Der Stromeintritt

Zweiter Teil: Die Reinheiten zum Stromeintritt

V. Reinheit der Wissensklarheit über Weg und Nichtweg 

(KEN: Reine Wissenschaft der Wege)

A. Die Wege

 

Diese fünfte der sieben Reinheiten ist im Ausdruck am umfangreichsten und bedarf auch einer gründlichen Klärung. Die Worte lauten im Pali: Magg'amaggañânadassanavisuddhi = übersetzt von hinten nach vorn: „Reinheit (visuddhi) der Wissensklarheit (ñânadassana = Kenntnis-Anblick) über Weg (magga) und Nicht-Weg (amagga).

Es gibt nur einen einzigen Weg zum endgültigen Heil, zum absoluten Frieden, und das ist der heilende Achtpfad des Erwachten. Innerhalb dieses Pfades ist die Pflege der siebten Stufe mit ihrer Krone, den vier Pfeilern der Achtsamkeit, wiederum der gerade, der kürzeste, direkteste Weg.

Aber es gibt andererseits viele Nicht-Wege:

Da sind einmal all die zahllosen abwärts führenden Wege, die durch Unwissen zur Untugend und dadurch zum Unheil führen. Diese Un-Wege führen in noch mehr Leiden, entweder in elenderes Menschentum oder gar in Bereiche unterhalb des Menschentums (Gespenster, Tiere, Hölle). Diese Un-Wege sind Abwege (kum-magga), die grundsätzlich in die falsche Richtung gehen, sich von der Tugend und Weisheit entfernen.

Und da sind andererseits all die vielen aufwärts führenden Wege, die durch Tugend in wohltuenderes Menschentum oder darüber hinaus führen, bis in stillste und feinste Existenzformen. Es sind rechte, in die richtige Richtung führende Wege, aber sie sind noch triebbeeinflußt, führen noch nicht aus dem Leidenskreislauf des Samsâra hinaus. Entsprechend dem Gleichnis aus M 22 würde das Floß im Strom nur zu einer Insel führen, aber nicht zum anderen Ufer, und auch auf der Insel oder Sandbank kann man nicht bleiben, sondern kehrt irgendwann wieder an dieses Ufer des Leidens zurück. Auch diese edlen Wege sind, letztlich gesehen, doch auch Umwege, die nur im Kreis gehen, aber den Leidenskreis nicht durchbrechen.

Der Heilsgänger, der edle Jünger des Buddha, geht ebenfalls diese aufwärts führenden Wege, aber er geht sie ohne Unwissen, sondern mit Wissensklarheit. Daher sind sie für ihn der Heilsweg, der zuerst genau parallel zu ihnen führt, aber dann darüber hinaus, über die Inseln hinaus, bis zum anderen Ufer, bis zum „Fest-Land", zum endgültigen Heils-Stand, wo es keinen Unbestand mehr gibt, kein Leiden an Vergänglichkeit.

Alle diese Wege, die abwärts führenden und die aufwärts führenden, beginnt der Jünger des Buddha zu erkennen, und zwar erstmals im Samsâra in voller Deutlichkeit der Unterscheidung, weit über bloßes Ahnen hinaus - jedoch zunächst nur im Geiste, als Gipfel rechter Anschauung. Auf dem Wege beginnt er aber zu merken, auf welchem Weg er sich gerade befindet, früher oder später:

Merkt er in sich Untugenden (manche merkt er allerdings noch kaum oder gar nicht), dann weiß er mehr oder weniger deutlich, daß sie zum Abweg führen, und er beginnt diesen Nichtweg nicht weiter zu verfolgen oder zumindest zu bremsen. Er kann ihn nur mindern, nicht mehren. Merkt er dagegen in sich Tugenden und Heilskräfte (manche merkt er allerdings noch kaum oder gar nicht), dann freut er sich und darf sich auch von Herzen darüber freuen. Er freut sich, auf dem Weg zu sein, auf dem Ausweg, auf dem rechten aufwärts führenden Weg, auf dem Heilsweg. Aber er weiß im Geiste auch, daß er das Sichfreuen, das ja ein Anhangen ist, später loslassen muß, wenn er die jeweilige Sprosse der Himmelsleiter ganz erklommen hat und nun noch höher streben muß. Es sind für ihn nur Etappen. Er hat nicht nur die richtige Richtung (nach oben), sondern auch noch die richtige Einstellung dazu, die ihn nicht wieder absinken oder auf halbem Wege Schluß machen läßt. Er ist über alle Fortschritte auf dem Heilsweg erfreut, zufrieden, aber nicht „voller Willensregungen" (M 33), die ihn dort stehenbleiben ließen, sich unnötig lange aufhalten ließen oder gar wieder rückwärts führen könnten.

