Vipassanā Meditation

Neunzehnter Nachmittag - Verehrung

 

Eine der geistigen Fähigkeiten und eine starke Hilfe auf dem Wege ist Vertrauen oder Zuversicht. Wenn wir Vertrauen in unser Tun haben, werden alle die unruhigen Zweifel, die unsere Bemühungen stören können, unwirksam.

 

Es gibt mehrere verschiedene Arten von Vertrauen, die aufsteigen können. Das am wenigsten heilsame ist das Vertrauen auf oder die Verehrung von jemandem oder etwas, nur weil es uns ein gutes Gefühl vermittelt. Wir haben ein angenehmes Gefühl, fühlen uns berauscht und vertrauen dann eben auf die Person oder Sache. Es ist leicht, bei dieser Art der Zuneigung blind zu werden. Eine höhere Art des Vertrauens steigt auf, wenn wir bestimmte Eigenschaften wie Weisheit, Liebe und Mitleid bei einer Person erkennen und würdigen. Diese Art des Vertrauens ist hilfreich, da die Würdigung ein Erkennen der heilsamen Eigenschaften des Geistes ist und uns anregt, dieselben Eigenschaften bei uns selbst zu entwickeln.

 

Es gibt auch das Vertrauen und die Verehrung, die aus unserer eigenen Erfahrung der Wahrheit kommen. Wenn wir beginnen, auf immer höheren Stufen zu erfahren, wie Geist und Körper wirken, empfinden wir große Freude und Vertrauen in den Dharma. Es ist weder auf blinde Gefühle noch auf die Würdigung der Eigenschaften eines anderen gegründet, sondern entsteht aus der Einsicht in die Natur der Wirklichkeit. Dies führt zu dem höchsten Geistesvertrauen, das durch die Erfahrung der Erleuchtung kommt. Wenn Sie bis zur letzten Wahrheit durchdringen, wird das Vertrauen unerschütterlich.

 

Als der Buddha im Sterben lag, fragte Ananda, wer nach seinem Tode ihr Lehrer sein würde. Er antwortete seinem Schüler: "Seid eure eigene Leuchte. Seid eure eigene Zuflucht. Nehmt zu nichts Äußerem Zuflucht. Haltet fest an der Wahrheit als ein Licht. Haltet fest an der Wahrheit als eine Zuflucht. Sucht nicht die Zuflucht bei anderen, außer bei euch selbst. Und jene, Ananda, die entweder jetzt oder nach meinem Tode sich selbst eine Leuchte sind, die nicht zu Äußerem Zuflucht nehmen, sondern festhalten an der Wahrheit als ihr Licht, festhalten an der Wahrheit als ihre Zuflucht und nicht Zuflucht suchen bei anderen außer sich selbst, jene sind es, welche die höchsten Höhen erklimmen werden; aber sie müssen sich bemühen zu lernen."


Einundzwanzigster Abend - Bedingte Entstehung

 

Um der Geheimnisse von Geburt, Alter und Tod willen kommen Buddhas in diese Welt. Es gibt keine Existenzebene, in welcher diese Realitäten nicht vorhanden sind, und der alleinige Anlaß der Erleuchtung Buddhas war, ihre Wurzeln zu ergründen. Der tiefgründigste Teil der Lehren Buddhas ist vielleicht die Beschreibung, wie dieses Rad des Lebens, des Todes und der Wiedergeburt unablässig weiterrollt. Die Einsicht in alle Verbindungen dieser Existenzkette wird in dem Gesetz der Bedingten Entstehung dargestellt.

