Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

391. Die Erzählung von der Fahnenverletzung (Dhajavihetha-Jataka) [1]

„Den schlecht Aussehenden“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Wandel zum Heile der Welt.

§D. Die Begebenheit wird im Mahakanha-Jataka [Jataka 469] erzählt werden.

Damals aber sprach der Meister: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon wandelte der Vollendete zum Heile der Welt.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva der Gott Sakka. Damals nun wandte ein Zauberkundiger seinen Zauber an, begab sich um die Mitternachtszeit zur ersten Gemahlin des Königs von Benares und sündigte mit ihr. Ihre Dienerinnen aber bemerkten es. Jene ging von selbst zum König hin und sagte: „O Fürst, ein Mann ist um Mitternacht in das fürstliche Schlafgemach eingedrungen und hat mich missbraucht.“ Er erwiderte: „Wirst du im Stande sein, an ihm ein Kennzeichen anzubringen?“ „Ja, ich kann es, o Fürst“, antwortete sie. Darauf ließ die Königin eine Schale mit echter Scharlachfarbe hereinbringen; als nun jener Mann bei Nacht kam und sich, nachdem er sich erfreut hatte, wieder entfernte, machte sie auf seinen Rücken einen Abdruck ihrer fünf Finger und meldete dies dem Könige.

Der König gab hierauf seinen Leuten folgenden Auftrag: „Gehet hin, sucht in allen Richtungen nach und nehmt den Mann gefangen, der auf dem Rücken die Spuren von echtem Scharlach trägt.“ Nachdem aber der Zauberkundige bei Nacht Unzucht getrieben hatte, stellte er sich bei Tage, nur auf einem Fuße stehend, auf ein Leichenfeld und verehrte die Sonne. Als ihn die Leute des Königs sahen, umringten sie ihn. Da dachte er: „Diese kennen die Tat, die ich getan“; er wandte seinen Zauber an und flog durch die Lüfte davon.

Als nun die Leute zurückkehrten, nachdem sie ihn gesehen, fragte sie der König: „Sahet ihr ihn?“ „Ja, wir sahen ihn“, war die Antwort. „Wer ist es?“ „Ein Weltflüchtling, o Fürst“ Da dachte der König: „Bei Tage gehen sie in Asketenkleidung umher und bei Nacht treiben sie Unzucht“, und er wurde zornig auf die Asketen. Er nahm die falsche Lehre an und ließ mit Trommelschlag verkünden: „In meinem Reiche sollen alle Weltflüchtlinge sich aus dem Staube machen; wen man auch immer findet, an dem soll man die Königsstrafe vollziehen.“ —

Da entflohen alle Asketen aus dem dreihundert Yojanas messenden Reiche von Kasi und begaben sich nach den Städten anderer Könige. Im ganzen Königreiche Kasi gab es nicht einen einzigen tugendhaften Asketen oder Brahmanen mehr, der den Menschen Ermahnungen gegeben hätte. Ohne Ermahnung wurden die Menschen grausam; sie wandten sich ab vom Almosen Spenden und vom Halten der Gebote und wurden, wenn sie starben, nur noch in der Hölle wiedergeboren, im Himmel aber gab es keine neuen Bewohner.

Als nun Gott Sakka keine neuen Götter mehr sah, dachte er über den Grund hiervon nach; da bemerkte er, dass der König von Benares wegen des Zauberkundigen in Zorn geraten sei, eine falsche Lehre angenommen und alle Weltflüchtlinge aus seinem Reiche verjagt habe. Er dachte: „Außer mir ist niemand im Stande, den falschen Glauben dieses Königs zu zerstören; ich will für den König und die Bewohner seines Reiches eine Hilfe werden.“

Darauf begab er sich in die Berghöhle Nandamula zu den Paccekabuddhas [3] und sprach: „Ihr Herren, gebt mir einen hochbetagten Paccekabuddha; ich will das Reich Kasi bekehren.“ Er erhielt einen vollendeten Thera [4]. Darauf nahm er dessen Almosenschale und Oberwand, ließ ihn vorausgehen und folgte selbst hinterdrein; auch faltete er über seinem Haupte die Hände. Indem er so dem Paccekabuddha Verehrung erwies, wandelte er in der Gestalt eines mit höchster Schönheit ausgestatteten Brahmanenjünglings dreimal um die Enden der ganzen Stadt, begab sich dann nach dem Tore des königlichen Palastes und blieb dort in der Luft stehen.

