Der Weg zur Erlösung

Die vier unkörperlichen Gebiete

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Das Raum-Unendlichkeitsgebiet, Bewußtseins-Unendlichkeitsgebiet, Nichtsheitsgebiet, Weder-Wahrnehmungs-noch-Nichtwahrnehmungsgebiet: diese vier Geisteszustände werden als die unkörperlichen Gebiete (arúpāyatana) bezeichnet, bisweilen auch als die unkörperlichen Vertiefungen (arúpa-jhāna) oder kurz als die unkörperlichen Zustände (aruppa). Sie gehören alle, genau genommen, noch zur vierten Vertiefung, da sie eben die die vierte Vertiefung kennzeichnenden beiden Vertiefungsglieder Gleichmut (upekkhā) und Sammlung (samādhi) besitzen.

 

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1. Raumunendlichkeitsgebiet (ākāsānañcāyatana)

 

Zur Erreichung dieses Zustandes hat man zuerst durch Entfaltung irgendeiner Kasina-Übung die vierte Vertiefung zu erreichen. Dann erhebt man sich aus dieser Vertiefung und betrachtet das Elend aller Körperlichkeit, und mit der Absicht das unkörperliche Gebiet zu erreichen, breitet man das noch anwesende geistige Kasinabild bis ins Unermeßliche aus, denkend ,Raum! Raum! Endlos ist der Raum’, und bringt so das Kasinabild zum Schwinden. „Angenommen, die Öffnung eines Reiseproviantkorbes oder Kessels o. ä. sei mit einem blauen, gelben, roten, weißen oder andersfarbigen Tuch überspannt, und ein Mann betrachte sich das. Nachdem aber durch einen Windsturm oder irgendeinen anderen Grund das Tuch heruntergerissen ist, wird dieser Mann den leeren Raum betrachtend dastehen. Genau so ist es mit der Raumvorstellung; denn wer zuerst die Kasinascheibe mit dem Auge der Vertiefung anschauend verweilt hat, wird, sobald durch die vorbereitende (parikamma) Erwägung ,Raum ! Raum’ jenes geistige Bild plötzlich geschwunden ist, eben den bloßen Raum anschauend verweilen." (Vis. X. 1) Wie es heißt:

 

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D. 33

Durch völlige Überwindung der Körperlichkeitswahrnehmungen aber, das Schwinden der Rückwirkswahrnehmungen, das Nichterwägen der Vielheitswahrnehmungen gewinnt er in der Vorstellung: ,Unendlich ist der Raum’ das Raumunendlichkeitsgebiet.

 

Körperlichkeitswahrnehmungen (rúpa-saññā): „Was bei den in die Erreichungszustände der feinkörperlichen Sphäre Eingetretenen oder bei den darin Wiedergeborenen oder gegenwärtiges Wohl (der Vertiefung) Genießenden an Wahrnehmung besteht, an Tätigkeit des Wahrnehmens, Zustand des Wahrgenommenhabens: Das bezeichnet man als die Körperlichkeitswahrnehmungen." (Vibh. XII.)

„Unter den Rückwirkswahrnehmungen (patigha-saññā) hat man diejenigen Wahrnehmungen zu verstehen, die entstanden sind durch Rückwirkung der Sinnesorgane, wie Sehorgan usw. auf die Vorstellungsobjekte, wie Sehobjekte usw." (Vis. X. 1.) Wie es heißt (Vibh. XII):

„Was sind da die Rückwirkswahrnehmungen? Die Wahrnehmung von Sehobjekten, Tönen, Düften, Säften und Körpereindrücken." Selbstredend ist auch bereits in der ersten Vertiefung die Fünfsinnentätigkeit aufgehoben.

„Was sind da die Vielheitswahrnehmungen (nānatta-saññā)? Die Wahrnehmungen oder die Tätigkeit des Wahrnehmens oder der Zustand des Wahrgenommenhabens bei einem, der sich nicht in der Vertiefung befindet und bei dem entweder das Geistelement (mano-dhātu) oder Geistbewußtseinselement (manoviññāna-dhātu; s. Kap. 188 f) tätig ist: Diese nennt man die Vielheitswahrnehmungen." (Vibh. XII.)

,Unendlich ist der Raum’: So heißt es, weil der Mönch seinen Geist auf jenen Raum heftet, ihn darin festigt und das Unendliche durchdringt." (Vibh. XII.)

 

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2. Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet (viññānañcāyatana)

 

Durch völlige Überwindung des Raumunendlichkeitsgebietes aber gewinnt er in der Vorstellung: ,Unendlich ist das Bewußtsein’ das Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet.

 

„,Unendlich ist das Bewußtsein’ besagt, daß der Mönch eben jenen vom Bewußtsein durchdrungenen Raum aufmerksam betrachtet und als unendlich durchdringt." (Vibh. XII.)