Wichtig ist aber auch noch, daß der Heilsgänger auch die aufwärts führenden Wege und alle Fortschritte auf dem herausführenden Weg (Tugend, Vertiefung, Weisheit) eben nur als Wege ansieht - und nicht als Ziel. Der Achtpfad ist Weg, aber nicht Ziel, wie nach den sieben Reinheiten unten noch näher zu erklären ist. Der moderne Slogan „Der Weg ist das Ziel" [ 41] ist keine Formulierung, die in die Lehre des Buddha paßt.

Da die beiden Ausdrücke für die vierte und fünfte Reinheit nicht zu den häufigen Standardformulierungen des Pâli-kanons gehören, bedürfen sie der näheren Zuordnung und Einfügung in die Grundaussagen des Buddha. Das ist oben bei der „Reinheit der Zweifelsentrinnung" bereits geschehen. Jetzt geht es darum, auch hier bei der fünften Reinheit entsprechend zu verfahren:

Der Ausdruck „Wege und Nichtwege" kommt außer bei den Reinheiten (D 34 IX, M 24) nur noch an folgenden Lehr-redenstellen vor:

A X/26: Eine Laienanhängerin fragte einmal den Ehrwürdigen Mahâkaccâno, den Heiligen, der an der Spitze der genauen Erklärer steht (A I/19, neu 24), nach der Bedeutung eines Verses. Diesen Vers hatte der gerade eben Erwachte einer der Teufelstöchter (Tanhâ =Durst) auf eine Frage geantwortet (S 4, 25) und darin seine Erreichung des Ziels, des Herzens Frieden (atthassa pattim, hadayassa santim) gepriesen. Dazu erklärte Mahâkaccâno: Es gäbe Asketen und Brahmanen, die jeweils eine der zehn Allheiten (Kasina), d.h. Samâdhi-Formen aufsteigender Art, als Höchstes, als Endziel betrachteten und nur die Labsal dessen im Auge hätten. Der Buddha hätte zwar dieselben zehn Allheiten erfahren, aber dabei nicht nur die Labsal, den gewaltigen Segen der Weltüberwindung mit relativem Herzensfrieden, erkannt, sondern auch die Unbeständigkeit, den Zerfall dieses Glücks, insofern auch das Elend. Ihm hätte sich auch dieser erhabene Samâdhi als Nichtweg, als Umweg gezeigt, weil er doch irgendwann wieder ins Elend und Leiden führte. Und er hätte gesehen, daß auch diese Samâdhi-Arten nach der Erreichung zu überhöhen seien, eben loszulassen, indem man ihnen um noch höheren Wohles des Nibbâna willen entrinne. So hätte er die Wissenklarheit über Nichtweg (Allheiten als Ziel) und Weg (Allheiten als Etappe zur Wunschlosigkeit) erkannt; und so hätte er den absoluten Herzensfrieden des Nirvâna erlangt.

Hier ging es also um Weg und Nichtweg auf höchster Ebene, nicht mehr nur um Tugend und Untugend.

A IV/35: Der Brahmane Vassakâro, ein königlicher Minister, sagte zum Buddha, sie (die Brahmanen) bezeichneten jemanden als Weisen, der vier innerweltlich positive Eigenschaften besitze. Der Buddha antwortete ihm, daß er jemanden mit anderen, höheren, vier Eigenschaften als Weisen bezeichne: Weise in Tugendwandel für sich und andere, in Geistesbeherrschung, in Entrückungsfähigkeit und in Triebversiegung, also einen Geheilten. Am Ende haben die Redaktoren einige Verse gesetzt, die zeigen, daß der Buddha ein großer Weiser und großer Mensch sei, der als Heilslehrer die heilende Methode lehre. Dabei heißt eine Zeile, er sei der Wege und Nichtwege kundig (magg'amag-gassa kusalam), habe triebfrei sein Werk gewirkt (katakiccam anâsavam), trage den letzten Leib.

