Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

481. Die Erzählung von Takkariya (Takkariya-Jataka)

„Ich sagt', ich Tor, was ich nicht sagen sollte“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Kokalika. — In einer Regenzeit nämlich wünschten einmal die beiden ersten Schüler [1], die große Schar zu verlassen und in Einsamkeit zu wohnen. Nachdem sie den Meister um Erlaubnis gebeten, begaben sie sich in das Land des Kokalika [2] nach dem Wohnorte des Kokalika und sprachen zu ihm: „Lieber Kokalika, wenn uns durch dich und dir durch uns der Aufenthalt angenehm gemacht wird, wollen wir hier drei Monate zubringen.“ Kokalika versetzte: „Wie wird aber durch mich für euch, ihr Freunde, der Aufenthalt angenehm?“ Sie antworteten: „Wenn du, Freund, niemanden mitteilen wirst, dass die beiden ersten Schüler des Meisters hier wohnen, so wird für uns durch dich der Aufenthalt angenehm.“ Jener fragte weiter: „Aber wie wird durch euch für mich der Aufenthalt angenehm?“ Die beiden erwiderten: „Wir werden dir in diesen drei Monaten die Lehre verkündigen und dich durch unsere Predigt darin unterweisen; so wird für dich durch uns der Aufenthalt angenehm.“ „Wohnet hier, hier, Freunde, nach eurem Wunsche“, versetzte Kokalika, und er gab ihnen ein vorzügliches Lager. So wohnten sie glücklich dort, beseligt durch die Erreichung der Früchte [3]; niemand wusste, dass sie sich dort aufhielten.

Nachdem sie so die Regenzeit verbracht und die Pavarana [4] gefeiert hatten, sagten sie zu jenem: „Freund, durch dich haben wir hier unsern Aufenthalt gehabt; wir wollen fortgehen, um den Meister zu begrüßen“; und sie nahmen Abschied von ihm. Er gab seine Zustimmung und machte mit ihnen in dem nahe gelegenen Dorfe seinen Almosengang. Nach der Beendigung des Mahles verließen die Theras das Dorf. Kokalika entließ sie; dann kehrte er um und sagte zu den Leuten: „Ihr Laienbrüder, ihr seid unvernünftigen Tieren gleich! Dass die beiden ersten Schüler drei Monate lang in dem nahen Kloster gewohnt haben, habt ihr nicht gemerkt; jetzt sind sie fortgezogen!“ Die Leute erwiderten: „Herr, warum habt Ihr es uns aber nicht mitgeteilt?“ Sie nahmen viel zerlassene Butter, Öl und Heilmittel sowie Kleider und Decken, gingen zu den beiden Theras hin, begrüßten sie ehrfurchtsvoll und sagten: „Verzeihet uns, Herr; wir wussten nicht, dass Ihr die beiden ersten Schüler wäret. Erst heute wurde es uns durch das Wort das Kokalika bekannt; aus Mitleid mit uns nehmet diese Heilmittel, Kleider und Decken an.“

Kokalika aber hatte gedacht: „Die Theras sind genügsam und leicht zufrieden; sie werden diese Gewänder für sich selbst nicht annehmen, sondern sie mir geben“; darum war er mit den Laienbrüdern zu den Theras hingegangen. Die Theras jedoch nahmen, weil die Gabe durch einen Mönch veranlasst war, nichts für sich selbst an und ließen auch dem Kokalika nichts geben. Da baten die Laienbrüder: „Herr, wenn Ihr jetzt nichts annehmt, so kommet doch, um uns Mitleid zu erzeigen, nochmals hierher zurück!“ Die Theras bewilligten ihnen dies und begaben sich dann zum Meister. Kokalika aber dachte: „Diese Theras, die für sich selbst nichts annahmen, haben auch mir nichts geben lassen“, und er fasste einen Hass gegen sie.

