Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung
M. 64. (VII,4) Mahāmālunkya Sutta, Der Sohn der Malunkya II
DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im
Siegerwalde, im Garten Anāthapindikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die
Mönche: "Ihr Mönche!" - "Erlauchter!" antworteten da jene Mönche dem Erhabenen
aufmerksam. Der Erhabene sprach also:
"Wißt ihr noch, Mönche, was ich euch als die fünf
niederzerrenden Fesseln gezeigt habe?"
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Malunkyaputto zum
Erhabenen also:
"Ich weiß, o Herr, was der Erhabene als die fünf
niederzerrenden Fesseln gezeigt hat."
"Inwiefern aber weißt du, Malunkyaputto, was ich als
die fünf niederzerrenden Fesseln gezeigt habe?"
- "Den Glauben an Persönlichkeit, ...
- den Zweifel, ...
- das Hängen an Regeln und Riten, ...
- die Begehrlichkeit, ...
- die Gehässigkeit, o Herr, weiß ich, hat der Erhabene
als niederzerrende Fessel gezeigt.
Also weiß ich, o Herr, wie der Erhabene die fünf niederzerrenden Fesseln
gezeigt hat."
"Wer hat dir nur, Malunkyaputto, weisgemacht, daß ich
die fünf niederzerrenden Fesseln also gezeigt hätte? Könnten da nicht,
Malunkyaputto, andersfährtige Pilger mit einem Gleichnisse vom Kindlein als
Gegner entgegentreten?
- Denn ein zarter Knabe, Malunkyaputto, ein
unvernünftiger Säugling, weiß ja nichts von Persönlichkeit: woher sollte ihn
gar der Glaube an Persönlichkeit versehren? Aber es haftet ihm eben der Hang
an, Persönlichkeit zu glauben.
- Denn ein zarter Knabe, Malunkyaputto, ein
unvernünftiger Säugling, weiß ja nichts von den Dingen: woher sollte ihn gar
der Zweifel an den Dingen versehren? Aber es haftet ihm eben der Hang an, zu
zweifeln.
- Denn ein zarter Knabe, Malunkyaputto, ein
unvernünftiger Säugling, weiß ja nichts von Regeln und Riten: woher sollte ihn
gar das Hängen an Regeln und Riten versehren? Aber es haftet ihm eben der Hang
an, an Regeln und Riten sich zu klammern.
- Denn ein zarter Knabe, Malunkyaputto, ein
unvernünftiger Säugling, weiß ja nichts von Begierden: woher sollte ihn gar
die Begehrlichkeit der Begierden versehren? Aber es haftet ihm eben der Hang
an, Begierden zu frönen.
- Denn ein zarter Knabe, Malunkyaputto, ein
unvernünftiger Säugling, weiß ja nichts von Mitwesen: woher sollte ihn gar die
Gehässigkeit gegen Mitwesen versehren? Aber es haftet ihm eben der Hang an, zu
hassen.
Könnten da nicht, Malunkyaputto, andersfährtige Pilger
mit diesem Gleichnisse vom Kindlein als Gegner entgegentreten?"
Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Anando zum
Erhabenen also:
"Da ist es, Erhabener, Zeit, da ist es, Willkommener,
Zeit, daß der Erhabene die fünf niederzerrenden Fesseln zeige: des Erhabenen
Wort werden die Mönche bewahren."
"Wohlan denn, Anando, so höre und achte wohl auf meine
Rede."
"Gewiß, o Herr!" erwiderte da aufmerksam der ehrwürdige
Anando dem Erhabenen. Der Erhabene sprach also:
"Da hat einer, Anando, nichts erfahren, ist ein
gewöhnlicher Mensch, ohne Sinn für das Heilige, der heiligen Lehre unkundig, der
heiligen Lehre unzugänglich, ohne Sinn für das Edle, der Lehre der Edlen
unkundig, der Lehre der Edlen unzugänglich.
- Der Glaube an Persönlichkeit hat sein Herz umsponnen,
hat sein Herz umzogen, und wie man dem sehrenden Glauben an Persönlichkeit
entgehn könne, daran denkt er nicht der Wahrheit gemäß; dem ist dieser Glaube
an Persönlichkeit, weil er ihn erstarken lassen, nicht aufgelöst hat, zur
niederzerrenden Fessel geworden.
- Der Zweifel hat sein Herz umsponnen, hat sein Herz
umzogen, und wie man dem sehrenden Zweifel entgehn könne, daran denkt er nicht
der Wahrheit gemäß; dem ist dieser Zweifel, weil er ihn erstarken lassen,
nicht aufgelöst hat, zur niederzerrenden Fessel geworden.
- Das Hängen an Regeln und Riten hat sein Herz
umsponnen, hat sein Herz umzogen, und wie man dem sehrenden Hängen an Regeln
und Riten entgehn könne, daran denkt er nicht der Wahrheit gemäß; dem ist
dieses Hängen an Regeln und Riten, weil er es erstarken lassen, nicht
aufgelöst hat, zur niederzerrenden Fessel geworden.
