Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

107. Die Erzählung vom Kieselwerfen (Salittaka-Jataka)

„Gut ist es, eine Kunst zu kennen“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Mönch, der einen Schwan getroffen hatte. Dieser nämlich, der Sohn einer edlen Familie zu Savatthi, hatte in der Kunst des Kieselwerfens [1] die Vollendung erreicht. Eines Tages aber hörte er die Lehre, schenkte der Buddha-Disziplin sein Herz, wurde Mönch und empfing die Weihe. Er war aber weder lernbegierig, noch zeichnete er sich durch moralisches Benehmen aus.

Eines Tages ging er mit einem jungen Mönche an die Aciravati [2] und badete; dann blieb er am Ufer stehen. Zu der Zeit flogen zwei weiße Schwäne in der Luft. Da sprach jener zu dem jungen Mönche: „Ich treffe diesen hintersten Schwan mit einem Kiesel am Auge und mache, dass er mir zu Füßen hinfällt.“ Der andre versetzte: „Wie willst du ihn herunterfallen lassen? Du wirst ihn nicht treffen können.“ Darauf sprach der erstere: „Bleibe, ich will jetzt von dieser Seite nach seinem Auge werfen und ihn von hinten am Auge treffen.“ Der andere erwiderte: „Jetzt aber sagst du Unmögliches.“ „Gib also Acht“, sagte der erstere; und er nahm einen dreieckigen Kiesel, schleuderte ihn mit den Fingern fort und warf ihn hinter den Schwan. Der Kiesel gab den Laut „run“ von sich. Der Schwan wandte sich um, da er dachte, es müsse eine Gefahr vorhanden sein, und begann zu horchen. In diesem Augenblicke nahm jener einen runden Kiesel und traf, als sich der Vogel umgedreht hatte und hinschaute, ihn auf der andern Seite am Auge. Der Kiesel fiel heraus, nachdem er auch das andre Auge durchbohrt hatte. Der Schwan stieß einen lauten Schrei aus und fiel zu den Füßen von jenem hin.

Da kamen die Mönche und tadelten jenen mit den Worten: „Etwas Ungehöriges hast du getan“; und sie führten ihn zum Meister hin und berichteten ihm den Vorgang, indem sie sagten: „Herr, dies hat jener getan.“ Darauf tadelte der Meister jenen Mönch und sprach: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, ist dieser in dieser Kunst erfahren, sondern auch schon früher war er darin erfahren.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva dessen Minister. Zu dieser Zeit hatte der König einen Hauspriester, der war allzu geschwätzig und redete viel; wenn er anfing zu reden, bekamen die anderen keine Gelegenheit mehr dazu. Der König dachte: „Wann könnte ich wohl jemand erhalten, der diesen zum Aufgeben des Schwätzens veranlasste?“ Und von da suchte er beständig nach einem solchen.

Zu der Zeit war zu Benares ein Krüppel zur Vollendung im Kieselwerfen gelangt. Die Dorfknaben hoben ihn auf ein Wägelchen, zogen ihn fort — am Stadttore von Benares ist ein großer Feigenbaum, mit dichtem Laubwerk versehen — dort brachten sie ihn hin, stellten sich um ihn herum, gaben ihm Pfennige und andere kleine Münzen und sagten: „Mache etwas, was Elefantengestalt hat; mache etwas, was Pferdegestalt hat!“ Und er warf Kiesel auf Kiesel und machte damit an den Blättern des Feigenbaumes die verschiedenen Gestalten. Alle Blätter waren auf diese Weise durchbohrt und durchlöchert.

Als nun der König sich nach seinem Parke begab, kam er an diesen Ort. Aus Furcht, fortgetrieben zu werden, liefen alle die Knaben davon; der Krüppel aber blieb dort liegen. Als der König an den Fuß des Baumes kam, sah er, auf seinem Wagen sitzend, wie infolge der Durchlöcherung der Blätter der Schatten mannigfaltig gestaltet war. Er blickte auf, sah, dass alle Blätter durchbohrt waren, und fragte: „Von wem ist dies?“ „Von einem Krüppel, Fürst.“ Da dachte der König: „Durch diesen wird der Brahmane zum Aufgeben des Schwätzens gebracht werden können“; und er fragte: „Wo ist der Krüppel?“ Als sie suchten, fanden sie ihn zwischen den Wurzeln liegen und sagten: „Hier ist er, o Fürst.“ Der König ließ ihn zu sich führen, schickte seine Begleiter fort und sprach: „Bei uns ist ein schwatzhafter Brahmane; wirst du diesen ruhig machen können?“ Jener erwiderte: „Wenn ich eine Röhre [3] voll Ziegendünger bekomme, werde ich es können, o Fürst.“

Darauf brachte der König den Krüppel in sein Haus und ließ ihn im Zelte Platz nehmen. In dem Zelte ließ er einen Riss machen und für den Brahmanen gerade gegenüber dem Risse einen Sitz herrichten; auch ließ er eine Röhre voll trockenen Ziegendüngers neben dem Krüppel hinstellen. Als nun zur Zeit der Aufwartung der Brahmane kam, ließ ihn der König auf diesem Sitze sich niederlassen und begann ein Gespräch. Der Brahmane aber begann, mit dem Könige zu reden, ohne den anderen eine Gelegenheit dazu zu geben. Da warf nach ihm der Krüppel durch den Riss des Vorhangs einen Klumpen Ziegendünger nach dem andern wie eine Mücke und traf ihn unten am Gaumen. Der Brahmane verschluckte alles, was kam, die ganze Röhre voll, wie wenn er Öl eingenommen hätte. Alles wurde verschlungen. Als aber die Röhre voll Ziegendünger in seinen Leib gekommen war, wurde dieser so groß wie ein halbes Alhaka [4].

Als nun der König merkte, dass der Mist verschlungen war, sprach er: „O Lehrer, Ihr merkt infolge Eurer Geschwätzigkeit nichts davon, dass Ihr eine ganze Röhre voll Ziegendünger verschluckt habt. Mehr wie bis jetzt werdet Ihr nicht vertragen können. Gehet, trinket Piyangu-Wasser [5], dass Ihr sie erbrechen könnt und wieder gesund werdet.“ Von da an war der Brahmane, als ob sein Mund verschlossen wäre; und auch wenn man mit ihm sprach, behielt er die Gewohnheit, nicht zu reden.

Der König aber dachte: „Jener hat meinem Ohre eine Wohltat erwiesen“; und er schenkte dem Krüppel in den vier Himmelsgegenden vier Dörfer, die hunderttausend eintrugen. — Und der Bodhisattva suchte den König auf und sagte: ,,O Fürst, eine Kunst ist in der Welt von den Weisen zu erlernen; der Krüppel hat nur durch das Kieselwerfen diesen Erfolg erreicht.“ Und nach diesen Worten sprach er folgende Strophe:

§1. „Gut ist es, eine Kunst zu kennen,

was immer es für eine sei.

Sieh, durch den Wurf erhielt der Lahme

ein Dorf in jeder Himmelsgegend.“

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Krüppel dieser Mönch, der König war Ananda, der weise Minister aber war ich.“

Ende der Erzählung vom Kieselwerfen


[1] Das seltene Wort „salittaka“ wird im Text durch „sakkharakhipana“ erklärt.

[2] Einer der fünf großen Ströme; jetzt Rapti.

[3] Mit diesem Worte, pali „nali“, ist hier ein bestimmtes Hohlmaß gemeint.

[4] Das Alhaka ist ein Hohlmaß etwa viermal so groß wie die Nali.

[5] Piyangu (skrt. priyangu) bezeichnet folgende Pflanzen:


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