Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

316. Die Erzählung von dem Hasen (Sasa-Jataka)

„Ich habe sieben rote Fische“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf eine Sendung von sämtlichen Hilfsmitteln. Zu Savatthi nämlich hatte ein Gutsbesitzer für die Mönchsgemeinde, die Buddha zum Haupte hatte, eine Spende von allen Hilfsmitteln zurechtgemacht und an der Türe seines Hauses einen Pavillon errichten lassen. Dann lud er die Mönchsgemeinde mit Buddha, ihrem Haupte, ein, ließ sie in dem geschmückten Pavillon auf hergerichteten kostbaren Sitzen Platz nehmen und gab ihnen vorzügliche Speise von höchstem Wohlgeschmack. Sieben Tage lang lud er sie immer wieder ein, indem er sagte: „Wieder für morgen, wieder für morgen.“ Am siebenten Tage spendete er den fünfhundert Mönchen, die Buddha zum Haupte hatten, alle Hilfsmittel. Nachdem das Mahl beendet war, verrichtete der Meister die Danksagung und sagte: „O Laienbruder, dir kommt es zu, Freude und Genugtuung zu bereiten. Ein solches Geschenk nämlich war schon in der Vorzeit eine Ehre für die Weisen. In der Vorzeit nämlich opferten Weise einigen Bittenden, die ihnen begegneten, ihr Leben und schenkten ihnen ihr eigenes Fleisch.“ Nach diesen Worten erzählte er, von jenem gebeten, folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva seine Wiedergeburt in der Hasenfamilie und wohnte im Walde. An der einen Seite dieses Waldes aber war ein Berg, auf der andern ein Fluss, auf der dritten ein Grenzdorf. Drei andere Tiere aber waren seine Freunde: ein Affe, ein Schakal und ein Fischotter [0a]. Diese vier Weisen wohnten zusammen. Wenn sie sich ein jeder an seiner Futterstelle Nahrung gesucht hatten, kamen sie zur Abendzeit zusammen. Der weise Hase sagte: „Man muss Almosen geben, man muss die Gebote halten, man muss die Uposatha-Gebräuche beobachten“; so ermahnte er die drei anderen und unterrichtete sie in der Tugend. Die anderen stimmten seiner Ermahnung zu; dann gingen sie alle in ihre Höhlen und schliefen.

Während so die Zeit verging, betrachtete eines Tages der Bodhisattva den Himmel. Als er den Mond sah, merkte er, dass morgen der Uposatha-Tag sei, und er sprach zu den drei anderen: „Morgen ist Uposatha-Tag; auch ihr drei betätigt die Gebote und feiert den Fasttag. Wenn man die Gebote beobachtet und so ein Almosen spendet, so bringt dieses große Frucht. Wenn daher ein Bittender zu euch kommt, so gebt ihm von der Nahrung, die ihr essen wollt, und genießt sie dann selbst.“ Sie stimmten zu mit dem Worte: „Gut“, und zogen sich in ihre Behausungen zurück.

Am nächsten Tage verließ der Fischotter in der Frühe seine Behausung und begab sich an das Ufer des Ganges, um sich Nahrung zu suchen. Dort hatte ein Fischer sieben rote Fische gefangen, mit einer Schlinge zusammengebunden, aus dem Wasser gezogen und am Ufer des Ganges mit Sand bedeckt. Während er Fische fing, fiel er weiter unterhalb in den Ganges. — Der Fischotter witterte nun den Geruch der Fische. Er scharrte den Sand hinweg; als er die Fische sah, zog er sie heraus und rief dreimal: „Ist jemand der Besitzer dieser Fische?“ Als er keinen Besitzer sah, nahm er die Schlinge in sein Maul, trug sie in seine Behausung und legte sie dort nieder, indem er dachte: „Zur rechten Zeit werde ich sie fressen“, und über seine Tugend nachsann [1].