Was der Brahmane an guten Eigenschaften nannte, war zwar aufwärts führend, aber letztlich doch ein Nichtweg. Der Buddha ging darüber hinaus und zeigte den Heilsweg bis zum Ziel.

M 98 = Sn 627 = Dh 403; S 8,6 = Thag 1231: In den ersten Versen nennt der Buddha Eigenschaften eines wahren Brahmanen und in der zweiten Versfolge preist Vangiso Sâriputto mit folgenden Zeilen:

„Der Weisheitstiefe, Wissende,

des Wegs und Abwegs Kundige" [ 42]

(gambhirapañño medhavi, maggâmaggassa kovido)

Alle Übersetzer übersetzen mit „Abweg" (Geiger sogar mit „falscher Weg"), aber der Kommentar zum Dhammapada [ 43] unterscheidet abwärts und aufwärtsführende Wege sowie den Weg zum Nirvâna, also zwei Arten von Nichtweg und den Heilsweg, wobei Nichtweg also nicht nur der Abweg, der abwärts führende, ist.

S 22, 84: Dort werden zwei Menschen im Gleichnis unterschieden: Der Weltling, der den falschen (linken) Achtpfad geht und den Heilsweg nicht kennt (a-magga-kusala), sowie der Vollendete, der den Heilsweg (den Weg rechts, den heilenden Achtpfad) kennt und gegangen ist. Da ist also von dem relativ guten Nichtweg zu vergänglichen Himmeln gar nicht die Rede.


B. Die Fessel

Nachdem diese fünfte Reinheit von ihrem Begriff her erklärt ist, bleibt jetzt noch die Frage zu lösen, wie sie sich in die gewohnten Lehrbegriffe einordnet. Dafür ist zunächst ein Rückblick notwendig: Die dritte Reinheit (die dritte Kutsche) bedeutete, daß die Fessel der Persönlichkeits-Anschauung durch die reine Anschauung überwunden wurde.

Die vierte Reinheit (die vierte Kutsche) bedeutete, daß die Fessel des existentiellen Zweifelns, Sorgens und Unsicherseins durch die Entrinnung von Bedenken und Zweifeln überwunden wurde, wobei die beiden mit Zweifel übersetzten Begriffe (vicikiccha und kankha) Synonyme waren, so daß bei Fessel und Überwindung nur ein Wort, aber kein Sachunterschied bestand.

Die fünfte Reinheit (die fünfte Kutsche) könnte nun darin bestehen, daß die dritte der drei Fesseln, die am Stromeintritt hindern, nämlich die Fessel des Überschätzens von Regeln und Programmen, kurz gesagt von „Tugendwerk" (sîla-bbataparâmâsa-samyojana) durch die Reinheit der Wissensklarheit über Weg und Nichtweg überwunden wird.

Dies ist zunächst eine Hypothese, die erst verifiziert werden muß, d.h. auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen ist.

Dafür ist es unerläßlich, diese dritte Fessel näher zu prüfen, denn sie ist komplexer als die anderen und nicht so leicht zugänglich.

Tugenden (sîla) sind für den Heilsweg unerläßlich, sind seine Eingangsstufe und machen rechnerisch ein Drittel des Achtpfades aus, der aus Tugend, Vertiefung und Weisheit besteht. Eine andere Frage ist nur, worin die Fessel (etwas zu Überwindendes) an dieser Tugend (etwas Auszubildendes) besteht. Das ist unten erst zu klären.

Der zweite Wortteil, der in der Abgeschliffenheit auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist und provisorisch mit "Programm" oder "Werk" übersetzt wurde, heißt vata, von dem Verb vattati (drehen). Vata bedeutet: etwas umdrehen, verändern, revolutionieren (als entsprechendes Fremdwort von revolvere). Vata heißt im übertragenen Sinn: Man nimmt es auf sich, etwas zu verändern, und zwar als Programm, als gebieterisches Gebot, als eine Art „Gelübde", sich künftig anders zu verhalten und ins Werk zu setzen, eben sich zu ändern, umzukehren, sich zu bekehren, sich in Anschauung und Haltung gründlich umzudrehen, bis zu 180 Grad.

