Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

118. Die Erzählung von der Wachtel (Vattaka-Jataka)

„Ein Mann, der stets sich wohl bedenkt“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana sich aufhielt, mit Beziehung auf den Sohn des Ober-Großkaufmanns. Zu Savatthi nämlich war ein sehr wohlhabender Ober-Großkaufmann. Im Mutterleibe von dessen Gattin nahm ein tugendhaftes Wesen, das in der Brahma-Welt gestorben war, seine Wiedergeburt. Als es herangewachsen war, war es sehr schön und sah aus wie Brahma. — Nun wurde eines Tages zu Savatthi beim Kattika-Feste [1] das Nakkhatta ausgerufen. Alle Welt dachte nur an das Nakkhatta. Die Freunde von jenem, ebenfalls Großkaufmannssöhne, hatten sämtlich Gattinnen. Weil aber der Sohn des Ober-Großkaufmanns lange Zeit in der Brahma-Welt geweilt hatte, hing sein Herz nicht an den Befleckungen. Seine Freunde aber verabredeten sich, sie wollten auch dem Sohne des Ober-Großkaufmanns eine Frau zuführen und so das Nakkhatta feiern; und sie begaben sich zu ihm hin und sagten: „Lieber, in dieser Stadt ist das herrliche Kattika-Fest ausgerufen worden. Wir wollen auch dir eine Frau zuführen und so das Nakkhatta feiern.“ Als er erwiderte: „Ich brauche kein Weib“, setzten sie ihm immer wieder zu, bis sie seine Zustimmung erhielten.

Darauf zierten sie eine Hure mit allem Schmuck, brachten sie in sein Haus, schickten sie in sein Schlafgemach mit den Worten: „Gehe du zu dem Sohne des Großkaufmanns hin“, und entfernten sich. Als sie aber in sein Schlafgemach eintrat, schaute sie der Großkaufmann weder an, noch redete er sie an. Da dachte sie: „Dieser schaut mich, die ich so schön bin und voll von höchstem Liebreiz, nicht an, noch redet er mit mir; jetzt will ich durch Koketterie bewirken, dass er mich ansieht.“ Und um ihm ihre Reize zu zeigen, öffnete sie mit heiterer Miene ihre schönen Zähne und lächelte. Als der Sohn des Großkaufmanns hinblickte, empfing er den Eindruck der Zahnknochen. Es entstand in ihm die Vorstellung der Knochen und ihr ganzer Körper erschien ihm nur als eine Aneinanderreihung von Knochen. Er gab ihr Geld und schickte sie fort, indem er sagte: „Gehe!“ Als sie aber sein Haus verlassen, sah sie auf der Straße ein Vornehmer; und er gab ihr Geld und führte sie in sein Haus.

Als nun die sieben Tage verflossen waren, ging das Nakkhatta zu Ende. Da aber die Mutter der Hure sah, dass sie nicht zurückkehrte, ging sie zu den Großkaufmannssöhnen hin und fragte: „Wo ist sie?“ Diese begaben sich nach dem Hause des Sohnes des Ober-Großkaufmanns und fragten: „Wo ist sie?“ Er erwiderte: „In demselben Augenblicke [2] gab ich ihr Geld und entließ sie.“ Ihre Mutter aber sprach: „Ich finde meine Tochter nicht; bringt meine Tochter herbei!“ und sie ging mit dem Sohne des Ober-Großkaufmanns zum Könige hin. — Um die Sache zu untersuchen, fragte der König: „Haben diese Großkaufmannssöhne dir die Hure gebracht und übergeben?“ „Ja, o Fürst“, erwiderte er. „Wo ist sie jetzt?“ „Ich weiß nicht; in demselben Augenblicke schickte ich sie wieder fort.“ „Kannst du sie herbeischaffen?“ „Das kann ich nicht, o Fürst.“ Darauf sprach der König: „Wenn er sie nicht herbeischaffen kann, so vollzieht an ihm die Königsstrafe [3].“

Darauf banden sie ihm die Hände auf den Rücken und gingen mit ihm fort, um die Königsstrafe an ihm zu vollziehen. Die ganze Stadt wurde voll von dem Geschrei: „Man vollzieht die Königsstrafe an dem Großkaufmannssohn, weil er die Hure nicht herbeischaffen kann.“ Viel Volks legte die Hände auf die Brust und klagte: „Was ist dies, Herr? Du erleidest, was du nicht verdienst.“ Und sie gingen jammernd immer hinter dem Großkaufmannssohn her. — Da dachte der Großkaufmannssohn: „Dies derartige Leid ist mir zugestoßen, weil ich im Hause wohnen blieb; wenn ich davon befreit werde, will ich bei dem großen Gotama, dem völlig Erleuchteten, Mönch werden.“

