Augenblicke der Wahrheit

16. MEDIALE UND MYSTISCHE ERFAHRUNG

 

Was medial Veranlagte selten sehen, ist, daß spirituelle Erleuchtung und psychischer Irrtum zur selben Zeit im selben Geist vorhanden sein können und vorhanden sind.

Es stimmt: Analysiert man diese innersten und kostbarsten Erfahrungen, Visionell und Botschaften mit wissenschaftlicher Distanz, dann könnte das, wenn man dabei unbedacht verfährt, leicht ihren Wert zunichte machen oder ihr Wiedererscheinen verhindern. Und doch hat man genau dies zu tun, wenn man sich vor Illusionen schützen will.

Sind die Stimmen, die man vernimmt, auf dieselbe Art durch die Ohren hörbar wie die Stimmen von Menschen, dann ist das rein parapsychisch und unerwünscht. Wenn jedoch ein sehr starker geistiger Eindruck entsteht und auch ein sehr klarer, dann ist dies das mystische Phänomen, genannt das «innere Wort», das auf einer wahrhaft spirituellen Ebene auftritt und daher erwünscht ist.

Tantrischer Yoga: Seine Methoden sind physisch, zeremoniell, sinnlich und gefährlich; er zielt ab auf die Erweckung schlummernder okkulter Kraft. In seinem höchsten Stadium, wo das Motiv rein und ichlos ist, ist er ein Versuch, das Himmelreich mit Gewalt zu nehmen. Aber nur wenige Menschen haben ein derart hochfliegendes Motiv, wie auch nur wenige rein genug sind, um sich mit solchen gefährlichen Praktiken abzugeben. Es bedarf folglich kaum eines Wortes darüber, daß diese Straße einen in den meisten Fällen geradewegs hinab in den Abgrund der Schwarzen Magie führt. Und so hat es sich auch mit diesem Yoga geschichtlich in Bengalen und Tibet zugetragen.

Lernende müssen sich vor einer fehlerhaften Technik hüten. Sie mißbrauchen die Meditation, wenn sie sie dazu zwingen, ihren Phantasien und Irrtümern, asketischen Phobien und religiösen Fanatismen zu dienen. Sie versinken dann im Sumpf ihrer eigenen Vorstellungen oder in idealisierten Projektionen ihrer selbst. Es ist leicht, die Stimme des Ich mit der Stimme des Überselbst zu verwechseln. Und es ist für Meditierende nicht schwer, in ihrer Einbildung Sachen zu sehen, denen keinerlei Wirklichkeit entspricht, oder sich eine trügerische Mixtur aus Tatsache und Einbildung zusammenzubrauen.

Die Zweifel des Skeptikers - ob man in dieser Verfassung zu spiritueller Verbundenheit mit dem Göttlichen gelangt oder nur eine Halluzination erzeugt - sind nicht selten gerechtfertigt. Vieles von dem, was für mystische Erfahrung gehalten wird, ist bloß Halluzination. Selbst wo eine echte mystische Erfahrung vorliegt, ist sie oft gleichzeitig mit einer halluzinatorischen Erfahrung verquickt. Der unterbewußte Geist setzt leicht Vorurteile, vorgefaßte Meinungen, von außen empfangene Anstöße und so weiter in visuelle oder auditive Erlebnisse um, die eindringlich jene Ideen oder Meinungen bestätigen, von denen der Meditierende auch ausgegangen war. Anstatt ihn von Irrtümern und Täuschungen zu befreien, kann ihn eine derart praktizierte Mystik nur immer tiefer und fester in sie einsinken lassen. Denn was ihm früher bloßer Glaube war, wird ihm jetzt gesicherte mystische Erfahrung sein.

In unserer ausgedehnten Erfahrung haben wir feststellen müssen, daß eine nicht durch Vernunft geprüfte und durch Handeln ausgeglichene Meditation nicht selten Monomanen hervorgebracht hat. Eine «reine» Erfahrung ist rar und tritt erst in einem hochentwickelten Stadium auf. Nur wo die rechte Vorbereitung, Selbstläuterung und geistige Disziplinierung stattgefunden hat, kann eine wirklich reine Erfahrung gemacht werden.