Auch der Schakal hatte seine Höhle verlassen, um sich Nahrung zu suchen. Da sah er in der Hütte eines Feldhüters zwei Fleischspieße, eine Eidechse und einen Molkentopf. Nachdem er dreimal gerufen hatte: „Ist jemand der Eigentümer dieser Dinge?“, und keinen Eigentümer gesehen hatte, schlang er sich den Strick, an dem der Molkentopf hing, um den Hals, nahm die Fleischspieße und die Eidechse in das Maul und brachte dies alles in das Gebüsch, wo er wohnte. Hier legte er es hin und legte sich nieder, indem er dachte: „Zur rechten Zeit werde ich es fressen“, und über seine Tugend nachsann. —

Auch der Affe war in den Wald gegangen, hatte dort ein Bündel von Mangofrüchten geholt und in das Gebüsch gebracht, wo er wohnte. Er legte sich nieder, indem er dachte: „Zur rechten Zeit werde ich es verzehren“, und sann über seine Tugend nach.

Der Bodhisattva aber war zur rechten Zeit fortgegangen, um Gras und Kräuter zu verzehren. Als er nun in seinem Gebüsch lag, dachte er: „Wenn Leute zu mir kommen und mich um etwas bitten, so kann ich ihnen doch keine Gräser geben; Sesamkörner, Reiskörner oder dgl. habe ich nicht. Wenn ein Bittender zu mir kommt, werde ich ihm das Fleisch meines eignen Körpers geben.“

Von der Glut seiner Tugend wurde der aus edlem gelbem Stein bestehende Thron Sakkas heiß [2]. Als dieser darüber nachdachte, bemerkte er die Ursache davon und dachte: „Ich will den Hasenkönig auf die Probe stellen.“ Zuerst begab er sich nach der Behausung des Fischotters und blieb dort in der Kleidung eines Brahmanen stehen. Als jener ihn fragte: „Warum stehst du hier, Brahmane?“, antwortete er: „Du Weiser, wenn ich etwas Speise bekäme, würde ich den Fasttag halten und die Asketentugend betätigen.“ Die Fischotter erwiderte: „Gut, ich werde dir Nahrung geben“; und indem er ihn anredete, sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Ich habe sieben rote Fische
vom Wasser auf das Land gebracht.
Dies ist 's, Brahmane, was ich habe;
iss sie und bleib im Walde wohnen.“

Der Brahmane entgegnete: „Bis morgen früh hat es Zeit; ich werde es später sehen.“ Und er ging zu dem Schakal hin. Als auch dieser fragte, warum er gekommen sei, sagte er ebenso. Der Schakal erwiderte: „Gut, ich werde dir Speise geben“, und ihn anredend sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Boshaft hab ich das Abendessen
des Feldhüters mir angeeignet,
zwei Fleischspieße, 'ne Eidechse
und einen Krug, gefüllt mit Molken.
Dies ist 's, Brahmane, was ich habe;
iss dies und bleib im Walde wohnen.“

Der Brahmane antwortete: „Bis morgen früh hat es Zeit; ich werde es später sehen“, und er ging zu dem Affen hin. Als auch dieser fragte, warum er gekommen sei, sagte er ebenso. Der Affe erwiderte: „Gut, ich werde dir Speise geben“; und ihn anredend sprach er folgende dritte Strophe:

§3. „Früchte vom Mango, kühles Wasser
und kühler Schatten, der erfrischt:
Dies ist 's, Brahmane, was ich habe:
genieße es und bleib im Walde.“

Der Brahmane antwortete: „Bis morgen früh hat es Zeit; ich werde es später sehen.“ Darauf ging er zu dem weisen Hasen hin. Als auch dieser fragte, warum er gekommen sei, sagte er ebenso.

