Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

168. Die Erzählung von dem Habicht (Sakunagghi-Jataka)

„Mit Macht der Habicht flog herab“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf seine Meinung im Sakunovada-Sutta [1]. Eines Tages nämlich sagte der Meister zu den Mönchen: „Ihr Mönche, macht euren Almosengang in eurem eigenen väterlichen Bereich [2].“ Als er dann das darauf bezügliche Lehrstück des Mahavagga [3] vortrug, sprach er: „Bleibet ihr hier! Früher gerieten auch Tiere, die ihren eigenen väterlichen Bereich verließen und an fremdem Orte herumwandelten, in die Gewalt ihrer Feinde und befreiten sich durch ihre Einsichtsfülle, durch ihre Kenntnis der Listen aus der Hand ihrer Feinde.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Geschlechte der Wachtelvögel seine Wiedergeburt und wohnte an einem Orte, wo man Pflugholz fertigte, in einem Erdklumpen. Eines Tages gab er das Futterholen in seinem eigenen Bereiche auf und begab sich nach dem Rande des Waldes, indem er dachte: „Ich will in einer andern Gegend mein Futter suchen.“ Als er aber dort Futter suchte, sah ihn ein Habicht, schoss rasch herab und packte ihn. Da er so von dem Habicht gefangen war, klagte er folgendermaßen: „Wir sind eben recht unglücklich, wir sind wenig brav. Wir wandelten am fremden Orte, auf fremdem Gebiete; wenn wir heute in unserm eigenen väterlichen Bereich Futter gesucht hätten, hätte mich dieser Habicht nicht überwältigt, wenn er zum Kampfe gekommen wäre.“ Darauf fragte der Habicht: „Was ist aber, du Wachtelchen, dein Futterort, dein eigener väterlicher Bereich?“ „Ein Erdklumpenplatz an dem Orte, wo man Pflugholz fertigt.“

Hierauf ließ ihn der Habicht los im Vertrauen auf seine eigene Kraft und sagte: „Gehe, du Wachtel; auch wenn du dorthin gehst, wirst du nicht loskommen.“ Die Wachtel ging dorthin, bestieg einen großen Erdklumpen und blieb dort stehen, indem sie ihm zurief: „Komme jetzt her, Habicht.“ Der Habicht schloss im Vertrauen auf seine Kraft die beiden Flügel und stürzte sich rasch auf die Wachtel herab. Als aber die Wachtel merkte: „Jetzt kommt der Habicht auf mich los“, drehte sie sich um und schlüpfte in den Erdklumpen hinein. Der Habicht konnte die Wucht des Sturzes nicht hemmen und stieß dort seine Brust an; so gab er mit zerbrochener Brust und mit hervorquellenden Augen sein Leben auf.

 

§A2. Als der Meister diese Begebenheit aus der Vergangenheit erzählt hatte, fuhr er fort: „So gelangen auch Tiere, o Mönche, wenn sie nicht in ihrem Bereiche bleiben, in die Gewalt ihrer Feinde; wenn sie aber an ihrem Orte bleiben, in ihrem eigenen väterlichen Bereiche, so überwinden sie ihre Feinde. Darum wandelt auch ihr nicht an unrechtem Orte, im Bereiche eines andern; denn, ihr Mönche, wenn man am unrechten Orte weilt, im Bereiche anderer, so bekommt Mara [4] Eingang, Mara erhält Macht. Und was ist, ihr Mönche, für einen Mönch der unrechte Ort, der fremde Bereich? Das sind die fünf Arten der sinnlichen Vergnügungen. Welche fünf? Die Vergnügungen des Auges usw. [5], das sind, ihr Mönche, für einen Mönch der unrechte Ort, der fremde Bereich.“

 

Und nach diesen Worten sprach er, der völlig Erleuchtete, folgende erste Strophe:

§1. Mit Macht der Habicht flog herab

und stürzte rasch sich auf die Wachtel,

die auf dem rechten Platze [6] war;

doch ihre List bracht' ihm den Tod.

Als aber jener verendet war, kam die Wachtel wieder hervor, und indem sie dachte: „Jetzt habe ich fürwahr den Rücken meines Feindes gesehen“, stellte sie sich auf seine Brust und sprach, einen begeisterten Ausruf ausstoßend, folgende zweite Strophe:

§2. „So hab ich mich durch meine List
auf meinem väterlichen Grund
vom Feind befreit und freue mich;
denn meinen Vorteil kenn ich jetzt.“

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangten viele Mönche zur Frucht der Bekehrung usw.): „Damals war der Habicht Devadatta, die Wachtel aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Habicht [6a]


[1] Dies Sutta, „das Lehrstück von der Vogelermahnung“, ist anderweitig nicht bezeugt.

[2] Wie aus dem Schlusse der Erzählung hervorgeht, ist diese Ermahnung in übertragener Bedeutung gemeint.

[3] Vgl. „Leben des Buddha“, S. XIV.

[4] Vgl. Jataka 40 Anm. 26.

[5] Rouse schlägt mit Recht vor, statt des überlieferten unsinnigen „cakkhuvineyya“ zu setzen „cakkhu-adi-vinneya“.

[6] Das Wort „gocara“ muss hier dieselbe Bedeutung haben wie in der vorausgehenden Rede Buddhas; der Kommentator aber fasst es auf als „fremder Futterplatz“.

[6a] Bei Dutoit steht hier das „Ende der Erzählung von der Wachtel“. Dies ist offensichtlich ein Irrtum. Bei Fausböll steht als Schlusstitel wie als Kopftitel „Sakunagghi-Jataka“ = „Die Erzählung von dem Habicht“.


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