Nachdem sodann die Theras kurze Zeit bei dem Meister verweilt hatten, nahmen sie die fünfhundert Mönche mit, die das Gefolge eines jeden bildeten, und zogen so mit tausend Mönchen ihres Weges dahin, bis sie zum Lande des Kokalika kamen. Jene Laienbrüder zogen ihnen zur Begrüßung entgegen, geleiteten sie in das Kloster und erwiesen ihnen täglich große Ehrung. Eine Menge von Heilmitteln, Kleidern und Decken wurde ihnen zuteil. Die Mönche, die mit den Theras gekommen waren, gaben beim Auslesen der Gewänder dieselben nur an diejenigen, die mit ihnen gekommen waren; dem Kokalika aber gaben sie keine und auch die Theras ließen ihm keine geben.

Als so Kokalika kein Gewand erhielt, sagte er: „Böser Lüste voll sind Sāriputta und Mogallana. Früher nahmen sie die ihnen geschenkten Gaben nicht an, jetzt aber nehmen sie dieselben. Man kann sie nicht befriedigen; einen anderen schauen sie nicht an!“ So schalt er und tadelte er die Theras. Die Theras dachten: „Durch uns kommt dieser zur Sünde“, und sie zogen samt ihrem Gefolge fort; und auch als sie von den Leuten gebeten wurden: „Herr, bleibet noch ein paar Tage da“, wollten sie nicht umkehren.

Es sagte jenen aber ein junger Mönch: „Ihr Laienhrüder, wie sollen die Theras hier bleiben? Der Thera, der von euren Familien unterhalten wird, erträgt nicht ihr ferneres Bleiben.“ Darauf gingen die Leute zu jenem hin und sprachen zu ihm: „Herr, Ihr lasst ja die Theras nicht hier wohnen bleiben. Gehet und bittet sie entweder um Verzeihung, dass sie zurückkehren, oder macht Euch selbst davon und nehmet anderswo Euren Aufenthalt.“ Aus Furcht vor den Laienbrüdern ging er hin und bat die Theras. Die Theras aber gingen weiter, indem sie zu ihm sagten: „Gehe, Lieber, wir kehren nicht mehr um.“

Als er sie so nicht zur Rückkehr bewegen konnte, kehrte er in das Kloster zurück. Da fragten ihn die Laienbrüder: „Herr, sind die Theras zurückgekehrt?“ Er antwortete: „Ich konnte sie nicht zur Umkehr bewegen.“ „Warum, Lieber?“, fragten sie. Da kam ihnen folgender Gedanke: „Weil ein solcher Bösewicht hier wohnt, deshalb werden brave Mönche nicht hier bleiben; wir wollen ihn forttreiben!“ Und sie sprachen zu ihm: „Herr, bleibe nicht hier; durch uns erhältst du nichts mehr.“

Als er so nicht mehr von ihnen geehrt wurde, nahm er Almosenschale und Obergewand, zog nach dem Jetavana, ging zu dem Meister hin und sagte: „Voll übler Lüste, Herr, sind Sāriputta und Mogallana; sie sind in die Gewalt böser Lüste gekommen.“ Der Meister aber erwiderte ihm: „Nicht so, Kokalika! Versöhne dein Herz mit Sāriputta und Mogallana; merke dir, es sind brave Mönche!“ Kokalika jedoch entgegnete: „Ihr, Herr, glaubt Euren ersten Schülern. Ich aber sah es mit eigenen Augen; voll böser Lüste sind sie, sie tun Geheimes, die Lasterhaften!“ So sagte er bis zum dritten Male, obwohl er von dem Meister zurückgehalten wurde; dann erhob er sich von seinem Sitze und entfernte sich. Sobald er aber fortgegangen war, entstanden an seinem ganzen Körper Beulen so groß wie Senfkörner; diese wurden allmählich größer und erhielten die Größe von Beluva-Früchten [5]; dann platzten sie auf und altes Blut floss aus ihnen hervor. Kokalika aber fiel jammernd, von Schmerz gepeinigt, am Jetavana-Torerker nieder.