Da dies der Bodhisattva hörte, wurde er mit Freude erfüllt und sprach: „O Brahmane, gut hast du daran getan, dass du, um Speise zu erhalten, zu mir kamest, heute werde ich dir eine Gabe spenden, die ich noch nie vorher spendete. Du bist aber tugendhaft und wirst kein lebendes Wesen töten wollen. Darum trage Holz zusammen, brenne daraus Kohlen und sage es mir dann. Ich werde mich selbst hingeben und mich in das Innere der Kohlen stürzen. Wenn mein Körper gebraten ist, so verzehre mein Fleisch und vollführe dann die Asketentugend.“ Und indem er ihn anredete, sprach er folgende vierte Strophe:

§4. „Ein Hase hat nicht Sesamkörner
und auch nicht Bohnen oder Reis;
mich in dem Feuer hier geröstet
verzehr und bleib im Walde wohnen.“

Als Sakka seine Worte vernahm, schuf er durch seine göttliche Macht einen Kohlenhaufen und sagte es dann dem Bodhisattva. Dieser erhob sich von seinem Lager aus Gras und Kräutern, ging dorthin und sagte: „Wenn in meinen Haaren Tierchen sind, sollen sie nicht sterben.“ Daher schüttelte er dreimal seinen Körper. Dann brachte er seinen ganzen Körper als Gabe dar, sprang auf und stürzte sich, wie ein Goldschwan in einen Lotosbüschel, freudigen Herzens in den Kohlenhaufen.

Das Feuer aber vermochte am Körper des Bodhisattva nicht einmal die Spitzen der Haare heiß zu machen und es war, als sei er in einen Schneehaufen geraten. Da sprach er zu Sakka: „O Brahmane, das Feuer, das du machtest, ist zu kalt und kann nicht einmal die Spitze der Haare an meinem Körper erhitzen. Was ist dies?“ Darauf antwortete Sakka: „Du Weiser, ich bin kein Brahmane. Ich bin der Gott Sakka und kam hierher, um dich auf die Probe zu stellen.“ Der Bodhisattva erwiderte: „Sakka, lasse es nur sein. Auch wenn die ganze Welt mich in Bezug auf meine Freigebigkeit auf die Probe stellen würde, würde sie nicht sehen, dass ich ein Almosen verweigern will.“ Nach diesen Worten stieß er den Löwenruf aus [3].

Darauf sprach Sakka: „Du weiser Hase, dein Vorzug soll ein ganzes Weltalter hindurch offenkundig sein.“ Er drückte einen Berg zusammen und zeichnete mit dem Safte des Berges auf die Mondscheibe das Bild eines Hasen [4]. Dies teilte er dem Bodhisattva mit und ließ ihn dann in diesem Walde in demselben Gebüsch auf zartem Kusa-Gras sich niederlegen. Darauf kehrte er in seine Götterwohnung zurück.

Die vier Weisen aber erfüllten einmütig und einträchtig die Gebote, beobachteten die Uposatha-Gebräuche und gelangten dann an den Ort ihrer Verdienste.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündet hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangte der Hausvater, der die Spende von allen Hilfsmitteln als Almosen gegeben hatte, zur Frucht der Bekehrung): „Damals war der Fischotter Ananda, der Schakal war Mogallana, der Affe war Sāriputta; der weise Hase aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Hasen


[0a] Dutoit hat „eine Fischotter“ usw., also femininum. „Der Fischotter“ ist jedoch maskulinum.

[1] Der Ausdruck kann auch bedeuten: „Er dachte über die Beobachtung der Gebote nach.“ Damit wäre auch gemeint, dass er am Uposatha-Tage nur zur richtigen Zeit seine Mahlzeit einnehmen will. Dies war eins der Gebote, die sonst nur für die Mönche bindend waren, von den Laien aber an den Uposatha-Tagen befolgt wurden. Vgl. Jataka 1 Anm. 13. Da in der zweiten Strophe vom Abendessen die Rede ist, dürfte diese Deutung richtig sein.

[2] Dies ist, wie so oft, das Zeichen, dass der Bodhisattva in Lebensgefahr ist.

[3] Vgl. Jataka 1 Anm. 9. [Der „Löwenruf“ ist der Ausruf: „Ich bin der Erste der Welt, ich bin der Beste der Welt, ich bin der Edelste der Welt: dies ist meine letzte Geburt, es gibt für mich keine Wiedergeburt mehr.“]

[4] Die Inder fassen unsern „Mann im Monde“ als einen Hasen auf [die Umrisse der dunklen Flecken gleichen von Asien gesehen einem Hasen].


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