Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung

M. 62. (VII,2) Mahā-Raholavāda Sutta, Rahulos Ermahnung II

DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapindikos. Und der Erhabene, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise. Und auch der ehrwürdige Rahulo nahm, zeitig gerüstet, Mantel und Schale und folgte dem Erhabenen Schritt um Schritt nach. Und der Erhabene wandte den Blick und sprach den ehrwürdigen Rahulo an:

"Was es auch, Rahulo, für eine Form sei, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe: alle Form ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also anzusehn: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst."

"Nur etwa die Form, Erhabener, nur etwa die Form, Willkommener?"

Und der ehrwürdige Rahulo sagte sich nun: 'Wer wird wohl heute, vom Erhabenen selbst mit einer Ansprache angeredet, unter die Leute um Almosen gehn?' Und er kehrte um und ging zurück und setzte sich am Fuß eines Baumes nieder, mit verschränkten Beinen, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegte der Achtsamkeit.

Es sah aber der ehrwürdige Sāriputto, wie der ehrwürdige Rahulo dort saß, am Fuß eines Baumes, mit verschränkten Beinen, den Körper gerade aufgerichtet, der Achtsamkeit pflegend, und als er ihn gesehn wandte er sich zu ihm:

"Bedachtsam übe, Rahulo, Ein- und Ausatmung: Ein- und Ausatmung, bedachtsam geübt und gepflegt, Rahulo, läßt hohen Lohn erlangen, hohe Förderung." (*1)

Als nun der ehrwürdige Rahulo gegen Abend die Gedenkensruhe beendet hatte, begab er sich dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend sprach nun der ehrwürdige Rahulo also zum Erhabenen:

"Wie muß da bedachtsam, o Herr, Ein- und Ausatmung geübt, wie gepflegt werden, auf daß sie hohen Lohn, hohe Förderung verleihe?" (*2)

"Was sich irgend, Rahulo, innerlich einzeln fest und hart dargestellt hat, als wie 

oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln fest und hart dargestellt hat: das nennt man, Rahulo, innerliche Erdenart. Was es nun da an innerlicher Erdenart und was es an äußerlicher Erdenart gibt, ist Erdenart. Und: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst': so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Erdenart satt, läßt den Sinn von der Erdenart ab.

"Was ist nun, Rahulo, die Wasserart? Die Wasserart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rahulo, die innerliche Wasserart? Was sich innerlich einzeln flüssig und wässerig dargestellt hat, als wie 

oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flüssig und wässerig dargestellt hat: das nennt man, Rahulo, innerliche Wasserart. Was es nun da an innerlicher Wasserart und was es an äußerlicher Wasserart gibt, ist Wasserart. Und: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst': so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Wasserart satt, löst den Sinn von der Wasserart ab.

"Was ist nun, Rahulo, die Feuerart? Die Feuerart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rahulo, die innerliche Feuerart? Was sich innerlich einzeln flammig und feurig dargestellt hat, als wie wodurch Wärme erzeugt wird, wodurch man verdaut, wodurch man sich erhitzt, wodurch gekaute Speise und geschlürfter Trank einer vollkommenen Umwandlung erliegen, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flammig und feurig dargestellt hat: das nennt man, Rahulo, innerliche Feuerart. Was es nun da an innerlicher Feuerart und was es an äußerlicher Feuerart gibt, ist Feuerart. Und: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst': so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Feuerart satt, löst den Sinn von der Feuerart ab.

"Was ist nun, Rahulo, die Luftart? Die Luftart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rahulo, die innerliche Luftart? Was sich innerlich einzeln flüchtig und luftig dargestellt hat, als wie die aufsteigenden und die absteigenden Winde, die Winde des Bauches und Darmes, die Winde, die jedes Glied durchströmen, die Einatmung und die Ausatmung: dies, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flüchtig und luftig dargestellt hat, das nennt man, Rahulo, innerliche Luftart. Was es nun da an innerlicher Luftart und was es an äußerlicher Luftart gibt, ist Luftart. Und: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst': so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Luftart satt, löst den Sinn von der Luftart ab.