„Von Kokalika sind die beiden ersten Schüler verklagt worden“; so erscholl es wie ein einziger Schrei bis zur Brahmawelt. Als aber sein Lehrer, der Brahma Tudu [6], diese Begebenheit erfuhr, ging er hin, um ihn die Theras um Verzeihung bitten zu lassen. Er kam herbei und sprach, in der Luft stehend: „Kokalika, eine rohe Tat hast du begangen; versöhne dir die ersten Schüler!“ „Wer bist aber du, Freund?“, versetzte Kokalika. „Ich bin der Brahma Tudu“, war die Antwort. Darauf erwiderte Kokalika: „Freund, hat nicht von dir der Erhabene verkündigt, du seiest ein Nichtzurückkehrender [7]? Es heißt aber doch, ein Nichtzurückkehrender könne nicht nochmals in diese Welt kommen. Du wirst ein Dämon sein, der auf einem Misthaufen wohnt!“ Mit diesen Worten beleidigte er den großen Brahma. Als dieser so nicht im Stande war, jenen zur Annahme seiner Worte zu veranlassen, sagte er: „Du wirst noch Qual erleiden wegen deiner Worte“, und kehrte an seinen reinen Aufenthaltsort zurück. Kokalika aber starb und wurde in der Paduma-Hölle [8] wiedergeboren.

Als der große Brahma Sahampati [9] erkannte, dass jener dort wiedergeboren sei, meldete er es dem Vollendeten. Der Meister aber verkündete es seinen Schülern. Darauf begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendermaßen ein Gespräch über die Untugend des Kokalika: „Freunde, Kokalika hat Sāriputta und Mogallana gescholten und ist wegen seines bösen Mundes in die Paduma-Hölle gekommen.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er weiter: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, wurde Kokalika durch sein Wort verwundet und erlitt Unglück wegen seines Mundes, sondern auch früher schon erlitt er seines Mundes wegen Unglück.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

(§B1. ohne Titel)

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, hatte er einen Hauspriester, der war lohfarbig [10] und seine Zähne waren ihm ausgefallen. Seine Gattin versündigte sich mit einem andern Brahmanen; dieser sah gerade so aus wie der andere [11]. Als nun der Hauspriester seine Gattin immer wieder zurückzuhalten suchte und sie doch nicht zurückzuhalten vermochte, dachte er bei sich: „Jenen meinen Feind kann ich nicht mit eigner Hand töten; durch eine List werde ich ihn ums Leben bringen.“ Er ging zu dem Könige hin und sprach zu ihm: „O Großkönig, deine Stadt ist die erste in ganz Indien und du bist der erste König. Während du aber so der erste König bist, ist das Südtor deiner Stadt schlecht befestigt und nicht Glück bringend.“ Der König versetzte: „Lehrer, was ist da zu tun?“ „Man muss es Glück bringend machen und gut befestigen.“ „Was muss man dazu haben?“ „Man muss das alte Tor wegnehmen und Hölzer nehmen, die Glück verheißend sind; dann muss man den Gottheiten, die die Stadt beschützen, ein Opfer darbringen und das Tor bei einer Glück bringenden Konstellation einsetzen.“ Der König antwortete: „Tut deshalb so!“ — Damals aber war der Bodhisattva ein junger Brahmane namens Takkariya und erlernte bei jenem die Wissenschaften.

Nachdem nun der Hauspriester das alte Tor hatte wegnehmen und das neue bereit stellen lassen, sagte er zum Könige: „Bereit gestellt, o Fürst, ist das Tor. Morgen ist eine glückliche Konstellation; diese dürfen wir nicht vorübergehen lassen, sondern müssen das Opfer darbringen und das Tor einsetzen.“ Der König fragte: „Lehrer, was muss man zur Darbringung eines Opfers nehmen?“ Darauf antwortete der Hauspriester: „O Fürst, das großmächtige Tor wird von großmächtigen Gottheiten beschützt. Man muss einen lohfarbenen Brahmanen, der die Zähne verloren hat und der nach beiden Seiten von reiner Abkunft ist, töten, mit dessen Fleisch und Blut das Opfer darbringen, den Körper darunter legen und das Tor darüber errichten; auf diese Weise wird es Euch sowohl wie der Stadt zum Heile gereichen.“ Der König erwiderte: „Gut, Lehrer, töte einen solchen Brahmanen und errichte das Tor.“

Voll Freude dachte jener: „Morgen werde ich den Rücken meines Feindes sehen.“ Von Stolz erfüllt begab er sich in sein Haus und sagte, da er seinen Mund nicht halten konnte, ganz rasch zu seiner Frau: „Du böses Candala-Weib [12], mit wem willst du dich von jetzt an erfreuen? Morgen werde ich deinen Buhlen töten und von ihm ein Opfer darbringen!“ Sie versetzte: „Aus welchem Grunde willst du den Schuldlosen töten?“ Er antwortete: „Der König hat gesagt, ich soll von dem Fleisch und Blut eines lohfarbigen Brahmanen ein Opfer darbringen und darüber das Stadttor errichten. Dein Buhle ist lohfarbig; darum werde ich ihn töten und mit ihm das Opfer darbringen.“

Da schickte die Frau zu ihrem Buhlen die Botschaft: „Der König beabsichtigt, einen lohfarbigen Brahmanen zu töten und mit ihm ein Opfer darzubringen. Wenn dir dein Leben lieb ist, so nimm noch andre Brahmanen, die ebenso sind, mit dir und mache dich morgen davon.“ Und er tat so. Dies wurde in der Stadt bekannt. Aus der ganzen Stadt entflohen sämtliche lohfarbige Brahmanen.

Der Hauspriester, der nicht wusste, dass sein Feind entflohen sei, ging schon am frühen Morgen zu dem Könige hin und sagte zu ihm: „O Fürst, an dem und dem Orte weilt ein lohfarbiger Brahmane; lasst diesen festnehmen!“ Der König schickte Leute fort; als sie niemand fanden, kehrten sie zurück und meldeten: „Er ist wohl entflohen.“ Sie erhielten den Befehl, anderswo zu suchen; aber obwohl sie in der ganzen Stadt umhersuchten, fanden sie keinen. Als ihnen hierauf der König sagte, sie sollten rasch weitersuchen, antworteten sie: „O Fürst, außer dem Hauspriester ist kein derartiger Mann mehr hier.“ „Aber den Hauspriester kann man doch nicht töten“, versetzte der König. Die Leute aber erwiderten: „O Fürst, was sagt Ihr da? Aus Veranlassung des Hauspriesters wird heute, da das Tor entfernt ist, die Stadt ohne Schutz sein. Als aber der Hauspriester davon sprach, sagte er: ‘Wenn man den heutigen Tag vorübergehen lässt, wird man erst nach Ablauf eines Jahres wieder diese Konstellation erhalten.’ Wenn nun die Stadt ein ganzes Jahr lang ohne Tor bleibt, werden die Feinde eine günstige Gelegenheit bekommen. Lasst einen, wer es auch immer sei, töten und von einem andern kundigen Brahmanen das Opfer darbringen und das Tor errichten!“

Darauf fragte der König: „Gibt es aber hier einen weisen Brahmanen, der dem Lehrer ähnlich ist?“ Man gab zur Antwort: „Es gibt einen, o Fürst, nämlich einen Schüler Takkariya. Gebt diesem das Amt des Hauspriesters und lasst durch ihn am Tore des Glück bringende Opfer ausführen.“ Der König ließ ihn zu sich rufen, erwies ihm große Ehrung, übertrug ihm das Amt des Hauspriesters und befahl ihm dann, so zu tun.

Mit großem Gefolge zog Takkariya nach dem Stadttor. Den Hauspriester brachte man nach dem Befehle des Königs gebunden daher. Darauf ließ das große Wesen an der Stelle, wo das Tor errichtet werden sollte, eine Grube graben und ein Zelt ringsumher aufschlagen; er selbst stellte sich mit seinem Lehrer in das Zelt hinein. Der Lehrer betrachtete die Grube, und da er keinen Beistand für sich sah, sagte er: „Mein Zweck war schon erfüllt; infolge meiner Torheit aber vermochte ich nicht, meinen Mund zu halten, und sagte es rasch dem schlechten Weibe. So habe ich mir durch mich selbst den Tod gebracht.“ Und indem er das große Wesen anredete, sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Ich sagt', ich Tor, was ich nicht sagen sollte,

so wie der Frosch im Wald anruft die Schlange.

Takkariya [13], in diese Grube stürz ich;

denn nicht ist 's gut, wenn man zur Unzeit redet.“

Mit ihm redend sprach der Bodhisattva folgende Strophe:

§2. „Der Mensch, der so zur Unzeit redet, kommt

zu solchem Tod, zu Schmerzen und zu Jammer.

Dich selber nur darfst du darüber tadeln,

dass man dich, Lehrer, in die Grube gräbt.“

Nach diesen Worten fügte er hinzu: „O Lehrer, durch das Nichtbehüten der Zunge bist nicht nur du ins Unglück gestürzt, sondern auch noch andere stürzten hinein.“ Dies zeigte er ihm, indem er ihm folgende Begebenheit aus der Vergangenheit erzählte:

 

(§B2. ohne Titel)

Früher lebte zu Benares einmal eine Dirne namens Kali; diese hatte einen Bruder mit Namen Tundila. Für jeden Tag erhielt Kali tausend Geldstücke. Tundila aber war ein Weiberlump, ein Branntweinlump und ein Würfellump. Sie gab ihm Geld; er aber vergeudete alles, was er erhielt. Obwohl sie ihn davon zurückzuhalten suchte, war sie nicht dazu im Stande. — Als er eines Tages wieder beim Spiele verloren hatte, gab er seine Kleider her, mit denen er angetan war, und kam nur mit einem Stück eines Mattenstoffes umhüllt in das Haus seiner Schwester. Sie hatte aber ihren Dienerinnen folgende Anweisung gegeben: „Wenn Tundila kommt, so gebet ihm nichts, sondern packt ihn am Halse und werft ihn hinaus.“ Jene taten also; er aber blieb weinend vor der Türe stehen.

Ein Großkaufmannssohn aber, der beständig Kali tausend Geldstücke zu bringen pflegte, sah ihn an diesem Tage und fragte ihn: „Warum weinst du, Tundila?“ Dieser antwortete: „Gebieter, als ich im Würfelspiel verloren hatte, ging ich zu meiner Schwester hin; aber ihre Dienerinnen packten mich am Halse und warfen mich hinaus.“ Der andere versetzte: „Bleibe also hier stehen; ich will es deiner Schwester erzählen.“ Er ging hin und sagte ihr: „Dein Bruder steht draußen, nur mit einem Stück Mattenstoff umhüllt; warum gibst du ihm keine Kleider?“ Sie erwiderte: „Ich gebe ihm jetzt keine; wenn aber du Lust hast, so gib du ihm!“

In diesem Dirnenhause aber herrschte folgendes Verfahren: Von den gebrachten tausend Geldstücken gehörten fünfhundert der Dirne und die anderen fünfhundert waren der Preis für Gewänder, wohlriechende Substanzen und Kränze. Wenn die Männer kamen, so zogen sie sich die Gewänder an, die sie in diesem Hause erhielten, und verbrachten so die Nacht. Wenn sie dann am folgenden Tage fortgingen und sich anzogen, bekleideten sie sich wieder mit den Gewändern, die sie mitgebracht hatten, und entfernten sich. Darum zog der Großkaufmannssohn das ihm von jener gegebene Gewand an und ließ seine eigenen Kleider dem Tundila geben. Dieser zog sie an und ging schreiend in das Branntweinhaus.

Kali aber gab ihren Dienerinnen den Befehl: „Morgen, wenn er weggeht, nehmt ihm die Kleider weg!“ Als er daher fortgehen wollte, liefen sie von allen Seiten auf ihn zu, nahmen ihm, als wenn sie ihn ausplündern wollten, seine Kleider fort und schickten ihn nackt fort mit den Worten: „Gehe jetzt, Prinz!“ Er musste nackt fortgehen, die Leute aber lachten ihn aus. Deshalb schämte er sich und klagte: „Ich allein bin daran schuld; ich konnte ja den Mund nicht halten.“

Um dies zu zeigen sprach der Bodhisattva [14] folgende dritte Strophe:

§3. „‘Was brauchte ich den Tundila zu fragen?         

Tu Kalika dem Bruder, was sie wolle!

Nackt bin ich jetzt, mein Kleiderpaar verlor ich.’

Dies bracht' denselben Nutzen wie jetzt dir.“

 

(§B3. ohne Titel)

Noch eine andere Geschichte: Als einmal zu Benares infolge der Unachtsamkeit der Ziegenhirten auf der Weide zwei Böcke miteinander kämpften, dachte ein Gabelschwanz [15]: „Diese werden sich jetzt die Köpfe spalten und sterben; fürwahr, ich werde sie zurückhalten!“ Er sagte zu ihnen: „Onkel, kämpfet nicht“, und suchte sie dadurch zurückzuhalten. Als sie nicht auf seine Worte achteten, sondern weiterkämpften, setzte er sich auf ihren Rücken und Kopf und flehte sie an. Da er sie aber auch so nicht abhalten konnte, sagte er: „So tötet mich, wenn ihr weiter kämpfen wollt“; und er flog zwischen ihre Köpfe hinein. Die beiden Tiere aber stießen immer aufeinander. Der Vogel wurde wie in einem Mörser zerdrückt und fand so nur durch sein eigenes Tun seinen Untergang.

Um diese zweite Geschichte zu erläutern, sprach der Bodhisattva folgende vierte Strophe:

§4. „Der Gabelschwanz, der ohne selbst zu kämpfen

hineinflog zwischen die kämpfenden Böcke,

wurde zermalmt dort durch der Böcke Köpfe;

dies bracht' denselben Nutzen wie jetzt dir.“

 

(§B4. ohne Titel)

Noch eine andere Erzählung: Einst sahen Bewohner von Benares eine von den Rinderhirten wohl behütete Fächerpalme. Um die Früchte zu bekommen, ließen sie einen den Baum hinaufsteigen. Während aber dieser die Früchte herabwarf, kam eine schwarze Schlange aus einem Ameisenhaufen heraus und kletterte am Baum hinauf; und obwohl die unten Stehenden sie mit Stöcken usw. schlugen, konnten sie dieselbe nicht zurückhalten. Sie riefen deshalb dem andern zu: „Eine Schlange klettert am Baum hinauf!“ Dieser stieß voll Furcht ein lautes Geschrei aus. Darauf fassten die unten Stehenden ein festes Tuch an den vier Ecken und riefen jenem zu: „Lass dich in dies Tuch herunterfallen!“ Er fiel beim Herunterstürzen zwischen die vier Leute auf die Mitte des Tuches; durch die Kraft seines Sturzes aber konnten sie nicht stehen bleiben, sondern stießen mit ihren Köpfen aneinander, so dass sie sich die Köpfe zerschmetterten und sterben mussten.

Um dies zu erläutern, sprach der Bodhisattva folgende fünfte Strophe:

§5. „Es fassten die vier Leut' ein festes Tuch,

und da sie einen Mann erretten wollten,

lagen sie alle mit zerstoßnem Kopfe.

Dies bracht' denselben Nutzen wie jetzt dir.“

 

(§B5. ohne Titel)

Etwas anderes [16]! Wilddiebe, die zu Benares wohnten, stahlen bei Nacht eine Ziege und wollten sie im Walde verzehren. Damit sie nicht schreien konnte, verbanden sie ihr das Maul und versteckten sie in einem Bambusdickicht. Als sie am nächsten Tage hingingen, um sie zu verzehren, vergaßen sie, ein Messer mitzunehmen. An ihrem Ziele angekommen sagten sie: „Lasst uns die Ziege töten, das Fleisch braten und es verzehren; bringt ein Messer herbei!“ Als sie aber bei niemandem ein Messer fanden, dachten sie: „Ohne ein Messer kann man sie nicht töten und ihr Fleisch erhalten“; und sie ließen das Tier frei mit den Worten: „Lasset sie los; es ist ein Verdienst von ihr.“ — Damals aber hatte ein Bambusarbeiter dort Bambus geholt, und da er nochmals kommen und holen wollte, versteckte er sein Bambusarbeitermesser in den Bambusblättern und ging fort. Die Ziege aber, erfreut, dass sie frei war, spielte am Fuße des Bambus; dabei stieß sie mit ihren Hinterfüßen an das Messer, dass es zu Boden fiel. Als die Diebe den Klang des Messers hörten, suchten sie danach und fanden es auch. Hocherfreut töteten sie jetzt die Ziege und verzehrten ihr Fleisch. — Um nun zu zeigen, dass auch die Ziege nur durch ihr eignes Tun ihren Tod gefunden habe, sprach der Bodhisattva folgende sechste Strophe:

§6. „'ne Ziege, die in einem Bambusdickicht war

gebunden, stieß beim Hüpfen an ein Messer.

Mit diesem schnitten sie den Hals ihr ab.

Dies bracht' denselben Nutzen wie jetzt dir.“

 

(§B6. ohne Titel)

Nach diesen Worten aber sagte der Bodhisattva: „Die wenig Redenden aber, die ihre Worte zurückhalten, werden von Todesnot befreit“; und um dies zu beweisen, erzählte er folgende Geschichte von den Feen:

Ein zu Benares wohnender junger Jäger ging in das Himalaya-Gebirge und fing dort durch eine List ein Feenpaar, einen Mann und eine Frau, die er dem Könige brachte. Als der König diese noch nie gesehenen Feen sah, fragte er: „Jäger, was ist ihre Kunst?“ Dieser antwortete: „O Fürst, diese singen mit süßer Stimme und sie tanzen anmutig; Menschen verstehen nicht so zu singen und zu tanzen.“ Der König gab dem Jäger viel Geld und sprach dann zu dem Feenpaare: „Singet, tanzet!“ Doch diese dachten: „Wenn wir bei unserm Singen den Sinn des Gesanges nicht völlig klar machen können [17], so ist es schlecht gesungen; man wird uns tadeln und töten. Wenn wir aber viel sagen, so wird es eine Unwahrheit werden.“ Und aus Furcht vor der Lüge sagten sie nichts, obwohl sie immer wieder vom Könige dazu aufgefordert wurden, und tanzten auch nicht.

Da befahl zornig der König: „Tötet sie, bratet ihr Fleisch und bringt es mir!“ Und er sprach folgende siebente Strophe:

§7. „Nicht sind dies Götter oder Musikantensöhne [18],

Tiere sind es, gebracht wegen des Lohnes!

Das eine soll man mir zum Nachtmahl braten,

das andre soll man braten mir zum Frühstück.“

Da dachte das Feenweibchen: „Der König ist zornig, ohne Zweifel wird er uns töten. Jetzt ist es Zeit zu reden.“ Und es sprach folgende weitere Strophe:

§8. „Von schlechten Liedern sind auch hunderttausend

nicht einen Teil wert eines guten Liedes.

Ein schlechtes Lied erachtet man als Sünde;

deshalb bleibt still die Fee und nicht aus Torheit.“

Befriedigt über das Feenweibchen sprach der König folgende weitere Strophe:

§9. „Die mir Bescheid gab, lasset diese los,

man soll sie nach dem Himalaya führen.

Doch diesem sei der Untergang bereitet;

am Morgen brate man ihn mir zum Frühmahl!“

Als das Feenmännchen des Königs Worte vernahm, dachte es: „Dieser wird mich, wenn ich nicht rede, sicherlich töten lassen. Jetzt kommt es mir zu zu reden.“ Und er sprach folgende andere Strophe:

§10. „Vom Regen hängen ab die Saaten,

von Tieren hängen ab die Menschen,

von dir häng ich ab, großer König,

von mir hängt wieder ab die Gattin.

Wenn von uns beiden eins ist tot,

mag 's andre frei zum Berge ziehen [19].“

Nach diesen Worten aber erklärte es: „O Großkönig, nicht weil wir nicht nach deinen Worten tun wollten, waren wir still, sondern wir redeten nichts, weil wir den Fehler des Redens einsahen.“ Und es sprach folgendes Strophenpaar:

§11. „Fürwahr, nicht leicht ist Tadel zu vermeiden,

verschiednen Leuten muss man folgen, Fürst;

bei wem der eine sich nur Lob erwirbt,

bei dem ein andrer wieder findet Tadel.

 

§12. Denn alle Welt denkt schlecht von andrer Denken [20],

an eignem Denken freut sich jedermann;

verschieden ist das Denken aller Wesen;

warum soll ich mich hier nach andren richten?“

Der König dachte: „Er sagt nur die Wahrheit, weise ist der Feenmann“; voll Wohlgefallen sprach er folgende Schlussstrophe:

§13. „Still blieb der Feenmann und seine Gattin.

Er, der jetzt antwortet aus Todesfurcht,

er ist jetzt frei und glücklich und gesund;

die Rede nur bringt Nutzen für die Männer.“

Darauf ließ der König die beiden Feen in einem goldenen Käfig niedersetzen, rief den Jäger zu sich und befahl ihm, sie fortzutragen, indem er sagte: „Gehe und lasse sie an dem Orte, wo du sie fingest, wieder frei!“ —

 

(§B7. ohne Titel)

Das große Wesen aber fügte hinzu: „Sieh, Lehrer, so wurden die Feen, nachdem sie ihre Rede zurückgehalten hatten, durch ihre zur passenden Zeit gesprochenen weisen Worte befreit; du aber bist durch deine üblen Worte in großes Unglück gestürzt.“ Nachdem er ihm dies so durch ein Beispiel gezeigt, tröstete er ihn mit den Worten: „Lehrer, fürchte dich nicht; ich werde dir das Leben schenken.“ Der Hauspriester versetzte: „Könnt Ihr mich aber auch retten?“ Indem aber der Bodhisattva sagte: „Die Konstellation ist noch nicht erreicht“, brachte er den ganzen Tag hin.

Zeit der mittleren Nachtwache ließ er dann einen toten Widder herbeibringen und schickte, ohne jemand etwas merken zu lassen, jenen fort mit den Worten: „Brahmane, gehe irgendwohin und lebe dort!“ Darauf brachte er mit dem Fleische des Widders das Opfer dar und ließ darüber das Tor errichten.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, fügte er hinzu: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon kam Kokalika durch seine Zunge zu Schaden“, und verband hierauf das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Lohfarbige Kokalika, der weise Takkariya aber war ich.“

Ende der Erzählung von Takkariya


[1] Sariputta und Mogallana.

[2] D. h. das Land, in dem Kokalika, der Anhänger des Devadatta, gerade wohnte.

[3] Der Früchte des vierfachen Weges; vgl. oben Jataka 472 Anm. 2. [Bekehrung, einmalige Rückkehr, Nichtrückkehr und Heiligkeit.]

[4] Die große Beichtfeier am Ende der Regenzeit: vgl. „Leben des Buddha“, S. 352.

[5] Beluva ist der Vilva-Baum, Aegle marmelos.

[6] Der frühere Lehrer des Kokalika war also wegen seiner Verdienste als ein Brahma-Engel wiedergeboren worden.

[7] Er hatte also die dritte Stufe der Heiligkeit erreicht. Kokalika aber glaubt dies nicht, weil er ihm nochmals erscheint.

[8] Auf Deutsch: „Lotoshölle“, eine sonst nicht erwähnte von den 128 Höllen, die man im Ganzen annahm.

[9] Der eigentliche Gott Brahma; vgl. „Leben des Buddha“, S. 341 u. 353.

[10] Wie aus der Erzählung hervorgeht, ist Pingala hier kein Eigenname, sondern Adjektiv.

[11] Wie schon Rouse bemerkt, muss nach „va“ ein Punkt stehen.

[12] Er bezeichnet also seine Frau, um sie zu beschimpfen, als ein Weib aus der niedrigsten Kaste.

[13] Im Texte steht die weibliche Form; die Erklärung des Kommentators ist ganz unbefriedigend.

[14] Die redende Person ist nicht angegeben, doch ergibt sie sich aus der Vergleichung mit den nächsten Strophen. Die drei ersten Verse der Strophe selbst sind als Worte des Jünglings aufzufassen, obwohl Fausböll dies nicht durch die Interpunktion kennzeichnet. Auch die Übersetzung von Rouse entspricht nicht ganz dem wirklichen Sinne der Strophe.

[15] Eigentlich: „der gabelschwänzige Würger“. Das Wort bezeichnet allerdings auch den Sperling; vgl. Jataka 425 Strophe 10.

[16] Zur folgenden Erzählung zitiert Rouse eine Parallele aus dem zur Zeit Hadrians lebenden Paroemiographen Zenobios, die genau dieselbe Pointe hat.

[17] Sie sind gewohnt, wie es bei Sentenzen Brauch ist, mit wenig Worten viel zu sagen.

[18] D. h. Kinder der Gandharvas, der himmlischen Musikanten.

[19] So erklärt die Stelle der Kommentator und auch Rouse fasst es ähnlich auf. Ich muss gestehen, dass mich diese Deutung von „dvinnam annataram natva“ durchaus nicht befriedigt; doch finde ich keine bessere.

[20] Nach der Lesart einer Handschrift: „paracitte“.


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