Es gibt vierzehn Anzeichen für den medialen Zustand. Das Medium leidet an:

Erst nachdem der Mystiker menschliche Begierden empfunden und menschliche Freuden gekannt, intellektuelle Begrenzungen überwunden und weltliche Enttäuschungen erduldet hat, kann er sich ein Urteil erlauben. Hat er nicht genug Erfahrungen des gewöhnlichen Lebens gehabt, kann er womöglich die durch mystische Intuitionen gewiesenen Werte nicht gehörig beurteilen oder den Sinn dieser mystischen Erfahrungen selbst nicht richtig verstehen. Was er also aus beiden zieht, hängt in gewissem Maße davon ab, was er dazu mitbringt. Wenn das, was er mitbringt, zu wenig oder zu einseitig ist, wird ihn sein höheres Selbst nach und nach dahin leiten, eine diesen Mangel behebende Entwicklung anzusteuern. Und um ihn zu diesem Umweg zu zwingen, wenn er nicht auf die innere Führung eingehen will, wird es ihn für eine Zeit mit der furchtbaren Schwermut der finsteren Nacht schlagen.

Das Eindringen des denkenden Verstandes oder des egoistischen Gefühls in das intuitive Erleben stellt für alle Mystiker eine Gefahr dar. Und es ist eine Gefahr, die für den weiter Fortgeschrittenen genauso unablässig bestehen bleibt wie für den Anfänger, wenn auch auf andere Art. Es ist die Quelle schmeichelhafter Illusionen, die sich als authentische, unfehlbare Intuitionen ausgeben. Sie verleiht Plattheiten, die einem in den Sinn kommen, einen hoheitlichen Glanz, der ihnen nicht zukommt Der umsichtige Mystiker muß sich vor dieser Bedrohung hüten und in acht nehmen. Er muß ihrem Schmeicheln seiner Eitelkeit, ihrer Zerstörung der Wahrheit widerstehen.

Wenn die Persönlichkeit ungleich entwickelt wurde, wenn ihre Kräfte nicht richtig aufeinander abgestimmt wurden und im Denken, Fühlen und Wollen noch Schwächen vorhanden sind, dann werden diese Schwächen an der Schwelle zur Erleuchtung durch die aufwallende Seelenkraft vergrößert und übererregt werden und zu widrigen psychischen Ergebnissen führen.

Alle okkulten und übersinnlichen Kräfte sind entweder Erweiterungen des menschlichen Potentials oder der tierischen Sinne. Sie sind noch immer halb materialistisch, weil mit dem Ich oder dem Körper des Menschen verbunden. Alle wahrhaft spirituellen Kräfte sind auf einer bei weitem höheren und ganz anderen Ebene angesiedelt. Sie gehören seinem göttlichen Selbst.

Der Mystiker steht auf einer Ebene, die der des Okkultisten und des Hellsehers überlegen ist. Die verschiedenen Systeme des Okkultismus, der Theosophie und der Parapsychologie sind alle für das wahre Selbst des Menschen objekthaft und bringen ihn daher vom geraden und schmalen Pfad ab. Nützlich und notwendig sind sie jedoch für jene egoistischen und überintellektualisierten Naturen, die sich nicht zu den vergeistigten Gefilden der wirklichen Wahrheit aufschwingen können. Alles, was den Menschen davon abhält, wahrhaft spirituell zu werden, hält ihn vom wirklichen Pfad ab - einschließlich der faszinierenden Wissens- und Übungssysteme, die die altertümlichen und modernen okkulten Lehren enthalten. Erst wenn alle objektiven Dinge und Gedanken im Subjekt, dem Selbst oder dem Seher verschwunden sind, kann der Mensch sein höchstes Ziel erreichen. Alle anderen Beschäftigungen lassen ihn nur von der höchsten Wahrheit abweichen. Daher habe ich von Studium und Ausübung des Okkultismus abgelassen. Ich habe ungern damit aufgehört, denn die Macht, die er verheißt, ist nicht zu verachten. Ich erkenne jedoch, daß meine Vergangenheit mit Irrtümern und Fehlern übersät ist. Ich wähnte, daß eine große persönliche Erfahrung der übersinnlichen und mysteriösen Seite der Natur mich der Wahrheit näher brächte. Tatsächlich hat sie mich weiter davon weggeführt.

