er: 'Die da zur Ordinationsstätte des Visākha gekommen sind, sollen nicht mit leeren Händen abziehen!' Und er öffnete den Beutel und streute das Geld auf dem Sīmāhofe umher. Darauf wurde er als Hausloser aufgenommen und später zum vollen Mönche geweiht. Nachdem er fünf Regenzeiten als Mönch verlebt und die beiden Register (der Ordensvergehen) gemeistert hatte, vollzog er Pāvarana (d.i. die nach den 3 Monaten der Regenzeit zu begehende Einladungs- oder Versöhnungszeremonie). Dann nahm er ein geeignetes Übungsobjekt auf sich und trat seine Wanderung an, indem er dabei in jedem Kloster vier Monate verbrachte und dort gegen alle sich gleich benehmend verweilte. Und von dem so Dahinwandernden heißt es:

 

Auf dem Wege zum Cittala-Bergkloster stieß er auf einen Zweigweg, und dort stehend dachte er: 'Ist dies wohl der richtige Weg, oder ist es jener?' Da streckte ein im Gebirge hausender Geist seine Hand aus und zeigte ihm den Weg mit den Worten: "Dies ist der richtige Weg!" So gelangte er zum Cittala-Bergkloster. Nachdem er dort vier Monate lang gewohnt hatte, dachte er: 'Morgen in der Frühe werde ich weiterziehen'; und damit legte er sich schlafen. Da setzte sich der am Ende des Wandelganges hausende Geist auf die Treppenstufe und weinte. "Wer ist das?" fragte der Ordensältere. - "Ich, o Ehrwürdiger, der Geist des Manilabaums." - "Warum weinest du?" - "Wegen deiner Abreise." - "Welchen Vorteil bringt es dir denn, wenn ich hier wohne?" -"Solange du, Ehrwürdiger, hier wohnst, werden die Geister der gegenseitigen Güte teilhaftig; bist du aber fortgezogen, so werden sie sich streiten und gemeine Worte gebrauchen." - "Gut denn, wenn durch mein Hierbleiben euch ein angenehmes Leben beschieden ist" erwiderte der Ordensältere und blieb noch weitere vier Monate dort wohnen. Danach stieg ihm von neuem wieder dieselbe Absicht auf weiterzuziehen. Auch der Geist weinte wieder genau wie früher. Auf diese Weise blieb der Ordensältere dortselbst wohnen; und dortselbst erreichte er das Nirwahn. So ist ein in Güte weilender Mönch den übermenschlichen Wesen lieb.

 

"Die Geister wachen über einen" bedeutet: die Geister behüten einen, wie die Eltern ihren Sohn.

"Feuer, Gift und Waffen haben einem nichts an" bedeutet: dem Körper des in Güte Verweilenden kann das Feuer nichts anhaben, wie z.B. der Anhängerin Uttarā; kann das Gift nichts anhaben, wie z.B. dem Ordensälteren Cūlasiva, dem Lehrer des Samyutta; kann eine Waffe nichts anhaben, wie z.B. dem Novizen Sankicca. Diese Dinge wirken nicht, verletzen nicht seinen Körper, so sagt man. Hierzu erzählt man sich die Geschichte von der Kuh.

Eine Kuh, so heißt es, stand da und tränkte ihr Kalb mit einem dicken Strahl Milch. Ein Jäger aber, in der Absicht sie zu töten, zielte und schleuderte mit der Hand seinen langen Speer. Sobald aber dieser ihren Körper erreicht hatte, prallte der Speer ab, als ob er ein Palmblatt wäre; u.zw. geschah dies nicht etwa kraft der Angrenzenden oder Vollen Sammlung, sondern einzig und allein kraft der mächtigen Gedanken der Liebe zu ihrem Kalbe. Von solcher Macht ist die Güte.

"Der unstete Geist sammelt sich": bei dem in Güte Verweilenden sammelt sich gar schnell der Geist, und bei diesem gibt es keine Schlaffheit.

"Der Gesichtsausdruck klärt sich": das Gesicht zeigt ein heiteres Aussehen, gleichwie die vom Stiele losgelöste Nuß der Fächerpalme.

"Unverwirrten Geistes stirbt man": für den in Güte Verweilenden gibt es nicht so etwas wie einen verwirrten Tod; ganz ohne Verwirrung stirbt er, gerade als ob er in Schlaf versänke.

"Und sollte man nicht noch zu Höherem durchdringen usw." besagt: und ist man nicht imstande, über den Erreichungszustand der Güte hinaus, die Heiligkeit zu gewinnen, so erscheint man doch nach dem Abscheiden von hier, wie ein aus dem Schlafe Erwachter, in der Brahmawelt wieder.

Dies ist die ausführliche Besprechung über die Entfaltung der Güte.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus