Visuddhi Magga XX 

Vis.XX.7  Die 10 Trübungen des Hellblicks (vipassanūpakkilesa)

 

Während dieses angehenden Hellblicks steigen in dem Hellblickbeflissenen 10 Trübungen des Hellblicks auf. Diese nämlich steigen nicht auf in einem die Durchdringung (der Wahrheiten) erreicht habenden Edlen Jünger, aber auch nicht in einem (in seiner Sittlichkeit usw.) auf den Abweg Geratenen, nicht in einem, der sein Übungsobjekt aufgegeben hat, nicht in einem Trägen; sondern bloß in dem richtig übenden und in angemessener Weise sich anstrengenden hellblickbeflissenen edlen Sohne steigen diese Dinge auf.

 

Welches aber sind die 10 Trübungen? Es sind:

  1. Lichtglanz,
  2. Erkenntnis,
  3. Begeisterung,
  4. Gestilltheit,
  5. Glücksgefühl,
  6. Entschlossenheit,
  7. Anstrengung,
  8. Gewärtigsein,
  9. Gleichmut,
  10. Lust.

 
So nämlich heißt es (Pts. II. p. 100f):

 

"Welcherart aber ist der von Wahrheitsunruhe (dhammuddhacca) ergriffene Geist? Während der Hellblickbeflissene die Dinge als vergänglich betrachtet, steigt in ihm ein Lichtglanz (obhāsa) auf. Der Übende aber merkt auf diesen Lichtglanz, indem er ihn für den rechten Pfad hält. Die Zerstreutheit dadurch gilt als Unruhe. Im Geiste aber von jener Unruhe ergriffen, erkennt er nicht wirklichkeitsgemäß das Aufmerken auf die Dinge als vergänglich ... elend ... unpersönlich. Ferner, während er die Dinge als vergänglich betrachtet, entsteht:
 

 
Er aber merkt auf diese Lust, indem er sie für den rechten Pfad hält. Dadurch kommt es in ihm zu Zerstreutheit und Unruhe. Im Geiste aber von jener Unruhe ergriffen, erkennt er nicht wirklichkeitsgemäß das Aufmerken auf die Dinge als vergänglich . . ."

 

Hier nun hat man unter dem 'Lichtglanz' (obhāsa) den Lichtglanz des Hellblicks zu verstehen. Sobald dieser aufsteigt, kommt dem Übungsbeflissenen der Gedanke: 'Wahrlich, nie zuvor ist mir ein solcher Lichtglanz aufgestiegen. Sicherlich habe ich den Pfad erreicht, habe ich das Pfadergebnis erreicht'. Und so hält er den Nichtpfad für den Pfad; und was was kein Pfadergebnis ist, hält er für das Pfadergebnis. Indem er aber den Nichtpfad für den Pfad und das Nicht-Pfadergebnis für das Pfadergebnis hält, gilt der Hellblickprozeß (vipassanā-vīthi) als abgebrochen. Sein eigenes ursprüngliches Übungsobjekt fahren lassend, sitzt er da und erfreut sich bloß noch am Lichtglanze.

 

Dieser Lichtglanz aber steigt bei einem Mönche in der Weise auf, daß er bloß seinen Platz erleuchtet, wo er sitzt, bei einem anderen das Innere des Zimmers, bei einem anderen das ganze Kloster, den Umkreis von einer viertel, halben oder ganzen Meile, von 2 Meilen, 3 Meilen . . . Bei einem anderen Mönche steigt er so auf, daß er vom Erdboden ab bis zur Brahmawelt der Höchsten Götter (akanittha) ein einziges Licht erzeugt. Dem Erhabenen aber war ein Lichtglanz aufgestiegen, der über ein zehntausendfaches Weltsystem sein Licht verbreitete. Mit Hinsicht auf die Verschiedenartigkeit des Lichtglanzes möge folgende Erzählung dienen:

 

- Wie es heißt, saßen einst in einem Hause mit doppelter Mauer auf dem Cittalaberge zwei Ordensältere. Es war gerade der Fasttag der dunklen Monatshälfte. Der Himmel war mit einer Wolkenhülle überzogen und in der Nacht herrschte eine vierfache Finsternis. Da sprach der eine Ordensältere: "Ehrwürdiger, mir waren da eben auf dem Pagodenhofe, auf dem Buddhathrone, Blumen von fünferlei Farbe sichtbar." Der andere erwiderte: "Das ist gar nicht so wunderbar, was du da sagst, o Bruder. Mir nämlich, o Bruder, waren gerade eben an einer eine Meile weit entfernten Stelle im großen Meere Fische und Schildkröten sichtbar." Solche Trübung des Hellblicks steigt oft in demjenigen auf, der die Gemütsruhe oder den Hellblick erlangt hat. Da, durch die Errungenschaften verdrängt, die befleckenden Leidenschaften nicht aufsteigen, kommt ihm solcher Gedanke wie: 'Ein Heiliger bin ich!', wie z.B. dem bei Uccavālika wohnenden Ordensälteren Mahānāga, dem bei Hankanaka wohnenden Ordensälteren Mahādatta und dem in der Meditationsklause zu Nikapennaka wohnenden Ordensälteren Cūla-Sumana.