Man meldete dem Könige: „O Fürst, ein schöner Brahmanenjüngling hat einen Asketen herbeigebracht und steht am Tore des königlichen Palastes in der Luft.“ Da erhob sich der König von seinem Sitze, trat an das Fenster und sagte: „Du junger Brahmane, warum hast du, der du so schön bist, diesem hässlichen Asketen Almosenschale und Obergewand abgenommen und stehst da, indem du ihm Verehrung bezeigst?“ Und indem er ihn so anredete, sprach er zu ihm folgende erste Strophe:

§1. „Den schlecht Aussehenden lässt du, der Schöne,
vorangehn und ehrst ihn mit Händefalten.
Ist besser er als du oder auch ähnlich?
Nenn deinen Namen und auch den des andern.“

Sakka aber erwiderte ihm: „O Großkönig, die Asketen nehmen die Stelle eines Lehrers ein; darum [5] darf ich seinen Namen nicht aussprechen. Meinen Namen aber werde ich dir sagen.“ Und er sprach folgende zweite Strophe:

§2. „Die Götter merken nicht Geschlecht noch Namen
von denen, die gerecht und heilig leben;
doch meinen Namen will ich nennen, König:
Gott Sakka bin ich, Herr der dreißig Götter [4a].“

Als dies der König hörte, fragte er mit der folgenden dritten Strophe nach dem Vorteil, der in der Ehrung eines Mönchs liege:

§3. „Wer einen Mönch sieht, wie er ehrbar wandelt,
und ihn voran lässt gehn, die Hände faltend,
jetzt frag ich dich danach, o Götterkönig:
wenn er gestorben, welches Glück erlangt er?“

Sakka antwortete mit der folgenden vierten Strophe:

§4. „Wer einen Mönch sieht, wie er ehrbar wandelt,
und ihn voran lässt gehn, die Hände faltend,
der findet Lob und Ehr in diesem Leben
und nach dem Tode kommt er in den Himmel.“ —

Als nun der König Sakkas Worte vernommen, legte er seinen falschen Glauben ab und sprach befriedigten Sinnes folgende fünfte Strophe:

§5. „Ein Glück fürwahr ist heute mir geschehen,
dass Vasava, den Herrn der Welt, wir sahen.
Nachdem ich, Sakka, deinen Mönch sah heute,
will ich gar viele gute Werke tun.“

Da dies Sakka hörte, sprach er, um den Weisen zu preisen, folgende sechste Strophe:

§6. „Gewiss fürwahr, die Weisen sind zu ehren,
die Hochgelehrten, die so viel ersinnen.
Nachdem du meinen Mönch gesehen, König,
verrichte jetzt gar viele gute Werke.“

Als dies der König vernahm, sprach er folgende Schlussstrophe:

§7. „Vom Zorne frei, nur Heitres immer denkend,
den Fremden allen ihre Bitt' erfüllend,
den Stolz ablegend will ich dich verehren,
Gott, da ich hörte deine guten Worte.“ —

Nachdem er aber so gesprochen, stieg er von seinem Palaste herab, bezeigte dem Paccekabuddha seine Ehrung und stellte sich ihm zur Seite. Der Paccekabuddha setzte sich in der Luft nieder mit gekreuzten Beinen und sprach: „O Großkönig, der Zauberkundige ist kein Asket; merke dir von jetzt an, die Welt ist nicht leer, sondern es gibt tugendhafte Asketen und Brahmanen. Spende Almosen, halte die Gebote und beobachte die Uposatha-Bestimmungen.“ So ermahnte er den König. Der Gott Sakka aber blieb gleichfalls infolge seiner Macht als Sakka in der Luft stehen; den Stadtbewohnern gab er die Ermahnung: „Strebet von nun an ohne Unterlass“, und ließ durch Trommelschlag überall verkünden, die entflohenen Asketen und Brahmanen sollten zurückkehren. Darauf kehrten die beiden nach Ihrem Aufenthaltsort zurück. Der König aber beharrte bei der Ermahnung und tat gute Werke.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Der damalige Paccekabuddha ging in das völlige Nirvana ein; der König war Ananda, der Gott Sakka aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Fahnenverletzung


[1] Es ist nicht klar, worauf sich der Titel bezieht.

[3] Die Paccekabuddhas, die doch sonst nur als ganz selten und einzeln lebend gedacht sind, werden hier wie andere gewöhnliche Asketen aufgefasst.

[4] Der Ausdruck „sangatthera“ ist mir nicht ganz klar. Mit „sanga“ = „Band“ kann er nicht leicht zusammenhängen; „sanga“ könnte heißen „der Vollendete“, wie oben übersetzt, oder auch „samt seinen Requisiten“.

[4a] Sakka ist eigentlich das Oberhaupt der „Dreiunddreißig“ Götter.

[5] Er stellt sich, als ob er aus Ehrfurcht den Namen des Asketen nicht aussprechen dürfe.


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