Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

375. Die Erzählung von der Taube (Kapota-Jataka) [1]

„Jetzt geht mir 's wohl“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen gierigen Mönch.

§D. Die Begebenheit von der Begierde ist schon öfters ausgeführt worden [1]. —

Ihn aber fragte der Meister: „Ist es wahr, o Mönch, dass du gierig bist?“ Als jener antwortete: „Ja, Herr“, sprach der Meister weiter: „Nicht nur jetzt, o Mönch, sondern auch früher schon bist du infolge deiner Gier ums Leben gekommen.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Taubengeschlechte seine Wiedergeburt. Er wohnte in der Küche des Großkaufmanns von Benares in einem schwarzen Korbe. Eine Krähe aber, die gierig war nach Fischfleisch, schloss Freundschaft mit ihm und wohnte auch daselbst. — Als sie eines Tages dort viel Fischfleisch sah, dachte sie: „Ich will dies verzehren“; und ächzend blieb sie in dem schwarzen Korbe liegen. Als die Taube zu ihr sagte: „Komm, Liebe, wir wollen uns Futter holen“, erwiderte jene: „Ich bleibe liegen wegen meiner Leibschmerzen; gehe du nur“, und ging nicht mit.

Als sich nun die Taube entfernt hatte, dachte sie bei sich: „Mein bitterster Feind ist fort, jetzt werde ich nach Herzenslust Fischfleisch essen können.“ Und sie sprach folgende erste Strophe:

§1. „Jetzt geht mir 's wohl, jetzt bin gesund ich wieder
und ohne Plaggeist; fort ist ja die Taube.
Jetzt werd' ich meinem Herzen Labung schaffen;
denn neue Kraft gibt mir das leckre Fleisch.“

Als daher der Koch das Fischfleisch zubereitet hatte und die Küche verließ, um an seinem Körper den Schweiß zu trocknen, kam die Krähe aus ihrem Korbe hervor und setzte sich auf die Schüssel, in der sich die wohlschmeckende Speise befand. Die Schüssel gab einen klirrenden Ton von sich. Rasch kam nun der Koch herbei, fasste die Krähe und riss ihr alle Federn aus. Dann zerstieß er feuchten Ingwer und weißen Senf, zerrieb es in abgestandener Buttermilch und bestrich damit ihren ganzen Körper. Mit einer Scherbe rieb er sie darauf, bis sie wund wurde, befestigte dieselbe mit einer Schnur an ihrem Halse und warf sodann die Krähe in ihren schwarzen Korb, worauf er sich entfernte.

Als die Taube kam und die Krähe sah, spottete sie: „Wer ist dieser Kranich, der im Korbe meines Freundes liegt? Der Wilde wird ihn töten, wenn er kommt.“ Und sie sprach folgende zweite Strophe:

§2. „Wer ist der Kranich mit dem Schopf,
der Räuber, dessen Ahn die Wolke [1a]?
So komme, Kranich, doch heraus;
gar grausam ist mein Freund, die Krähe [2].“

Als dies die Krähe hörte, sprach sie folgende dritte Strophe:

§3. „So hör doch auf mit deinem Lachen,
da du mich so im Elend siehst.
Die Federn riss der Koch mir aus
und hat den Rücken mir bestrichen.“

Die Taube aber scherzte weiter und sprach folgende vierte Strophe:

§4. „Gar schön gebadet, schön gesalbt,
von Trank und Speise bist du satt,
am Halse hängt dir ein Juwel:
bist nach Benares du gegangen?“

Darauf sprach die Krähe folgende fünfte Strophe:

§5. „Nicht möge, sei es Freund, sei 's Feind,
so einer nach Benares gehen.
Die Federn rupfte man mir aus
und hing mir an den Hals die Scherbe.“

Als dies die Taube hörte, sprach sie folgende Schlussstrophe:

§6. „Noch öfter, Freund, wird dir 's so gehen,
denn von der Art ist dein Benehmen.
Die Speisen, die die Menschen essen,
nicht gut bekommen sie dem Vogel.“

Nachdem sie so die Krähe ermahnt, blieb sie nicht mehr dort, sondern sie breitete ihre Flügel aus und flog anderswohin. Die Krähe aber musste dortselbst sterben.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangte jener gierige Mönch zur Nichtrückkehr): „Damals war die Krähe der gierige Mönch, die Taube aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Taube


[1] Vgl. dazu das Jataka 42 und Jataka 274.

[1a] Siehe Jataka 274 Anm. 2: Der Kommentator erklärt diesen sonderbaren Ausdruck (wörtlich: „dessen Großvater die Wolke ist“) folgendermaßen: Die Kraniche empfangen bei dem Schall des Donners; darum ist der Donner ihr Vater. Der Donner aber ist der Sohn der Wolke; darum ist die Wolke der Großvater der Kraniche.

[2] Diese Strophe sowie die Schlussstrophe steht auch im Jataka 274.


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