Einst war mir häufig das Aufleuchten einer großen Glückseligkeit und eines intensiven Zustands des Samadhi beschert; dann hatte ich das Pech, mit Theosophen und anderen dieses Schlages in Kontakt zu kommen, die mir anstelle meiner echten innerlichen Freude geschickt intellektuelle Systeme und Theorien einpflanzten, über die ich fortan grübeln sollte. O weh! Ich war zu jung und zu unerfahren, um zu wissen, was mir geschah. Die Glückseligkeit verschwand bald; die Samadhis hörten auf, und ich wurde an das Gestade des Endlichen gespült, ein unglückliches und problemgepeinigtes Stück menschliches Treibgut. Keine Verheißung wunderbarer Weihen zu irgendeiner künftigen Zeit wird mich dazu verlocken, mein Leben der Obhut eines sogenannten Guru anzuvertrauen, der entweder nicht fähig oder nicht willens ist, mir zu einem Aufleuchten des Gottesbewußtseins zu verhelfen, das er zu besitzen vorgibt. Ich bin nicht geneigt, einem Pfad zu folgen, auf dem ich irgendwo draußen inmitten der Wüste lande, aller Vernunft, aller Hoffnung und alles Glücks beraubt.

Drei große und aufeinanderfolgende Ziele tun sich vor dem Mystiker auf. Das erste ist, sich des Randbereichs oder der Aura seiner göttlichen Seele, des Überselbst, bewußt zu werden. Die meisten Mystiker, emotional hingerissen von ihrer Entdeckung, hören hier auf. Das zweite ist, ins ruhig-gelöste Zentrum vorzudringen und während der Trance in die undifferenzierte Leere seines unfaßbaren, durch nichts bedingten Wesens einzugehen. Die verständigeren und höherstehenden Mystiker, die natürlich denen der ersten Art zahlenmäßig weit unterlegen sind, geben sich nicht eher zufrieden, als bis sie diesen Stand erreicht haben. Auf eben diese Erfahrung der Weltauflösung gründen die meisten indischen yogischen Metaphysiker ihre Theorie, daß das Universum eine Illusion sei. Für den gewöhnlichen Yogi ist dies der Gipfel des Erreichbaren, stellt dies das Ziel menschlichen Daseins dar. Aber die Trance selbst ist nur vorübergehend. Wie kann eine noch so sehr verlängerte Geistesabwesenheit, eine bloß zeitweilige Verfassung das letztgültige Ziel der Menschheit sein? Dies ist das Problem, das in "Die Philosophie der Wahrheit" durchaus gestellt wurde. Alle derartigen Theorien zeigen nur, daß solche Mystiker ihre Grenzen haben, wie bewundernswert ihre Fähigkeit, in den Trancezustand einzugehen und darin zu bleiben, auch sein mag.

 

Das dritte Ziel ist, das wahre Selbst, die wesentliche Leerheit und die Erscheinungswelt während des vollen normalen Wachzustands in eine harmonische, einheitliche Erfahrung zu bringen. Dies ist philosophische Mystik. Als eine vielschichtige und umfassende Zielsetzung verlangt sie natürlich eine vielschichtige und umfassende Anstrengung. Eine sorgfältige analytische und historische Untersuchung mystischer Praktiken und mystischer Biographien wird zeigen, daß es diese drei unterschiedlichen Ziele sind, die zu allen Zeiten verfolgt oder erreicht wurden, einerlei, welcher äußeren Religion, welchem Land oder welcher Rasse die einzelnen Mystiker angehörten. Die Darstellung, die der gewöhnliche Mystiker vom Überselbst gibt, ist also wahr, aber unvollständig, die Erfahrung, die er davon macht, authentisch, aber unzureichend. Er muß sich noch der ganzen, der vollständigen Erfahrung unterziehen, zu der die Mystik verhelfen kann. Doch wenn er dies tut, wenn er sich nicht mit einem unvollständigen und unvollkommenen Gelingen zufrieden gibt, wird er nicht länger ein Mystiker bleiben. Er wird ein Philosoph werden.

Mystische Erfahrung bringt keine Kosmogonie hervor, das heißt sie sagt uns nicht etwas Neues über das Universum oder über Gottes Beziehung zum Universum. Sie sagt uns allerdings etwas wunderbar Neues über uns selbst - also über den Menschen. In einer solchen Erfahrung ist es nicht das Universum, das die innersten Geheimnisse seiner Natur offenbart, sondern es ist der Mensch, der das tut.


17. DER RELIGIÖSE DRANG

 

Das vollste Recht, von Gott zu reden, hat nur, wer Gott kennt, nicht seine Idee, Phantasie, Glaubensmeinung oder Vorstellung von Gott. Von der Seele, ihrer Kraft, ihrem Frieden und ihrer Weisheit schreiben sollte nur, wer jeden Tag in jedem Augenblick darin lebt. Da aber solche Menschen allzu rar und schwer zu finden sind, hat sich die Menschheit mit Stellvertretern für sie begnügen müssen. Diese Stellvertreter sind schwache und fehlbare Sterbliche, die sich an Schatten klammern. Aus diesem Grunde streiten, zanken, kämpfen und hetzen die religiösen Eiferer sowohl innerhalb wie außerhalb ihrer Gruppierungen.

