Mahāvagga

Vorwort

 Eigentliche wollte ich nur Pāli lernen. Da sich für meinen Lehrer und mich aber kein passen­der Text fand, entschieden wir uns für das Mahāvagga des Vinayapitaka. Daß daraus eine vollständige Übersetzung würde, hätten wir beide uns nicht träumen lassen. Daher möge der Leser mit Nachsicht und Geduld über die manchmal vielleicht nicht ganz geglückten Überset­zungen hinweg­sehen und Fehler mit Langmut ertragen.

Bedanken möchte ich mich vor allen Dingen bei den vielen Helfern, die mich beim Korrek­turlesen unterstützen. Hier seien vor allen genannt, Birte, Anke, Kathrin und Martin. Gedankt sei auch der Buddhistischen Gesellschaft Ham­burg, de­ren Computer ich oft genug benutzen durfte und meinem Lehrer Maitrimurti, der mit soviel Geduld und Einfühlsamkeit mir diese schwierige Sprach vermittelt hat.

Der größte Dank aber sei dem Erhabenen, unserem Lehrer, der vierzig Jahre seines Lebens die Mühe auf sich nahm uns die Wahrheit zu zeigen.

Thomas Trätow


Das Mahā vagga

 Um den dringenden Anfragen nach dieser Ausgabe gerecht zu werden, obwohl die Nachfrage insgesamt noch keine Buchausgabe erlaubt, haben wir uns entschlossen, eine Kopie der von Herrn Trätow selbst angefertigten Erstausgabe zu machen. Hinzugefügt wurde ein Inhaltsverzeichnis und eine Einführung in den Vinaya von Hellmuth Hecker. Wir hoffen sehr, daß diese Form, für den an diesen ältesten Schriften des Buddhismus inter­essierten Leser, nicht zu störend ist.

© 2000: Thomas Trätow – Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
VERLAG BEYERLEIN & STEINSCHULTE
95236 STAMMBACH – HERRNSCHROT
ISBN 3 - 931095 - 24 - X

[Die Veröffentlichung auf dieser Webseite erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.]


Inhaltsverzeichnis

In diesem Buch erscheinen die Überschriften - dem alten Ordnungs-System der damaligen Zeit folgend - statt wie üblich am Anfang, erst am Schluß des jeweiligen Kapitels oder Abschnitts. Ebenso die Nummerierung der Absätze. Bei manchen Abschnitten fehlen Über- (Unter)schriften, sie sind nur mit Nummern versehen, die unten mit angegeben sind. Die angegebenen Seitenzahlen zu den Kapiteln und Hauptabschnitten, stimmen mit der Seitenzahl des Kapitel- oder Abschnittbeginns überein.

Was ist der Vinaya?

 Die Texte des ursprünglichen Buddhismus gliedern sich in zwei große Schriftenkörbe, deren erster den Vinaya und deren zweiter die Lehrreden enthält. Während letztere sehr bekannt sind, ist der Vinaya so gut wie unbekannt. Vinaya heißt wörtlich "Zurecht-führung" und bedeutet: Ordnung, Zucht, Disziplin, Regel. Er ist die Ordensverfassung oder Ordensregel. Diese Ordensregel besteht aus zwei Teilen: Der erste (Khandhaka) ent­hält die Erlaubnisse und Verbote für die Ordensangehörigen (nicht für Laien) und deren Gemeinschaftsleben. Diese Regeln sind moralisch meist neutral, so wie etwa Verkehrsregeln, die zweckmäßig für ein möglichst reibungsloses Miteinander sind. Dieser Teil gliedert sich wiederum in zwei Bücher, das große Buch (Mahā­vagga) und das kleine Buch (Culla-vagga), wobei ersteres die Grundregeln, letzteres die ergänzenden enthält. Der zweite Teil (Vibhanga) enthält dagegen das, was etwa dem Strafrecht entspricht, nämlich die meist mora­lisch relevanten Verbote mit einer Sanktion, wie Ordensausschluß, Suspendierung der Ordensrechte, Beichtpflicht, Rückgabepflicht von Dingen usw. Dies sind die 220 Regeln, zu denen noch sieben Verfahrens­regeln kommen, sozusagen die Strafprozeßordnung. Der Kern dieser Regeln eines monastischen Strafrechts sind die Tugendregeln, die für jeden Lehrnachfolger gelten, nur sehr verfeinert und umfassender, eben auf Weltüberwindung zugeschnitten. Diese 227 Regeln wurden an jedem Voll- und Neumondtag im Orden rezitiert und eingeschärft. Wer einen Verstoß nicht schon gebeichtet hatte und dies nicht bei der Rezitation nachholte, dem galt es als bewußte Lüge. Es ist einsehbar, daß dies einen ungemein erzieherischen Wert hatte.

