Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

459. Die Erzählung von dem Wasser (Paniya-Jataka)

„Als Freund des Freundes Wasser“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Unterdrückung der sinnlichen Lust. Zu einer Zeit nämlich hatten fünfhundert miteinander befreundete Laien, die zu Savatthi wohnten, die Predigt des Vollendeten gehört, waren Mönche geworden und hatten die Weihe erhalten; sie wohnten in dem Kloster, dessen Boden mit Millionen von Goldstücken belegt war [1]. Zur Mitternachtszeit aber befiel sie alle ein unreiner Gedanke; das übrige ist, wie oben schon ausgeführt [2].

Als aber auf Befehl des Erhabenen von dem ehrwürdigen Ananda die Mönchsgemeinde versammelt worden war und der Meister sich auf seinem geschmückten Sitze niedergelassen hatte, redete er nicht ausdrücklich davon und sagte nicht: „Ihr habt einem Lustgedanken nachgedacht“, sondern indem er sie alle zusammenfasste, sprach er: „Ihr Mönche, eine kleine Befleckung gibt es nicht; sobald eine Befleckung an den Mönch herankommt, muss er sie unterdrücken. In der Vorzeit, als der Buddha noch nicht erschienen war, unterdrückten die Weisen die Befleckung und erreichten dadurch die Erkenntnis der Teilerleuchtung [3].“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, gingen in einem Dorfe im Königreiche Kasi zwei Freunde mit Wassertöpfen auf das Feld und stellten sie beiseite. Wenn sie bei der Bearbeitung des Feldes Durst bekamen, kamen sie herbei und tranken Wasser. Als nun einer von ihnen herbeikam, um Wasser zu trinken, hob er sich sein eigenes Wasser auf und trank von dem Wasser des andern. Nachdem er am Abend den Wald verlassen und sich gebadet hatte, überlegte er, während er so dastand: „Habe ich heute durch die Organe des Körpers usw. etwas Böses getan?“ Da fiel ihm ein, dass er gestohlenes Wasser getrunken hatte. Voll Reue dachte er: „Wenn diese Gier wächst, wird sie mich in die Hölle hinabschleudern; ich werde diese Lust unterdrücken!“ Und indem er diesen gestohlenen Trunk zum Ausgangspunkt nahm, stärkte er seine übernatürliche Einsicht, erlangte die Erkenntnis der Teilerleuchtung und blieb stehen, indem er über die gewonnene Erkenntnis nachdachte.

Als sich nun der andere vom Bade erhoben hatte, sagte er zu ihm: „Komm, Lieber, wir wollen nach Hause gehen.“ Dieser antwortete: „Gehe nur; ich bedarf des Hauses nicht mehr, wir sind ein Paccekabuddha.“ Der erste versetzte: „So wie du sind ja die Paccekabuddhas!“ „Aber wie sind sie denn?“, fragte der andere. „Sie tragen ihre Haare zwei Zoll lang, sind in dunkelgelbe Gewänder gekleidet und wohnen im nördlichen Himalaya in der Nandamula-Berghöhle“, war die Antwort. Da berührte jener sein Haupt und in demselben Augenblick verschwand sein Laienaussehen: er trug ein doppeltes Gewand von schön roter Farbe [4], einem Blitze glich das um seinen Körper geschlungene Gürtelband, von der Farbe roten Lacks war sein Obergewand, das er an der einen Schulter befestigt hatte, wolkenfarbig war sein aus gesammelten Lumpen hergestelltes Gewand, das er auch auf der Schulter trug, bienenfarbig war die Almosenschale aus Ton, die an der linken Schulter hing. Er stellte sich in die Luft und verkündigte dem andern die Wahrheit; dann flog er in die Höhe und stieg bei der Nandamula-Berghöhle wieder auf die Erde herab.

Der andere blieb Gutsbesitzer in seinem Dorfe im Reiche Kasi. Als er einmal in einem Laden saß, sah er einen Mann mit seiner Frau daherkommen. Er schaute die Frau, die von außerordentlicher Schönheit war, an und verletzte so seine sittlichen Grundsätze. Dann dachte er wieder bei sieh: „Wenn diese Begierde wächst, wird sie mich in die Hölle hinabwerfen.“ Voll Reue stärkte er seine übernatürliche Einsicht, erlangte die Kenntnis der Teilerleuchtung und lehrte in der Luft stehend die Wahrheit. Hierauf begab auch er sich nach der Berghöhle Nandamula.

Es machten aber auch zwei Bewohner eines Dorfes in Kasi, Vater und Sohn, zusammen einen Weg; am Rande des Waldes aber befanden sich Räuber. Wenn diese Vater und Sohn fingen, so hielten sie den Sohn fest und ließen den Vater los mit dem Auftrage, er solle Geld herbeibringen und dafür seinen Sohn zurücklassen. Wenn sie zwei Brüder gefangen hatten, behielten sie den jüngeren zurück und ließen den älteren frei; wenn sie Lehrer und Schüler gefangen hatten, so behielten sie den Lehrer zurück; aus Begierde nach der Unterweisung brachte dann der Schüler Geld herbei und erhielt dafür seinen Lehrer zurück.

Als aber die beiden, Vater und Sohn, merkten, dass sich dort Räuber befänden, verabredeten sie untereinander: „Sage du nicht Vater zu mir, ich werde dich auch nicht Sohn nennen.“ Da nun die beiden von den Räubern ergriffen und gefragt wurden: „Was seid ihr einander?“, antworteten sie: „Wir sind nicht miteinander verwandt“, und brachten so ihre verabredete Lüge vor. Als sie aber aus dem Walde herausgekommen waren und sich am Abend gebadet hatten, dachte der Sohn über die Bewahrung seiner Tugend nach. Da merkte er, dass er gelogen hatte, und dachte: „Dies Übel wird, wenn es anwächst, mich noch in die Hölle hinabschleudern; ich werde diese Befleckung überwinden!“ Er stärkte seine übernatürliche Einsicht, erlangte die Erkenntnis der Teilerleuchtung und verkündigte in der Luft stehend seinem Vater die Wahrheit; dann begab auch er sich nach der Berghöhle Nandamula.

In einem Dorf im Reiche Kasi aber hatte ein Dorfvorsteher das Töten von Tieren verboten. Als nun die Zeit kam, wo sonst den Geistern Opfer dargebracht wurden, versammelten sich viele Leute und sagten: „Herr, wir wollen Gazellen, Schweine und andere Tiere töten und den Dämonen eine Opfergabe darbringen; es ist jetzt die Zeit für das Opfer.“ Er antwortete: „Tut, wie ihr sonst gewohnt waret.“ Darauf veranstalteten die Leute eine große Tiertötung. Als aber der Vorsteher das viele Fleisch von Fischen und anderen Tieren sah, dachte er: „Diese Leute, die so viele lebenden Wesen töteten, haben dies nur auf meine Veranlassung hin getan.“ Er machte sich Vorwürfe und noch neben dem Fenster stehend [5] stärkte er seine übernatürliche Einsicht und erlangte die Erkenntnis von der Teilerleuchtung. Er erhob sich in die Luft, verkündigte die Wahrheit und begab sich gleichfalls nach der Berghöhle Nandamola.

Ein anderer Dorfvorsteher im Reiche Kasi hatte den Verkauf von berauschenden Getränken verboten. Als ihm aber viele Leute sagten: „Herr, früher war zu dieser Zeit das Branntweinfest; was sollen wir tun?“, da antwortete er ihnen: „Tut es, wie ihr früher gewohnt waret.“ Die Leute feierten also ihr Fest und tranken Branntwein; dabei gerieten sie in Streit, schlugen sich Hände und Füße ab, zerschlugen sich die Köpfe, schnitten sich die Ohren ab und verfielen dadurch in viele Strafen. Als sie der Dorfvorsteher sah, dachte er: „Wenn ich nicht meine Zustimmung gegeben hätte, hätten sie nicht solches Unglück erlitten.“ Darüber machte er sich Vorwürfe; er stärkte seine übernatürliche Einsicht und erlangte die Erkenntnis von der Teilerleuchtung. In der Luft stehend sagte er den Leuten: „Seid eifrig im Guten“, verkündigte ihnen die Wahrheit und begab sich auch nach der Berghöhle Nandamula.