 

Dies Gesetz der Bedingten Entstehung hat zwölf Verbindungsglieder. Die beiden ersten beziehen sich auf die Ursachen im vorigen Leben, welche die Geburt in diesem Leben bedingen. Das erste dieser Verbindungsglieder ist Unwissenheit. Unwissenheit bedeutet, die Wahrheit nicht zu erkennen, den Dharma nicht zu verstehen, die vier Edlen Wahrheiten nicht zu kennen. Weil wir die Dinge nicht klar erkennen, weil wir die Tatsache des Leidens und dessen Ursache und den Weg zur Aufhebung des Leidens nicht sehen, bedingt die Kraft der Unwissenheit das nächste Glied in der Kette: Willenstätigkeiten des Körpers, der Sprache und des Geistes, angetrieben durch heilsame und unheilsame Geistesfaktoren. Willenstätigkeit ist durch Unwissenheit bedingt; da wir nicht die Wahrheit verstehen, verwickeln wir uns in alle möglichen Arten von Tätigkeiten. Die karmische Kraft dieser Handlungen bedingt das dritte Glied in der Kette.

 

Das dritte Glied ist das Wiedergeburtsbewußtsein; das ist der erste Bewußtseinsaugenblick in diesem Leben. Weil Nichtwissen die Kraft des karmischen Handelns in unserem vorigen Leben bedingte, steigt das Wiedergeburtsbewußtsein im Augenblick der Empfängnis auf. Wollen oder Absicht ist vie der Samen; Wiedergeburtsbewußtsein wie das Aufgehen dieser Saat. Eine durch Ursache und Wirkung bedingte Beziehung. Aus Unwissenheit entstanden alle Taten, alle Arten von Karmaformationen. Aufgrund der Karmaformationen steigt das Wiedergeburtsbewußtsein auf, der Anfang des Lebens. Wegen der ersten Bewußtseinsmomente in diesem Leben steigen die geistig-körperlichen Phänomene auf, alle materiellen Elemente, alle Geistesfaktoren. Weil der geistig-körperliche Vorgang aufsteigt, entwickeln sich die Sinnengrundlagen. All dies geschieht während der Entwicklung des Embryos, vor der Geburt.

 

Das Wiedergeburtsbewußtsein im Augenblick der Empfängnis bedingt das Aufsteigen der geistig-körperlichen Phänomene. Dadurch steigen alle sechs Sinnengrundlagen auf, die fünf physischen Sinne und das Bewußtsein, die wiederum das Aufsteigen der Berührung bedingen, Berührung zwischen dem Sinnesorgan und seinem entsprechenden Objekt: das Auge und Farbe, das Ohr und Ton, die Nase und Geruch, die Zunge und Geschmack, der Körper und Empfindungen, der Geist und Gedanken oder Ideen. Berührung bedeutet das Zusammentreffen eines Objektes durch das entsprechende Sinnestor mit dem Bewußtsein, entweder des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Berührens oder Denkens. Bedingt durch die Sinne steigt Berührung auf. Durch den Kontakt zwischen Auge und Farbe, Ohr und Ton und den anderen Sinnen und ihren Objekten steigt Gefühl auf. Gefühl bedeutet die Eigenschaft des Angenehmen, Unangenehmen oder Weder-Angenehm-noch-Unangenehmen, die jeder Bewußtseinsmoment, jeder Augenblick eines Kontaktes beinhaltet. Ob es Berührung durch die fünf körperlichen Sinnentore oder durch das Bewußtsein ist, Gefühl ist immer da und wird darum ein allgemeiner Geistesfaktor genannt. Bedingt durch Berührung steigt Gefühl auf, entweder angenehmes, unangenehmes oder indifferentes.

 

Aufgrund des Gefühls steigt das Begehren auf. Begehren heißt nach Objekten verlangen, sie erwünschen. Was ist es, das wir begehren? Wir begehren angenehme Anblicke und Töne, angenehme Geschmäcke und Düfte, angenehme Berührungen und Gedanken, oder wir wünschen unangenehme Objekte loszuwerden. Begehren steigt bedingt durch Gefühle auf. Wir beginnen, diese sechs verschiedenen Objekte dieser Welt zu ersehnen, oder wir wünschen sie zu vermeiden. Gefühl bedingt Begehren. Begehren bedingt Anhaften. Weil wir die sechs Sinnenobjekte, das Bewußtsein eingeschlossen, begehren, greifen wir nach ihnen, klammern uns an sie, haften wir an ihnen. Anhaften ist bedingt durch Begehren.

