Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

296. Die Erzählung von dem Ozean (Samudda-Jataka)

„Wer ist dies“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Thera Upananda. Dieser war nämlich ein großer Esser und hatte großen Durst; mit Vorräten, die einen ganzen Wagen füllten, konnte man ihn nicht befriedigen. Während der Regenzeit verbrachte er in zwei oder drei Klöstern die Zeit. In das eine stellte er seine Schuhe, in eines seinen Wanderstab, in eines seinen Wassertopf und in einem wohnte er selbst. Wenn er in ein Landkloster kam und die Mönche mit vorzüglicher Ausrüstung versehen fand, erzählte er ihnen von den vier Arten der Edlen [1]. Er ließ sie sich Lumpen vom Schmutzhaufen holen und nahm selbst ihre Gewänder an sich; er ließ sie irdene Almosenschalen nehmen und nahm selbst alle schönen Almosenschalen und die Metallgefäße. Wenn er sie erhalten hatte, füllte er einen Wagen damit und kehrte damit nach dem Jetavana zurück.

Eines Tages nun begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, der Sakya-Sohn [2] Upananda ist ein großer Esser und ein Mann mit vielen Wünschen. Andern erklärt er ihre Pflichten, füllt mit den Asketen-Requisiten einen ganzen Wagen und kommt damit zurück.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Etwas Unrechtes, ihr Mönche, hat Upananda getan, als er den anderen [3] die Arten der Edlen auseinandersetzte. Denn zuerst muss er selbst genügsam werden; dann kann er erst andern die Arten der Edlen auseinandersetzen.“

§0. „Zuerst soll einer nur sich selbst

in dem befest'gen, was sich ziemt;

dann erst soll er die andern lehren.

Nicht möge sündigen der Weise [4].“

                                                    Dhp 158

Nachdem der Meister diese Strophe des Dhammapadam gesprochen, tadelte er Upananda und sagte dann: „Nicht allein jetzt, ihr Mönche, nimmt Upananda viel für sich in Anspruch; auch früher schon glaubte er, auf dem großen Meere die andern vom Wasser fern halten zu müssen.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva seine Wiedergeburt als eine Meergottheit. Da ging eine Wasserkrähe auf der Oberfläche des Ozeans umher und sagte: „Trinkt im Ozean das Wasser mit Maß; trinket es mit Achtsamkeit!“ So hielt sie bei ihrem Umherwandeln die Scharen der Fische und der Vögel zurück.

Als dies die Meergottheit bemerkte, sprach sie folgende erste Strophe:

§1. „Wer ist dies, der auf salz'gem Meere

nach allen Seiten läuft umher,

die Fische und die Ungeheuer

abhält und den die Wogen quälen?“

Da dies die Wasserkrähe hörte, sprach sie folgende zweite Strophe:

§2. „Als Vogel, der beständig trinkt,

heiß' überall ich unersättlich;

ich aber möchte ganz austrinken

den Ozean, den Herrn des Wassers.“

Als dies die Meergottheit vernahm, sprach sie folgende dritte Strophe:

§3. „Bald geht das große Meer zurück,
bald füllt sich 's wieder wie zuvor.
Nicht merkt man, ob an ihm getrunken;
nicht auszutrinken ist das Meer.“

Nach diesen Worten aber zeigte sie der Wasserkrähe eine Schrecken erregende Erscheinung und veranlasste sie dadurch davonzulaufen.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war die Wasserkrähe Upananda, dir Gottheit aber war ich.“

Ende der Erzählung vom Ozean


[1] Darunter werden verstanden:

[2] Er ist also ein naher Verwandter Buddhas.

[3] Statt „parisam“ ist zu lesen „paresam“.

[4] Dies ist die Strophe 158 des Dhammapadam.


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