- Die Begehrsucht hat sein Herz umsponnen, hat sein
Herz umzogen, und wie man der sehrenden Begehrsucht entgehn könne, daran denkt
er nicht der Wahrheit gemäß; dem ist diese Begehrsucht, weil er sie erstarken
lassen, nicht aufgelöst hat, zur niederzerrenden Fessel geworden.
- Die Gehässigkeit hat sein Herz umsponnen, hat sein
Herz umzogen, und wie man der sehrenden Gehässigkeit entgehn könne, daran
denkt er nicht der Wahrheit gemäß; dem ist diese Gehässigkeit, weil er sie
erstarken lassen, nicht aufgelöst hat, zur niederzerrenden Fessel geworden.
"Doch der erfahrene heilige Jünger, Anando, merkt das
Heilige, ist der heiligen Lehre kundig, der heiligen Lehre wohlzugänglich, merkt
das Edle, ist der Lehre der Edlen kundig, der Lehre der Edlen wohlzugänglich.
- Der Glaube an Persönlichkeit hat sein Herz nicht
umsponnen, hat sein Herz nicht umzogen, und wie man dem sehrenden Glauben an
Persönlichkeit entgehn könne, daran denkt er der Wahrheit gemäß; dem schwindet
dieser Glaube an Persönlichkeit haltlos hinweg.
- Der Zweifel hat sein Herz nicht umsponnen, hat sein
Herz nicht umzogen, und wie man dem sehrenden Zweifel entgehn könne, daran
denkt er der Wahrheit gemäß; dem schwindet dieser Zweifel haltlos hinweg.
- Das Hängen an Regeln und Riten hat sein Herz nicht
umsponnen, hat sein Herz nicht umzogen, und wie man dem sehrenden Hängen an
Regeln und Riten entgehn könne, daran denkt er der Wahrheit gemäß; dem
schwindet dieses Hängen an Regeln und Riten haltlos hinweg.
- Die Begehrsucht hat sein Herz nicht umsponnen, hat
sein Herz nicht umzogen, und wie man der sehrenden Begehrsucht entgehn könne,
daran denkt er der Wahrheit gemäß; dem schwindet diese Begehrsucht haltlos
hinweg.
- Die Gehässigkeit hat sein Herz nicht umsponnen, hat
sein Herz nicht umzogen, und wie man der sehrenden Gehässigkeit entgehn könne,
daran denkt er der Wahrheit gemäß; dem schwindet diese Gehässigkeit haltlos
hinweg.
"Daß einer, Anando, hat er den Weg, hat er den Pfad
nicht betreten, der aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt, diese kennen
oder sehn oder ihnen entgehn kann: das ist unmöglich. Gleichwie man etwa, Anando,
bei einem großen, kernig dastehenden Baume, hat man die Rinde, hat man das
Grünholz nicht weggeschnitten, unmöglich das Kernholz ausschneiden kann: ebenso
nun auch, Anando, ist es unmöglich, daß einer, hat er den Weg, hat er den Pfad
nicht betreten, der aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt, diese kennen
oder sehn oder ihnen entgehn kann.
"Daß aber einer, Anando, hat er den Weg, hat er den
Pfad betreten, der aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt, diese kennen
oder sehn oder ihnen entgehn kann: das ist möglich. Gleichwie man etwa, Anando,
bei einem großen, kernig dastehenden Baume, hat man die Rinde, hat man das
Grünholz weggeschnitten, wohl das Kernholz ausschneiden kann: ebenso nun auch,
Anando, ist es möglich, daß einer, hat er den Weg, hat er den Pfad betreten, der
aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt, diese kennen oder sehn oder ihnen
entgehn kann.
"Gleichwie etwa, Anando, wenn der Gangesstrom, voll von
Wasser, bis zum Rande reicht, Krähen schlürfbar; und es käme ein schwächlicher
Mann herbei: 'Ich werde diesen Gangesstrom quer mit dem Arme durchkreuzen und
heil an das andere Ufer gelangen'; der könnte nicht den Gangesstrom quer mit dem
Arme durchkreuzen und heil an das andere Ufer gelangen: ebenso nun auch, Anando,
ist da ein jeder, dessen Gemüt sich beim Darlegen der Auflösung der
Persönlichkeit nicht angeregt, nicht erheitert, nicht beruhigt, nicht
erleichtert fühlt, etwa jenem schwächlichen Manne zu vergleichen.
"Gleichwie etwa, Anando, wenn der Gangesstrom, voll von
Wasser, bis zum Rande reicht, Krähen schlürfbar; und es käme ein kräftiger Mann
herbei: 'Ich werde diesen Gangesstrom quer mit dem Arme durchkreuzen und heil an
das andere Ufer gelangen'; der könnte den Gangesstrom quer mit dem Arme
durchkreuzen und heil an das andere Ufer gelangen: ebenso nun auch, Anando, ist
da ein jeder, dessen Gemüt sich beim Darlegen der Auflösung der Persönlichkeit
angeregt, erheitert, beruhigt, erleichtert fühlt, etwa jenem kräftigen Manne zu
vergleichen."