In der Folgezeit stiegen einmal die fünf Paccekabuddhas, um Almosen zu erhalten, am Tore von Benares aus der Luft herab und gelangten, indem sie unten und oben wohl gekleidet mit anmutiger Gangart daher wandelten, bis an das Tor des königlichen Palastes. Als der König sie sah, ließ er sie voll Freude in seinen Palast eintreten, wusch ihnen die Füße, beträufelte sie mit duftendem Öle und bewirtete die Weisen mit vorzüglicher fester und flüssiger Speise. Dann setzte er sich ihnen zur Seite und fragte: „Ihr Herren, eure Weltflucht in diesem frühen Alter verbreitet hellen Glanz. Da ihr schon in diesem Alter die Welt verließet, sahet ihr den Nachteil, der in den Lüsten liegt. Was bildete für euch den Ausgangspunkt?“ Darauf sprachen die Weisen, um ihm zu antworten, der Reihe nach folgende fünf Strophen [6]:

§1. „Als Freund des Freundes Wasser trank ich,

das er mir nicht gegeben hatte;

darob empfand ich nachher Reue.

Dies Übel habe ich begangen;

dass ich die Sünde nicht mehr tue,

darum hab ich die Welt verlassen.“

 

§2. „Da eines andern Weib ich sah,

befiel mich sinnliches Verlangen;

darob empfand ich später Reue.

Dies Übel habe ich begangen;

dass ich die Sünde nicht mehr tue,

darum hab ich die Welt verlassen.“

 

§3. „Den Vater mein, o großer König,

die Räuber fingen in dem Walde;

als sie mich fragten, gab ich ihnen

Bescheid wider mein bess'res Wissen;

darob empfand ich später Reue.

Dies Übel habe ich begangen;

dass ich die Sünde nicht mehr tue,

darum hab ich die Welt verlassen.“

 

§4. „Viel Tiere töteten die Leute,

als wiederkehrt' ein Opferfest;

ich gab dazu die Zustimmung;

darob empfand ich später Reue.

Dies Übel habe ich begangen;

dass ich die Sünde nicht mehr tue,

darum hab ich die Welt verlassen.“

 

§5. „Die Leute, die Gefallen fanden

an Branntwein und Spirituosen,

ein Branntweintrinken sie begannen

zu vieler Leute großem Schaden.

Ich gab dazu Erlaubnis ihnen;

darob empfand ich später Reue.

Dies Übel habe ich begangen;

dass ich die Sünde nicht mehr tue,

darum hab ich die Welt verlassen.“

Als aber der König die Antwort jedes einzelnen hörte, antwortete er: „Herr, diese Weltflucht ist gerade für Euch passend“, und lobte sie.

Nachdem der König von ihnen die Wahrheit vernommen, gab er ihnen befriedigten Herzens Gewänder und Heilmittel; dann entließ er die Paccekabuddhas. Diese brachten ihm ihre Danksagung dar und entfernten sich. —

Von da an verlor der König den Gefallen an weltlichen Freuden und wurde frei von Leidenschaften. Nachdem er sein Mahl von höchstem Wohlgeschmack verzehrt, erhob er sich, ohne seine Frauen anzureden oder anzuschauen, mit lustbefreitem Sinn und ging in sein fürstliches Schlafgemach hinein. Hier machte er die weiße Wand zum Mittel zur Herbeiführung der Ekstase [7] und erlangte auch wirklich die Fähigkeit der Ekstase. Als er aber in Ekstase verfallen war, sprach er, um die Lüste zu tadeln, folgende Strophe:

§6. „Pfui über diese vielen Lüste,

die übel riechend, voll von Dornen;

solang ich ihnen huldigte,

empfand noch nie ich solches Glück.“

Seine erste Gemahlin aber dachte bei sich: „Nachdem unser König die Worte der Paccekabuddhas vernommen, ist er unbefriedigt aussehend, ohne mit uns zu reden, in sein Schlafgemach hineingegangen; ich will ihn auf die Probe stellen.“ Sie ging an die Tür des Schlafgemaches hin, blieb an der Tür stehen und hörte den begeisterten Ausruf des Königs, wie er die Lüste tadelte. Da sagte sie: „O Großkönig, du tadelst die Lüste; es gibt aber kein Glück, das dem Glücke der Lüste gliche!“ Und indem sie die Lüste pries, sprach sie folgende andere Strophe:

§7. „Lust ist die größte Seligkeit,

es gibt kein größres Glück als Lust;

wer sich den Lüsten hat ergeben,

der geht dann in den Himmel ein.“

Als dies der Bodhisattva hörte, antwortete er: „Geh zugrunde, schlechtes Weib! Was sagst du da? Wo ist denn das Glück, das in den Lüsten liegt? Unglück haben sie zur Folge!“ Und um sie zu tadeln, sprach er die folgenden übrigen Strophen:

§8. „Unschmackhaft ist die Lust, ein Unglück,

kein größres Unglück gibt 's als Lust;

wer sich den Lüsten hat ergeben,

der kommt dafür hinab zur Hölle.

 

§9. Wie scharf geschliffen ist ein Schwert,

ein mitleidloses, fein geglättet,

wie ein ins Herz geworfner Speer:

die Lust ist schlimmer noch als dies.

 

§10. Wie eine Grube voll von Kohlen

in helle Glut ein Mann versetzt,

wie eine Pflugschar sonnverbrannt:

die Lust ist schlimmer noch als dies.

 

§11. Wie starkes Halahala-Gift,

wie Öl, das ausgezogen wird,

wie Grünspan, der am Kupfer haftet:

die Lust ist schlimmer noch als dies.“

Nachdem so der Bodhisattva seiner Gattin die Wahrheit verkündigt hatte, versammelte er seine Minister um sich und sprach: „He, ihr Minister, übernehmet ihr die Regierung; ich werde die Welt verlassen.“ Und während viel Volks klagte und weinte, erhob er sich in die Luft, gab ihnen noch eine Ermahnung und begab sich auf dem Pfade des Windes nach dem nördlichen Himalaya. Hier erbaute er sich an einem reizenden Fleckchen eine Einsiedelei, betätigte die Weltflucht der Weisen und gelangte am Ende seines Lebens in die Brahmawelt.

 

§A2. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, fügte er hinzu: „Ihr Mönche, eine kleine Befleckung gibt es nicht; unablässig muss sie der Weise unterdrücken.“

 

§C. Dann verkündigte er die Wahrheiten und verband das Jataka (am Ende der Wahrheitsverkündigung aber gelangten die fünfhundert Mönche zur Heiligkeit) mit folgenden Worten: „Damals gingen die Paccekabuddhas zum völligen Nirvana ein, die Fürstin war die Mutter Rahulas, der König aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Wasser


[1] Zu diesem Ausdruck vgl. die Erzählung in „Leben des Buddha“, S. 147.

[2] Nämlich im Jataka 305 und Jataka 408.

[3] Wörtlich „die Erleuchtung des Paccekabuddha“. Diese hat denselben Inhalt wie die des Buddha selbst, nur wird sie nicht anderen verkündigt.

[4] Rotgelb oder rot sind die Gewänder der buddhistischen Mönche.

[5] Neben dem Fenster, von dem aus er die getöteten Tiere betrachtet hatte.

[6] Es ist natürlich Absicht, dass in jeder der fünf Strophen eine andere der fünf Hauptsünden für den Buddhisten erwähnt ist.

[7] Als äußeres Mittel zur Herbeiführung eines ekstatischen Zustandes diente das Anstarren von glänzenden Körpern.


  Oben zeilen.gif (1054 bytes)