 

Folgendes ist die Erläuterung zu einer der Erzählungen: - Der bei Tālankara wohnende Ordensältere Dhammadinna, ein in den Analytischen Wissen Vollendeter und ein Triebversiegter, war, wie es heißt, der Unterweiser einer Ordensgemeinde. Eines Tages nun, als er an seinem eigenen Aufenthaltsorte dasaß, dachte er darüber nach, ob wohl sein Lehrer, der in Uccavālika wohnende Ordensältere Mahānāga, in der Ausübung des Mönchslebens die Vollendung erreicht habe oder nicht. Als er nun erkannt hatte, daß er noch ein Weltling war und daß, wenn er sich jetzt nicht zu ihm begebe, dieser als Weltling sterben möchte, erhob er sich vermittels seiner magischen Kraft in die Lüfte und ließ sich vor dem an seinem Tagesaufenthaltsorte sitzenden Ordensälteren nieder. Darauf begrüßt er ihn ehrfurchtsvoll, erfüllte seine Pflichten gegen ihn und setzte sich dann zur Seite nieder. "Warum bist du, Freund Dhammadinna, zu solcher außergewöhnlichen Zeit hierhergekommen?": so befragt erwiderte er: "Um eine Frage zu stellen, o Ehrwürdiger, bin ich gekommen." Und der Ordensältere sprach: "Frage, Freund! Wenn ich die Antwort weiß, werde ich sie dir sagen." Auf diese Worte hin aber stellte Dhammadinna tausenderlei Fragen, und, ohne irgend wie zu zaudern, beantwortete der Ordensältere Mahānāga alle die Fragen. Darauf sprach Dhammadinna: "Ein sehr eingehendes Wissen besitzet ihr, o Ehrwürdiger. Wann habt ihr euch diese Lehre angeeignet!" "Heute vor sechzig Jahren, o Freund" erwiderte der Ordensältere. "Beschäftigt ihr euch wohl, o Ehrwürdiger, mit geistiger Konzentration?" "Das ist nicht schwer, o Freund." "So erzeuget mir denn, o Ehrwürdiger, einen Elefanten." Und der Ordensältere erzeugte einen ganz weißen Elefanten. "Nunmehr, o Ehrwürdiger, machet, daß dieser Elefant mit gekrümmten Ohren, ausgestrecktem Schwanze, den Rüssel ins Maul gesteckt, fürchterlich trompetend auf euch loskommt." Und der Ordensältere tat so. Als er aber das grausige Aussehen des mit Ungestüm auf ihn loskommenden Elefanten bemerkte, erhob er sich und war daran zu fliehen. Der triebversiegte Mönch aber streckte seine Hand aus und faßte ihn am Zipfel des Gewandes, indem er sprach: "Ehrwürdiger, der Triebversiegte kennt keine Furcht." Bei dieser Gelegenheit aber seinen eigenen Weltlingszustand erkennend, sprach der Ordensältere: "Sei mir eine Stütze, Dhammadinna!", und in Hockstellung setzte er sich ihm zu Füßen. Dieser aber sprach: "Ja, o Ehrwürdiger, ich will euch eine Stütze sein; seid ohne Sorge!" und gab ihm ein Übungsobjekt. Nachdem der Ordensältere aber das Übungsobjekt entgegengenommen hatte, betrat er den Wandelgang, und schon beim dritten Schritte erreichte er das höchste Ziel, die Heiligkeit. Der Ordensältere war, wie man sagte, von ärgerlichem Temperamente. Solche Mönche geraten beim Lichtglanze in Unruhe.

 

Mit 'Erkenntnis' (ñāna) ist die Hellblick-Erkenntnis gemeint. Bei einer solchen Gelegenheit, so heißt es, steigt dem Übungsbeflissenen, während er die körperlichen und unkörperlichen Dinge erwägt und untersucht, gerade wie ein abgeschossener Donnerkeil des Indra, mit ungehemmter Geschwindigkeit die scharfe, mächtige, äußerst klare Erkenntnis auf.