In den Texten kommen verschiedene Spielarten solcher Gelübde, Programme, Werke oder Umkehrweisen vor:

Erstens gibt es sie innerhalb des Ethischen, innerhalb der Tugenden. Dabei nimmt man speziell bestimmte Ausprägungen des moralischen Standards auf sich, als etwas subjektiv Besonderes. So gelobte z.B. der Götterkönig Sakko in seiner vorangehenden Existenz als Mensch, sieben Gelübde einzuhalten, lebenslang: die Eltern zu ehren, die Älteren zu ehren, sanft zu reden, nie zu hintertragen, immer die Wahrheit zu sagen, gebefreudig zu sein, niemals dem Zorn zu frönen (S 11, 11 13). [44] Das sind von den vier Regeln der rechten Rede drei, während die übrigen Gelübde in den Tugendkatalogen so nicht vorkommen. Diese sieben Dinge stellen eine subjektive besondere „Auswahlpackung" an Normen dar, die innerhalb der allgemeinen Tugendregeln speziell hervorgehoben werden, auf Sakko besonders zugeschnitten.

Zweitens gibt es Programme, die über die normalen ethischen und asketischen Tugenden noch hinausgehen, insbesondere die vom Buddha gestatteten dreizehn rigorosen Asketenpraktiken (dhût'-anga) [ 45] für gewisse Mönche, die darum gebeten hatten, sie im Orden praktizieren zu dürfen. Oder der Bodhisattva gelobte, nicht eher von seinem Sitz unter dem Bodhibaum aufzustehen, bis er erlöst war (Sn 434 ff). Dies sind also heroische Ausnahmefälle.

Die dritte Art von Programmen sind die falschen und unnützen Selbstquälereien andersfährtiger indischer Asketen, wie sie die unzähligen Praktiken in M 51 usw. beschreiben. Oder hierher gehören die Tiergelübde, die Hunde- oder Kuhgelübde aus M 57, wo durch tierisches Gehaben gewähnt wurde, sich zu demütigen und zu erlösen, oder die Gelübde der Nacktgänger, wie die des Pilgers Pâtikaputto (D 24).

Auffällig ist nun, daß bei den Beschreibungen von vata nirgends das vorkommt, was die Übersetzer von sîlabbata „Riten und Zeremonien" nennen. Dafür gibt es einen besonderen Begriff: „kotûhalamangala". Darunter fallen allerlei abergläubische Praktiken, wie das Büßerbad, die Sonnenanbetung, ja sogar Untugenden wie Tieropfer. Dergleichen sind höchstens Unterfälle von sîlabbata, aber damit wird die Sache nicht umfassend beschrieben, die dritte Fessel eigentlich verharmlost.

Der dritte Wortteil parâmasa heißt wörtlich: übermäßig (parâ) berührt sein von etwas (masati), d.h. es überschätzen, überbewerten, zum Kern machen, bis hin zum Fanatismus und Fundamentalismus. Die dritte Fessel dürfte man daher wie folgt verstehen: Sîla heißt wörtlich Gewöhnung, wird meist als gute Gewöhnung (Tugend) verstanden, wohingegen schlechte Gewöhnung dussîla heißt. Sîla ist Gewöhnung an Regeln oder Gehabensweisen, meist an gute, aber aus Wahn auch an unethische. Und vata sind spezielle Programme oder Umkehrmaßnahmen. Beides aber überschätzt die Begegnungswelt und will innerhalb ihrer etwas verbessern, anstatt an Weltüberwindung zu denken. Man überschätzt das vor Augen Liegende, das Sichtbare, wie auch oft gesagt wird (sanditthi-parâmâsa).

Dazu sagt der evangelische Mystiker G. Tersteegen treffend:

„Wer alles Unrechte in der Welt recht haben und bessern will, der verwickelt sich nur in viele Unruh und Zerstreuung und bringt oft weder sich selbst noch andern Nutzen." [ 46]