Die Regeln in den Khandhakas, die etwas verbieten, heißen dukkata, d.h. "etwas, das man nicht tut" oder etwas, das wörtlich "schlecht (du) getan (kata)" wäre. Es ist das, was sich für einen Ordensangehörigen, einen Asketen, einen "Bürger der vier Weltgegenden" nicht ziemt, was sozusagen "standeswidrig" ist. Dies ent­spricht am ehesten bei uns den Ordnungswidrigkeiten. Wer dagegen verstößt, zieht sich den Tadel der übungs­eifrigen Ordensangehörigen zu -- eine weitere Sanktion gibt es nicht, unbeschadet der karmischen Folgen von etwas, das sich nicht gehört. Die Regeln in den Vibhangas heißen Pātimokkha, je für Mönche und Nonnen getrennt. Verstöße dagegen sind meist āpatti, wörtlich "Fehl (ā) -tritt (patti)" oder "Ver (ā) -gehen (patti)". Es ist falsches Vorgehen für Ordensangehörige, sozusagen "ein Schritt in die falsche Richtung", dem Ziel der Überwindung alles Anhangens und alles Leidens widersprechend. Nur die 75 Regeln guten Benehmens Nr. 145 - 220 sind dukkata.

Von diesem Ordensgesetzbuch, dieser Ordensverfassung in vier Teilen (Großes Buch, Kleines Buch, Pātimokkha für Mönche, Pātimokkha für Nonnen) gibt es in europäischer Sprache nur eine einzige Übersetzung, nämlich ins Englische, durch die langjährige Präsidentin der Pāli Text Society, Miß Horner.

Auf Deutsch liegt nur die hier vorliegende, vollständige Übersetzung des großen Buches vor. Auszüge und Teile aus den anderen Büchern des vinaya sind im Buch "Der Buddha und sein Orden" zu finden, das im Verlag Beyerlein & Steinschulte erschienen ist.

Vom Pātimokkha der Mönche ist nur der nackte Text der 227 Regeln ins Deutsche übersetzt, ohne Entste­hungsgeschichte und Fallbeispiele, und zwar von zwei europäischen Mönchen auf Sri Lanka: Pātimokkha. Das Hauptgesetz der Bettelmönche. Mit Notizen der ethischen Führung (Vinaya) im Anhang, Colombo 1993, 108 S. Der Text ist bilingual: links Pāli, rechts deutsch.

Hellmuth Hecker


Glossar

 abbhāna - Rehabilitation. Die Beendi­gung einer Strafe für ein Sang­hadis­esa­ver­gehen und die Herstellung des vorhe­rigen Zu­standes. = CV II 9

abbhantara - Lt. Komm. ist 1 A. 28 Ellen vom Ellenbogen bis zur Spitze des Mittel­fingers = ca. 10,66 m

abhidhammapitaka - Teil des Pālikanons

ācaravipatti - Verlust rechten Verhaltens. Das sind folgende Vergehen: pārājika, sanghādisesa, pācittiya, dukkata, thullac­caya, pātidesanīya, dubbhāsita

aniyata(vergehen) - 2 Vergehen = Wenn ein Mönch mit einer Frau versteckt zu­sammen­sitzt und eine vertrauenswürdige Laienanhän­gerin darüber Bedenken äu­ßert. Der Mönch wird vom Sangha be­fragt, ob er ein (pārājika, sang­hādisesa, pācittiya) Ver­gehen begangen hat.

aramika - Tempelgehilfe, lebt als Laie im Kloster und kümmert sich um die welt­lichen Angelegenheiten des Klosters

āsālhā - Vollmond im Juni/Juli

Bedarfsgegenstände - siehe MV I 30/4

bhikkhugatiko - Ein mit den Mönchen Zusammenlebender. Laien, die im Klo­ster z. B. die Verwaltung vornahmen und dort auch lebten.