„Um diesen Zustand zu erreichen, möge der Mönch das jenen Raum durchdringende Bewußtsein immer wieder bedenken, beachten, erwägen, mit seinen Gedanken beständig bearbeiten (während er sich dabei in der sinnlichen Sphäre befindet) . . . Während er nun immer wieder seinen Geist auf jenes Vorstellungsobjeke hinlenkt, werden die Hemmungen in ihm verdrängt, seine Achtsamkeit festigt sich, und sein Geist sammelt sich auf der angrenzenden (upacāra) Stufe. Jenes Vorstellungsobjekt aber übt er immer wieder, entfaltet und pflegt es. Und während er solches tut erreicht . . . das Bewußtsein des Bewußtseinsunendlichkeitsgebietes hinsichtlich des den Raum durchdringenden Bewußtseins die ekstatische Sammlung (und gewinnt hier die vierte Vertiefung)."

 

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3. Nichtsheitsgebiet (ākiñcaññāyatana)

 

Durch völlige Überwindung des Bewußtseinsunendlichkeitsgebietes aber gewinnt er in der Vorstellung ,Nichts ist da’ das Nichtsheitsgebiet.

 

Um diesen Zustand zu erreichen, schenkt der Mönch der Nichtsheit und Leerheit eben jenem das Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet zur Vorstellung habenden Bewußtsein des Raumunendlichkeitsgebietes, seine ganze Aufmerksamkeit. Dem Bewußtseinsunendlichkeitsgebiete aber keine Aufmerksamkeit mehr schenkend, erwägt er immer wieder die Vorstellung ,Nichts ist da! Nichts ist da!’ oder leer ist das! Leer ist das!’ usw. Während er nun so seinen Geist auf jene Vorstellung gerichtet hält und ihm alle geistigen Hemmungen schwinden, festigt sich seine Achtsamkeit, und sein Geist sammelt sich auf der angrenzenden (upacāra) Stufe. Indem er aber immer wieder dieses Vorstellungsbild übt und entfaltet, erreicht das Bewußtsein dieses Nichtsheitsgebietes volle Entfaltung hinsichtlich der Leerheit und Hohlheit jenes durch Durchdringung des Raumes entstandenen Bewußtseins.

In Vibh. XII heißt es: „,Nichts ist da!’ bedeutet: Er bringt eben jenes Bewußtsein (des Raumunendlichkeitsgebietes) zum Nichtsein, zur Aufhebung, zum Schwinden."

 

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4. Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmungsgebiet (neva-saññā-nāsaññāyatana)

 

Durch völlige Überwindung des Nichtsheitsgebietes aber gewinnt er das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung.

 

Auch diesen Zustand gewinnt der Mönch in genau der entsprechenden Weise wie die drei früheren.

In Vibh. XII heißt es: „Eben jenes Nichtsheitsgebiet betrachtet er als friedvoll und entfaltet so die Erreichung des letzten Restes der (schon dem Erlöschen nahen) Geistesfaktoren (Wahrnehmung, Gefühl, usw.)."

Obwohl der Mönch das Nichtsheitsgebiet als friedvoll betrachtet, wendet er dennoch seinen Geist davon ab und richtet ihn auf das Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmungsgebiet, da dieses eben noch friedvoller und erhabener ist.

Der Name für diesen Zustand soll besagen, daß man da im gewöhnlichen Sinne nicht von Anwesenheit der Wahrnehmung reden kann, daß aber genau genommen doch immer noch ein verschwindender Grad davon da ist.

Was aber für Wahrnehmung zutrifft, trifft genau so zu für alle übrigen Geistesfaktoren, wie Gefühl, Wille, Aufmerken usw., so daß man diesen Zustand genau so gut ,Weder-Bewußtsein-noch-Nichtbewußtseinsgebiet’ oder ,Weder-Gefühl-noch-Nichtgefühlsgebiet’ usw. nennen könnte.

Von den vier unkörperlichen Zuständen entsteht also das Raumunendlichkeitsgebiet durch Überwindung der körperlichen Vorstellungsobjekte, das Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet durch Überwindung des Raumes, das Nichtsheitsgebiet durch Überwindung des hinsichtlich des Raumes entstandenen Bewußtseins, das Weder-Wahrnehmungs-noch-Nichtwahrnehmungsgebiet durch Überwindung der Vorstellung von der Abwesenheit des hinsichtlich des Raumes entstandenen Bewußtseins.

 

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Vorstellung von der Widerlichkeit der Nahrung

 

Von den vier Arten der Nahrung (stoffliche Nahrung, Bewußtseinseindruck, geistiger Wille und Bewußtsein) kommt hier nur die stoffliche Nahrung in Betracht. Nach Vis. XI hat der Mönch diese Vorstellung zu erwägen mit Hinsicht auf die Widerlichkeit der durch Nahrung bedingten Galle-, Schleim-, Eiter- und Blutabsonderungen, die Widerlichkeit des Aufbewahrungsortes im Körper die Widerlichkeit der unverdauten wie der verdauten Speisen, die Ausscheidungen usw.

 

 

A.VII.45

Die Vorstellung der Widerlichkeit der Nahrung (āhāre patikkúla-saññā) ihr Mönche, entfaltet und häufig geübt, bringt hohen Lohn und Segen, hat das Todlose zum Stützpunkte und Ziele. Mit Hinsicht aber worauf wurde dies gesagt?