 

Durch Anhaften werden wir wieder in Karmaformationen verwickelt und wiederholen die Willenstätigkeiten, die in unserem vorigen Leben das Wiedergeburtsbewußtsein dieses Lebens bedingten. Gefühl bedingt Begehren. Begehren bedingt Anhaften und Anhaften bedingt den ständigen Werdeprozeß, schafft die Energie, die der Samen ist für das Wiedergeburtsbewußtsein im nächsten Leben. Aufgrund dieses karmischen Werdeprozesses, bedingt durch Anhaften, gibt es weitere Geburt.

 

Durch Geburt bedingt ist Krankheit und Leid. Es gibt Verfall und Schmerzen. Es gibt Leiden. Es gibt den Tod. Und so dreht sich das Rad immer weiter, eine unpersönliche Kette ursächlichen Zusammenhaltes.

 

Buddhas Problem, und auch unser aller Problem, ist, den Weg aus diesem Kreislauf der Bedingtheit zu finden. Es wird gesagt, daß er am Abend seiner Erleuchtung das Gesetz der Bedingten Entstehung rückwärts durchging, um den Punkt der Befreiung zu finden. Wodurch gibt es Alter, Krankheit und Tod? Durch Geburt. Wodurch gibt es Geburt? Durch all die Werdeprozesse, durch all die Willenstätigkeiten, deren Antrieb Gier, Haß und Unwissenheit sind. Wodurch sind wir in diese Arten des Tuns verwickelt? Durch Anhaften. Wodurch gibt es Anhaften? Durch das Begehren im Geiste. Wodurch gibt es Begehren? Durch das Gefühl, das entweder angenehm oder unangenehm aufsteigt. Wodurch gibt es Gefühl? Durch die Sinnengrundlagen und alle geistig-körperlichen Phänomene.

 

Wir können jetzt nichts daran ändern, ein geistig-körperlicher Vorgang zu sein. Das ist bedingt durch Unwissenheit in der Vergangenheit und die Geburt. Es gibt keine Möglichkeit, die Berührung zu vermeiden, auch wenn dies wünschenswert wäre. Wenn Berührung stattfindet, gibt es keine Möglichkeit, das Aufsteigen des Gefühls zu vermeiden. Durch Berührung wird Gefühl aufsteigen, es ist ein allgemeiner Geistesfaktor. Aber gerade an diesem Punkt kann die Kette unterbrochen werden.

 

Wenn wir das Gesetz der Bedingten Entstehung begreifen, wie aufgrund eines Dinges ein anderes aufsteigt, können wir damit beginnen, die Kette der Bedingtheit zu durchbrechen. Wenn angenehme Dinge aufsteigen, klammern wir uns nicht daran. Wenn unangenehme Dinge aufsteigen, verurteilen wir nicht. Wenn indifferente Dinge aufsteigen, sind wir nicht vergeßlich. Buddha sagte, der Weg der Vergeßlichkeit ist der Weg des Todes. Und der Pfad der Weisheit und Bewußtheit ist der Weg zum Todlosen. Wir haben die Freiheit, diese Kette zu durchbrechen uns von dem bedingten Handeln zu befreien. Es bedarf kraftvoller Achtsamkeit, in jedem Augenblick, um zu verhindern, daß Gefühle Begehren hervorrufen.

 

Wenn Unwissenheit im Geiste vorherrscht, bedingt das Gefühl Begehren. Wenn etwas Angenehmes da ist, wollen wir es haben; wenn etwas unangenehmes da ist, möchten wir es loswerden. Wenn aber statt Unwissenheit im Geiste Weisheit und Achtsamkeit zugegen sind, dann erfahren wir das Gefühl, reagieren jedoch nicht gewohnheitsmäßig oder zwanghaft darauf, indem wir ergreifen oder abwehren. Wenn die Gefühle angenehm sind, nehmen wir sie achtsam wahr, ohne anzuhangen. Wenn Sie unangenehm sind, nehmen wir sie achtsam wahr, ohne zu verurteilen. So bedingen Gefühle nicht mehr das Begehren, dann sind wir achtsam, haben Abstand und lassen los. Wenn kein Begehren da ist, ist auch kein Anhaften vorhanden; ohne Anhangen gibt es keine Willenstätigkeiten, die zum Werden führen. Wenn wir diese Energien nicht erzeugen, gibt es keine Wiedergeburt, keine Krankheit, kein Alter und keinen Tod. Wir werden frei. Werden wir nicht mehr von Unwissenheit und Begehren getrieben, wird die ganze Leidensfülle beendet.

