Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

146. Die Erzählung von der Krähe (Kaka-Jataka)

„Schon müd sind unsre Kinnbacken“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf eine große Anzahl alter Mönche. Diese waren nämlich in ihrer Laienzeit wohlhabende, reiche Gutsbesitzer zu Savatthi, miteinander befreundet und taten gute Weike. Als sie die Predigt des Meisters vernahmen, dachten sie: „Wir sind hochbetagt; was soll uns das Leben im Hause? Wir wollen bei dem Meister in der herrlichen Buddhalehre Mönch werden und dem Leiden ein Ende machen.“ Und sie übergaben ihr ganzes Vermögen ihren Söhnen, Töchtern und anderen Verwandten, verließen die Schar ihrer Verwandten, die Tränen im Antlitz hatten, baten den Meister um Aufnahme in den Mönchsstand und wurden Mönche. Nachdem sie aber Mönche geworden, führten sie kein dem Mönchsstand entsprechendes Asketenleben und erlernten wegen ihres Alters auch nicht die Lehre; sie erbauten sich vielmehr, als wenn sie trotz ihrem Mönchsleben noch im Laienstande lebten, an der Grenze des Klosters Laubhütten und lebten einzeln. Auch wenn sie Almosen sammelten, gingen sie nicht anderswohin, sondern nur in das Haus ihrer Söhne und Frauen und speisten daselbst.

Die frühere Frau von einem unter ihnen war die Aufwärterin aller dieser alten Theras. Daher nahmen auch die übrigen die von ihnen geholte Speise mit in deren Haus, wo sie sich niedersetzten und ihr Mahl verzehrten; sie aber gab ihnen würzige Sauce dazu, soviel sie aufgehoben hatte. Diese Frau aber wurde von einer Krankheit ergriffen und starb. Da gingen diese alten Mönche in das Kloster, fassten sich gegenseitig um den Hals und klagten: „Die Laienschwester, die uns den süßen Wohlgeschmack spendete, ist gestorben!“ So standen sie am Ende des Klosters und weinten. — Von allen Seiten kamen die Mönche zusammen, die diesen Laut vernommen, und fragten: „Freunde, warum weint ihr?“ Sie antworteten: „Die frühere Frau unsres Freundes ist gestorben, die süßen Wohlgeschmack spendete. Sie war gar sehr eine Hilfe für uns. Woher sollen wir jetzt etwas Derartiges erhalten? Aus diesem Grunde weinen wir.“

Als aber die Mönche die Veränderung bei ihnen wahrgenommen hatten, begannen sie in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, aus diesem Grunde haben sich die hochbetagten Theras gegenseitig um den Hals gefasst und stehen weinend am Ende des Klosters.“

Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als geantwortet wurde: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, weinen diese beständig über den Tod dieser Frau; auch früher schon, als sie im Krähengeschlechte wiedergeboren waren, haben sie, da sie dieselbe tot im Meere sahen, sich abgemüht, das Wasser des Meeres auszuschöpfen und so dieselbe herauszuholen, und wurden durch Weise am Leben erhalten“. Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisatta seine Wiedergeburt als eine Gottheit im Meere. Es ging aber ein Krähenmännchen, um sich Futter zu suchen, mit seiner Gattin, dem Krähenweibchen nach dem Ufer des Meeres. Zu dieser Zeit hatten die Leute am Ufer des Meeres mit Milch, Reisbrei, Fischen, Fleisch, Branntwein u. dgl. den Nagas [1] ein Opfer dargebracht und hatten sich dann entfernt. Als das Krähenmännchen an die Opferstätte kam und die Milch und die übrigen Speisen bemerkte, verzehrte er mit dem Krähenweibchen die Milch, den Reisbrei, Fische, Fleisch usw. und trank dazu viel Branntwein. Vom Branntwein berauscht dachten die beiden: „Wir wollen uns auf dem Meere ergehen“, setzten sich an das Ende des Gestades und begannen zu baden. Da kam eine Welle, fasste das Krähenweibchen und führte es in das Meer. Ein Fisch fraß ihr Fleisch auf und schlang es hinunter. Das Krähenmännchen aber weinte und klagte: „Meine Gattin ist gestorben!“

Da versammelten sich viele Krähen, als sie seine Klagelaute hörten, und fragten: „Warum weinst du?“ Als sie vernahmen, ihre Freundin sei, als sie am Rande des Gestades badete, von einer Welle fortgerissen worden, schrien sie alle zusammen und weinten auch. Da kam ihnen folgender Gedanke: „Was vermag denn dies Meereswasser gegen uns? Wir wollen das Wasser ausschöpfen, das Meer leer machen und unsre Freundin herausholen.“ Und sie füllten immer von neuem ihren Schnabel und spien das Wasser wieder aus. Da aber ihre Kehlen durch das Salzwasser trocken wurden, erhoben sie sich allmählich, begaben sich auf das feste Land und ruhten aus. Als nun ihre Kinnbacken ermüdet, ihre Schnäbel ausgetrocknet und ihre Augen gerötet waren, sagten sie schlaftrunken zueinander: „He, wir nehmen das Meerwasser und lassen es außen hinfallen; die Stelle aber, wo wir es hernehmen, wird wieder voll von Wasser. Wir werden das Meer nicht leer machen können.“ Und darauf sprachen sie folgende Strophe:

§1. „Schon müd sind unsre Kinnbacken

und ausgetrocknet ist der Mund.

Wir mühen uns und können 's nicht,

denn voll bleibt doch der Ozean.“

Nach diesen Worten aber plapperten alle Krähen: .“Dies Krähenweibchen hatte einen so schönen Schnabel, so runde Augen, eine solch schöne Gestalt, eine so süße Stimme! Durch dies räuberische Meer ist sie uns verloren gegangen.“ Als sie aber das Meer so anplapperten, zeigte ihnen die Gottheit eine Schreckensgestalt und verjagte sie damit. So wurden sie gerettet.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beendigt, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war das Krähenweibchen diese frühere Frau, das Krähenmännchen war der hochbetagte Thera, die übrigen Krähen waren die anderen alten Mönche, die Meeresgottheit aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Krähe


[1] Die Nagas sind göttliche Schlangenwesen mit meist drei oder noch mehr Köpfen. Sie sind den Menschen feind; doch wurden einige durch Buddha bekehrt. Vgl. die schöne Stelle in „Leben des Buddha“, S. 63.


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