 

Als 'Verzückung' (pīti); auch 'Begeisterung') gilt die mit Hellblick verbundene Verzückung. Bei einer solchen Gelegenheit, so heißt es, steigt in dem Übungsbeflissenen die sein ganzes Wesen erfüllende fünffache Verzückung auf, nämlich: leichte Verzückung, momentane Verzückung, überströmende Verzückung, emportreibende Verzückung und durchdringende Verzückung.

 

Als 'Gestilltheit' (passaddhi) gilt die mit Hellblick verbundene Gestilltheit. Bei einer solchen Gelegenheit, so heißt es, gibt es, während der Übungsbeflissene an seinem Tages- oder Nachtaufenthaltsorte sitzt, für seinen Körper und sein Bewußtsein weder Beklemmung noch Schwere noch Härte noch Ungefügigkeit noch Schwäche noch Verkrümmung, sondern gestillt sind in ihm Körper und Bewußtsein, leicht, geschmeidig, gefügig, völlig geklärt und aufrecht. Im Körper und Bewußtsein aber von Gestilltheit und den übrigen Eigenschaften unterstützt, empfindet er bei solcher Gelegenheit ein übermenschliches Entzücken. Darum heißt es (Dhp. 73-74):
 
 

 

So also steigt die mit Leichtigkeit usw. verbundene Gestilltheit auf, indem sie in ihm dieses übermenschliche Entzücken hervorruft.

 

Mit 'Glücksgefühl' (sukha) ist hier das Glück des Hellblicks gemeint. Bei einer solchen Gelegenheit, so heißt es, erhebt sich in dem Übenden ein sein ganzes Wesen durchströmendes äußerst erhabenes Glücksgefühl.

 

Als 'Entschlossenheit' (adhimokkha) gilt das Vertrauen. Mit dem Hellblicke nämlich verbunden, erhebt sich in dem Übenden ein von äußerster Klarheit erfülltes mächtiges Vertrauen.

 

'Anstrengung' (paggaha) ist dasselbe wie Willenskraft. Mit dem Hellblicke nämlich verbunden, erhebt sich in dem Übenden eine ausdauernde Willenskraft, die weder zu schwach noch zu stark angespannt ist.

 

'Gewahrsein' (upatthāna) ist dasselbe wie Achtsamkeit. Mit dem Hellblicke nämlich verbunden erhebt sich in dem Übenden die klargewärtige Achtsamkeit, die feststeht, fest gegründet und unerschütterlich ist wie der König der Berge. Was für ein Ding auch immer es sei, worüber der Übende nachdenkt, nachsinnt, Erwägungen und Betrachtungen anstellt, jedesmal kommen ihm diese Dinge in Erinnerung und tauchen ihm auf, genau wie dem Himmlischen Auge die nächste Welt sich zeigt.

 

'Gleichmut' (upekkhā) bezeichnet sowohl den mit Hellblick verbundenen Gleichmut, als auch den mit Aufmerken verbundenen Gleichmut. Bei einer solchen Gelegenheit nämlich steigt im Übenden der bei allen Daseinsgebilden sich gleichbleibende Hellblickgleichmut stark auf, und genau so auch der mit Aufmerken (āvajjana) an der Geistespforte verbundene Gleichmut. Dieser letztere nämlich betätigt sich beim Aufmerken auf diesen oder jenen Gegenstand stark und eindringlich, gerade wie der abgeschossene Donnerkeil des Indra oder wie eine auf einen Blätterkorb geschleuderte glühende Lanze.

 

'Lust' (nikanti) bedeutet hier soviel wie Lust auf Grund des Hellblicks. In dem Übenden nämlich erhebt sich eine an dem mit Lichtglanz usw. verbundenen Hellblicke haftende so zarte und stille Lust, daß er nicht imstande ist, sie als eine geistige Befleckung zu begreifen.

 

Genau nun wie beim Lichtglanze denkt der Übungsbeflissene auch, sobald ihm irgend eine von jenen anderen Trübungen aufgestiegen ist: 'Wahrlich, nie zuvor ist mir eine solche Erkenntnis aufgestiegen . . . solche Verzückung . . . solche Gestilltheit . . . solches Glücksgefühl . . . solche Entschlossenheit . . . solche Anstrengung . . . solches Gewahrsein . . . solcher Gleichmut . . . solche Lust! Sicherlich habe ich den Pfad erreicht, habe ich das Pfadergebnis erreicht.' Und so hält er den Nichtpfad für den Pfad; und das, was kein Pfadergebnis ist, hält er für das Pfadergebnis. Indem er aber den Nichtpfad für den Pfad und das Nichtpfadergebnis für das Pfadergebnis hält, gilt der Hellblicksvorgang als abgebrochen. Sein eigenes ursprüngliches Übungsobjekt fahren lassend, sitzt er da und erfreut sich bloß noch an der Lust.

