Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

245. Die Erzählung von der grundlegenden Ursache (Mulapariyaya-Jataka)

„Die Zeit verschlingt die Wesen all“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er bei Ukkattha im Subhaga-Walde verweilte, mit Beziehung auf das Lehrstück von der grundlegenden Ursache. — Damals nämlich waren fünfhundert Brahmanen, welche die drei Veden genau kannten, in dem Orden Mönche geworden und hatten die drei Pitakas erlernt. Dadurch wurden sie von Stolz berauscht und dachten: „Der völlig Erleuchtete kennt die drei Pitakas und auch wir kennen dieselben. Da es sich so verhält, was besteht zwischen ihm und uns für ein Unterschied?“ Und sie gingen nicht mehr zur Buddha-Aufwartung, sondern ließen sich auch von einer Schar begleiten.

Als sie nun eines Tages zum Meister kamen und sich bei ihm niedersetzten, verkündete er ihnen das Lehrstück von der grundlegenden Ursache, ausgeschmückt mit den acht Stufen des Daseins [1]. Sie verstanden es nicht. Da kam ihnen folgender Gedanke: „Wir dachten in unserm Hochmute, es gebe keine Weisen unseresgleichen; jetzt aber verstehen wir gar nichts. Es gibt keinen Weisen, der den Buddhas gleich wäre; ach wie groß sind die Buddhavorzüge!“ Von da an war ihr Stolz gebrochen und sie wurden nachgiebig wie Schlangen, denen ihre Zähne genommen sind.

Nachdem nun der Meister, so lange es ihm beliebte, bei Ukkattha geweilt hatte, begab er sich nach Vesali und verkündete bei dem Gotamaka-Monument das Gotamaka-Lehrstück. Dabei erzitterten die tausend Welten. Als jene Mönche das Lehrstück vernahmen, gelangten sie zur Heiligkeit.

Während aber der Meister am Ende des Lehrstücks von der grundlegenden Ursache zu Ukkattha verweilte, begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, ach wie groß ist die Macht der Buddhas! Den Brahmanen nämlich, die Mönche geworden waren, wurde von dem Erhabenen, obwohl sie berauscht waren von Hochmut, durch die Unterweisung von der grundlegenden Ursache ihr Stolz gebrochen!“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon brach ich den Stolz dieser Leute, deren Kopf von Hochmut eingenommen war.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einer Brahmanenfamilie seine Wiedergeburt. Als er herangewachsen war, wurde er ein Kenner der drei Veden und ein weitberühmter Lehrer; er lehrte fünfhundert junge Brahmanen die heiligen Sprüche. Als die fünfhundert die Wissenschaft, der sie sich mit Eifer hingegeben hatten, erlernt hatten, dachten sie: „Soviel wir wissen, ebensoviel weiß auch unser Meister“; und aufgebläht von Stolz gingen sie nicht mehr zu ihrem Lehrer hin und erfüllten nicht mehr ihre Pflichten gegen ihn. Als nun eines Tages der Lehrer sich am Fuße eines Badari-Baumes [2] niedergelassen hatte, stießen sie, um ihn zu betrügen, den Badari-Baum mit dem Nagel an und sagten: „Dieser Baum ist saftlos.“ Der Bodhisattva merkte, dass sie ihn betrügen wollten, und sagte: „Ihr Schüler, ich will euch eine Frage vorlegen.“ Hocherfreut erwiderten sie: „Sprecht, redet!“ Darauf sprach der Lehrer, indem er die Frage stellte, folgende Strophe:

§1. „Die Zeit verschlingt die Wesen all

und sich verschlingt sie mit dazu;

doch wer ist 's, der die Zeit vernichtet

und das verbrennt, was andre quält [3]?“

Als die jungen Brahmanen diese Frage hörten, war kein einziger im Stande, sie zu verstehen. Darauf sprach zu ihnen der Bodhisattva: „Bildet euch nicht ein, diese Frage stehe in den drei Veden. Ihr meint, was ich weiß, das wisst ihr alles, und macht es so wie der Badari-Baum [4]. Ihr merkt aber nicht, dass ich vieles weiß, was ihr nicht kennt. Geht; bis zum siebenten Tage gebe ich euch Zeit. Denkt während dieser ganzen Zeit über meine Frage nach!“

Jene grüßten den Bodhisattva und gingen ein jeder in seine Behausung. Aber obwohl sie sieben Tage lang nachdachten, fanden sie weder einen Anfang noch ein Ende der Frage. Am siebenten Tage begaben sie sich zu ihrem Lehrer, begrüßten ihn und setzten sich nieder. Als sie gefragt wurden: „Ihr Leute mit glücklichem Antlitz, versteht ihr die Frage?“, antworteten sie: „Wir verstehen sie nicht.“ Darauf sprach der Bodhisattva, um sie zu tadeln, folgende zweite Strophe:

§2. „Viel Köpfe gibt es bei den Menschen,

mit Haar bewachsen, groß und dick;

sie stehen alle auf dem Halse,

doch wen'ge nur sind voll Verstand.“

Nachdem er sodann die jungen Brahmanen mit den Worten: „Ihr Toren habt nur Ohrlöcher, aber keinen Verstand“, getadelt, löste er die Frage. Als jene dies gehört, dachten sie: „Ach, groß sind die Lehrer.“ Sie baten den Bodhisattva um Verzeihung und dienten ihm mit gedemütigtem Stolz.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals waren die fünfhundert jungen Brahmanen diese Mönche, der Lehrer aber war ich.“

Ende der Erzählung von der grundlegenden Ursache


[1] Diese acht Stufen setzen sich zusammen aus den drei Stufen des Daseins (nämlich dem sinnlichen, dem körperlichen und dem unkörperlichen Dasein) und den fünf Stufen der Ekstase.

[2] Dies ist der Brustbeerenbaum, Zisyphus vulgaris.

[3] Der Kommentator sagt, damit sei der Heilige gemeint, der seine Leidenschaften getilgt. Er sei von der Zeit und der Wiedergeburt nicht mehr abhängig und er habe die Lust getilgt, die die anderen Wesen quäle.

[4] Man will darin eine Anspielung auf die nur äußerlich gefallende Frucht dieses Baumes erblicken.


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