Als aber die Hure das Geschrei hörte, fragte sie: „Was ist das?“ Da sie die Begebenheit vernahm, verließ sie rasch das Haus, und indem sie immer rief: „Lasst mich vorbei, lasst mich vorbei, ihr Herren, dass ich mich den Leuten des Königs zeigen kann“, zeigte sie sich. Als die Leute des Königs sie sahen, übergaben sie dieselbe ihrer Mutter, machten den Großkaufmannssohn frei und gingen davon. Dieser aber ging, von seinen Freunden umgeben, nach dem Flusse, badete sein Haupt und kehrte nach Hause zurück. Nachdem er gefrühstückt hatte, ließ er sich von seinen Eltern die Erlaubnis geben, Mönch zu werden, und ging mit Gewändern und Kleidern mit großem Gefolge zu dem Meister hin, den er begrüßte und um Aufnahme in den Mönchsstand bat. Nachdem er die Aufnahme in den Mönchsstand und die Weihe erhalten, stärkte er durch unablässige Meditation seine Einsicht und gelangte nicht lange darauf zur Heiligkeit.

Als nun eines Tages die Mönche in der Lehrhalle versammelt waren, erzählten sie von dessen Vorzügen, indem sie sagten: „Freund, der Sohn der Obergroßkaufmanns hat, als er in Todesfurcht war, den Vorzug der Lehre erkannt und gedacht: ‘Wenn ich von diesem Leide befreit werde, will ich in dieser Lehre Mönch werden.’ Durch diesen guten Gedanken wurde er befreit, verließ die Welt und gelangte zur Heiligkeit.“

Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Ihr Mönche, nicht nur der Sohn des Ober-Großkaufmanns hat, als er in Todesangst kam, gedacht: ‘Durch dieses Mittel werde ich von diesem Leide erlöst werden’, und ist dadurch von der Todesfurcht befreit worden; auch schon in früherer Zeit haben Weise, als sie in Todesangst gekommen waren, gedacht: ‘Durch dieses Mittel werden wir von diesem Leide erlöst werden’, und wurden so vom Übel der Todesangst befreit.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, kam der Bodhisattva im Wechsel von Tod und Wiedergeburt im Wachtelgeschlechte zur Welt. Damals pflegte ein Wachteljäger, im Walde viele Wachteln zu holen, sie zu Hause aufzuheben, ihnen Futter zu geben und sie dann für Geld denen, die kamen, zu verkaufen. Damit erwarb er sich seinen Unterhalt. — Eines Tages nun fing er mit vielen Wachteln auch den Bodhisattva und brachte ihn fort. Da dachte der Bodhisattva: „Wenn ich das von jenem gegebene Futter und Wasser genießen werde, wird er mich nehmen und den Leuten, die kommen, geben. Wenn ich es aber nicht genießen werde, werde ich abmagern; und wenn mich Abgemagerten die Leute sehen, werden sie mich nicht kaufen. Auf diese Weise wird mir Rettung zuteil werden; dies Mittel will ich anwenden.“ Und da er so tat, wurde er mager und bestand nur noch aus Haut und Knochen. Da die Leute ihn sahen, kauften sie ihn nicht.

Als nun alle außer dem Bodhisattva fortgeholt waren, nahm der Jäger den Korb, stellte ihn an die Türe, setzte den Bodhisattva auf seine Hand und begann ihn zu betrachten, indem er dachte: „Was hat denn diese Wachtel gemacht?“ Da aber der Bodhisattva seine Unachtsamkeit bemerkte, breitete er seine Flügel aus und flog in den Wald. — Als die Wachteln ihn sahen, fragten sie: „Warum lässt du dich nicht mehr sehen? Wohin bist du gegangen?“ Er antwortete: „Ich war von einem Jäger gefangen worden“; und sie fragten weiter: „Wodurch hast du dich aber befreit?“ Der Bodhisattva erwiderte: „Ich nahm das von ihm angebotene Futter nicht an und trank nicht das Wasser; so wurde ich durch die ausgesonnene List befreit.“ Und nach diesen Worten sprach er folgende Strophe:

§1. „Ein Mann, der stets sich wohl bedenkt,

gelangt zur Überlegenheit.

Hier sieht man des Nachdenkens Frucht;

befreit bin ich von Todesbanden.“

So verkündete der Bodhisattva, was er getan.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beendigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war ich die Wachtel, die vom Tode errettet wurde.“

Ende der Erzählung von der Wachtel


[1] Kattika ist ein für besonders heilig geltender Monat.

[2] D. h. sogleich nachdem sie zu mir hereingekommen war.

[3] Ein Ausdruck für die Hinrichtung. Vgl. Jataka 86 Anm. 4.


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