Bruder - āvuso = Anrede für Gleichgestellte

dubbhāsita(vergehen) - Kategorie von Vergehen wegen schlech­ter Rede. Ein Beken­nen des Vergehens genügt zur Wieder­gutma­chung.

dukkata(vergehen) - Kategorie von Vergehen wegen schlechten Verhaltens. Ein Beken­nen des Vergehens genügt zur Wiedergutma­chung.

Erlaubtmacher (kappiyakārako) - Menschen, die oft mit den Mön­chen zusammen wohnten und die weltli­chen Angelegenheiten für die Mön­che erledigten, z.B. Geldangelegen­heiten. Oder sie über­nahmen beim Ver­zehr von Früchten mit Samen durch die Mön­che die "Verant­wortung" für das eventuelle Töten des Samens.

kathina - Zeremonie am Ende der Regenzeit, bei der den Mönchen Gewänder ge­spendet werden.

khandhaka - Teil des Vinayapitaka = Mahā- und Cullavagga

komudi catumāsini - Vollmondtag im Monat Okt/Nov.

mānatta(strafe) - eine Strafe für ein Sanghadisesavergehen. Kann ein pari­vāsa sein. = CV II 4 - 9

mūlaya patikassanāraho - Neuanfang. Ein Mönch, der, während er sich des parivāsa oder mānatta unterzieht, ein neues sanghā­disesa-vergehen begeht, muß mit parivāsa bzw. mānatta von neuem beginnen.

nāga - Elefant oder Schlange(ngeist).

nissaggiya(vergehen) - 30 Vergehen = Eine Art von Pācittiya­vergehen (siehe dort). Betrifft die Roben der Mönche.

nissaranīya - Verbot des Zusammenlebens mit den Mönchen. Wird verhängt über einen Novizen, der über den Erhabe­nen, die Lehre und die Mönchs­gemeinde verächtlich spricht oder verkehrte Leh­ren verbreitet und dabei hartnäckig verharrt.

nissāya - Beistandsverfahren. Der Mönch muß für einige Zeit wieder einen Un­terweiser nehmen.

Novize - Mönch zwischen Ordination und Vollordination (ist zwi­schen 8 und 20 Jahre alt).

Ordination - pabbajjā (Hauslosigkeit); für Novizen möglich mit 8 Jah­ren, 10 Sīlas sind zu halten.

osāranā - Wiedereinsetzen, Wiederaufnahme. Dies bezieht sich auf einen Novizen, der wegen Mißachtung des Erhabenen, der Lehre und der Mönchsge­meinde oder wegen Verbreitung ver­kehrter Lehren ausge­stoßen wurde (nissaranīya), dann vor der Mönchs­versammlung seine Schuld be­kennt und um Ver­zei­hung bittet.

pabbajjanīya(verfahren) - Ausschlußverfahren. Durch ein Ordenskapitel wird be­schlossen, daß ein Mönch das Kloster, in dem er sich durch seine verderbte Lebens­weise einen schlechten Ruf zugezogen hat, zu verla­ssen und sich an einem ande­ren Platz nieder­zulassen hat. Seine Mönchswür­de wird ihm nicht ent­zo­gen.

pācittiya(vergehen) - 92 Vergehen = Nach pārājika- und sangha­disesa-vergehen das dritthöchste Vergehen. Muß vor dem gesam­ten Sangha be­kannt wer­den.

pārājika(vergehen) - Schweres Vergehen (Geschlechtsakt, Dieb­stahl, Menschen­mord, Anma­ßung übernatürlicher Fähigkei­ten und Kräfte), durch deren Ausübung einer für immer der Mönchswürde ver­lustig geht.