"Was ist das aber, Anando, für ein Weg, was für ein
Pfad, der aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt?
- Da gewinnt, Anando, ein Mönch, weil er dem Anhaften
ausweicht, weil er die unheilsamen Dinge meidet, weil er die groben
körperlichen Regungen gänzlich beschwichtigt hat, gar fern von Begierden, fern
von unheilsamen Dingen, die sinnend gedenkende ruhegeborene selige Verzückung,
die Weihe der ersten Vertiefung.
- Und was dabei noch formbar, fühlbar, wahrnehmbar,
unterscheidbar, bewußtbar ist, solche Dinge sieht er als wandelbar, wehe,
siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, hinfällig,
eitel, als nichtig an. Und von solchen Dingen säubert er sein Herz.
- Und hat er sein Herz von solchen Dingen gesäubert,
so lenkt er es zu ewiger Artung hin: 'Das ist die Ruhe, das ist das Ziel:
dieses Aufgehn aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das Versiegen
des Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung.'
- Und dahin gekommen erlangt er die Wahnversiegung.
Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er eben bei seiner Begier
nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit fünf niederzerrenden Fesseln
vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr
zurückzukehren nach jener Welt.
Das ist aber, Anando, der Weg, das ist der Pfad, der
aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt."
"Weiter sodann, Anando:
- nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens gewinnt
der Mönch die innere Meeresstille, die Einheit des Geistes, die von sinnen,
von gedenken freie, in der Vertiefung geborene selige Verzückung, die Weihe
der zweiten Vertiefung - die Weihe der dritten Vertiefung - die Weihe der
vierten Vertiefung.
- Und was dabei noch formbar, fühlbar, wahrnehmbar,
unterscheidbar, bewußtbar ist, solche Dinge sieht er als wandelbar, wehe,
siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, hinfällig,
eitel, als nichtig an. Und von solchen Dingen säubert er sein Herz.
- Und hat er sein Herz von solchen Dingen gesäubert,
so lenkt er es zu ewiger Artung hin: 'Das ist die Ruhe, das ist das Ziel:
dieses Aufgehn aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das Versiegen
des Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung.' Und dahin gekommen erlangt
er die Wahnversiegung.
- Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er
eben bei seiner Begier nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit die fünf
niederzerrenden Fesseln vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu
erlöschen, nicht mehr zurückzukehren nach jener Welt.
Das ist aber, Anando, der Weg, das ist der Pfad, der
aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt.
"Weiter sodann, Anando:
- nach völliger Überwindung der Formwahrnehmungen,
Vernichtung der Gegenwahrnehmungen, Verwerfung der Vielheitwahrnehmungen
gewinnt der Mönch in dem Gedanken 'Grenzenlos ist der Raum' das Reich des
unbegrenzten Raumes -
- gewinnt der Mönch nach völliger Überwindung der
unbegrenzten Raumsphäre in dem Gedanken 'Grenzenlos ist das Bewußtsein' das
Reich des unbegrenzten Bewußtseins -
- gewinnt der Mönch nach völliger Überwindung der
unbegrenzten Bewußtseinsphäre in dem Gedanken 'Nichts ist da' das Reich des
Nichtdaseins.
- Und was dabei noch fühlbar, wahrnehmbar,
unterscheidbar, bewußtbar ist, solche Dinge sieht er als wandelbar, wehe,
siech, bresthaft, schmerzhaft, übel, gebrechlich, ohnmächtig, hinfällig,
eitel, als nichtig an. Und von solchen Dingen säubert er sein Herz.
- Und hat er sein Herz von solchen Dingen gesäubert,
so lenkt er es zu ewiger Artung hin: 'Das ist die Ruhe, das ist das Ziel:
dieses Aufgehn aller Unterscheidung, die Abwehr aller Anhaftung, das Versiegen
des Durstes, die Wendung, Auflösung, Erlöschung.'
- Und dahin gekommen erlangt er die Wahnversiegung.
Erlangt er aber die Wahnversiegung nicht, so wird er eben bei seiner Begier
nach Wahrheit, bei seinem Genusse der Wahrheit die fünf niederzerrenden
Fesseln vernichten und emporsteigen, um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr
zurückzukehren nach jener Welt.
"Das ist nun, Anando, der Weg, das ist der Pfad, der
aus den fünf niederzerrenden Fesseln entführt."
"Ist dieses, o Herr, der Weg, dieses der Pfad, der aus
den fünf niederzerrenden Fesseln entführt, woher kommt es dann, daß da manche
Mönche gemüterlöst und manche weisheiterlöst sind?"
"Das kommt nun, sag' ich, Anando, von der
Verschiedenheit ihrer Anlagen her."
Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der
ehrwürdige Anando über das Wort des Erhabenen."