Wer, ihr Mönche, häufig im Geiste von der Vorstellung der Widerlichkeit der Nahrung erfüllt ist, dessen Geist schreckt zurück von der Geschmacksgier, wendet sich weg, kehrt sich ab, fühlt sich nicht dazu hingezogen; und Gleichmut oder Ekel stellen sich ein.

Gleichwie, ihr Mönche, eine Hahnenfeder oder ein Stück Bogensehne, wenn man sie ins Feuer wirft, zusammenschrumpft, sich krümmt, zusammenrollt, sich nicht mehr ausstreckt: Genau so, ihr Mönche, schreckt der Geist eines solchen Mönches zurück vor der Geschmäckigkeitsgier, wendet sich weg, kehrt sich ab, fühlt sich nicht dazu hingezogen; und Gleichmut oder Ekel stellen sich ein.

 

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S.46.69

Hat man die Vorstellung der Widerlichkeit der Nahrung, ihr Mönche, entfaltet und häufig geübt, so bringt sie hohe Frucht und hohen Segen, und man hat eines von zwei Ergebnissen zu erwarten: Höchstes Wissen oder falls noch ein Daseinsrest übrig bleibt, Niewiederkehr . . . so führt sie zu hohem Heile . . . zu hohem Geistesfrieden . . . zur Ergriffenheit . . . zum Wohlsein. Wie aber entfaltet und häufig geübt, bringt sie solchen Segen?

Da, ihr Mönche, entfaltet der Mönch die von der Vorstellung der Widerlichkeit der Nahrung geleiteten, auf Abgeschiedenheit, Loslösung und Erlöschung gegründeten und zum Loslassen führenden Erleuchtungsglieder Achtsamkeit, Wahrheitsergründung, Willenskraft, Verzückung, Gestilltheit, Sammlung und Gleichmut.

 

136

S.12.63

„Wie, ihr Mönche, hat man die stoffliche Nahrung zu betrachten? Gesetzt, ihr Mönche, zwei Eheleute wanderten, nur mit geringer Wegzehrung versehen, auf einem Wege durch die Wüste. Bei ihnen befände sich ihr einziges liebes und teures Söhnchen. Nun aber käme jenen beiden Eheleuten, während sie sich in der Wüste befänden, die geringe Wegzehrung zum Schwinden und ginge zu Ende, noch aber hätten sie nicht den Rest der Wüste durchkreuzt. Da sagten sich die beiden Eheleute: ,Unsere geringe Wegzehrung ist nun aufgebraucht und zu Ende, aber noch haben wir nicht den Rest der Wüste durchkreuzt. Wie, wenn wir nun unser einziges liebes und teures Söhnchen schlachteten, Dörr- und Pfefferfleisch herstellten und das Fleisch des Kindes verzehrend, so den letzten Rest der Wüste durchkreuzten, damit wir nicht alle drei umkommen?’ Und die beiden Eheleute schlachteten ihr einziges liebes und teures Kindlein, stellten Dörr- und Pfefferfleisch her und entkämen so, des eigenen Kindes Fleisch verzehrend, dem letzten Rest der Wüste. Während sie aber ihres eigenen Kindes Fleisch verzehrten, schlügen sie sich weinend an die Brust, rufend: ,Wo ist nun unser einziges Söhnchen? Wo ist unser einziges Kind?’

Was meint ihr, ihr Mönche: Verzehrten diese beiden wohl ihre Nahrung zum Zeitvertreib oder zum Vergnügen oder, um Schönheit und Anmut zu erlangen?"

„Nein, o Ehrwürdiger."

„Verzehrten sie, ihr Mönche, diese nicht vielmehr bloß um der Wüste zu entrinnen?"

„Ja, o Ehrwürdiger."

„Genau so, ihr Mönche, sage ich sollte man die stoffliche Nahrung betrachten. Hat man, ihr Mönche, die stoffliche Nahrung durchschaut, so hat man die Gier nach den fünf Sinnenobjekten durchschaut. Hat man aber die Gier nach den fünf Sinnenobjekten durchschaut, so gibt es keine Fessel mehr, durch die gefesselt der edle Jünger wieder zu dieser Welt zurückkehren sollte."

 

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Vis. XI

Die alten Meister sagten:

Der edle Trank, die werte Speise,
Ob hart, ob weich, wie sie auch sei;
Durchs eine Tor geht sie hinein,
Durch neune sickert sie heraus.
 
Den edlen Trank, die werte Speise,
Ob hart, ob weich, wie sie auch sei,
Man ganz gemeinschaftlich verzehrt,
Doch beim Entleer’n versteckt man sich.
 
Den edlen Trank, die werte Speise,
Ob hart, ob weich, wie sie auch sei,
Man voller Leidenschaft verzehrt,
Doch beim Entleer’n fühlt Ekel man.
 
Der edle Trank, die werte Speise,
Ob hart, ob weich, wie sie auch sei:
Nach Ablauf einer einz’gen Nacht
Wird all dies in Verwesung sein.
 

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