Der Skeptiker, der Anthropologe und der Philosoph vom Schlag Bertrand Russells sagen, daß die Religion entstand, weil der primitive Mensch in Angst und Schrecken vor den zerstörerischen Naturgewalten lebte und versuchte, sie oder ihre Personifizierungen durch Verehrung und Anbetung zu besänftigen. Sie sagen überdies, daß der zivilisierte Mensch, nachdem er ein gewisses Maß an Kontrolle über die Naturgewalten erlangt hat, sich weitaus weniger auf religiöse Praktiken angewiesen fühlt. Dies ist eine irrige Auffassung. Die Religionen wurden von Weisen gestiftet, die ihre Notwendigkeit als vorbereitetes Mittel dazu erkannten, den Geist der Menschen zu den höheren Wahrheiten der Wissenschaft und Philosophie zu erziehen.

Gott ist Geist, und wer ihn in Wahrheit verehrt, verehrt ihn geistig. Die von bezahlten Berufspriestern eingeführten pompösen Zeremonien ermöglichen es Männern und Frauen, genüßliche emotionale Wallungen zu verspüren, aber sie ermöglichen ihnen nicht, Gott zu verehren. Ein Gebäude wird dann ein heiliger Tempel, wenn darin kein vom Band gesprochenes Gemurmel mehr zu hören und keine theatralischen Affereien mehr zu sehen sind und wenn es einen geziemenden Ort abgibt, an dem seine Besucher ungestörte schweigende und nach innen gekehrte Zwiesprache mit ihrem eigenen tieferen Geist pflegen können.

Die Herabwürdigung, Verfälschung, Kommerzialisierung und Ausbeutung, die die Menschen der Mission eines Propheten durch die institutionelle Religion angetan haben, zeugt deutlich davon, wie es mit diesen Menschen bestellt ist. Tatsache ist, daß sie nicht mit der Macht betraut werden können, die der Institutionalismus ihnen verleiht. Die Religion ist sicherer und gesünder und wird mehr echte Fortschritte machen, wenn man sie als spontanen Ausdruck inspirierter einzelner frei und unorganisiert beläßt. Sie ist eine persönliche und private Angelegenheit und verkommt stets zur Scheinheiligkeit, wenn sie zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht wird. Tatsache ist, daß man die Spiritualität gar nicht mit Erfolg organisieren kann. Sie ist eine unabhängige persönliche Sache, eine private Entdeckung und keine Emotion der Massen.

Viele Menschen haben so sehr über ihre Vorstellung von Gott meditiert, daß sie eins mit der Vorstellung geworden sind und nicht eins mit Gott, wie sie sich voll Eitelkeit einreden Die Vorstellung ist nicht die Wirklichkeit.

Keine Kirche kann sich ihre urtümliche Spiritualität bewahren, wenn sie sich nicht ihre politische Unabhängigkeit bewahrt. Und diese wiederum kann sie nicht haben, wenn sie sich als staatliche Einrichtung eine bevorzugte Position über anderen Kirchen einräumen läßt. Es war nicht der Führer des russischen Atheismus, sondern der Führer der russisch-orthodoxen Kirche selbst, der verstorbene Patriarch Sergius, Metropolit von Moskau, der zugab, daß die Abschaffung der Staatskirche in seinem Land durch die Bolschewiken in Wirklichkeit «eine Rückkehr zu apostolischen Zeiten (war), als die Kirche und ihre Diener ihr Amt nicht für einen Beruf zum Erwerb ihres Lebensunterhalts hielten». Dies waren seine eigenen Worte.