Im damaligen Indien waren „Regeln und Programme" (sîlavata) vorwiegend durch drei Merkmale ausgezeichnet: religiös, individuell, gewaltlos gegen andere - mit geringen Ausnahmen. Bei uns im heutigen Abendland ist es gerade umgekehrt. Die Gehabensweisen nach außen sind kaum noch religiös, sind vorwiegend kollektiv und führen früher oder später, mehr oder weniger, zur Gewalt. Bei uns ist die Einstellung zur Außenwelt meist politisiert ("Parteigrogramm"), ist säkularisiert und hat eine deutliche Schlagseite zur Untugend. Nicht die Überschätzung des ethischen Feldes wie bei den damaligen Indern ist heute unser Problem, sondern die weitgehende Unterschätzung und Blindheit für die Notwendigkeit von Ethik und Gewaltlosigkeit. Darum ist der Begriff "sîlabbataparâmâsa" bei uns mit „Überschätzen von Tugendwerk" nicht mehr ganz passend. Wir müßten sagen: Das Sichtbare überschätzen und das äußere Getue überschätzen. Oder mit anderen Worten: Bei uns herrscht Weltverbesserungssucht aus Weltgläubigkeit und Weltverliebtheit. Der (Aber)-Glaube an eine aus Materie bestehende Welt an sich, deren Evolution man schicksalhaft ausgeliefert ist, führt konsequenterweise dazu, diese Welt durch Maßnahmen, Programme, Reformen, Revolutionen ständig verbessern zu wollen, eben umzudrehen, umzuwälzen. Es herrscht eine systematische Unruhe, es ist alles in Bewegung, und das, was sowieso schon ständig unbeständig war, wird unermüdlich weiter angeheizt und in Bewegung gehalten.

Bestenfalls und wenigstens anfänglich, von wohlmeinenden Humanisten ausgedacht, führt diese Unrast kurzzeitig zu einer etwas erträglicheren Umwelt.

Meistens aber wird alles durch Aktivismus nur umgekrempelt, aber es bleibt im Grunde dasselbe „in Grün". Das Unterste wird nach oben gekehrt und das Oberste nach unten. Grundsätzlich aber hat sich nichts geändert.

Schlimmstenfalls aber - und das nimmt im fortgeschrittenen Kaliyuga zu - wird mit Gewalt, Fanatismus, Terrorismus versucht, eine sozialrevolutionäre, eine politische oder religiös verbrämte Utopie, eine Wahn-Theorie durchzupauken, durchzuboxen - ohne Rücksicht auf Verluste. Der Idee nach will man ein Paradies auf Erden schaffen, aber in Wirklichkeit macht man die Menschenwelt zu einem Vorzimmer der Hölle - mit Atombomben, Gaskammern, Genocid, Umweltzerstörung, Klimaverwüstung usw.

Das erschütterndste, tragischste und abschreckendste Beispiel solcher „Werkgerechtigkeit", solchen Utopismus' ist der Kommunismus. Die Not der Menschen sollte behoben werden, der Ausbeutung sollte ein Ende gemacht werden, proletarische Brüderlichkeit sollte herrschen, staatliche Gewalt sollte absterben. Aber was wurde daraus unter Lenin und Stalin? Brutale Ausrottung des Adels, der Intelligenz, der Großbauern, der Parteirivalen, eben aller jeweils Unliebsamen, von denen das Regime sich ständig „säubern" mußte mit Schauprozessen, Genickschüssen, Zwangsarbeitslagern, Vernichtung durch Hunger und geplante Seuchen, durch Massenerschießungen, von Katyn bis Gulag. Eine jüngste gründliche Studie, [47] die nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Paradieses die Archive und Quellen aufarbeitete, kommt zu dem kaum faßbaren Ergebnis, daß diese Ideologie seit 1917 in der Welt 80 Millionen Menschen vorzeitig umgebracht hat, als Opfer auf dem Weg zu einer Wahnvorstellung von einer besseren Welt des Glücks.48 Die Schreckensherrschaft der Guillotine unter Danton und Robe-spierre erscheint demgegenüber relativ primitiv und „harmlos". Vorläufer des kommunistischen Weltverbesserungswahns war aber auch schon das weltverliebte unchristliche Kirchen-Christentum mit seinen Kreuzzügen gegen Heiden, gegen Moslems und Katharer, mit Inquisition, Hexenverbrennungen, Negersklaverei und anderen Übeln.

So unheimlich gefährlich ist dieser Irrweg der scheinbaren „Weltverbesserung". Und so wichtig und entscheidend ist es, daß diese dritte Fessel in der Lehre des Buddha restlos vertilgt und ausgerottet wird, so daß sie nie wieder erscheinen kann. Zur „Reinen Wissensklarheit über Weg und Nichtweg" gehört daher vor allem die Erkenntnis, daß die Weltgläubigkeit und Weltverbesserungssucht der gefährlichste Abweg ist, der den Ausweg verrammelt und nicht einmal den aufwärts führenden Tugendweg duldet.

Die fünfte Reinheit bedeutet also, die dritte Fessel abgestreift zu haben.


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