"Was ist nun, Rahulo, die Raumart? Die Raumart mag innerlich sein oder äußerlich. Was ist aber, Rahulo, die innerliche Raumart? Was sich innerlich einzeln räumlich und örtlich dargestellt hat, als wie die Ohrhöhle, die Nasenhöhle, die Mundöffnung, wodurch man gekaute Speise und geschlürften Trank einnimmt, wo gekaute Speise und geschlürfter Trank sich aufhält, wodurch gekaute Speise und geschlürfter Trank unten abgeht, oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln räumlich und örtlich dargestellt hat, das nennt man, Rahulo, innerliche Raumart. Was es nun da an innerlicher Raumart und was es an äußerlicher Raumart gibt, ist Raumart. Und: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst': so ist das, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit anzusehn. Hat man das also, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit erkannt, wird man der Raumart satt, löst den Sinn von der Raumart ab.

"Der Erde gleich, Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, der Erde gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie man da, Rahulo, auf die Erde Reines hinwirft und Unreines hinwirft, Kotiges hinwirft und Harniges hinwirft, Schleimiges hinwirft und Eiteriges hinwirft und blutiges hinwirft, aber die Erde sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt: ebenso nun auch, Rahulo, sollst du der Erde gleich Übung üben: denn übst du, Rahulo, der Erde gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

"Dem Wasser gleich, Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, dem Wasser gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie man da, Rahulo, im Wasser Reines wäscht und Unreines wäscht, kotiges wäscht und Harniges wäscht, Schleimiges wäscht und Eiteriges wäscht und Blutiges wäscht, aber das Wasser sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt, ebenso nun auch, Rahulo, sollst du dem Wasser gleich Übung üben: denn übst du, Rahulo, dem Wasser gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

"Dem Feuer gleich, Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, dem Feuer gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie da, Rahulo, das Feuer Reines brennt und Unreines brennt, Kotiges brennt und Harniges brennt, Schleimiges brennt und Eiteriges brennt und Blutiges brennt, aber das Feuer sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt: ebenso nun auch, Rahulo, sollst du dem Feuer gleich Übung üben: denn übst du, Rahulo, dem Feuer gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

"Der Luft gleich, Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, der Luft gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie da, Rahulo, die Luft Reines anweht und Unreines anweht, Kotiges anweht und Harniges anweht, Schleimiges anweht und Eiteriges anweht und Blutiges anweht, aber die Luft sich davor nicht entsetzt, empört oder sträubt: ebenso nun auch, Rahulo, sollst du der Luft gleich Übung üben: denn übst du, Rahulo, der Luft gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

"Dem Raume gleich (*3), Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, dem Raume gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden. Gleichwie da, Rahulo, der Raum durch nichts begrenzt wird, ebenso nun auch, Rahulo, sollst du dem Raume gleich Übung üben: denn übst du, Rahulo, dem Raume gleich Übung, so kann dein Gemüt, angenehm oder unangenehm berührt, nicht erregt werden.

"Des Ekels eingedenk, Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, des Ekels eingedenk Übung, so wird was da Reiz ist vergehn.

"Der Vergänglichkeit eingedenk, Rahulo, sollst du Übung üben: denn übst du, Rahulo, der Vergänglichkeit eingedenk Übung, so wird was da Dünkel der Ichheit ist vergehn.

"Bedachtsam übe, Rahulo, Ein- und Ausatmung: Ein- und Ausatmung, bedachtsam geübt und gepflegt, Rahulo, läßt hohen Lohn erlangen, hohe Förderung. Wie muß aber bedachtsam, Rahulo, Ein- und Ausatmung geübt, wie gepflegt werden, auf daß sie hohen Lohn, hohe Förderung verleihe? Da begibt sich, Rahulo, der Mönch ins Innere des Waldes oder unter einen großen Baum oder in eine leere Klause, setzt sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Achtsamkeit. Bedächtig atmet er ein, bedächtig atmet er aus. 

"Also muß da, Rahulo, Ein- und Ausatmung geübt, also gepflegt werden, auf daß sie hohen Lohn, hohe Förderung verleihe. Bei also geübter, Rahulo, also gepflegter Ein- und Ausatmung gehn auch die letzten Atemzüge bewußt aus, nicht unbewußt."

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Rahulo über das Wort des Erhabenen.


(*1) Vergleiche die 10. Rede und später die 21.
(*2) Buddha beantwortete die Frage zunächst nicht und setzte seine Belehrung vom Morgen fort.


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