Es ist eine gesamtgeschichtliche Tragödie, daß die Namen von Männern wie Jesus, die nur kamen, um Gutes zu tun, unweigerlich von denen ausgeschlachtet werden, die ihren Geist nicht erfassen und mehr Schaden anrichten als Gutes tun. Ein förmlicher Beitritt zu einer religiösen Organisation verbindet einen Menschen nur mit dieser Organisation und keineswegs mit dem Propheten, dessen Namen sie für sich beansprucht. Keine religiöse Institution in der Geschichte ist dem Propheten, dessen Namen sie trägt, dessen Wort sie predigt, dessen Ethik sie einimpft, völlig treu geblieben. Ein religiöser Prophet wird verhöhnt und nicht geehrt, wenn Menschen seinen Namen in den Mund nehmen und sein Beispiel meiden. Keine Kirche ist der mystische Leib irgendeines Propheten. Alle Kirchen sind letzten Endes nur menschliche Verbände und leiden an den Schwächen und Eigennützigkeiten, den Irrtümern und Fehlern, die von solchen Verbänden nicht zu trennen sind. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß dort, wo der religiöse Einfluß auf die Gesellschaft die Übel des Fanatismus, der Engstirnigkeit, der Intoleranz, des Aberglaubens und der Rückständigkeit hat gedeihen lassen, deren Vorhandensein auf die hauptberuflichen Mitglieder und mönchischen Institutionen der betreffenden Religion zurückgeführt werden kann. Die Priesterzunft, wie ich sie in bestimmten orientalischen und okzidentalischen Ländern beobachtet habe, ist oft unwissend und im allgemeinen überheblich. In der ganzen Welt kann man die Geistlichen und Priester in zwei Kategorien einteilen: solche, die bloß Inhaber von Posten sind, und solche, die wahrhaft Diener der Religion sind.

Die Religion wurde zum Beistand der Massen geschaffen. Die Mystik wurde zum Beistand des einzelnen geschaffen. Hat die Religion einen Menschen an die Schwelle tieferer, hinter der ihren liegender Wahrheiten geführt, hat sie ihre Pflicht getan. Ihr wirklicher Wert kommt erst in der Mystik zum Tragen. Fortan kann allein die Praxis mystischer Übungen gewährleisten, daß man weiter spirituelle Fortschritte macht. Denn die Mystik gründet nicht auf dem Treibsand des Glaubens oder dem lockeren Geröll des Beweises, sondern auf dem harten Fels der Erfahrung. Der erste große Sprung vorwärts im spirituellen Leben findet statt, wenn man von der Religion zur Mystik übergeht, wenn man nicht mehr in irgendein Steingebäude oder zu irgendeinem bezahlten Mittler gehen muß, um Ehrfurcht vor Gott zu empfinden, sondern dazu in sich selbst geht. Die Mystik ist für denjenigen bestimmt, der nicht in Eile ist, der willens ist, hartnäckig für das Bewußtsein seiner göttlichen Seele zu arbeiten und geduldig darauf zu warten. Die anderen, die nicht die Zeit dazu haben und daher zur Religion Zuflucht nehmen, müssen dem Glauben gemäß leben, nicht dem Bewußtsein gemäß. Wer von aufrichtiger Frömmigkeit und überliefertem Glauben an die Seele zu ihrem praktischen Beweis und ihrer persönlichen Erfahrung aufsteigen will, muß von der Religion zur Mystik aufsteigen. Die Mystik strebt danach, ohne die Vermittlung irgendeines Menschen und ohne den Gebrauch irgendeines äußeren Hilfsmittels eine direkte Fühlung mit der göttlichen Seele herzustellen. Deshalb muß sie innen suchen und nirgendwo sonst. Deshalb braucht sie auch nicht die gewöhnlichen Formen und Methoden der Religion und muß sie fallen lassen. Wenn der Mystiker feststellt, daß ihn die göttliche Gegenwart von innen erleuchtet und stärkt, dann kann man es ihm nicht verübeln, daß er wenig Wert auf sakramentale Zeremonien legt, die behaupten, dies von außen zu bewirken. Ebenso wenig ist er zu tadeln, wenn er schließlich den Kirchgang für überflüssig und das sakramentale Heil als illusorisch erachtet. Wenn ein Mensch in sich die göttliche Gegenwart, göttliche Inspiration und göttliche Führung finden kann, welchen Bedarf hat er dann noch an kirchlicher Organisierung? Sie kann nur einem Menschen nützlich sein, dem dergleichen abgeht.

Die philosophische Lehre besagt, daß die Wiederkunft jedes Propheten ein inneres Geschehen ist und kein physisches. Das einfache Volk mit seiner eher materialistischen und nicht so feinen Auffassungsgabe erwartet, seinen Körper wiederzusehen Die Eingeweihten erwarten nur, seine geistige Gegenwart in sich zu finden.

Der wird wahrhaft religiös, der von jeglicher sektiererischen Haltung Abstand nimmt und das Studium aller religiösen Manifestation auf dieser Welt zu seinem Feld macht.


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