 

Jeder Augenblick der Bewußtheit ist ein Hammerschlag auf die Kette der Bedingtheit. Wenn wir sie mit der Kraft der Weisheit und Bewußtheit schlagen, wird die Kette schwächer und schwächer, bis sie zerbricht. Wir durchdringen hier die Wahrheit vom Gesetz der Bedingten Entstehung und befreien unseren Geist.

 

 

 

Ich stelle fest, daß, seitdem ich übe, mir die Schönheit des Dharma mehr und mehr bewußt wird, die Art, wie die Dinge sich verhalten.

Das höchste Glück ist das Glück des Vipassanā, das Glück der Einsicht, das Erkennen des Ablaufs der Dinge. Es ist ein sehr glücklicher Zustand, wenn Sie bereits mit dem Geist eines Anfängers erkennen, daß jeder Augenblick neu und frisch ist. Eine große Lebensfreude entsteht aus dem Geist eines Anfängers, aus einem nicht-bedingten Geist, einem Geist, der direkt erfährt und nicht Gedanken über alles hat. Buddha hat gesagt, daß der Geschmack des Dharma alle anderen Geschmäcke übersteigt. Wenn Sie sehen, wie alles abläuft, wenn Sie eingestimmt sind, in Einklang, eins mit dem Tao, dann ergibt sich daraus ein großes Gefühl der Klarheit, des Verstehens und der Schönheit.

 

Auf dem Wege zur Vollendung der Harmonie gibt es eine sehr tiefe Erfahrung des Unbefriedigtseins, des Leidens, das diesem vergänglichen Daseinsvorgang innewohnt. Viele Menschen hier haben einen Vorgeschmack dieses Unbefriedigtseins gehabt. Die Überwindung dieser Perspektiven wirkt sich günstig auf das Nicht-Anhaften aus. Wenn Sie sehr tief die Leiden von Geist und Körper erfahren, dann erkennen Sie ganz klar den Wert des Loslassens, Sie haften nicht länger. Sie sehen nichts, was des Begehrens wert ist. Aus dieser Art des Abstandes entwickelt der Geist ein harmonisches Gleichgewicht, und dann betrachten Sie das ganze Fließen mit Gleichmut und einem sehr klaren und friedvollen Bewußtsein.

 

 

Muß man sterben, um erleuchtet zu werden?

Erleuchtung ist der Tod von Gier, Haß und Unwissenheit. Der Grund für unsere Angst vor dem Tod ist der, daß wir nicht verstehen, wie der Daseinsvorgang hier und jetzt abläuft, und so entsteht in einem ungeübten Geist Angst, wenn er dies aufgeben soll. In Wahrheit stirbt keiner, da niemand hinter dem Vorgang steht. Was geschieht ist Geburt und Tod, Geburt und Tod von Augenblick zu Augenblick... in Gang gehalten durch die Kraft von Begehren und Anhaften. Die Bedingtheit überwinden, den Geist von Anhaften und Begehren befreien bedeutet den Zustand des Friedens erfahren, der die ganze Zeit vorhanden ist, den wir aber nicht erkennen, weil die Kraft des Anhaftens uns daran hindert. Es ist wie bei diesem Affen, der festhält; nichts fesselt ihn, außer der Kraft des Begehrens in seinem eigenen Geist. Er braucht nur seine Hand zu öffnen und sie herauszuziehen. Wir brauchen nur loszulassen.


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