parivāra - Teil des Vinayapitaka

parivāsa - Getrenntwohnen. Wer ein Sanghadisesavergehen began­gen hat und es nicht sofort einem Ordens­bruder bekennt, wohnt soviele Ta­ge, als er es verheimlicht hat, von den übrigen Mön­chen ge­trennt. Nach Beendi­gung des Getrenntwohnens folgt die Sühnung (mānatta) und die Wie­deraufnahme (abb­hāna)

oder = Bewährungszeit Die Anwärter müssen eine gewisse Zeit unter Aufsicht des Sanghas leben, bevor die Ordina­tion bzw. Vollordination gegeben wird. = CV II 1-3

patidesanīya(vergehen) - 4 Vergehen. Kategorie von Vergehen, die gebeichtet werden müs­sen.

patisārānīya - Versöhnungsverfahren. Streitigkeiten zwischen den Mönchen wer­den bereinigt.

pavāranā - (wtl. Einladung) findet lediglich am Schlusse der mönchi­schen Regen­zeitklausur statt. Zu diesem Zwecke versam­meln sich alle Mönche, die gemeinsam die Regenzeit verbracht haben und, jeder einzelne, vom Ältesten bis zum Jüngsten (in dieser Reihenfolge) lädt die anderen ein, ihm mitzu­teilen, ob sie irgendeine Schuld (d.i. ein Ordensverge­hen) an ihm bemerkt haben, damit er sie in diesem Falle sühnen kön­ne.

Nach den Regeln behandeln - wie im suttavibhanga festgelegt.

Robe, 3fache - Hüfttuch (Tuch, das um die Hüfte geschlungen wird), Ober­ge­wand, Schultertuch (Obergewand doppelt gelegt und zu­sammengenäht. Dient als Schlaf- und Sitzunterlage)

sanghādisesa(vergehen) - 13 weniger schwere Vergehen, von de­nen die neun ersten neben dem Geständnis auch eine Sühnung (mā­nat­ta) und den Wiederaufnahmeakt (abbhāna) und meist noch ein zeitweises Getrenntwohnen (parivāsa) erfordern. Der Sangha mußte über dieses Vergehen zusammensitzen (sanghādisesa).

sechser Gruppe Mönche - eine Gruppe Mönche, die für die mei­sten Fehler verant­wort­lich waren.

sekhiya - 75 Keine Vergehen, Regeln für gutes Verhalten.

sikkhamānaya - Zu Schulende.  Spezieller Status für 2 Jahre für Mädchen unter 20 Jahren und Frauen die länger als 12 Jahre ver­heiratet waren, bevor sie zur Nonne ordiniert werden. Ein­zuhalten sind die ersten 6 Sīlas. (siehe Anger. Samml. 8/51)

sīlavipatti - Verlust der Tugend = parājika- und sanghādisesa­vergehen.

suttapitaka - Teil des Pālikanons

tajjanīya - Verwarnung. Bei vermuteten Verstößen wird eine Verwarnung aus­ge­sprochen.

thera(mönch) - Mönch 10 Jahre nach der Vollordination.

thullaccaya(vergehen) - Kategorie von Vergehen zwischen Pā­cit­tiya und Dukkataver­gehen.

ukkhepaniīya - Zeitweiliger Ausschluß. 1) Beim Mönch: Der Mönch wird vom Le­ben des Sanghas isoliert. Er hat keinen Kon­takt mehr mit ande­ren Mönchen. 2) Beim Laien: Es werden keine Gaben angenommen.

Unterweiser - upajjhāyaka Zuständig für die Ausbildung des Auszubil­den­den (saddhivihārika) im Vinaya

Lehrer (ācariya) = Zuständig für die Ausbildung des Schü­lers im Dhamma.

Verehrungswürdiger - bhante = Anrede für Höherstehende

vibhanga - Aufzählung der Vergehen und ihrer Wiedergutmachung. Es gibt 2 v. eines für Mönche, eines für Nonnen.

vinaya - wörtlich: hinführen, im übertragenen Sinne sittliches Verhalten auf­zeigen.

Vollendeter - tathāgata = Buddha, wenn er von sich selbst spricht

Vollordination - upasampadā = Vollmönch mit 20 Jahren möglich, alle 227 Regeln gelten.

yojana - Längenmaß ca. 9 Km


 Abkürzungen

CV           Cullavagga (des Vinaya)

MV         Mahāvagga (des Vinaya)

Für alle Pālibegriffe, die Sie hier nicht finden, verweisen wir auf das Buddhi­stische Wörterbuch des ehr­würdigen Nyānatiloka.


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