 

Hier nun werden der Lichtglanz und die übrigen Dinge bloß deshalb als Trübungen bezeichnet, weil sie die Grundlagen der Trübungen bilden, nicht aber weil sie etwa karmisch unheilsam seien. 'Lust' jedoch ist sowohl eine Trübung als auch eine Grundlage der Trübung.

 

Als bloße Grundlagen sind dieses 10 Dinge, im Sinne des Anhaftens aber zusammen 30 Dinge. Und wieso? Mit Hinsicht auf den Lichtglanz gibt es 3 Anhaftungen: an Ansichten, Dünkel oder Begehren. Wer nämlich daran haftet, in dem Gedanken: 'Mir ist ein Lichtglanz aufgestiegen', der haftet an Ansichten (ditthi). Wer daran haftet, in dem Gedanken: 'Wahrlich ein lieblicher Lichtglanz ist mir aufgestiegen', der haftet am Dünkel (māna). Wer sich am Lichtglanze erfreut, der haftet am Begehren (tanhā). Der in diesen Dingen unerfahrene, unerprobte Übungsbeflissene wird bei dem Lichtglanz und den übrigen Dingen erregt und zerstreut und denkt bei jedem dieser Dinge: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist meine Persönlichkeit'. Darum sagten die alten Meister:

 

 
 

Sind aber dem geübten, weisen, erprobten, einsichtsvollen Übungsbeflissenen derartige Dinge wie der Lichtglanz usw. aufgestiegen, so stellt er sie weise fest, prüft sie: 'Dieser Lichtglanz ist mir wohl aufgestiegen. Doch ist dieser vergänglich, gewirkt, bedingt entstanden, dem Versiegen und Hinschwinden, der Abwendung und Erlöschung unterworfen'. Oder er denkt: 'Wäre der Lichtglanz die Persönlichkeit, so hätte man ihn wohl als die Persönlichkeit aufzufassen. Was aber etwas Unpersönliches ist, hat man als die Persönlichkeit aufgefaßt. Somit gilt der Lichtglanz auf Grund seiner Machtlosigkeit als unpersönlich; insofern er aber nach seinem Entstehen wieder verschwindet, gilt er als vergänglich; und insofern er durch Entstehen und Hinschwinden bedrückt wird, gilt er als elend'. In dieser Weise hat man das Ganze in der für die 7 unkörperlichen Dinge gegebenen Erklärung ausführlich darzulegen, und wie beim Lichtglanz so auch bei den übrigen Dingen. Indem nun der Übungsbeflissene so den Lichtglanz und die anderen Dinge untersucht, erkennt er jedesmal: 'Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht meine Persönlichkeit'. So aber erkennend erhebt und erzittert er nicht wegen des Lichtglanzes und der übrigen Dinge. Darum sagten die Alten Meister:

 

Nachdem er aber, nicht mehr in Zerstreuung geratend, das dreißigfache Gewirr der Trübungen entwirrt hat, stellt er den Pfad und Nichtpfad fest: 'Diese Dinge, wie der Lichtglanz usw., sind nicht der Pfad; die von den Trübungen befreite und dem rechten Vorgange (der Betrachtung des Entstehens und Hinschwindens) folgende Hellblick-Erkenntnis aber, diese ist der Pfad'. Daß er erkennt 'Dies ist der Pfad, dies der Nichtpfad': diese im Erkennen des Pfades und Nichtpfades bestehende Erkenntnis ist als die Reinheit des Erkenntnisblickes mit Hinsicht auf Pfad und Nichtpfad zu verstehen.


Vis.XX.8  Feststellung der 3 Wahrheiten

 
Insoweit nun aber hat jener Übungsbeflissene die 3 Wahrheiten festgestellt. Und wieso?
 

In der Reinheit der Erkenntnis (XVIII) hat er vorerst durch Feststellung des Geistigen und Körperlichen die Wahrheit vom Leiden festgestellt.
 

In der Reinheit der Zweifelsentrinnung (XIX) hat er, durch Erfassen der Bedingungen, die Wahrheit von der Leidensentstehung festgestellt.
 
 

Hier nun in dieser Reinheit des Erkenntnisblicks mit Hinsicht auf Pfad und Nichtpfad hat er, durch Feststellung des rechten Pfades, die Wahrheit vom Pfade festgestellt.

 

Somit hat er bereits durch solche weltliche Erkenntnis die drei Wahrheiten festgestellt.

 

Hier endet des zur Beglückung guter Menschen abgefaßten "Weges zur Reinheit" 20. Teil: die zur Entfaltung des Wissens gehörende Darstellung von der Reinheit des Erkenntnisblickes mit Hinsicht auf Pfad und Nichtpfad.


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